MEISTERFÄLSCHER BELTRACCHI

Im Rahmen des Gesetzes!

Text: Eva Maria Dülligen, Fotos: Nanda Gonzague

Als bürgerlichen Beruf kann man den des Kunstfälschers nicht gerade bezeichnen. Aber das war dem Querdenker Wolfgang Beltracchi egal. Der Jahrhundert-Fälscher hat an die 300  Bilder von Pechstein bis Max Ernst nachempfunden. Bis heute kann sich kein Museumsbesucher sicher sein, ob das Gemälde an der Wand dem Pinsel Gauguins oder der Fantasie Beltracchis entsprungen ist. Der Bonvivant lebte jahrelang im Languedoc inmitten von Reben und schätzt Originale im Glas.

Sie führten ein Leben, das Dutzende Drehbücher füllen könnte. Wolfgang Beltracchi malte Bilder berühmter Künstler. Bilder, die es nie gegeben hat oder die als verschollen galten, und signierte mit Matisse oder Max Ernst. Werke von rund 50 Meistern, vor allem Expressionisten, Kubisten und Fauvisten, bannte er in genialer Manier auf Leinwand. Seine Frau Helene vermittelte die gefälschten Meisterwerke, die in Londoner Auktionshäusern insgesamt mehrere Millionen einstrichen. Dazwischen bereiste das Paar im Wohnmobil die Welt oder zelebrierte L’art de vivre auf ihrer Wein-Domaine in Südfrankreich. Bis zu dem Tag, als sie vor ihrem Freiburger Zweitwohnsitz in einer filmreifen Polizeiaktion festgenommen wurden. Auf die mehrjährige Haft folgte eine Karriere in der Legalität. Heute reissen sich Talkshows um sie. Beltracchi malt Promis in einer 3sat-Fernsehserie und verkauft seine eigene Kunst. Eva Dülligen hat das genussaffine Paar in der Kulturmetropole Montpellier besucht und unverfälscht porträtiert.

Herr Beltracchi, Sie wohnen hier in einem Stadtpalais aus dem 18.  Jahrhundert, mitten im historischen Zentrum von Montpellier. Wie kommt man an so was?

Hier wohnte vorher eine WG drin, so ein richtiges Studentenlager, überall Matratzen. Unsere Tochter Franziska wohnte nebenan in einer 25-Quadratmeter-Hucke. Sie rief irgendwann an und meinte: «Ich hab was Zauberhaftes gefunden, ihr müsst sofort kommen, bevor das Ding weg ist.» Der Vermieter war dann glücklich, das an ein Paar zu vermieten. Die französischen Mieter sind auch nicht scharf darauf, so hohe Räume zu bewohnen. Allein wegen der Heizkosten.

Jedenfalls kann man nicht behaupten, dass diese riesigen, geschichtsschwangeren Räume Ihrer Inspiration keine geeignete Kulisse bieten.

Störend ist es nicht. Wir arbeiten und wohnen im Haus einer Nichte von Napoléon. Da drüben war ein kleiner Tanzsaal, in dem male ich. Wir belegen nur einen Teil der Hallen, früher ging das Appartement um das ganze Gebäude. Da hatte man ein bisschen mehr Platz. Wir sind ja hier ein wenig beengt (lacht).

Mit Ihren Fälschungen haben Sie nicht nur jahrzehntelang die Kunstwelt vorgeführt und den Marktwert von Originalen von Campendonk oder Max Pechstein verdreifacht, sondern auch nicht wenige aus der Kunstszene zum Lachen gebracht.

Ja, Dorothea Tanning, amerikanische Malerin und Witwe von Max Ernst, hat mal über eine Fälschung von mir gesagt, das sei der schönste Max Ernst, den sie je gesehen habe.

Sie sind der erste deutsche «Knasti» mit einer eigenen TV-Sendung. Während Ihrer Haftstrafe im offenen Vollzug haben Sie mit dem 3sat-Format «Der Meisterfälscher» begonnen, wo Sie unter anderem den Schweizer Komiker Emil, Harald Schmidt und Hape Kerkeling jeweils in der Handschrift eines berühmten Malers einfangen – den Schauspieler Christoph Waltz im Stil von Max Beckmann. Bei dem ist man schon aufgeregt, oder?

