Deidesheim

Drei Güter hören auf eine Chefin

Text: Rudolf Knoll, Fotos: Jana Kay

Der grösste private Weingutsbesitzer in Deutschland ist eine Frau. Jana Niederberger ist Chefin von drei renommierten Gütern in Deidesheim, die zusammen knapp 160 Hektar bewirtschaften, mit Schwerpunkt Riesling. Das Guts-Trio war bis 1849 ein Betrieb, ehe es zur Erbteilung kam. Der visionäre Unternehmer Achim Niederberger begann ab 2002 mit einer speziellen Wiedervereinigung, die er selbst nicht mehr miterleben konnte. Zwischenzeitlich wurde die Pfälzer Kleinstadt gastronomisch aufgewertet. Und eine gebürtige Japanerin ist ebenfalls in Sachen Wein aktiv.

«Unsere Chefin kommt!» Stephan Attmann, Betriebsleiter des Weingutes von Winning in Deidesheim, hatte diese Information an seine Kollegen in den Gütern Dr. von Bassermann-Jordan und Reichsrat von Buhl noch mit einigen Ausrufezeichen geschmückt. Als Jana Niederberger sich am grossen Tisch im Garten des Betriebs niederliess und vorher alle im Team freundschaftlich mit einem herzlichen «Du» begrüsst hatte, dachte man zunächst nicht daran, dass dies eine Unternehmerin ist, die einem Wein- und Verlagsimperium mit rund 1500 Mitarbeitern vorsteht. Die 35-Jährige wirkte eher wie eine Kandidatin für «Germany’s next Topmodel».

Doch seit gut zwei Jahren dirigiert die tatkräftige Frau die Unternehmensgruppe Niederberger in Neustadt mit Verlag, Druckerei, Gastronomiebetrieben und Hotels sowie den eingangs genannten drei Top-Weingütern in Deidesheim. Diese Karriere hätte sich die fünffache Mutter (Drillinge und Zwillinge) gern erspart. Aber ihr Mann Achim Niederberger, den sie einst in einer Weinstube kennengelernt hatte, starb am 26. Juli 2013 nach einer längeren Krankheit im Alter von nur 56 Jahren. Dass es schlecht um ihn stand, wussten nur die Familie und die engsten Mitarbeiter. Er selbst hatte noch Zeit, die Weichen für die Zeit nach ihm zu stellen. Seiner Frau, mit der er 2008 den Bund der Ehe schloss, kam dabei die Hauptrolle zu. Die Absolventin eines Business-Studiums in Hamburg und Tochter einer gut situierten Familie war schon länger als Gesellschafterin ins Unternehmen eingebunden. «Er hat mich gefragt, ob ich mir die Chefrolle zutraue. Und ich habe Ja gesagt», verrät Jana Niederberger.

Was den Wein betrifft, hatte sie ihm vielleicht sogar etwas voraus. Sie fing früh damit an. «Meine Eltern liebten die Weine von Klaus Keller aus Flörsheim-Dalsheim», erinnert sie sich. «Als ich 13 Jahre alt war, naschte ich an einer Trockenbeerenauslese. Dieser Wein blieb unvergesslich.» Drei Jahre später genoss sie ihren ersten Champagner. Später profitierte sie viel von Gesprächen mit einem guten Freund, Hans-Günter Schwarz, der in seiner Zeit als Betriebsleiter bei Müller-Catoir Achim Niederberger zu seinen Stammkunden zählte und ihn wohl erst so richtig zum Wein brachte. Rund um die Villa des Unternehmers in Neustadt pflanzte Schwarz auf einem Hektar verschiedene Rotweinsorten an und baute sie zu einer beachtlichen Cuvée aus. Die Fläche wird inzwischen von Stephan Attmanns Team betreut. Aber Schwarz (75) ist nach wie vor beratend eingebunden, nur hat er es dabei mit mehreren Weingütern zu tun. Denn Achim Niederberger wurde innerhalb weniger Jahre zum grössten privaten Weingutsbesitzer Deutschlands und sorgte damit für eine denkwürdige Wiedervereinigung!

«Niemals unreife Jahrgänge»

Begonnen hatte alles mit Andreas Jordan (1775 bis 1848), der als Begründer des pfälzischen Qualitätsweinbaus galt und in Deidesheim ein angesehenes Weingut führte. Es war so etwas wie ein Aushängeschild für die Stadt, die als einer der berühmtesten Weinorte Deutschlands galt. «Niemals unreife Jahrgänge, eine Reihe erstklassiger Lagen wie Grain, Hohenmorgen, Leinhöhle, Kalkofen, Herrgottsacker» wurde in einem alten Lexikon festgehalten. Als Andreas Jordan starb, machte zwar sein Sohn Ludwig Andreas Jordan (1811 bis 1883) in seinem Sinn mit dem Stammsitz weiter. Aber es gab zwei weitere Erben, so dass der Betrieb aufgespalten wurde. Damit entwickelten sich mit Jordan (später Bassermann-Jordan), Buhl und Dr. Deinhard drei bedeutende Weingüter, die den Ruf der Weinstadt Deidesheim hochhielten.

