Die Leichtigkeit des Seins
DIE AHR IN NEUEM GEWAND
Text: Carsten Henn, Fotos: Armin Faber
Neue Dynamik im 500-Hektar-Weinbaugebiet bei Bonn: Einige Winzer entlocken dem Schiefer nicht länger mollig-weiche Spätburgunder mit überreifen Noten, sondern faszinierend straffe Pinot Noir mit Säure und Profil.
«Warenannahme, Pausen von 9.00 bis 9.15 Uhr, 12.00 bis 12.45 Uhr», steht auf der Metalltür der grossen Lagerhalle in Bad Neuenahr. In der Halle nebenan schraubt jemand bei lautstarker Musik an einem Auto herum. Es gibt kein Schild, das auf das Weingut Josten & Klein hinweist. Doch drinnen stehen Tanks, Barriques, eine Kelter, das Übliche also, und mittendrin: Torsten Klein und Marc Josten, einst Mitglieder einer örtlichen Genossenschaft. «Willkommen auf Château Josten & Klein», schallt es lachend zur Begrüssung. «Die Kunden haben Spass, weil sie hier auf den Boden spucken dürfen.» Industrieschick und raue Sitten, auch das gibt es an der pittoresken Ahr.
Josten & Klein, gegründet 2011, beten das neue Credo der Ahr: früher lesen, bei Mitte 90 Grad Öchsle und höchstens 13,5 Volumenprozent Alkohol. Die Weine sollen elegant sein, dazu gehört auch weniger Holz statt mehr. Die jungen Winzer fahren dessen Einfluss von Jahr zu Jahr weiter herunter, dabei arbeiten sie auch mit 500-Liter-Tonneau-Fässern – eine Besonderheit an der Ahr. Bald füllen sie erstmals einen Spätburgunder-Jahrgang komplett unfiltriert ab. «Und entsäuert wird nicht! Wir streben Säure beim Pinot an. Lieber Ende 5 als Anfang 5.»
All das ist mutig, vor allem, wenn man die Antwort auf meine Frage bedenkt, welche Investitionen in den nächsten Jahren geplant sind: «Investitionen? Wir müssen erstmal unsere Kredite abbezahlen.» Die beiden prosten mir zu. «Wenn es finanziell nicht klappt», sagt Klein, «wollen wir uns wenigstens mit gutem Stoff auf Hartz IV runtersaufen können.»
Klarheit und Frische statt Opulenz
Einer der entscheidenden Motoren für das Umdenken an der Ahr hat sein Weingut einen Steinwurf entfernt in Marienthal: Paul Schumacher. Als Weinlaborant betreut er nahezu alle Weingüter der Ahr. Das Weingutsgebäude hat er 2006 gekauft und sofort renoviert. «Das war Gelsenkirchener Barock, aber brutalst.» Jetzt ist es geschmackvoll im Landhausschick eingerichtet, ohne in Laura-Ashley-Biederkeit zu verfallen. Kein Wunder, dass die Strausswirtschaft brummt, auch wegen des Essens, das weit entfernt ist von Zwiebelkuchen und Federweissem. Stattdessen gibt es auch mal Couscous mit scharfen Garnelen. Und um alles, was mit Fleisch zu tun hat, kümmert sich der Winzer selbst. Einen solchen Betrieb aufzubauen und mit Weinen Geld zu verdienen, ist auch an der Ahr kein Selbstläufer. «Zehn Betriebe werden in den nächsten Jahren sicher noch aufgeben. Die guten werden dann grösser, denn brachfallen wird an der Ahr nichts», sagt der Winzer mit einem vielsagenden Lächeln. Eigentlich wollen alle engagierten Winzer Flächen kaufen, nur gibt es keine auf dem Markt. Vor allem keine bezahlbaren.
«Überreife ist nichts! Ich ernte heute früher als manch anderer Kollege, deshalb brauchen meine Weine auch länger auf der Flasche.»
