25 Winzer-Oldies

Gut gereifte Winzer

Texte: Carsten Henn, Eva Maria Dülligen und Rudolf Knoll, Fotos: Jana Kay

Jugendwahn? Von wegen! Gerade im Weinbau zählt Erfahrung viel – und in deutschen Weingütern sind noch viele Ü60er tätig. Einige von ihnen produzieren weiterhin Weine, wie sie nur dank vieler Jahre in Weinberg und Keller möglich sind. Wir stellen 25 bestens gereifte Winzer vor, Innovatoren wie Traditionalisten.

Reintönige Schöpferin

Als «zweites Wirtschaftswunder» bezeichnet die Inhaberin des 10,6 Hektar grossen VDP-Weinguts den ausbrechen den Hype der 80er auf trocken ausgebauten deutschen Weisswein. An die Zeit als Schriftführerin im VDP erinnert sich die Kellermeisterin, die ursprünglich Apothekerin gelernt hat, gern. «Im Rüschendirndl unter all den Männern war ich schon eine kleine Sensation und habe Unmengen über die Weinbranche gelernt.» So viel, dass Anna-Barbara Acham sich an der Spitze der Pfälzer Betriebe etablieren konnte. Ihre Rieslinge aus besten Forster Lagen zeigen schöne Komplexität. Markante Eleganz prägt ihre Ersten Gewächse aus dem Forster Ungeheuer. Selbst, wenn die Önologin manchmal sehnsüchtig auf die Vergangenheit, in der man vor nichts Angst hatte, zurückblickt, liebt die 61-Jährige die neuen Stile, die moderne Kellertechnik im dritten Jahrtausend mit sich bringt.

Weingut Acham-Magin | Weinstrasse 67 | 67147 Forst an derWeinstrasse | www.acham-magin.de

Die Supernase

Wer ihn gut kennt, nennt ihn «Hajo». Wer ihn noch besser kennt, sagt «Schnüff » zu ihm. Schon in der Schule war Hans-Josef Becker berüchtigt für sein sensibles Riechorgan. Dass er ein extremer Nasenmensch ist, hat den 70-jährigen Kellermeister an die Spitze der Rheingauer Weinszene katapultiert. Knochentrockene Kunstwerke stellt er her, im grossen Holzfass spontan vergorene Rieslinge, die, wie er immer wieder betont, ein paar Jahre in der Flasche bleiben müssen, um ihre Facetten auszubilden. Als Becker 1970 die erste trockene Spätlese im Rheingau vinifizierte, brach ihm der väterlich vererbte Kundenstamm weg: «Da musste ich den Gürtel erst mal enger schnallen.» Der Erfolg kam zehn Jahre später mit dem internationalen Presselob, das plötzlich wieder deutsche Weintrinker auf sein 13-Hektar-Weingut aufmerksam machte. Gegen den Mainstream zu schwimmen, stört Becker bis heute nicht, nur Menschen, die er nicht riechen kann, nerven ihn.

Weingut J.B. Becker | Rheinstrasse 6 | 65396 Walluf | becker-h.j@t-online.de

Dr. Grosse Gewächse

Der Eiswein vom Weingut Dr. Crusius wurde schon 1966 im Buckingham-Palast an die Royals ausgeschenkt. Nicht schlecht für ein Unternehmen, das sich in den 1950ern noch als Gemischtbetrieb verdingte. «Die 60er waren eine geniale Zeit für Fassweinerzeugung. Es wurde alles getrunken. Aber mein Vater entschied, komplett über die Flasche zu vermarkten», sagt Peter Crusius. So wundert es kaum, dass der 60-jährige Diplom-Önologe seine Doktorarbeit über «die Auswirkung des Anschnitts auf Menge und Güte» verfasste. Kleine Erträge durch kurzen Anschnitt der Fruchtruten gehören im 20-Hektar-VDP-Weingut zum Konzept wie ertragsmindernde Ausdünnung der Trauben. «Wer irgendwann die falsche Strasse in Sachen Qualität genommen hat, ist heute weg», so der Nahe-Winzer. Dr. Crusius befindet sich mit fruchtverspielten, dezent restsüssen Rieslingen aus Einzellagen wie dem Traiser Rotenfels auf rotem Vulkangestein längst auf der Überholspur.

Weingut Dr. Crusius | Hauptstrasse 2 | 55595 Traisen | www.weingut-crusius.de

Winzer mit Eigensinn

Welcher Winzer kann schon von sich behaupten, gemeinsam mit einem Kabarettisten einen Preis ins Leben gerufen zu haben, der «für öffentlich wirksamen, kreativen Eigensinn» verliehen wird? Antwort: Hermann Dörflinger. Der Markgräfler Gutedelpreis ist mit einem 225-Liter-Fass samt Dörflinger-Wein dotiert. Dörflinger ist Eigensinn selbst nicht fremd, er gehörte zu den Ersten, die in Baden kompromisslos durchgegorene Weine produzierten, und arbeitete schon früh nach dem Credo: «Der bestbehandelte Wein ist der unbehandelte, der in die Flasche kommt, wie die Natur ihn gibt.» So schnörkellos und direkt wie er selbst sind seine Weine, nie hat er einen lieblichen Tropfen produziert. Mit gerade einmal 23 Jahren übernahm Hermann Dörflinger 1973 das Familienweingut in der Mühlenstrasse. Nun ist er selbst der Senior, und der Junior, der nächste Hermann Dörflinger, geht genauso kompromisslos zu Werke wie er.

