Ernte 2017

Geht uns der Wein aus?

Texte: Thomas Vaterlaus, Alice Gundlach, Christian Eder, Barbara Schroeder, Fotos: Sabine Jackson

Verheerende Feuersbrünste in Kalifornien, Chile und Portugal, katastrophale Frostattacken in weiten Teilen Europas, Hagel und extreme Trockenheit machten das Jahr 2017 für viele Winzer zum «Annus Horribilis». Das Resultat ist eine historisch tiefe Ernte in Europa. Die diesjährigen Klimakapriolen haben die Situation im weltweiten Weinmarkt auf einen Schlag verändert: Wein wird Mangelware!

«Früher liebte ich es, wenn früh morgens die Alentejo-Sonne durchs Schlafzimmer-Fenster strahlte. Heute bin ich viel glücklicher, wenn ich im Bett liege und höre, wie fette Regentropfen aufs Dach prasseln», sagt Luis Duarte, einer der führenden Önologen im südlichen Portugal. Wegen der extremen Hitze begann er 2017 schon Anfang August mit der Ernte, so früh wie nie zuvor. Glücklicherweise wissen die Produzenten im südlichen Europa heute sehr genau, wie sie auch in solchen Hitzejahren elegante Weine mit nicht mehr als 14,5 Volumenprozent Alkohol in die Flaschen bringen. «Mit einer frühen Ernte allein ist es nicht getan, es braucht auch eine schonende Vinifikation mit weniger Mazeration», sagt er.

«Nach dem Frost-Hagel-Hitze-Desaster im Jahr 2017 sind die Winzer in Europa nun dringend auf eine gute 2018er-Ernte angewiesen.»

Schon in den letzten Jahren glichen die Ernteberichte der Winzer aus aller Welt zunehmend Katastrophenberichten. Doch im Jahr 2017 ist die Situation eskaliert. Die extremen Frühlingsfröste, die sich Ende April von Deutschland über Frankreich bis ins nördliche Zentrum Spaniens zogen, zerstörten schon früh die Hoffnung auf eine Ernte im normalen Umfang. Extreme Trockenheit und Hitzewellen mit Temperaturen von bis zu 45 Grad Celsius (etwa in Portugal und dem südlichen Spanien) machten dann 2017 vollends zum Katastrophenjahr. 

Noch gravierender: Mit Italien, Frankreich und Spanien verzeichnen erstmals gleich alle drei führenden Weinbauländer Europas massive Ernteausfälle von 20 bis 30 Prozent. Der Offenweinmarkt, stets ein verlässlicher Indikator für Entwicklungen in der Branche, hat bereits massiv reagiert. War ein Liter Tafelwein aus der La Mancha vor Jahresfrist noch für 30 Cents zu haben, liegt der Preis nun schon bei 60 Cents. Auch bei den Flaschenweinen ziehen die Preise an. Angesichts der Verknappung des Angebotes haben beispielsweise die Rioja-Produzenten schon angekündigt, dass für Crianzas und Reservas der Jahrgänge 2015 und 2016, die noch in den Kellern reifen, mit steigenden Preisen zu rechnen ist. 

Nervosität im Markt nimmt zu

Gleichzeitig könnte die Missernte 2017 einige tiefgreifend strukturelle Probleme des Weinsektors in Europa entschärfen. Weil besonders in Spanien und Italien der Weinkonsum in den letzten 20 Jahren stark nachgelassen hat, während die Produktion nur unwesentlich gedrosselt worden ist, war der Markt von einer chronischen Überproduktion geprägt. Überschüssige Mengen mussten regelmässig mittels Destillation und der Produktion zu Mostkonzentrat eliminiert werden. Gleichzeitig verschärfte sich bei den Qualitätsweinen in den wichtigen Exportmärkten der Verdrängungswettbewerb, zusätzlich angeheizt von subventionierten Marketingbemühungen. Nun könnte die Situation drehen. Der Weinsektor könnte sich partiell vom Käufermarkt zum Verkäufermarkt wandeln.