Bemerkenswert ist, dass in allen drei Betrieben über viele Jahrzehnte Persönlichkeiten aktiv waren, die sich auf unterschiedliche Weise um den Weinbau verdient machten. Beispielgebend zu nennen ist Friedrich von Bassermann-Jordan (1872 bis 1959), der nicht nur Präsident verschiedener Verbände war, sondern mit seiner dreibändigen «Geschichte des Weinbaus» ein bis heute einmaliges Werk vorlegte. Bei den Buhls schrieb der Reichstagsabgeordnete Franz Armand (1837 bis 1896) am Weingesetz von 1892 mit, während Ritter und Reichsrat Franz Buhl (1867 bis 1921) von 1905 bis 1920 dem Deutschen Weinbauverband als Präsident vorstand.

Dr. Andreas Deinhard (1845 bis 1907) war Vizepräsident des Deutschen Weinbauvereins. Er hatte grosse Verdienste bei der Reblausbekämpfung erworben. Sein Nachfolger, Schwiegersohn Leopold von Winning (1873 bis 1917), war nicht nur Vorsitzender des Bayerischen Weinbauverbandes (die Pfalz war lange Zeit bayerische Provinz), sondern auch sechs Jahre lang Vorsitzender des Pfälzer Vereins der Naturweinversteigerer – heute Verband der Prädikatsweingüter VDP. Doch zurück in die Neuzeit. Als Achim Niederberger sich zunächst hobbymässig dem Wein zuwandte, stand der Traditionsbetrieb Dr. von Bassermann-Jordan zum Verkauf. Einige Jahre war nach dem Tod von Dr. Ludwig von Bassermann-Jordan im Jahr 1995 offengeblieben, wie es hier weitergehen sollte. Ein Drittel der Anteile wurde Witwe Margrit von Bassermann-Jordan zugeschrieben, zwei Drittel bekam Tochter Gabriele. Diese sah ihre Zukunft nicht im Weinbau, sondern in der Literaturwissenschaft. So wurde ein Käufer gesucht und 2002 in Achim Niederberger gefunden. Der Betrieb hatte dank Kellermeister Uli Mell einen sehr guten, dem Ruf entsprechenden Standard. Der 57-Jährige, der im Haus gelernt hatte, stemmte im Herbst 1996 wegen einer personellen Notlage bei Bassermann-Jordan gleich zwei Jahrgänge, da er noch im Deidesheimer Weingut Biffar beschäftigt war. Danach konzentrierte er sich erfolgreich auf Bassermann-Jordan.

Drei Jahre später konnte Niederberger das damals noch längerfristig an eine japanische Familie verpachtete Weingut Reichsgraf von Buhl erwerben. Eigentümer war hier, kaum bekannt, seit Jahrzehnten durch eine Schenkung Enoch zu Guttenberg, Vater der einstigen CSU Hoffnung Karl-Theodor zu Guttenberg. Er verkaufte wohl gern, da er selbst keine Weinambitionen hatte. Die Pächter zeigten kein Interesse, so dass Niederberger als Käufer willkommen war. Eine direkte Einflussnahme war ihm nicht sofort möglich, deshalb übte er sich in Geduld. Zugleich verfestigte sich die Idee, die «Jordan’sche Teilung» von 1849 gewissermassen rückgängig zu machen. Vollzug konnte 2007 gemeldet werden, als die Eigentümer des Weingutes Dr. Deinhard, die Familie Hoch, verkauften.

Den dortigen Investitionsstau konnte Niederberger schnell auflösen. Der Gutsname wurde geändert. Mit dem Einstieg von Stephan Attmann als Chef kam frischer Wind in den Betrieb. Kellermeister Kurt Rathgeber wurde neu motiviert. Viele Holzfässer hielten im Keller Einzug. Die Weine sind inzwischen grossartig, was dem Weingut von Winning erst kürzlich den Sieg beim VINUM Riesling Champion und einen Doppelsieg in der Kategorie der trockenen Weine bescherte. Auch bei Rotwein wird es mit Pinot und Cuvées spannend. «Aber da sind wir noch nicht ganz so weit», wehrt Attmann Vorschusslorbeeren ab.

Elsässer Kellermeister bei Buhl

Schwierig war die Situation bei Buhl. Das Gut, von 1989 bis 2013 verpachtet, hatte zwar noch einen guten Ruf, aber die Qualitäten schwankten von Jahr zu Jahr, mal «mastig, wenig Konturen», dann wieder «brillant und klar» («Gault & Millau» 2012). Niederberger plante rechtzeitig in Sachen Personal für die Übernahme ab dem Jahrgang 2013. Er hatte Kontakt mit dem Weinjournalisten Richard Grosche (40), fragte ihn nach dessen Einschätzung über Buhl und bekam zu hören: «Tolle Lagen. Aber das Potenzial wird nicht ausgeschöpft.» Das sollte sich als erfolgreiche Bewerbung für den Chefposten herausstellen.