Weingut Hermann Dörflinger | Mühlenstrasse 7 | 79379 Müllheim | www.weingut-doerflinger.de

Das Sportass

Wenn er keine Knieprobleme hätte, würde der sportbegeisterte Winzer wie sonst zum Skifahren in die Weinberge des Himalaya oder Kanadas fliegen. Statt die Pisten runterzuwedeln, kümmert sich Jürgen Ellwanger noch intensiver mit den Söhnen Felix und Jörg um das 26-Hektar-VDP-Weingut. «Unser Vater hat früh an uns übergeben, aber er schafft mindestens 40 Stunden die Woche», schmunzelt der Nachwuchs. Unter anderem dem Syrah und dem Zweigelt gibt sich der Pionier unkonventioneller roter Rebsorten im Remstal hin. In den 80ern seien hier fast nur Rote aus der Toskana und dem Piemont getrunken worden, «das mussten wir ändern». Projekt gelungen: Gegen den Willen des Weinbauverbands führte der 74-Jährige Sorten wie Merlot in Württemberg ein und gründete mit vier anderen Winzern die Studiengruppe Neues Eichenfass, kurz «HADES», um zum Entsetzen vieler Stahltank-Verfechter die dritte Dimension aus den schwäbischen Gewächsen rauszukitzeln.

Weingut Jürgen Ellwanger | Bachstrasse 27 | 73650 Winterbach | www.weingut-ellwanger.de

Übergabe datiert

Über 40 Jahre ist Martin Heinrich, Jahrgang 1951, im Familienweingut tätig. Als er seine ersten Weine machte, brachte er eine neue Stilistik ins Gut: Tropfen mit Restzucker. Am 30. Juni 2017 wird sein letzter Arbeitstag sein, dann müssen die beiden Söhne ohne ihn klarkommen – Heinrich hat volles Vertrauen zu ihnen. «Früher waren wir mengenorientiert. Jedes Kilogramm Trauben war wie Bargeld. Vom hohen Trollinger-Ertrag haben wir unsere Betriebe und Häuser aufgebaut. Die Erziehungsart Pendelbogen sicherte den hohen Ertrag ab. Die Maischeerhitzung verzieh auch kein so optimales Lesegut. Wir erzeugten einfache, uniformierte Weine, bis Anfang Dezember komplett filtriert. Austauschbar. Heute betreiben wir einen hohen Arbeitsaufwand, um hochwertiges Traubengut zu erzeugen. Die Weine haben Charakter. Früher waren es rote Weine, heute erzeugen wir authentische Rotweine in internationaler Stilistik.»

Weingut G.A. Heinrich | Riedstrasse 29 | 74076 Heilbronn | www.weingut-heinrich.de

Neuerungen en gros

Ein so positiv Umtriebiger wie Karl Heinz Johner, Jahrgang 1951, der kommt nicht zur Ruhe, der muss immer weiterwirken. 1985 gründete er ein Weingut in Bischoffingen, seiner Heimatgemeinde am Kaiserstuhl – und mischte die Weinszene gehörig auf. So baute er die komplette Kollektion in Barriques aus, sogar den Müller-Thurgau. Erklärtes Ziel: die Weine des Burgund. «Voller Kraft und doch mit höchster Eleganz», wie er sie beschreibt. Auch in Sachen Flaschenverschluss sowie Weinarchitektur war Johner einer der ersten deutschen Winzer, die etwas wagten – und auch einer der ersten, die im Ausland eine Dependance eröffneten. Am anderen Ende der Welt: in Neuseeland. Was nur wenige wissen: Johner stellte als Weinrevolutionär schon die englische Weinbauszene auf den Kopf. Mit Sohn Patrick bildet er heute ein kongeniales Team, bei dem sich Erfahrung und Innovation ergänzen und zu grossen Weinen führen.

Weingut Karl H. Johner | Gartenstrasse 20 | 79235 Bischoffingen | www.johner.de

Global Player

«Den Mittelrhein kennen meine japanischen Kunden nicht. Aber wenn sie hören, dass unser Weingut quasi gegenüber der Loreley liegt, flippen sie aus», lacht Peter Jost. Der 68-jährige Önologe hat bereits Ende der 1970er die Wichtigkeit des Exportmarkts erkannt. Wie bereitwillig etwa US-amerikanische Weinliebhaber hohe Preise für seine Trockenbeerenauslesen zahlen. Sogar an die Franzosen, die ihre eigenen Crus bekanntlich am liebsten trinken, verkauft er seine Riesling-Prädikate aus dem Bacharacher Hahn. Gespür bewies Jost auch beim Klimawandel und begann vor zehn Jahren in höher liegende Weinberglagen zu investieren, damit seine Rieslinge durch nächtliche Kühle weiterhin rassige Säure entwickeln. Aus der Kellerarbeit hält sich der Inhaber des 185 Jahre alten Familienweinguts heute komplett raus. Die hat er ganz entspannt an Tochter und Weinbau-Ingenieurin Cecilia delegiert.