Derweil nimmt die Nervosität im Markt weiter zu. Denn auch Argentinien und Chile, die bisher die Ernteausfälle in anderen Kontinenten ausgleichen konnten, melden infolge von Hitze und Dürre eine kleine 2017er-Ernte. Und in Südafrika werden, ebenfalls wegen anhaltender Trockenheit, bereits Ernteausfälle für 2018 befürchtet. In Deutschland und der Schweiz mussten etliche Winzer, die fast die ganze Ernte durch Frost oder Hagel verloren haben, neue kreative Ideen entwickeln, um überhaupt im Geschäft zu bleiben. Viele kauften Trauben in anderen, von Klimakapriolen weniger betroffenen Regionen ein und kelterten Weine, die nun unter neuen Namen und Ursprungsbezeichnungen auf den Markt kommen werden. Noch ist schwer zu sagen, was das 2017er-Ernte-Desasters mittelfristig für Auswirkungen haben wird. Doch eines ist klar: Vor allem die kleinen, qualitätsorientiert arbeitenden Winzerbetriebe in Europa, welche unsere Weinkultur in so besonderem Masse prägen, sind dringendst auf eine qualitativ und quantitativ gute Ernte 2018 angewiesen.

Jahrgang 2017 – so sehen ihn die Winzer in Europa

1. Alentejo

Heisser als heiss

«Früher begannen wir Mitte September mit der Ernte, dieses Jahr waren wir zu diesem Zeitpunkt schon fertig. Nur mit sehr gutem Timing war es möglich, ausgewogene Weine zu keltern. Früher hätten wir in so einem Jahr Weine mit 16 oder 17 Volumenprozent bekommen, heute sind es deren 14,5.»

Luis Duarte, Herdade dos Grous, Albernoa

2. Ribera del Duero

Glück im Unglück

«Der Frost Ende April verursachte enorme Schäden. Wir hatten Glück. Womöglich sind die alten Buschreben besser mit dem Kälteeinbruch zurechtgekommen. Dann folgten Stürme, Hitzewellen und Dürre. Doch dank unserer Rebfläche von 200 Hektar können wir solche Wetterkapriolen besser ausgleichen als andere.»

Yolanda Garcia Viadero, Bodegas Valduero, Gumiel de Mercaso

3. Bordeaux

Frost sorgte für Panik 

«Nach einem milden Frühling sorgten Spätfröste, die schlimmsten seit 1991, für Panik unter den Winzern. Einige verloren fast die ganze Ernte. Dank dem heissen Sommer entstanden doch noch Weine mit Charme und reifen Tanninen. Doch leider fehlt es deutlich an Menge.»

Anne Le Naour, CA Grands Crus, Pauillac

4. Champagne

Erst Frost, dann Fäulnis

«Spätfrost im April sorgte für Ernteausfälle von bis zehn Prozent. Feuchtwarmes Wetter zur Ernte begünstigte die Fäulnis, was die Ernte nochmals um 20 Prozent reduzierte. Manche Grundweine mögen etwas schlank ausgefallen sein, doch ich denke, wir werden auch einige positive Überraschungen erleben.»

Jérôme Courgey, Champagne Lanson, Reims

5. Elsass

Schwieriges Spitzenjahr

«Die Ernte begann ungewohnt früh, schon am 28. August. Wegen dem Frost im April und der Trockenheit im Sommer ernteten wir keine 30 Hektoliter pro Hektar. Positiv ist die Qualität der Trauben. Die Jungweine besitzen Struktur und Säure, darum zähle ich 2017 zu den ausgezeichneten Jahren.» 

