NAHE
DER NÄCHSTE, BITTE!
Text: Eva Maria Dülligen, Fotos: Thomas Epping
Frischer Wind kann niemals schaden – drei talentierte Jungwinzer haben die Betriebsübernahme auf total unterschiedliche Weise für ihre eigenen Visionen ausgeschöpft.
¡Viva la revolución!
Martin Tesch ist keiner von denen, die sich für ein Fotoshooting überreden lassen, im Kopfstand ein Glas Schwip Schwap zu trinken. Er kauft sich auch nicht das Batman-Kostüm. «Es gibt sogar schon Weinmarketing mit Schusswaffen – brutal», sagt der 46-Jährige und schüttelt sein blondes Haupt. Nicht, dass es Tesch an Marketingtalent mangelt. Wenige beherrschen den Werkzeugkasten der Werbung wie er. Angefangen bei seinem Riesling-Unplugged bis zum Hit and Run, Weinpräsentationen auf den Landungsbrücken von St. Pauli oder in der Berliner «Markthalle Neun». Teschs 300 Jahre altes Familienweingut zählt heute zu den Nahe-Betrieben mit Weltruf. Bevor der promovierte Mikrobiologe seine Rieslinge in Weinläden wie Hedonism Wines in Londons Nobelviertel Mayfair etablieren konnte, bedurfte es schmerzhafter Einschnitte. Aus den elf Rebsorten seines Vaters machte er drei. «Mein Vater hat vieles richtig gemacht, zum Beispiel, in den Superlagen nur Riesling anzubauen. Aber er hatte auch Bouquetsorten, die kein Mensch braucht.» Die Ertragsfläche auf die Hälfte reduziert, 90 Prozent auf fünf Einzellagen mit Riesling bestockt, maximal fünf Gramm Restzucker in seinen Gewächsen – um nur einige Neuerungen zu nennen.
Doch die Revolution frisst längst nicht ihre Kinder. Im Gegenteil, sie füttert sie. Denn vor der Ära Tesch war Riesling im günstigsten Fall Plörre in Kristallkelchen, aus denen Akademiker nippten. «Riesling zum Anfassen», in Teschs Etikettensprache «Riesling-Unplugged», hiess der volksnahe Türöffner. «Der wird auf jedem Kontinent verstanden, und er wird auch da getrunken, wo sonst Bier fliesst.» Seinem Grossvater, der ihm jeden Tag erzählte, wie der aktuelle Jahrgang werden würde, und jeden Tag seine Meinung änderte, wären die Eskapaden des Enkels aufgestossen. Kaum bot Ryanair Billigflüge vom Flughafen Frankfurt-Hahn an, klemmte sich Tesch seine Flaschen unter den Arm und startete nach London durch. Punkten konnte er zunächst bei pakistanischen Gastronomen. Die hätten zwar keinen Schimmer gehabt, was genau sie da probierten, dafür wussten sie, dass Extrakt und Säurespiel mit den Currys funktioniert. Mittlerweile finden sich Teschs Lagen-Rieslinge auf der Karte von «Sake No Hana», Londons einzigem Michelin-gekrönten Japan-Restaurant.
Steckbrief Martin Tesch
Alter 46
Gründung des Weinguts 1723
Hektar 20
Einzellagen 5
Rebsorten 90% Riesling
Weingutsübernahme 1997
Best-of Riesling Remigiusberg
Grösste Veränderungen
Rebsortenreduzierung von elf auf drei, radikale Etikettensprache, Stelvin+-Verschluss, Zielgruppenverschiebung vor allem mit Riesling-Unplugged, Guerilla-Marketing
Tiefenentspannte Übergabe
Frank Schönleber lehnt sich entspannt zurück. Grund genug hat er: «Das beste Gut an der Nahe ist Emrich-Schönleber.» Oder: «Das Grosse Gewächs aus dem Halenberg zählt unter den trockenen Rieslingen nach wie vor zu den Blue Chips, den verlässlichen Grössen der deutschen Weinkultur.» Es kann schon mal zur Tiefenentspannung führen, wenn die eigenen Leistungen dergestalt im «Gault & Millau» umrissen werden. Selbst die US-amerikanische Besucherschar, die sich während des Interviews über den Vorhof des Monzinger Familienweinguts verteilt, bringt den 35-Jährigen nicht aus dem Tritt. «Wenn Sie mich nach einschneidenden Veränderungen seit meiner Kellerübernahme fragen, kann ich nur sagen: Die letzten zehn Jahrgänge, die mein Vater allein verantwortlich gemacht hat, sind nicht das Gegenteil von dem, was ich heute mache.» Also kein Generationenwechsel im Glas. Jedenfalls keiner, mit dem man Jancis Robinson oder Robert Parker verschreckt. Beide Weinkritiker halten mit ihrem Enthusiasmus für Schönlebers aktuellen Jahrgang kaum hinterm Berg. Die Vermutung, dass man den Sprung vom Vater zum Sohn nie zum medialen Big Bang machen wollte, liegt nahe. Warum auch? Solange etwa die New Yorker Sternegastronomie keinen Qualitätsabsturz seit dem Wechsel beklagt, warum sie mit Familien-Interna irritieren? 80 Prozent der rund 120 000 jährlich abgesetzten Flaschen gehen in heimische Kanäle, den Rest teilt das VDP-Weingut 20 Exportländern zu, darunter China, die USA und Australien: «Unser Wein verkauft sich auch hier, aber es strahlt zurück von den internationalen Weinkarten», bemerkt der Geisenheim-Absolvent.
