Merlot del Ticino
DIE NEUEN PIONIERE
Text: Martin Kilchmann, Fotos: Hans-Peter Siffert/weinweltfoto.ch
Vor knapp 30 Jahren mischten sie das Tessin auf: Werner Stucky und eine Gruppe von jungen Einwanderern wie Daniel Huber, Adriano Kaufmann, Eric Klausener oder Christian Zündel. Ihre Merlots schmeckten so ganz anders als die eher harmlosen Weine der damals bekannten Tessiner Produzenten: tanninbetont, kräftig strukturiert. Sie suchten ihre Vorbilder dort, wo der Merlot seinen Ursprung hat: im Bordelais. Wir stellen die Nachfolger der damaligen Rebellen und eine Auswahl der aktuell besten Tessiner Merlots vor.
Stilfragen: TESSINER MERLOT-ELITE 2014
Fünf Produzenten stehen exemplarisch für aktuelle Tendenzen im Tessiner Weinbau: Fredy De Martin, der Önologe, der garantiert, dass grosses Volumen gute Qualität nicht verhindert. Gaby Gianini, die an die Zukunft glaubt und bereit ist, keinen Stein auf dem anderen zu lassen. Mike Rudolph, der von den Pionieren den Stab übernommen hat und nun selbst Pionierarbeit leistet. Claudio Tamborini, der zwar als Firmenbesitzer zunächst an sich denkt, mit seinen Erfolgen aber auch unbezahlbare Imagearbeit fürs Tessin leistet. Vater und Sohn Zanini schliesslich, die mit ihrem sportiven Ehrgeiz den gewissen Biedersinn erfrischend transzendieren, der dem Tessin mitunter innewohnt. Bei den ab Seite 22 empfohlenen Weinen handelt es sich umeine Auswahl stilprägender Merlots: Es sind Weine darunter,die Geschichte geschrieben haben oder immer noch schreiben. Es sind aber auch Weine darunter, in denen unprätentiöser Weingenuss steckt. Und es sind Weine darunter, die ein Potenzial versprechen, das noch nicht ausgeschöpft ist.
Gaby Gianini und Michele Conceprio, Castello di Morcote
DIE AUFBAUER
Gaby Gianini räumt nach der Begrüssung unverzüglich ein hartnäckiges Missverständnis aus: Die Besitzerfamilie Gianini sei keineswegs Mailänder Ursprungs, wie regelmässig kolportiert wird, sondern ein Luganeser Geschlecht. «Vielleicht sollte ich mir den Schweizer Pass an die Stirne kleben», witzelt sie, die von ihrem Vater die Aufgabe übernommen hat, das riesige Anwesen mit Wald, Wiesen und Rebbergen, mit einer Alp, einem vorzüglichen Restaurant («Vicania») und einer Burg aus dem 15. Jahrhundert auf Vordermann zu bringen. Im Zentrum der Herkulesarbeit steht der Weinbau. Er hat auf Castello di Morcote eine lange Tradition, errichtete doch hier Giuseppe Paleari, einer der Väter des Merlot im Tessin, schon vor hundert Jahren einen der ersten Merlot-Rebberge. In den 70er Jahren wurde dessen Bewirtschaftung eingestellt.
1989 bepflanzte das Weinhaus Tamborini im Auftrag der Familie Gianini auf sieben Hektar den Hügel neu mit Merlot und Cabernet Franc und besorgte auch gleich die Kelterung. 30 000 Flaschen Castello di Morcote entstanden fortan. Ab dem Jahrgang 2009 nahm Gaby Gianini die Produktion zusammen mit ihrem Geschäftspartner, dem Önologen Michele Conceprio, selbst in die Hand. Die Güte des Weins hat davon profitiert. Er ist feiner und eleganter geworden. Ein weisser Merlot, im Burgunder Stil im Holz vinifiziert und ausgebaut, wurde ihm zur Seite gestellt. In Zukunft will das Paar so richtig durchstarten: Ein neben dem Schlossliegendes Bauernhaus soll zum Vinifikationskeller umgebaut werden, und in einem der intakten Räume des Castellos ein Barrique-Chai entstehen. Das Sortiment wird diversifiziert und qualitativ differenziert. Gaby Gianini sieht das als Chance, aus dem Castello di Morcote das zu machen, wozu es dank seiner Lage, seinem Mikroklima, seinem Terroir prädestiniert ist: einen Leuchtturm des Tessiner Weins.