Na klar. Der Mann ist zweifacher OscarPreisträger. Waltz ist ein hochsensibler Charakter, da muss man cool bleiben. Ich war aber schon deshalb nicht sonderlich nervös, weil ihn ein Journalist vorher gefragt hatte, welchen Wunsch ein erfolgsverwöhnter Mensch wie er denn noch habe. Und Waltz antwortete: «Ein Bild von Beltracchi.»

Gemalt haben Sie ihn in Clärchens Ballhaus, einem historischen, stimmungsvollen Tanzsaal in Berlin. Trotzdem wirkte Waltz angenervt.

Er hat sich anfangs nicht wirklich wohlgefühlt, weil er beim Porträtiertwerden nicht gerne gefilmt werden wollte. Aber dann kam der Moment, wo er das Resultat gesehen hat. Er war völlig berührt von dem Bild: links von ihm der Unglücksvogel in Anspielung auf Quentin Tarantino, der hält ihn symbolisch gefangen. Rechts seine schöne Frau, die Amazone im Bild, die ihn beschützt.

Sie arbeiten hier gerade an einem Porträt. Wie viel kostet es, von Ihnen auf Leinwand verewigt zu werden?

Das ist die Auftragsarbeit eines Südtiroler Unternehmers. Die ersten Sitzungen habe ich in seinem Bozener Schloss gemacht. Nächsten Monat kommt er ins Atelier, und ich vollende das Porträt. Das Bild wird 120 000 Euro kosten.

Nicht gerade ein Schnäppchen.

Wenn Sie wüssten, wie viel Arbeit dahintersteckt, würden Sie es als Schnäppchen bezeichnen.

Sie trinken gern Wein. Regelmässig oder nur gelegentlich?

Früher haben Helene und ich im Schnitt eine Flasche Wein am Tag geleert. Wir haben schon deshalb mehr Wein getrunken, weil wir ja eine Wein-Domaine hatten. Aber wir haben nicht die teuren Weine getrunken. Im Restaurant trinke ich heute Wein, der so 30 Euro kostet, und wenn wir jetzt hier Wein kaufen, geben wir bis zu 20 Euro für die Flasche aus. 

Haben Sie auf Ihrer Domaine Spitzengewächse produziert?

Nein. Wir haben die 22 Hektar an eine Kooperative verpachtet. Wir hatten Syrah und Carignan, aber eigentlich sind die Böden dafür viel zu fett. Die Weine waren eher Mainstream. Wir wollten auch keine Winzer werden, sondern auf einer Domaine umgeben von Rebfeldern leben. Da fahren wir ja jetzt hin.

«Ich brauche keine Weine aus der Provence. Das Languedoc hat alles zu bieten, was man sich als Weinliebhaber wünscht: in Rot, Weiss und Rosé. Sogar tollen Schaumwein – Crémant de Limoux. Ausserdem kaufe ich möglichst viele Languedoc-Weine, um die Region zu unterstützen. Für mich machen Stimmigkeit und Überraschungs-momente einen grossen Wein aus. Wenn er dann noch zum Loup de Mer Grillé passt, hat man den perfekten Tropfen. Ich bin immer auf der Suche nach dem Raphael unter den Weinen.»

Frau Beltracchi, wir sind jetzt im Schlafzimmer Ihrer ehemaligen Domaine de Rivettes, die der Insolvenz zum Opfer fiel. In diesem Raum ist das berühmte Schwarz-Weiss-Foto entstanden, auf dem Sie Ihre eigene Grossmutter darstellen, mit einem gefälschten Gemälde des Kubisten Fernand Léger im Hintergrund, um seine Provenienz für die Gutachter zu belegen.

Das war die Idee von Wolfgang. Ich meinte: Jeder wird sofort sagen, dass es ein neues Foto ist. Und er sagte: Nein, das krieg ich hin. Er hat ein Jahr gebraucht, um diese Agfa-Box-Rollfilm-Kameras aus den 20er Jahren zu finden, die Chemikalien, all das bis hin zur Zackenschere zur Verfeinerung des Fotorandes. Ich habe mir ein Blüschen angezogen, wie es die Omas damals trugen, Perlenkette, Hochsteckfrisur, fertig. Das war wie eine Performance. Dann hat mein Mann das Foto einem Fotoexperten gegeben, und der meinte, es sei eindeutig echt. Damit war die Herkunft des Léger für den Kunstmarkt geklärt.

Obwohl die Domaine ziemlich verfallen und der Park verwildert ist, ahnt man, wie schön das Leben hier gewesen sein muss.

