Weingut Stadt Klingenberg
Gemeinsame Sache
Text: Jens Tartler, Fotos: Andreas Durst
Wenn Chinesen in deutsche Weingüter investieren, schlagen die Wellen gern hoch. Droht da der Ausverkauf heimischer Rebkultur? Zumindest im fränkischen Klingenberg ist es Zeit, sich zu beruhigen: Baltes und Xu machen ihren Job extrem gut.
Wo Klingenberg liegt, ist nicht jedem Deutschen geläufig, geschweige denn jedem Chinesen. Aber jetzt kam ein Filmteam aus China in die fränkische Kleinstadt am Main. Zuvor haben die Leute vom Film in Frankreich und Italien gedreht. Es geht um die europäische Weinkultur.
Auf das Weingut Stadt Klingenberg sind sie aber nicht nur aufmerksam geworden, weil dort vielfach ausgezeichnete Spätburgunder entstehen. Es ist die Geschichte von Benedikt Baltes und Xian Zhong Xu, die zumindest unter Weinenthusiasten in China die Runde macht. Sie ist aber auch zu schön. Da werden zwei Männer, beide erst Mitte 20, in einen Wettkampf um ein angeschlagenes Traditionsweingut getrieben. Und dann setzen sie sich an einen Tisch und stellen fest: Das könnten wir doch gemeinsam viel besser. Sie werfen ihre ganz unterschiedlichen Talente zusammen und führen das Gut in überraschend kurzer Zeit in ungeahnte Höhen. «Und mittlerweile sind wir richtig gute Freunde», sagt Benedikt Baltes. Nur den Vornamen Xian Zhong kann er schwer aussprechen, weshalb er seinen Freund kurzerhand auf den Rufnamen «Alex» taufte.
«Chinesen kaufen heimische Weingüter auf», war in der regionalenPresse zu lesen. «Das ist völliger Quatsch», sagt Baltes in der Probierstube seines Weingutes und lässt für einen Moment seine rheinische gute Laune fahren. «Alex wollte aus Leidenschaft für deutschen Wein investieren und nichts aufkaufen.» Der Chinese sei lediglich Minderheitsgesellschafter in der GmbH, er selbst, Benedikt Baltes, sei Geschäftsführer und halte die meisten Anteile.
Heute kämpfen der mittlerweile 28-jährige Benedikt Baltes und der 30-jährige Xian Zhong Xu gemeinsam gegen so manches Vorurteil, 2010 traten sie noch gegeneinander an. Der gelernte Winzer Baltes aus dem bekannten Weinort Mayschoss an der Ahr war sich mit der Stadt Klingenberg schon so gut wie einig, dass er das chronisch defizitäre kommunale Weingut übernehmen würde. Doch im letzten Moment meldete sich eine Beratungsgesellschaft bei der Stadt, die im Auftrag eines chinesischen Investors ein Weingut suchte. Die Berater bedrängten Xu, den Preis hochzutreiben, das wäre ihrer Provision zugute gekommen. Auch in der Stadtverwaltung gab es einige, die darauf hofften, noch mehr herauszuholen. Baltes war schon kurz davor, alles hinzuschmeissen. Er setzte der Stadt ein Ultimatum: Wenn er das Weingut nicht zum 1. August 2010 übernehmen könne, stehe er nicht mehr zur Verfügung, schrieb er in einem Brief.
Die Stadtoberen merkten: Jetzt wird es ernst. Der Showdown fiel aber vor allem deshalb aus, weil Baltes und Xu sich persönlich kennenlernten. Sie telefonierten, kurz darauf fuhren sie nach Mayschoss und tranken Spätburgunder mit Blick auf die Ahr. «Wir waren uns auf Anhieb sympathisch», sagt Baltes heute. «Er war sehr offen und ehrlich, überhaupt nicht taktisch.»