Céline Meyer, Domaine Josmeyer, Wintzenheim

6. Pfalz

Rotweine profitieren von Hitze

«Ein ungerechtes Jahr: Einige hatten normale Ernten, andere verloren ein Drittel durch Spätfröste. Danach wurde es trocken und heiss, so dass 2017 eher ein Rotweinjahrgang ist. Doch auch die Weissweine haben eine schönen Säurestruktur und viel mehr Aroma, als ich ihnen zugetraut hätte nach der Hitze.» 

Johannes Häge, Weingut am Nil, Kallstadt

7. Rheinhessen

Viel selektioniert

«Wir waren auf einen ‹Turboherbst› eingestellt, haben dann 
aber doch sechs Wochen lang gelesen, weil so viel selektioniert werden musste. Vor allem die Rebsorten mit kompakten Trauben wie Weissburgunder. Grauburgunder und Chardonnay sind für mich dieses Jahr die echten Gewinner.» 

Jens Bettenheimer, Weingut J. Bettenheimer, Ingelheim am Rhein

8. Thurgau

Etwas Glück im Unglück

«Letztlich bin ich froh, überhaupt etwas geerntet zu haben. Der Frost brachte einen fast 100-prozentigen Ausfall, aber die nachfolgenden Schosse entwickelten sich im warmen Wetter gut. Ende August sah es gar nicht schlecht aus, doch dann kam der Regen und mit ihm die Fäulnis. Es blieb eine halbe Ernte.»

Michael Broger, Ottoberg

9. Waadt

Glück gehabt!

«Wie durch ein Wunder blieben wir in der La Côte von Frost und Hagel verschont. Einzig die Trockenheit sorgte für eine leicht reduzierte Erntemenge. Die Weine zeigen ähnlich viel Fülle wie die 2015er, verfügen aber über mehr Säure und Eleganz. Vor allem die Rotweine sind absolut top.»

Rodrigo Banto, Uvavins-Cave de la Côte, Tolochenaz/Morges

10. Kamptal

Punktgenaue Lese wichtig

«Endlich wieder mal ein fast normales Weinjahr! Wir blieben von Frost und Hagel verschont. Aber wir haben sehr früh gelesen, weil wir keine Überreife wollten. Ich habe noch nie so viele Trauben gekostet, um den perfekten Erntezeitpunkt zu finden. Das Resultat sind Weine mit überraschender Lebendigkeit.» 

Alwin Jurtschitsch, Weingut Jurtschitsch, Langenlois 

11. Steiermark

Schöne weisse Burgunder

«Wegen Regen musste ich den Pinot Noir früher holen – von ihm gibt’s dieses Jahr nur Rosé. Mit Weiss- und Grauburgunder wiederum gab es keine Probleme, und auch der Gemischte Satz entwickelt sich prächtig. Eine Zukunftssorte ist für mich der Furmint – er ergibt auch bei viel Wärme ausgewogene Weine.» 

Gottfried Lamprecht, Herrenhof Lamprecht, Markt Hartmannsdorf

12. Piemont

Nichts für schwache Nerven 

«Der Jahrgang 2017 war extrem kompliziert: Hagel im April mit schweren Schäden, zum Glück aber kein Frost, wie in vielen anderen Rebbergen. Im Endeffekt war die Qualität der wenigen Trauben, die wir gelesen haben, aber hervorragend. Noch so ein Jahr möchte ich aber nicht erleben.» 

Marina Marcarini, Weingut Punset, Neive

13. Toskana

Hochfeine Tannine 

«2017 war eine der aufwändigsten Lesen, die ich je erlebt habe. Aber alle Anstrengungen haben Weine ergeben, die entgegen den Erwartungen über einen sehr ausgewogenen Alkoholgehalt und interessante Säurewerte verfügen. Die Tannine sind hochfein und das Finale ist fast unendlich.»  

Alessandro Campatelli, Weingut Riecine, Gaiole in Chianti 

vinum+

Weiterlesen?

Dieser Artikel ist exklusiv für
unsere Abonnenten.

Ich bin bereits VINUM-
Abonnent/in

Ich möchte von exklusiven Vorteilen profitieren