Paul Schumacher Weinlaborant und Winzer
Der schlaksig-grosse Schumacher schenkt einen Wein seiner Spitzenlage Trotzenberg ein und betet dabei zwei weitere Abschnitte des neuen Credos: längere Kaltmazeration und kühler Ausbau im Keller. Sein 2009er ist unglaublich gut, hat so viel Klarheit und Frische, dass deutlich wird, zu welchen Weinen der Schiefer der Ahr fähig ist. So wie Schieferrieslinge der Mosel eine Pikanz erreichen, die fettere Böden unmöglich erbringen können. Vielleicht waren die grossen Schmeichler, die den Ruf der Region begründeten, nichts als ein Irrweg? Doch Schumacher bezahlt für diesen neuen Stil: Seine Tropfen sind nichts für Blindproben, und die 2012er werden frühestens Ende des Jahres Trinkfreude bereiten. Auch bei den Weissen geht er keine Kompromisse ein. «Ich mag Weisswein, der böse trocken ist. Für mich kann ein Wein gar nicht trocken genug sein.» Wir kommen auf das Thema Holz zu sprechen, während die Sonne den steilen Trotzenberg grosszügig bescheint, wie wir durch ein Fenster der Probierstube sehen können. «18 Monate sind das Maximum. Es gibt kaum einen Jahrgang, der dem Spätburgunder mehr guttun würde.» Und: «Ein Holzfass parfümiert!» Deshalb gilt auch bei Schumacher: wenig Holz. Und natürlich: wenig Alkohol.
Als Weinlaborant untersucht er seine Weine sicher ständig? Schumacher lacht, und seine klugen Augen blitzen auf. «Es gibt kaum Weine an der Ahr, die so wenig untersucht werden wie meine.» Schumacher macht seine Weine mit dem Bauch. Und er will schmecken, was andere Bauchwinzer auf die Reihe bekommen. Deshalb fährt er jedes Jahr nach der Lese seines Frühburgunders ein paar Tage ins Burgund, Weine wie dort will er keltern. «Aber keine Kopien! Ich hab mich gefragt: Wie machen die das? So filigran, mit viel mehr Säure und so lagerfähig. Zuerst haben wir uns mit der Antwort zufriedengegeben, dass die andere Böden haben als wir.» Aber nicht für lange. Schumacher schwört auf 92 bis 96 Grad Öchsle bei der Lese. «Dann hängen viele andere Trauben noch an den Stöcken. Deshalb brauchen meine Weine auch auf der Flasche länger. Wir waren mit die Ersten, die gesagt haben: Überreife ist nichts. Jetzt ziehen mehr und mehr nach. Jedes Weingut, das besser wird, ist ein Gewinn für die Region.Wir haben damals manches gewagt, was wirtschaftlich Wahnsinn war, aber ich wollte einfach sehen, was man machen kann.»
Wirtschaftlicher Wahnsinn ist beim Dritten im Bunde der Ahr-Erneuerer nicht das Thema. Denn der DernauerWinzer Hermann-Josef Kreuzberg hat mit Joern Heiner seit dem Jahrgang 2011 einen begüterten Marketing-Fachmann aus Bonn im Boot – die beiden lernten sich beim Fliegenfischen an der Ahr kennen. Heiner hat solche Mittel, dass man sich gerade erst einige der eigentlich unbezahlbaren Parzellen in den Paradelagen Pfarrwingert und Kräuterberg zulegen konnte.
Die Ahr erfindet sich neu
Die Weinverkostung findet in der modernen Probierstube im Gewölbekeller statt, die Söhne David und Michel, beide im Betrieb, sind mit dabei. Ich frage nach dem Heureka-Moment, als die Erkenntnis kam, dass der alte Weg der falsche ist. Hermann-Josef Kreuzberg arbeitete früher im Betrieb seines Bruders Ludwig Kreuzberg, eines VDP-Mitglieds. «Beim 2003er-Jahrgang holte ich meine eigenen Trauben ganz früh rein, damit ich mich auf das Hauptwerk konzentrieren konnte. Die hatten nur 13 Prozent, ich war enttäuscht. Ich dachte: Was hast du da bloss gemacht! Aber nach drei Jahren fingen sie an, Spass zu machen.» Er nimmt einen Schluck, bevor er betont: «Alkohol macht den Wein auf Dauer kaputt. Auf dem Weingut meines Bruders hab ich mal einen gemacht, der einen berühmten Preis gewonnen hat. Nach einigen Jahren war der um, der kleinste Wein der Kollektion stand dagegen noch wie eine Eins im Glas.»