Weingut Toni Jost – Hahnenhof | Oberstrasse 14 | 55422 Bacharach | www.tonijost.de

Mann ohne Limit

Promoviert wurde er mit dem Thema «Kreditfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe». Doch dem Rheingauer Weingut kam das kaufmännische Talent des Ex-Geschäftsführers vom Deutschen Weininstitut mehr als zugute. Dr. Franz-Werner Michel vertrieb seine Weine immer schon über den eigenen Kirchturm hinaus, nach Skandinavien, in die USA bis nach Fernost. «Zwei Drittel meiner Weine werden in 25 Länder exportiert», sagt der Mann, der sich weniger als Önologe denn als Schreibtischtäter sieht – mit feinem Zünglein. Denn neben Ersten Gewächsen aus der Hauptrebsorte Riesling (98 %) produziert der 83-Jährige reintönige Früh- und Spätburgunder, alle auf Hochheimer Terroir, kalkhaltigen, mineralienreichen Böden. Er habe zwar «kein Patent auf den leckersten Wein», aber «der obere Rheingau mit seinen tertiären Elementen erzeugt Rieslinge mit einer fröhlichen, frischen, nie einer aggressiven Säure». Von wegen Schreibtischtäter.

Domdechant Werner’sches Weingut | Rathausstrasse 30 | 65234 Hochheim am Main | www.domdechantwerner.com

Schampus-Queen

Ihr Ehemann hat Christa Roth-Jung mit dem Schaumwein-Virus angesteckt. In den frühen 70ern war sie der dritte weibliche Aspirant im Geisenheimer Weininstitut. Dort lernte sie Herbert Roth, den Champagner-Besessenen, kennen und absolvierte mit ihm nach dem Önologie-Diplom erst mal ein Praktikum in Reims. Gemeinsames Ziel: Winzersekt auf Champagner-Niveau. Mit Hilfe einer alten Korkmaschine, eines Rüttelpults und einer ausrangierten Kühltruhe zum Einfrieren des Hefedepots waren es anfangs nicht mehr als 50 Flaschen Riesling- und Weissburgundersekt, die auf dem Wilhelmshof nach klassischer Flaschengärung entstanden. «Ich hätte nie gedacht, dass Sekt mal die Hälfte unserer Produktion stemmen würde», sagt die 66-jährige Produzentin von jährlich 85000 Pricklern. Bei den Brioche- und kandierten Nussaromen und der hauchfeinen Perlage im «Pinot B» können es ruhig noch ein paar mehr werden.

Wilhelmshof – Wein- und Sektgut der Familie Roth | Queichstrasse 1 | 76833 Siebeldingen | www.wilhelmshof.de

Öko-Pionier

Wegen gesundheitlicher Probleme sattelte Gerhard Roth 1974 als gerade 25-Jähriger mutig auf ökologischen Weinbau um, obwohl damals Kollegen «jetzt spinnt er» murmelten. Aber mit dem Strom schwimmen war nie die Sache des gern etwas störrischen Franken. Er beendete ein Engagement beim Städtischen Weingut Hoflößnitz in Radebeul (Sachsen), als sich die Stadt zu sehr einmischte. Weil ihm die Behörden die für Frankenlogische Bezeichnung Blaufränkisch untersagten, trickste er sie mit einem entsprechenden Rückenetikett aus. Der 66-Jährige (Geburtstag 27. Juni) ist gesellig, singt im Chor und ist bei Festen stets beim harten Kern der Letzten dabei. Ihn stört, dass der Tag nur 24 Stunden hat, zu wenig, um all seine Ideen umzusetzen. Was er hasst, ist Büroarbeit. Bei der Weinproduktion ist mittlerweile Tochter Nicole voll involviert. «Funktioniert hervorragend», urteilt sie. «Wir sind uns meistens einig.»

Weingut Gerhard Roth | Büttnergasse 11 | 97355 Wiesenbronn | www.weingut-roth.de

Partisan im Mikrokosmos

Beneidenswert findet der Weingutsbesitzer in vierter Generation, wie viel Spielraum heutige Jungwinzer geniessen. Ausgefeilte Kellertechnik oder Praktika in der gesamten Weinwelt waren für den 63-Jährigen damals das, was seine Kinder jetzt ernten. Paul Schäfer zählt zu jenen, die die Weichen im stagnierten Weinbau von gestern umlegten: «Wir haben uns früher im Kreis gedreht – schlechter Wein, schlechte Preise. Deshalb habe ich mit Pionieren wie Werner Näkel den Ahr-Wein qualitativ nach vorn gepeitscht.» Integrierten Pflanzenschutz und Dauerbegrünung etwa in der Einzellage Neuenahrer Sonnenberg überlässt er mittlerweile dem Nachwuchs. Der wiederum vertraut dem «grossen Häuptling», wenn er vom Homeoffice aus die gesamte Burgunder-Familie über Deutschland verteilt. Beim Export hat Schäfer kürzlich seine Fühler aus China zurückgezogen: «Die wollten allen Ernstes ein Zertifikat darüber, dass keine Weichmacher in unseren Naturkorken sind.»

Weingut Burggarten | Landskroner Strasse 61 | 53474 Bad Neuenahr-Ahrweiler | www.weingut-burggarten.de

Im Haus der Pröpste

Geboren im Graacher Dompropsthaus, wo die Pröpste vom Trierer Dom bis ins 19. Jahrhundert ihre Trauben kelterten – Willi Schäfer war der Weinbau quasi in die Wiege gelegt. Geboren wurde er noch dazu im Jahrhundertjahrgang 1949. «In seiner Kindheit waren die steilen Weinberge mit den vielen Felsen und den endlosen Schiefersteinen ein riesiger Spielplatz», erzählt er. Das grosse Vorbild war sein Vater, der mit Leib und Seele Winzer und sehr naturverbunden war – genau wie er selbst. Sein erster Jahrgang war 1971, neben 1990 sein bester, und sein erster Wein ein Traum: eine Graacher Domprobst Riesling Beerenauslese, die bei einer Versteigerung 1200 Euro pro Flasche erbrachte. «Sie ist geprägt von der Mineralität des tiefgründigen Schieferbodens im Domprobst und hat eine elegante Frucht.» Das Weingut ist 2015 an Sohn Christoph übergeben worden, doch Schäfer hilft in Weinberg und Keller weiter kräftig mit.