Luigi und Luigi Zanini, Zanini Vini
DIE BORDEAUX-FANS
Die Zaninis, Vater und Sohn, bewegen sich in einer anderen Welt als ihre Tessiner Kollegen: Sie besitzen oder, wie sie sagen, kontrollieren im Sottoceneri 98 Hektar Rebfläche und zählen damit landesweit zur Spitze. Mit dem Castello Luigi in Besazio, einem Weinschlösschen im Stil von Château Palmer, und dem Weingut Vinattieri in Ligornetto, das an eine südamerikanische Finca erinnert, machen sie die Andersartigkeit auch sichtbar. Sie betreiben eine auf beste italienische Weine spezialisierte Importfirma und halten engen Kontakt zu den feinsten Bordelaiser Schlossherren. Ihre Merlots lösen die höchsten Preise des Tessins und scheinen, zumindest an der Spitze, keine Absatzkrise zu kennen. Und all das erreichte der aus einfachen Bergamasker Verhältnissen stammende Luigi Zanini in weniger als 50 Jahren.
Zaninis bekannteste Merlots – Castello Luigi, Vinattieri Rosso und dessen Zweitwein Ligornetto – erinnern mit ihrer wuchtigen Komplexität an Weine aus dem Napa Valley. Oder – das hören die beiden Bordeaux-Fans sicher lieber – auch an Gewächse aus dem Pomerol, schliesslich haben sich diese, der Klimaerwärmung sei Dank, stilistisch den Kaliforniern angenähert. Und ein Letztes zum Thema «andere Welt»: Senior und Junior verstehen sich blind. «Meinungsunterschiede kennen wir nicht», sagen sie. Jeden Freitagabend treffen sie sich im «Bottegone del Vino» in Lugano zum Gedankenaustausch. Das beliebte Lokal mit einfacher Osterienküche und schöner Weinauswahl gehört ihnen. Beide nehmen dann jeweils ein paar besondere Flaschen mit, essen, trinken und diskutieren den Geschäftsgang. Zanini senior wird nächstes Jahr 75 Jahre alt, aber: «Ich besitze Kopf und Herz eines 55-Jährigen.» Deshalb will er sich zum Jubiläum den Mount Everest schenken (oder den Versuch der Besteigung). Zumindest bei dieser Absichtserklärung scheint es, als ob ihn der Junior etwas verdutzt anschaut.
Fredy De Martin, Gialdi Vini & Brivio Vini
DER TERROIR-KÜNSTLER
Fredy De Martin, der vife und zugängliche verantwortliche Önologe der Weine von Gialdi und Guido Brivio, vinifiziert im neuen Keller in Mendrisio, einer bis ins kleinste Detail perfekt konzipierten, funktionellen und leistungsfähigen Arbeitsstätte ohne jeden architektonisch-ästhetischen Schnickschnack, alljährlich bis zu eine Million Liter Wein. 700 000 Einheiten entfallen auf 7,5-Deziliter-Flaschen, hälftig aufgeteilt auf die Gialdi-Gewächse aus dem oberen Sopraceneri und die Brivio-Weine aus dem unteren Sottoceneri.
Feliciano Gialdi, Besitzer der beiden Linien, hat keinen eigenen Rebbesitz. Die Trauben kommen von unzähligen Lieferanten, was den Önologen noch stärker in die Pflicht nimmt. Fredy De Martin, in Frauenfeld aufgewachsener Italiener aus dem Veneto, meistert die Herausforderung glänzend und schafft es beeindruckend, den zahlreichen Weinen eine unverkennbare Terroirnote mitzugeben. Gäbe es analog zum absoluten Musikgehör den absoluten Weingeschmack, De Martin wäre ein heisser Kandidat für diese Segnung. Geht es beispielsweise um die finale Assemblage der zwei Merlot-Flaggschiffe Sassi Grossi (Gialdi) und Riflessi d’Epoca (Brivio), sieht er vor seinem geistigen Auge zwei Fotos, nach denen er die Weine bildet. «Dabei halte ich die verschiedenen Partien rigoros separat.» Damit will er sagen: Er widersteht der Verlockung, eventuelle Defizite des Nordens mit Partien aus dem Süden wettzumachen oder umgekehrt. Das Resultat ist dann der dichtere, mineralischere Sassi und der fülligere, wärmere Riflessi. Ähnlich verfährt er bei Gialdis Trentasei und Brivios Platinum, den zwei Megakonzentraten der Weinhäuser. Nur muss er da noch präziser arbeiten, damit sie Frische und Trinkigkeit bewahren, werden doch beide aus angetrockneten Trauben vinifiziert und lagern bis zu 36 Monate (Trentasei) in neuem Holz.