Dann musste nur noch ein neuer Kellermeister gefunden werden. Hier drehte Hans-Günter Schwarz mit am Rad, weil er erfuhr, dass ein Elsässer Profi nicht mehr weiter bei Bollinger tätig sein wollte. «Ich erfuhr zufällig, dass der dortige Kellermeister Mathieu Kauffmann eine neue Stelle suchte, und habe das sofort Achim Niederberger erzählt.» Der rannte eine offene Tür ein. «Ich war zehn Jahre zuvor schon mal in dem schönen Deidesheim», blickt Kauffmann zurück. «Damals dachte ich, schade, dass hier kein Kellermeister gesucht wird.» Am 30. September 2013 trat der 49-Jährige nach zwölf Jahren in der Champagne sein neues Amt an. Die Kellereinrichtung wurde bereits im Frühjahr bestellt. Einige Doppelstück-Fässer kamen erst im Oktober. «Das war alles auf Kante genäht», lacht Grosche. Schnell bekamen die Weine und der Sekt ein neues Profil. Zielrichtung ist durchgegoren. «Wir brauchen keine Süsse. Und wir wollen den Weinen mehr Reifezeit geben», macht Kauffmann deutlich. Er hat schnell kritische Leute davon überzeugt, dass er, von Champagner kommend, mit Riesling umgehen kann. «Mit der nötigen Geduld können in Deidesheim mit die besten Weine der Welt wachsen.»

Die Chefin freut sich über die Entwicklung in den Betrieben. Ihre Zuneigung verteilt sie «gleichmässig auf alle drei». Sie verkostet gern mit ihren Teamchefs, diskutiert über Weine, will aber keine Entscheidungsträgerin sein. Hervorgehoben wird das Engagement in der Berufsausbildung. «In unseren drei Gütern haben wir rund 30 Auszubildende.» Imagepflege ist wichtig. Denn Betriebe, in die grosszügig investiert wird, rufen Neider auf den Plan. Einmal wurde aus einem Ortsschild ein «Niederbergerheim». Bei von Winning wurden schon mal 2000 Kilo Spätburgunder-Trauben im Herbst geklaut. Aber so etwas sind nach Einschätzung von Attmann Ausnahmen. «Wir spüren vielmehr den Respekt und die Anerkennung vieler Kollegen für unsere Entwicklung, von der ganz Deidesheim profitiert.»

Japanische Beharrlichkeit

Etwas unbemerkt in der Szene blieb bislang, dass Jana Niederberger nicht die einzige Weinchefin in Deidesheim ist. Bis vor wenigen Jahren war das VDP-Weingut Josef Biffar eines der führenden Häuser am Ort, ehe die Qualität deutlich nachliess und 2010 schliesslich die Flächen verkauft wurden. Die Familie Tokuoka, die in Japan im Lebensmittelhandel aktiv ist und bei Buhl Pächter war, wollte nach Ablauf des Vertrages weiter in der Pfalz aktiv bleiben. Der Plan mit einer Sektmanufaktur scheiterte. Juniorin Fumiko Tokuoka, die zwischenzeitlich im Rheingau mit dem Lorcher Winzer Helmut Ottes verheiratet war, setzte sich ein Weingut in den Kopf. Die fachliche Voraussetzung war durchein mehrjähriges Studium in Geisenheim und eine anschliessende Beschäftigung in der Forschung der Weinuni gegeben.

Fumiko Tokuoka – 43-jährige alleinerziehende Mutter einer Tochter (12) und eines Sohnes (8) – konnte von Buhl viel Rohsekt übernehmen, brauchte neben einem Betriebsgebäude weiteren Raum und erwarb den einstigen Keller von Biffar gleich neben ihrer neuen Wirkungsstätte. Der Gutsname wurde in Abstimmung mit den Vorbesitzern wiederbelebt und Rebfläche gepachtet und gekauft. Fumiko Tokuoka bekam dabei Zugriff auf Toplagen wie Ungeheuer, Pechstein und Herrgottsacker. Da sie sich erst langsam in der neuen Rolle als Gutschefin zurechtfinden will und es derzeit keinen Absatzdruck gibt, lässt sie ihren Weinen viel Zeit. Beim Besuch Anfang Oktober lagen hoffnungsvolle 2014er Weissweine noch im Tank. «Bei Buhl mussten wir immer schon zwei Monate nach der Ernte die ersten Weine abfüllen, weil die Nachfrage da war. Das konnte ich hier ändern. Wir streben mit reiferen Weinen eine Marktnische an.»

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