Weingut Willi Schaefer | Hauptstrasse 130 | 54470 Graach | www.weingut-willi-schaefer.de

Barrique-Pionier

Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Nein, es ist Winzermeister Thomas Siegrist, Jahrgang 1950, der als Erster mit einem motorisierten Drachen über die Südpfälzer Weinberge flog. Passend für einen Mann mit einem ganzen Sack voll Mut und Elan, sonst wäre er auch nicht einer von Deutschlands Barrique-Pionieren gewesen. In den 1980ern orderte er nach einem Aufenthalt in Kalifornien Fässer – und bekam dadurch ziemlichen Ärger mit der Weinkontrolle und der Staatsanwaltschaft. Seinen Weinen wurde die «handelsübliche Beschaffenheit» abgesprochen. «Heute lässt sich jeder gerne neben einem Barriquefass fotografieren, aber selbst meine Kollegen haben mich damals ausgelacht. Ich habe dafür allein gekämpft und viele Hürden überwinden müssen. Ich würde es jederzeit wieder machen!» Zehn Jahre später gewann Siegrist mit einem Dornfelder beim Deutschen Rotweinpreis von VINUM den ersten Platz.

Weingut Siegrist | Am Hasensprung 4 | 76829 Leinsweiler | www.weingut-siegrist.de

Die Pferde gewechselt

Das muss man sich mal vorstellen: als erfolgreicher Journalist, ehemaliger Chefredakteur der «Frankfurter Rundschau» und von «Alles über Wein» zum Winzer umsatteln. 2005 wurde Dr. Jochen Siemens, Jahrgang 1948, Eigentümer des südlichsten und ersten Weinguts an der Saar. «Die Saar-Rieslinge des Weinguts Reverchon in den 70er Jahren sind mir Zeit meines Lebens in besonderer Erinnerung geblieben. Und die professionelle Beschäftigung mit dem Thema hat eine lebenslange Leidenschaft zu dem Punkt hin entfacht, es mal selbst zu tun.» Danke an diese Leidenschaft! Denn Dr. Siemens und Kellermeister Franz Lenz überzeugen heute nicht nur mit Rieslingen, sondern auch mit ihren Burgundern. Man glaubt dem Umsattler jedes Wort, wenn er auf die Frage nach dem schönsten Moment seines Winzerlebens antwortet: «Jeder Tag, den ich oben im Weinberg stehe und die Wahnsinnsweinberge in schöner Landschaft geniesse.»

Weingut Dr. Siemens | Römerstrasse 63 | 54455 Serrig | www.dr-siemens.de

Unverwechselbare Grenzgänger

Hört man Dr. Ulrich «Ulli» Stein (Jahrgang 1951) den bisher besten Jahrgang seines Lebens, den 1971er, beschreiben, dann bringt er gleichzeitig den Stil seines Guts auf den Punkt: «Die Weine waren ausbalanciert, ohne langweilig zu sein, sie waren kraftvoll, ohne grob zu sein. Sie waren und sind individuelle, authentische und unverwechselbare Mosel-Rieslinge.» Stein machte die Lehre im elterlichen Betrieb, studierte dann in Geisenheim, später Biologie und Biochemie an der Uni Mainz, wo er auch promovierte. Seine wissenschaftliche Tätigkeit führte ihn an die Uni Karlsruhe und das Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof – doch möglichst oft war er zu Hause in Weinberg und Keller. Weil er seine Arbeit liebt, weil er Wein liebt. «Mein erster Wein war ein 1969er St. Aldegunder Himmelreich Riesling Kabinett. Er war feinherb, hatte eine feine Balance zwischen leichter Restsüsse, pikanter Säure und rassiger Mineralität. Mit nur 8,5 Volumenprozent Alkohol war er leicht und trotzdem nachhaltig.» Viel hat sich seitdem an der Mosel geändert. «Als junger Winzer habe ich mir keine Sorgen um den Erhalt der landschaftsprägenden Steillagen machen müssen. Heute wachsen in vielen traditionsreichen, teilweise seit der Römerzeit bewirtschafteten, grossartigen Schieferterrassen mehr Dornen als Reben. Die Zunahme der Brachen und damit den Niedergang einer einzigartigen Kulturlandschaft an vielen Orten zu erleben, stellt einen schmerzhaften Unterschied zu früher dar.» Stein ist Traditionalist wie Innovator. Er erzeugt klassische Weine wie die tiefgründige Riesling-Spätlese aus der Alfer Hölle von im Jahr 1900 gepflanzten Reben oder «Grenzgänger, die zeigen, was an der Mosel so alles möglich ist», wie er selbst sagt. Zum Beispiel die Riesling-Spätlese Urgestein Heinrich – ohne Schwefel erzeugt, unfiltriert und nicht gepumpt. «Das geht mit Riesling auch!», sagt er dazu nicht ohne Stolz. Selbst im Alter ist Stein weiter innovativ und hat mehr Energie als die meisten jungen Kollegen. Und wie sieht es mit der Betriebsübergabe aus? «Ich habe vor, auch noch die nächsten 20 Weinjahrgänge zu gestalten und zu geniessen. Da bleibt noch ein wenig Zeit.» Die Energie dazu hat er fraglos!