Mike Rudolph, Tenuta San Giorgio
DER SENKRECHTSTARTER
Diesen Frühling machte die Gemeinde Agno Mike Rudolph ein überraschendes Geschenk: Sie liess den Wald unterhalb seiner Rebterrassen roden, um die am Luganer See entlangführende, staugeplagte Strasse nach Ponte Tresa zu schützen. Seither hat der Winzer vom Weingut Tenuta San Giorgio freien Blick über die Bucht von Agno.
Mike Rudolph hat sich das nette Präsent zweifellos redlich verdient. Der 48-jährige Zürcher, Unternehmensberater im früheren Leben, ist vielleicht der Senkrechtstarter der Tessiner Weinszene. Im Jahr 2001 begann er mit der Bewirtschaftung des wunderbar gelegenen Anwesens. Es gehörte einer Grosstante. Sein Vater hatte es vorher auf Weinbau umgestellt. Schritt für Schritt, intelligent und weitsichtig planend, baute er den Betrieb aus. Rebberge in Vernate und Agno kamen dazu. Parallel zur steigenden Flaschenproduktion erweiterte er den Keller. Sachte steigerte er die Flaschenproduktion. Jüngster Coup ist die Bepflanzung einer zwei Hektar grossen Ost-West-Lage in Pura, im unteren Malcantone. Mike Rudolph setzte dort neben weissen Sorten für einen Spumante und Merlot auch Malbec und Marselan (Cabernet Sauvignon x Grenache). «Wir müssen Strategien gegen die Klimaerwärmung entwickeln.»
Acht Hektar umfasst das Weingut jetzt. 40 000 Flaschen dürften dereinst produziert werden. Im Zentrum stehen die drei Rotweine auf Merlot-Basis: Sottoroccia, Crescendo und Arco Tondo. Sie unterscheiden sich preislich und stilistisch, sind von eher moderner Machart, aber keineswegs gekünstelt oder überladen. Rudolph besitzt ein ausgeprägtes Sensorium für Lagenunterschiede, arbeitet im Keller eher puristisch und erzeugt authentische Terroirweine. Der Weinkanton Tessin braucht Leute wie ihn. Im besten Alter, ehrgeizig und topmotiviert, leistet er einen wertvollen Beitrag zur Überwindung der Stagnation.
Claudio Tamborini, Tamborini Carlo eredi
DER MANAGER
Nach einer kurzen Kellerbesichtigung in Lamone, dem Hauptsitz der Tamborini Carlo eredi SA, geht es mit Claudio Tamborini in den Malcantone – aus der sterilen Atmosphäre einer Weinproduktionsstätte in die freie Natur. Nicht zur Rebbergsbesichtigung zwar. Denn obwohl Schweizer «Winzer des Jahres 2012», ist Claudio Tamborini kein waschechter Winzer mit schwieligen Händen und gebeugtem Rücken im Alter. Vielmehr ist er gewiefter Geschäftsmann, schlauer, vorausblickender Manager. Nein, wir fahren zum Essen zur «Tenuta Vallombrosa» in Castelrotto, wo Tamborini ein edles Bed & Breakfast mit permanenter Kunstausstellung und einem dazugehörenden kleinen Restaurant besitzt, in dem der frühere 17-Punkte-Koch Silvio Galizzi eine authentische, schmackhafte und nicht überteuerte Südalpenküche anbietet. Das Anwesen ist umgeben vom gleichnamigen Rebberg, in dem einst Ständerat Rossi mit die ersten Merlot-Stöcke des Kantons pflanzte.
Von den Tessiner Produzenten, die ihre Wurzeln im Weinhandel haben, ist Tamborini zusammen mit Luigi Zanini jener, der die grösste Rebfläche sein Eigen nennt. Je nach Lesart sind es 30 (Eigenbesitz) oder 50 Hektar (inklusive kontrollierter Flächen), zumeist auf kleinere Parzellen aufgeteilt. Tamborini glaubt an den Merlot: «Wir Tessiner bilden dafür in der Welt eine Referenz.» Bestärkt in dieser Überzeugung haben ihn sicher auch die vielen persönlichen Wettbewerbserfolge der letzten Jahre. Täuscht man sich, oder sind seine Merlots parallel dazu opulenter und alkoholreicher geworden? Es fällt manchmal schwer, darin die für Tamborini typische Eleganz und Kühle der früheren Jahre zu finden. Das Flaggschiff Costamagna Riserva oder der Comano haben die Auszeichnungen wohl nicht ohne Konzession an das gängige Schönheitsideal gewonnen.