Es war ein nicht enden wollender Traum. Hier im Midi wächst ja alles: Feigen, Mirabellen, mediterrane Kräuter, Oliven. Helene hat oft für unsere Freunde Lamm oder Bouillabaisse zubereitet, und wir haben bis in die Morgenstunden geschlemmt in diesem Paradies. Wir wollten eigentlich ein Künstleratelier für junge, mittellose Talente hier einrichten. Dann kam 2010 die Verhaftung vor unserem Zweithaus in Freiburg.

Das muss wie in einem schlechten Tatort gewesen sein, mit Strassensperre, Handschellen und angezogenen Waffen.

Das war die reinste Horrorshow. Viel schlimmer war aber die monatelange Kontaktsperre zu Lene und den Kindern in der U-Haft. Um mich in der Gefängnishierarchie über Wasser zu halten, hab ich «Knastbrüder» porträtiert, darunter Bandenmitglieder der Hell’s Angels, auf deren Unterarmen «No mercy» tätowiert war.

Wie war die Untersuchungshaft für Sie, Frau Beltracchi?

Als hätte man mir ein Körperteil amputiert. Wolfgang und ich waren in der Haftanstalt Köln-Ossendorf nur hundert Meter voneinander getrennt und durften uns nicht sehen. In den 14 Monaten haben wir uns 8000 Briefseiten geschrieben, das hat uns am Leben gehalten. Ich wurde am Anfang behandelt wie eine Terroristin, musste meine Zelle mit einer Mörderin teilen. Das ändert den Blick auf das deutsche Rechtssystem.

Wie finden Sie es, dass man den berüchtigten Jahrhundert-Weinfälscher Rudy Kurniawan als «Beltracchi des Weins» bezeichnet?

Das beweist, dass es noch Menschen mit Humor gibt.

Frau Beltracchi, wie sehen Sie das?

Es ist wahrscheinlich ähnlich wie in der Kunstwelt. Die ist verlogen. Es ist viel Eitelkeit im Spiel. Natürlich reagiert die Expertenwelt unfreundlich, da das Expertentum als Illusion enttarnt wurde. Heute kaufen dieselben Leute, die früher über Wolfgangs Fälschungen die Augenbraue hochgezogen haben, einen Original-Beltracchi.

Es hängen noch etliche gefälschte Meisterwerke von Ihnen an den Museumswänden in aller Welt. Was machen Sie, wenn Sie da plötzlich vor Ihrer eigenen Fälschung stehen?

Ich bleibe nicht gerne stehen, ich gehe schnell weiter, weil das Bild sonst mit mir sprechen könnte (lacht).

Wir haben hier einen regionalen Weisswein im Glas. Was macht einen grossen Wein für Sie aus, Herr Beltracchi?

Stimmigkeit und Überraschungsmomente. Schauen Sie, in dieser Cuvée aus 14 verschiedenen weissen Sorten deuten sich Aromen von Ananas und Mineralik an, keine spielt sich in den Vordergrund, alle fügen sich ineinander. Und wenn die Cuvée dann noch zum Loup de Mer Grillé passt, hast du den perfekten Tropfen. Ich bin immer irgendwie auf der Suche nach dem Raphael unter den Weinen.

Hollywood möchte die Filmrechte auf Ihre Biografie. Das Movie-Projekt will aber nicht vorangehen. Warum?

Die wollen so eine Art «Natural Born Killers» draus machen. So sehen wir uns nicht. Auch nicht als «Bonnie und Clyde», wie wir von der Presse gern genannt werden. Wir haben kein Mitspracherecht beim Drehbuch, also frieren wir die Sache wahrscheinlich ein. Wolfgang und mir schwebt eine europäische CoProduktion vor: deutsches Kamerateam, britischer Drehbuchautor, belgischer Regisseur – ein Mix aus Perfektion und schwarzem Humor in der Art von «Brügge sehen… und sterben?».

Was wartet noch in der Pipeline?

Viel zu viel. Meine fünfteilige 3sat-Staffel, neue Skulpturen und Bilder, fünf Ausstellungen. Besonders gespannt bin ich auf das Ausstellungsprojekt «Trea sure Boxes», das 2018 ansteht. Da stelle ich Bilder aus, die es in der Kunstwelt noch nie gegeben hat.

So wie die, die Sie in Ihrem früheren Leben gemalt haben?

Mais non. Noch besser.

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