Hermann-Josef Kreuzbergs Weine brauchen wie die von Josten & Klein oder Paul Schumacher vor allem eines: Zeit. Trotzdem schwört er auf skelettreiche Böden, die mehr Frische und Eleganz erbringen. «Deshalb sind meine Weine kantiger, bissiger, aber das müssen sie auch sein. Die Weine muss man nicht bügeln!» Auch Heiner & Kreuzberg lassen das Filtrieren, sogar bei den Basisqualitäten. «Geht aber nur bei gesundem Lesegut mit physiologischer Reife. Sobald es die erreicht hat, lesen wir nach pH-Wert, da haben wir einen Spielraum von zwei, drei Tagen.»
Von den neuen Weinen der Ahr sind Kreuzbergs die elegantesten und zugänglichsten, auch die transparentesten. Schumachers Weine sind straffer und kühler, Josten & Kleins ungestümer. Auch bei vielen anderen Ahrgütern setzt ein Umdenken ein. Und es gibt andere, die schon länger eine ähnliche Linie fahren, wenn vielleicht auch nicht in dieser Konsequenz. Klaus Sermann zum Beispiel, vom Weingut Sermann-Kreuzberg in Altenahr am westlichen Ende des kleinen Anbaugebiets, ist einer der Winzer, die schon seit einigen Jahrgängen zeigen, dass Ahrweine zwei Eigenschaften besitzen können, die ihnen manch einer abspricht: massvoll im Alkohol zu sein und in der Basis viel Wein fürs Geld zu bieten, also richtig guten.
Die Öchslejagd ist vorbei
Doch wie sieht es an der unteren Ahr aus, deren Böden mit mehr Lössauflage ausgestattet sind oder Vulkangestein bieten, weshalb die Weine von dort barocker als die der oberen Ahr ausfallen? Ist der neue Ahrstil hier überhaupt möglich? Das oftmals prämierte Heppinger Weingut Burggarten war jahrelang für dicke Brummer bekannt, Weine mit viel Holz, viel Alkohol, viel von allem.
«Die fetten, barocken Dinger mag ich nicht mehr», erklärt Paul-Josef Schäfer. «Wir hatten früher Ami-Holz, einige Fässer innen schwarz getoastet. Das passte gar nicht zum Burgunder.» Seit drei Jahren gibt es kein amerikanisches Holz mehr im Keller, der Alkohol ging runter, die Säure rauf, ein Sortierband wurde angeschafft, die Frucht ist beeindruckend pur und klar. «Aber unsere Weine sind wegen der Böden kräftiger, voluminöser und körperreicher. In weniger reifen Jahren wie 2010 sehen wir dadurch unfassbar gut aus. Ich will keine Weintypen kopieren, die auf Schiefer gewachsen sind.» Also ein eigener Stil für die Untere Ahr? «Wir sind nicht die Untere Ahr», korrigiert mich Schäfer augenzwinkernd. «Wir sind die Vulkanahr! An der Untermosel nennen sie sich ja auch Terrassenmosel!» Der 2011er auf dem Tisch hat noch 14 Prozent. «So würden wir den heute nicht mehr machen. Das Wichtigste und Schwierigste war die Erkenntnis, im Herbst früh zu lesen und nicht zu denken: Ich verpass was.» Das alte Öchsle-Denken – es erinnert an den Partybesucher, der die Feier nicht verlassen will, weil er denkt, das Beste kommt noch. Dabei geht es ab einem gewissen Punkt nur noch bergab. «Nicht nur wir würden so einen Wein nicht mehr machen, das ist bei vielen Betrieben so, da sind jetzt junge Winzer am Start. Der Umbruch hat begonnen!»
Auch bei den VDP-Mitgliedern der Region, bei Deutzerhof, Meyer-Näkel, (Ludwig) Kreuzberg, Stodden, Nelles und Adeneuer, kommt der kraftvolle Wind der neuen Welle des Ahrweins an. Ein elitärer Club, dem rein qualitativ mehr angehören müssten. Doch wenn sie ein Betrieb mehr wären, also sieben statt sechs, könnte der VDP-Ahr nicht mehr bei den Kollegen vom VDP-Nahe Unterschlupf finden, sondern müsste als eigener Regionalverband auch eine eigene Geschäftsstelle unterhalten. Deshalb besteht de facto Aufnahmestopp – was zur Folge hat, dass Gütern, die hineingehören, der Eintritt verwehrt bleibt. Aber zurzeit ändert sich an der Ahr viel – vielleicht eines Tages auch das.
Hinter vorgehaltener Hand sprechen viele es aus: Die Ahr hat sich auf ihrem Erfolg ausgeruht. Doch jetzt ist sie wach geworden.