Tessiner Top-Merlots: STILPRÄGEND
Die hier vorgestellten 10 Weine zählen zum Besten, was das Tessin heute hervorbringt. Dabei hat Martin Kilchmann nicht einzelne herausragende Jahrgänge ausgewählt, sondern Merlots, die ihre Topqualität Jahr für Jahr unter Beweis stellen.
Luigi Zanini, Riva San Vitale, Vecchia Masseria Riserva
Unterwegs auf ihrem mittlerweile 30 Jahre dauernden Feldzug zum Weingut mit der grössten selbst bearbeiteten Rebfläche erweitern Vater und Sohn Luigi Zanini (Vinattieri/Castello Luigi) ihr Portefeuille sukzessive: Jüngster Coup ist der Erwerb der sieben Hektar grossen Azienda Agricola Vecchia Masseria am Fusse des Monte San Giorgio in Riva San Vitale. Eridano Luisoni kelterte dort seit 1983 einen feinsinnigen, finessenreichen Merlot, der zwischen der modernen und der traditionellen Tessiner Realität navigierte. Die Zaninis perfektionierten diesen eleganten Stil noch und überraschen mit einem duftigen, aromatischen Wein, zarter und delikater als ihre monumentalen Spitzengewächse.
Mauro Ortelli, Corteglia, I Trii Pin
So zurückhaltend, still und bescheiden Mauro Ortelli auftritt, so unspektakulär, aber authentisch und geradlinig sind seine Weine. Ortelli sucht in ihnen weniger Kraft, Struktur und einen auffallenden Gerbstoffgehalt als vielmehr Anmut, Eleganz und Trinkigkeit. Sein ehrlichster und dadurch auch typischster Wein ist der Merlot I Trii Pin. Die Trauben stammen aus verschiedenen, im ganzen Südtessin verstreuten Parzellen. Ortelli baut den nach Kirschen und Zwetschgen duftenden, runden, dezent pfeffrigen Wein im Stahltank aus und offeriert 22000 Flaschen von stets gleichbleibender Güte. Während man an anderen Tessinern nippt, schluckt man den Trii Pin heiter und ungeniert.
Castello di Morcote, Vico Morcote, Castello di Morcote
Die Familie Gianini kann sich mit dem Weingut Castello di Morcote eines Bijous rühmen, wie es im Tessin kein zweites gibt. Die südlich und südöstlich gerichteten Rebberge fallen in Terrassen zum temperaturregulierenden Lago di Lugano. Die Böden bestehen aus Porphyr und Granit. Ausnahmsweise ist der strapazierte Begriff Grand Cru angebracht. Seit der Önologe Michele Conceprio sich zusammen mit Gaby Gianini um die Produktion kümmert, präsentiert sich der Castello di Morcote – 90 Prozent Merlot plus Cabernet Franc – immer köstlicher. Der finessenreiche Wein besitzt ein umwerfendes Bouquet mit Noten von Amarenakirsche, Tabak, Lakritz, einen feinziselierten Körper und eine frische Säure.
Tamborini Carlo eredi, Lamone, VignaVecchia
Claudio Tamborini wirkt mit zunehmendem Alter immer entspannter. Die früher oftmals zu beobachtende Selbstkontrolle wird von einer fast schon heiteren Lockerheit durchbrochen. Grund dafür dürfte sein, dass sich mit dem zukünftigen Eintritt seiner Tochter Valentina ins Geschäft eine Nachfolgeregelung abzeichnet. Ein zweiter Grund sind natürlich die jüngsten Wettbewerbserfolge, die in der Ernennung zum «Winzer des Jahres 2012» gipfelten. Nicht immer ganz vorne dabei ist der VignaVecchia. Zu Unrecht, denn der dichte, robuste Merlot aus alten Stöcken des Luganese besitzt eine reife Eleganz und würzige Geradlinigkeit, die den anderen, manchmal etwas opulenten Tamborini-Weinen abgeht.
Gialdi Vini, Mendrisio, Sassi Grossi
Die Gialdi-Weine stammen aus der Bassa Leventina, aus dem alpinen Dreieck Giornico, Biasca, Malvaglia. Feliciano Gialdi – temperamentvoll, hemdsärmelig, aber umgänglich – bezieht seine Trauben von unzähligen Winzern, mit denen er vertrauensvoll zusammenarbeitet. Er selbst lebt in Mendrisio, wo sich Büros und Keller befinden und auch die Südtessiner Weine des Brands Guido Brivio vinifiziert werden, die ebenfalls zum Besitz gehören. Stolz und Flaggschiff der Gialdi-Linie ist der 1986 erstmals erzeugte, grösstenteils in neuen Barriques ausgebaute Sassi Grossi: ein dichter, robuster, röstaromengeprägter Merlot mit einer mineralischen Prägung, die gut zu seinem Namen (grosse Steine) passt.