Weingut Stein | Brautrockstrasse 40 | 56859 Bullay an der Mosel | www.stein-weine.de

Die Kauffrau im Steilhang

Wir schreiben das Jahr 1969. Ein Weinkommissionär nimmt Fassproben im Reifekeller des Paulinshof. Unter den Verkostungsobjekten ist eine Riesling-Auslese der Einzellage Brauneberg Juffer Sonnenuhr. «Das ist ein tolles Fuder», sagt der Weinvermittler und bietet dem Ehepaar Jüngling 9000 DM dafür. «Wir hätten uns einen Kleinwagen davon leisten können, aber wir haben der Versuchung widerstanden und unser bestes Fuder behalten», sagt Christa Jüngling. Noch rund hundert Flaschen dieser edelsüssen Rarität aus einer der besten Steillagen der Welt warten unter dem 300 Jahre alten Hofhaus darauf, zu ganz besonderen Anlässen ihr unglaubliches Potenzial auszuspielen. Den richtigen Riecher beweist Frau Jüngling, diplomierte Weinakademikerin und gelernte Kauffrau, bis heute. Im Weinberg wie auf der Vermarktungsschiene. «Die Klimaerwärmung ist Fakt geworden. Entsprechend flexibel muss man zum Beispiel beim Laubwandmanagement reagieren. Vor 20 Jahren war das noch kein Thema. Mittlerweile ist intelligente Entlaubungstechnik entscheidender für die Qualität der Trauben denn je.» Ihr kaufmännisches Know-how setzt die 67-Jährige geschickt ein, wenn sie die Erntehelfer nicht eine, sondern zwei Reihen nacheinander im Steilhang hoch und runter handlesen lässt. Das bedeute eine Ersparnis von 20 Prozent. Intensive Dokumentation, Studien für Effizienz, perfektes Timing im Reifekeller sind Parameter, mit denen sie das Kestener Familienweingut in den Fokus der Weltöffentlichkeit gezoomt hat. Die Hälfte der jährlich rund 56000 Riesling-Liter aus Bilderbuchlagen wie der Brauneberger Kammer (Monopol-Besitz) oder der Juffer Sonnenuhrfl iesst in den Export – von der Schweiz über Frankreich bis nach Japan und Neuseeland. Auch das Kaufverhalten wird von der ehemaligen Regionalsprecherin des Wein-Frauenverbandes Vinissima mikroskopisch beäugt. «Wo sich Privatkunden den Kofferraum früher mit 120 Flaschen auf einmal vollluden, kaufen sie heute lieber zehn mal zwölf Flaschen über das Jahr verteilt.» Kapitalbindung unerwünscht. Angesichts der klaren Frucht, der Eleganz und der animierenden Säure der Paulinshofer Rieslinge eine überflüssige Zurückhaltung.

Weingut Paulinshof | Paulinstrasse 14 | 54518 Kesten an der Mosel | www.paulinshof.de

Künstlerin mit Weinzunge

«Was kostet ein echter Wiedemann?» Beate Wiedemann muss nicht lang überlegen. «Ab 180 Euro geht es los, aber manchmal sind über 1000 Euro fällig.» Wir reden nicht über Weinflaschen, sondern über Gemälde, mit denen sich die gelernte Winzerin, geboren 1955 im Zeichen des Stiers (19. Mai), einen Namen gemacht hat. Nebenbei ist sie Seniorin im Weingut Bercher-Schmidt in Oberrotweil. Für dessen Doppelnamen sorgte 1979 ein junger Winzer aus Oberrotweil. Weinbaumeister Franz Schmidt heiratete damals Beate, Winzerin und Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft. Zugleich verabschiedete er sich aus der Genossenschaft Bischoffingen und brachte seine Rebfläche als Mitgift ein. Drei Kinder (Ilka, Fabian und Ruben) kamen in den nächsten Jahren auf die Welt. 1985 übernahm das Ehepaar komplett von Senior Josef Bercher.

Weil Beate schon in der Schule Talent zeigte, begann sie 1991 ein Studium in Freiburg an der Hochschule für Malerei und Graphik-Design. 1996 wagte sie sich erstmals mit einer Ausstellung an die Öffentlichkeit. Mittlerweile gehören Ausstellungen in ganz Deutschland und sogar im Ausland zur Routine. In ihrer Arbeit sieht sie eine Parallele zu guten Winzern. «Sie kämpfen, setzen sich mit dem Produkt auseinander und freuen sich wie die Künstler, wenn sie ein unverkennbares Werk geschaffen haben.»

In Sachen Wein redet sie durchaus mit. «Ich bin die kritische Weinzunge im Haus und diskutiere gern mit meinen Männern.» Die wollen es, wie sie, bevorzugt durchgegoren. Ihre Lieblingssorte ist Auxerrois aus Vulkanlagen. «Der passt gut zum Essen. Das gefällt der leidenschaftlichen Köchin.» Ihr Malstil ist abstrakt und vielseitig. Ein Lieblingsmotiv ist Fussball. Hier kam es 2014 zu einer glücklichen Fügung. Junior Fabian Schmidt ist Mitglied der Weinelf Deutschland und war bei der weinigen Europameisterschaft in Salgesch (Kanton Wallis) Schütze des entscheidenden 3:2 gegen Ungarn. Kein Wunder, dass er – 60 Jahre nach dem «Wunder von Bern» – seitdem nicht nur eine stolze Mutter, sondern auch den Beinamen «Helmut Rahn» hat, der 1954 den Siegestreffer im WM-Finale erzielte.