Und beide erkannten, dass sich ihre Stärken und Schwächen ergänzten. «Ich hatte Defizite bei der Finanzkraft, er beim Know-how», sagt Baltes. Der Mann von der Ahr musste ohnehin schon einen grossen Kredit bei der Sparkasse aufnehmen, da konnte Eigenkapital nicht schaden. Und Xu wollte in seine Leidenschaft für deutschen Wein investieren. «Er ist genauso positiv verrückt wie ich», sagt Baltes über Xu. «Es waren die Tradition, das Handgemachte, die Terrassenlagen, die ihn so faszinierten.» Xu erkannte, dass er keinen besseren Geschäftspartner als den talentierten Jungwinzer von der Ahr haben könnte. Im September 2010 übernahmen sie gemeinsam das Weingut. Doch aus der täglichen Arbeit hält sich Xu heraus. Er hatte in China einen grossen Betrieb für Garten- und Landschaftsbau, den er für einen guten Preis verkaufte. Ein Studium der Mikroelektronik an der TU Dresden hat er gerade abgeschlossen. Xu und Baltes sprechen vor allem über die grundlegenden Fragen, die das Weingut betreffen. Und davon gab und gibt es nicht wenige. Als sie in Klingenberg antraten, war das Gut nicht nur defizitär, sondern auch marode. Die Weine schöpften das grosse Potenzial der Buntsandsteinlagen am Schlossberg bei weitem nicht aus und wurden oft mit hohen Rabatten verkauft. Der Fachhandel hatte das Gut fast abgeschrieben, in der gehobenen Gastronomie suchte man die Weine vergeblich. Dabei hat Klingenberg eine grosse Tradition: Seit dem zwölften Jahrhundert wird hier Rotwein hergestellt, im 16. Jahrhundert wurde er sogar an den schwedischen Königshof geliefert. Dieses Potenzial war es auch, das Baltes so reizte. «Wo in Deutschland bekommst du als junger Mensch alte Reben in geilen Lagen? Da gibt es keine drei Plätze.» Von der Nahe bis zur Pfalz hatte er gesucht, um ein Gut zu finden, auf dem er seinen Traum ausleben kann.
In Klingenberg musste er aber erst mal aufräumen. «Ich war Geschäftsführer, Winzermeister, Kellermeister und Marketingchef in einer Person», sagt Baltes. Das alte Personal, das nicht richtig mitziehen wollte oder konnte, bekam genug Zeit, sich einen neuen Job zu suchen. Heute hat Baltes ein Team von zehn Leuten, mit dem er hochzufrieden ist.
Noch stärker griff er in den Weinbergen ein. Die Johanniter-Reben riss er komplett raus, Grauburgunder und Cabernet Sauvignon reduzierte er. «Cabernet war ein Marketing-Gag meiner Vorgänger, der aber nicht lange wirkte», sagt Baltes. Zurzeit stehen auf seinen 13 Hektar 65 Prozent Spätburgunder, 20 Prozent Portugieser und andere rote Rebsorten und 15 Prozent weisse Sorten, vor allem Riesling und Müller-Thurgau. In zehn Jahren will Baltes bei hundert Prozent Spätburgunder angelangt sein. Diese Rebsorte ist für ihn, der an der Ahr bei J.J. Adeneuer gelernt hat, eine Leidenschaft. Und das merkt man seinen Weinen an. Komplexität, Finesse, kühle Eleganz – diese Ziele hat Baltes auf Anhieb erreicht. So wurden schon die Spätburgunder aus seinem ersten Jahrgang 2010 in Blindverkostungen auf eine Stufe mit Weinen von Paul Fürst und Bernhard Huber gestellt. Die Reaktion war entsprechend: Der Fachhandel deckte sich ein, und auch in Spitzenrestaurants wie dem «Seehotel Überfahrt» in Rottach-Egern wird der Spätburgunder von Baltes angeboten.
Die bisherigen Exportmärkte des Jungwinzers könnten unterschiedlicher nicht sein: Dänemark und China. Inzwischen hat Baltes vielversprechende Verhandlungen mit Belgiern und Holländern geführt. Paradoxerweise naheliegender ist aber Ostasien: «Alex» und seine chinesischen Freunde verkaufen jedes Jahr einige Tausend Flaschen in ihrem Land, 10 000 Flaschen sind das Ziel. Auch Taiwan, Hongkong und Singapur gehen sie jetzt gezielt an. Im Sommer flog auch Baltes wieder nach China. Ausnahmsweise nahm er seine Freundin mit. Sie hat aber auch den Status einer Quasibotschafterin: Sie ist Weinkönigin.