Cantina Kopp von der Crone Visini, Barbengo, Scala
Anna Barbara von der Crone und Paolo Visini haben die Zusammenlegung ihrer Betriebe mit dem Bau eines neuen Kellers und Wohnhauses besiegelt. Das Bauwerk setzt mit einer eleganten und funktionellen Architektur aus Glas, Kastanienholz und Sichtbeton ein starkes Zeichen. Die zwei komplexesten Weine sind der Balin und der Scala. Der Balin vereint Trauben aus dem Sopra- und Sottoceneri, der Scala stammt aus einem Rebberg in Pedrinate, dem südlichsten Ort des Tessins. Seine Trauben (80 Prozent Merlot plus Cabernet Sauvignon und Petit Verdot) wachsen auf einer Gletschermoräne, was dem eleganten, virilen, anfänglich etwas strengen Gewächs eine prägnante Säure und Mineralität schenkt.
Christian Zündel, Beride, Orizzonte
Christian Zündel ist seit 1986, seinem ersten Jahrgang, auf der Suche nach der unprätentiösen, aber präzisen Übersetzung der südalpinen Herkunft seiner Trauben in den Wein. Vor Irrtümern ist er dabei nicht immer gefeit. Übersetzungshilfen sind ihm ein biodynamisch inspirierter Rebbau und eine möglichst einfache, handwerklich orientierte Kelterung, die resolut auf jedes Weindoping verzichtet. Sein Spitzenwein, der Orizzonte aus alten Merlotstöcken, assembliert mit wenig Cabernet Sauvignon, ist über die Jahre immer feingliedriger geworden. Er besitzt dezent schwarzbeerige Aromen, eine lebendige, saftige Säure, feinstes, reifeverlangendes Tannin und hat störenden Holzballast weitgehend abgeworfen.
Huber Vini, Monteggio, Montagna Magica
2014 wird Daniel Huber seinen 30. Jahrgang keltern. Der Winzer mit breitem Zürcher Dialekt und trockenem Humor kann das Jubiläum mit Stolz feiern: Sein Betrieb ist vorbildlich aufgestellt. Sohn Jonas steht in den Startlöchern. Hubers bekanntester Wein ist der Montagna Magica aus Merlot und einer Prise Cabernet Franc. Der charismatische Name, die Künstleretiketten und vor allem die konstant hohe Qualität begründen das Renommee. In seiner Jugend wird er mit seinen leisen Tönen, der beerigen Frucht, der Holzprägung, dem feinkörnigen Tannin und der subtilen Säure gern unterschätzt. Seine «burgundische» Finesse und Eleganz sowie sein Reifepotenzial aber begeistern Menschen mit Weinempathie.
Adriano Kaufmann, Beride, Pio della Rocca
Adriano Kaufmann zog fast gleichzeitig mit seinen Alterskollegen Daniel Huber und Christian Zündel in den Malcantone. 1983 kelterte er seinen ersten Merlot. Von stetem Verbesserungsdrang beseelt, experimentierte er von Beginn an mit neuen Kellertechniken, was ihm den Ruf des Tüftlers einbrachte. Soweit es das launische Tessiner Klima zulässt, bewirtschaftet er die Reben biodynamisch. Sein schönster Rotwein ist der Pio della Rocca, eine Assemblage von Merlot (85 Prozent), Cabernet Sauvignon und Petit Verdot. Der expressive, dicht strukturierte Wein durchläuft vor der Gärung eine Kaltmazeration, was ihn in seiner Jugend unzugänglich macht, ihm aber die Frische schenkt, die für ein langes Leben bürgt.
Tenuta San Giorgio, Cassina d’Agno, Crescendo
Der Malcantone westlich von Lugano gilt als Refugium der Selbstkelterer. Sie haben den Weinen dieser Hügellandschaft einen eigenständigen Ausdruck gegeben. Mike Rudolph leistet dabei seit rund zehn Jahren einen hervorragenden Beitrag. Sein Weingut Tenuta San Giorgio liegt in spektakulärer Lage oberhalb der Bucht von Agno. Die Rotweine besitzen eine verbindliche, präzise Stilistik, die eine klar herausgearbeitete Frucht mit einer kräftigen Struktur verbindet. Der reinsortige Merlot Crescendo stammt aus einem gut durchlüfteten Rebberg in Vernate. Sein ausdrucksstarkes Bouquet geizt nicht mit schwarzbeerigen Noten und einer dezenten Holzprägung. Im Geschmack ist er ausgewogen, saftig, langanhaltend.