Weingut Bercher-Schmidt | Herrenstrasse 28 | 79235 Oberrotweil | www.bercher-schmidt.de

Marktwirtschaftler in der DDR

«Wir haben aus Sch… Gold gemacht». Udo Lützkendorf trägt beim Rückblick in die 70er und 80er Jahre sein Herz auf der Zunge. Damals war er Chef im volkseigenen Weingut Naumburg-Bad Kösen, wo er 1963 als Kellermeister begann. Nach einem Studium für Weinbau und Kellerwirtschaft von 1966 bis 1969 avancierte er 1973 zum Betriebsleiter und war verantwortlich für 200 Hektar Reben und knapp 190 Mitarbeiter. Er verarbeitete Wein aus dem sozialistischen Ausland, schaffte mit Gewächsen von Saale und Unstrut durchaus beachtliche Qualitäten, machte aber die besten Geschäfte mit Rotweinpunsch, Apfelwein von Fallobst und Erdbeeren-Cocktail. Vermutlich war der Mann mit Geburtsdatum 28. April 1937 der einzige Marktwirtschaftler in der ehemaligen DDR.

Nach der Wende machte er weiter, holte sich einige Hektar aus einer landwirtschaftlichen Genossenschaft zurück, die 1959 von der Familie einkassiert worden waren. Gemeinsam mit Sohn Uwe (Jahrgang 1963) begann er mit dem Aufbau eines eigenen Weingutes. Um dessen Entwicklung konnte er sich ab Frühjahr 1992 intensiver kümmern, weil ihm die Landesregierung den Laufpass gab. Grund: Lützkendorf weigerte sich im Zusammenhang mit einer Verkleinerung des Landesweingutes Entlassungen auszusprechen. Nach 24 Jahren und gut zehn Betriebsleitern ist dessen Neustrukturierung und Schrumpfung auf 55 Hektar immer noch nicht abgeschlossen.

Die Schulden, die Udo Lützkendorf, Gattin Käthe und Sohn Uwe zum Gutsaufbau und zur Rekultivierung schlecht gepflegter Weinberge aufnahmen, wurden «durch Arbeit Tag und Nacht» mit der Zeit abgetragen. 1996 kam es zum – so Udo – «Durchbruch mit der Aufnahme in den VDP». Zu verdanken war das den Qualitäten von Weissburgunder, Riesling, Silvaner und Traminer aus der schon in preussischer Zeit als Musterweinberg eingestuften Lage Karlsdorfer Hohe Gräte. Innerhalb der sonstigen Fläche mit zehn Hektar ist die steile Lage heute der Lieblingsaufenthaltsort von Senior Udo. Er trotzt seinen «Ersatzteilen» (zwei neue Hüften) und lacht: «Wenn ich in den Reben stehe, kann mir die ganze Welt den Buckel runterrutschen.»

Weingut Lützkendorf | Saalberge 31 | 06628 Naumburg-Bad Kösen | www.weingut-luetzkendorf.de

Visionäre, Sturköpfe, Vorbilder

Der Pfälzer sortierte gerade Steuerunterlagen, sein Landsmann betreute Kunden. Der Franke war im Weinberg unterwegs, als wir ihn erreichen wollten. Der Badener verkostete im Keller, als VINUM anrief. Den Württemberger erreichten wir bei stürmischem Wetter am Handy im Weinberg beim Rebschnitt. Miteinander ist das Quintett 428 Jahre jung und immer noch aktiv. Dr. Heinz Wehrheim aus Birkweiler (92), Fritz Christmann aus Gimmeldingen (86), Gerhard Aldinger aus Fellbach (86), Dr. Heinrich Wirsching aus Iphofen (82) und Heinrich Männle aus Durbach (82) sind der Beweis dafür, dass nicht nur guter Wein bestens reifen kann, sondern ebenso seine Erzeuger.

Alle fünf Unruheständler waren Visionäre, Sturköpfe, Vorbilder für so manchen Kollegen. Oder wie es «Gipsi» Aldinger sagt: «Schrittmacher.» Der Fellbacher erkannte das Potenzial der Lage Untertürkheimer Gips. Er wagte es, einst eine Todsünde im Schwäbischen, aus der Genossenschaft auszutreten und den selbstständigen Weg zu gehen. Sohn Gert und die Enkel profitieren heute davon. Der Senior fühlt sich nach wie vor berufen, beim Rebschnitt mitzumischen, singt im Chor und hat einen grossen Freundeskreis. «Langeweile kenne ich nicht.» Dr. Heinrich Wirsching will «heute nicht mehr das letzte Wort haben», ist aber jede Woche noch verkostend im Keller, kontrolliert Weinbergarbeiten, hält ständigen Kontakt zu den Töchtern Andrea und Lena sowie zum Team und hat viel mit der Stammkundschaft zu tun. «Ich bin der Grüss-Gott-Sager», lacht der Iphöfer. Nach wie vor Weinmacher im Haus ist der «Rotwein-Männle». Das badische Urgestein ist knapp 60 Jahre (!) Winzer. Heiner Männle bewirtschaftet mit Frau Wilma und Tochter Sylvia 6,5 Hektar Reben und einige Hektar Obst für die Brennerei. Vor zehn Jahren baute er noch mit eigenen Händen einen Keller aus Granit für seine Holzfässer mit bevorzugt roten Sorten. Die Pfälzer Wehrheim und Christmann schwammen vor rund 50 Jahren gegen den Strom und setzten inmitten der süssen Welle auf knochentrockene Weine. Wehrheim wagte sich ausserdem schon vor 60 Jahren an begrünte Weinberge. «Für die Kollegen war ich deshalb ein Faulpelz», schmunzelt der Südpfälzer, der 1958 mit einer Arbeit über Flurbereinigung promovierte. Stolz ist er auf die Entwicklung von Junior Karl-Heinz. Und darauf, «dass ich immer noch eine Bürokraft ersetze». Wein schmeckt nach wie vor, trotz geschmälerten Geruchssinns. Ähnlich agiert Fritz Christmann. «Jeden Tag um 7.15 Uhr bin ich im Büro.» Er betreut Gäste, zeigt ihnen den Betrieb, wird von Sohn Steffen, dem VDP Präsidenten, nach seiner Meinung gefragt. Bald werden sie seine Enkel vernehmen. Der Älteste (22) studiert bereits Weinbau, auch die beiden Jüngeren (14 und 17 Jahre alt) zeigen schon Interesse.

Kontakt

Weingut Aldinger, Fellbach (Württemberg), Gerhard Aldinger (25. Januar 1930) www.weingut-aldinger.de
Weingut Christmann, Gimmeldingen (Pfalz), Fritz Christmann (25. Juli 1929) www.weingut-christmann.de
Weingut Männle, Durbach (Baden), Heinrich Männle (13. Mai 1933) www.weingutmaennle.de
Weingut Wehrheim, Birkweiler (Pfalz), Dr. Heinz Wehrheim (25. Juli 1923) www.weingut-wehrheim.de
Weingut Wirsching, Iphofen (Franken), Dr. Heinrich Wirsching (13. Juli 1933) www.wirsching.de

Besuch bei Günther Jauch

«Ich kenne meine Grenzen im Wein»

Er machte Karriere als Moderator von Sportsendungen bei der ARD und beim ZDF, beantwortete dann die Frage «Wer wird Millionär?», liess im TV ein Quintett gegen sich antreten und war einige Jahre am Sonntagabend Stammgast in deutschen Familien mit seinem Talk. Seit gut fünf Jahren ist Günther Jauch auch Weingutsbesitzer an der Saar, eine Aufgabe, für die er sich als knapp 60-Jähriger jetzt mehr Zeit nimmt.

Schon mit dem ersten Satz nach der Begrüssung beim Besuch im Spätherbst 2015 demonstriert er Lernfähigkeit in Sachen Wein. «Gestern hatten wir 20 Liter Regen. Pro Liter geht das Wasser drei Zentimeter in den Boden, also sind unsere Reben bis in 60 Zentimeter Tiefe jetzt gut bewässert», doziert Günther Jauch nach dem extrem trockenen Sommer 2015 erleichtert. «Wenn ich nicht an der Saar war, habe ich stets im Internet eine Wetterstation mit den Daten für unsere Region angezapft.» Über fünf Jahre ist er jetzt schon Weingutsbesitzer. Diese Aufgabe hat den TV Moderator zuletzt dazu motiviert, seinen ARD Vertrag für den Talk am Sonntagabend nicht zu verlängern. «Damit gewinne ich vier Tage in der Woche und habe endlich richtig Zeit, mich um den Betrieb zu kümmern.» Hinzu kommt, dass sich der immer noch jugendlich anmutende Schlacks mit seinen 1,93 Meter Länge demnächst unter die 60-Jährigen einreiht, da er am 13. Juli 1956 in Münster das Licht der Welt erblickte. Da kann man es getrost etwas ruhiger angehen lassen.

Mit dem Besen in der Hand

Zur kompletten TV-Abstinenz kommt es, wie allgemein bekannt, ohnehin nicht. Aber inzwischen ist er häufig im Weingut von Othegraven in Kanzem zu finden, gemeinsam mit seiner Gattin Thea, die beim VINUM-Besuch gerade Kuchen für die Mitarbeiter backt und dabei für einen feinen Schoko- und Mandelduft in der Küche sorgt. Vor gut fünf Jahren erwarb Jauch den Betrieb, dem er schon als Kind verwandtschaftlich verbunden war. Seit 1805 gehörte er seinen Vorfahren. Die Vorvorbesitzerin Marie von Othegraven, eine resolute Frau mit Markenzeichen Spazierstock, war seine Grosstante. Sie wurde 95 Jahre alt und drückte dem jungen Günther, wenn er sie im Knabenalter besuchte, zunächst mal einen Besen in die Hand, damit er sich nützlich machen konnte. Ihre inzwischen verstorbene Nachfolgerin Heidi Kegel fand keine Nachfolger. So setzte der TV-Star die Familientradition fort.

Ohne es zu bereuen. «Die Zeit verging rasend schnell, es waren nur gefühlte zwei Jahre. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte schon als 35-Jähriger hier angefangen.» Als er 2010 einstieg und sofort auch vom Verband der Prädikatsweingüter (VDP) als Mitglied willkommen geheissen wurde, sah er sich in Sachen Weinwissen «bei null». Mittlerweile habe er einiges gelernt, versichert er mit Schmunzeln. «Aber jeder, der sechs Monate in Geisenheim die Studienbank drückte, weiss mehr. In Kellerbelange rede ich gar nicht rein, dafür habe ich meinen tollen Betriebsleiter Andreas Barth, der schon seit 2004 im Haus ist. Ich wippe nur bei Verkostungen fröhlich mit. Meine Grenzen kenne ich auch im Weinberg. Wenn ich mich hier versuche, lachen mich nach spätestens 20 Minuten unsere Mitarbeiter aus. Also lasse ich es lieber.»

Schmeckt oder schmeckt nicht

Aufgaben hat er ohnehin genug andere. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäudeensemble musste umfassend saniert werden. Der grosse, unter Naturschutz stehende Garten mit einem für einen Golfplatz geeigneten Rasen und altem Baumbestand wurde auf Vordermann gebracht. Derzeit ist er mit seinem Betriebsleiter damit beschäftigt, Ordnung in die unübersichtlich eingelagerten Altweinbestände zu bringen. Aus den Jahrgängen 1958 und 1959 sind noch einige Flaschen im Keller zu finden. Eine 1975er Auslese wurde neuverkorkt. «Von 1150 Flaschen blieben nur 900 übrig», bedauert Jauch. Ein Teil der reiferen Gewächse lagert in einer neu gebauten Halle. Als hier eine 1993er Spätlese zu entdecken ist und der Besucher gleich einen Sechser-Karton ordert, offenbart der Hausherr, dass er Modalitäten des Weinverkaufs kennt: «Sechs für fünf für Herrn Knoll», wird Andreas Barth mitgeteilt. So bekommt Jauch 70 statt 84 Euro in die Hand gedrückt; die Rechnung wird brav quittiert. Auf Messen agiert Jauch wohl nicht so grosszügig. Dass er auf der Pro Wein, der Mainzer Weinbörse und auf sonstigen VDP-Präsentationen überhaupt auftaucht, hat schon manche Leute irritiert. «Die waren ganz überrascht, mich hinter dem Stand zu sehen. Dabei habe ich das schon zehn Stunden am Tag gemacht. Am Abend taten meine Füsse ganz schön weh.» Froh ist er bei solchen Gelegenheiten, wenn ihn seine Frau begleitet. «Sie ist die bessere Verkosterin und hat sogar schon Seminare besucht, um mehr über Wein zu erfahren. Ich bekomme nur ein ‹schmeckt oder schmeckt nicht› hin. Thea ist mir einfach, was Wein betrifft, genetisch überlegen.»

Offen bekennt sich das Paar zur Vorliebe für Weine mit Restsüsse. «Wir haben zwar 80 Prozent trockene Weine in unserem Sortiment», erzählt Günther Jauch. «Aber wir bemühen uns, die Kundschaft langsam an dieses schwierige Thema heranzuführen. Manche scheinen regelrecht eine gesellschaftliche Ächtung zu befürchten, wenn sie trockene Weine ablehnen. Ich habe mal vor ein paar Monaten in Berlin zum Wiener Schnitzel mit Preiselbeeren eine fruchtige Riesling-Spätlese bestellt. Da haben einige Leute an den Nachbartischen ganz schön gezuckt.»

Mit leichten Kabinett-Weinen findet er indes mittlerweile immer mehr Akzeptanz bei seiner Kundschaft. Er demonstriert es gleich mit einem 2014er Altenberg mit delikatem Nerv und – trotz Leichtigkeit – schöner Mundfülle. Die Spätlese aus der gleichen Flur zeigt mehr Schmelz, ist aber zartgliedrig wie ein Kabinett. Selbst beim mineralischen Grossen Gewächs ist der Alkoholgehalt mit 12 «Volt» sehr zurückhaltend. «Theoretisch könnten wir, weil wir fast ausschliesslich Toplagen haben, nur solche Weine produzieren. Aber wir müssen sie auch verkaufen», hat der «Jungwinzer» mit den Jahren gelernt. Was er noch zu seinen Weinen weiss: «Sie sind alle spontan vergoren, ohne Reinzuchthefen.»

Nachhaltiger Weinbau

Gelegentlich hat er schon überlegt, ob er auf seinen 15 Hektar neben Riesling noch Spätburgunder anbauen soll, der früher an der Saar durchaus verbreitet war. «Aber die Münder von Experten wurden immer schmaler, als ich davon sprach.» So überlässt er das Thema lieber dem Kollegen von Maxim in Grünhaus an der Ruwer: «Den Burgunder von Carl von Schubert finde ich grossartig.» Langsam steuert man mit dem Weingut in die Öko-Richtung. 2015 habe man komplett auf Herbizide verzichtet, lässt Jauch wissen. «Wir sind inzwischen auch bei fair ’n green, dem nachhaltigen Weinbau, zertifiziert.» Naheliegend ist die Frage, ob sein Besitzername nützlich für den Abverkauf der Weine ist. «Jein», meint Günther Jauch und verweist darauf, dass es Leute gibt, die ihm unterstellen, dass er nur aufs Geldverdienen aus ist, und übersehen, dass er einen familiären Bezug zum Weingut hat. Als er in Kanzem startete, wurden ihm einige tolle Marketingideen inklusive «mein Bild auf dem Etikett» verehrt. Sogar ein «Millionärswein» in Anlehnung an die Quiz-Show «Wer wird Millionär?» wurde vorgeschlagen. Aber er nahm sich vor, mit Qualität zu überzeugen. «Die Neugierde von Leuten auf den Eigentümer und seine Weine nutzt sich schnell ab, wenn sie keine Lust auf das zweite Glas oder die zweite Flasche haben, weil es nicht schmeckt.»

Weingut von Othegraven | Weinstrasse 154441 Kanzem/Saar | www.von-othegraven.de

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