Reisen gehört nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Am wohlsten fühle er sich in Weinberg und Keller. Promotion-Touren zur Big-Bottle-Party im «Berlin Palace» oder Degustationsmenüs in Johann Lafers «Stromburg» sind auch für Frank Schönleber kaum zu umgehen, will er weiter auf Erfolgskurs segeln. Wir nehmen erst mal Kurs Richtung Frühlingsplätzchen, wo er in den wärmsten Parzellen auf ärmsten Böden kleinste Beeren zu Grossen Gewächsen heranzieht. Die steilen Rebgassen sind mit Stroh bedeckt. Die letzten Hitzewochen – auch wenn sie den Rieslingreben einen enormen Wachstumsschub verpasst haben – drohen den Boden auszutrocknen. Durch das ausgelegte Stroh wird die Feuchtigkeit gehalten. Naturnaher Anbau wie luftigere Laubwände und akribische manuelle Selektion sind für Vater und Sohn selbstverständlich. Werner Schönleber war es, der Halenberg und Frühlingsplätzchen wieder zu weltweit begehrten Einzellagen trimmte. Winzer wie er oder Helmut Dönnhoff gehören zu den Helden, die das einst unbekannte Nahe-Tal zu einer der berühmtesten Riesling-Regionen machten. Aber auch Helden brauchen eine Pause. «Und das letzte Wort im Keller habe ich», sagt der Junior.
Steckbrief F. Schönleber
Alter 35
Gründung ca. 1765
Hektar 17
Einzellagen Frühlingsplätzchen, Halenberg
Rebsorten 85% Riesling
Übernahme der Kellerarbeit 2006
Best-of GG Riesling Halenberg
Grösste Veränderungen Upgrade des Reifekellers: Ausbau in modernsten Edelstahltanks, Grosse Gewächse und Lagen-Rieslinge werden verstärkt im traditionellen Holzfass ausgebaut
Schloss-Image abschütteln
Caroline Diel kann man schmecken. Nicht nur im 2012er Pinot Noir, den die Weingutschefin nach ihrem Vornamen taufte. Der gesamte Wechsel von der fünften auf die sechste Generation, von Vater Armin auf die Önologin in Schlabberjeans und Gummistiefeln ist extrem spürbar: «Das Schloss-Image klebte einfach zu stark an uns. Mit Schwellenangst bei den Weintrinkern lässt sich Wein schwer verkaufen», sagt sie und setzt die Schere an, um Traubentriebe aus der Laubwand mitten in der Einzellage Goldloch zu schneiden. Damit der Stock wasserbedingt zur Balance findet und kleine extraktreiche Beeren entstehen, investiert man bei Diel in kostspielige Weinbergsarbeit: Blätter entfernen, Trauben zurückschneiden, unreife auslichten. Der grosse betriebsinterne Schnitt liegt rund zehn Jahre zurück, als Schlossgutsherr Armin Diel, einst Chefredakteur und Herausgeber des Weinführers «Gault & Millau Deutschland», das Zepter weiterreichte. «Die Weine unter Papas Regiment waren zu alkoholisch, oft mit einem Süssschwänzchen nach hinten raus.» In seinen Parzellen suchte man den gelernten Juristen genauso vergeblich wie im Reifekeller.
Diel schrieb lieber über Wein, als ihn zu machen, und bereiste zwischendurch das Burgund oder die Champagne – Wunschadressen von angehenden Winzern, die Tochter Caroline nach dem Geisenheim-Studium für Praktika ansteuerte. «Romanée-Conti hat mir mein Vater unter den Weihnachtsbaum gelegt. Aber Ruinart und Robert Weil habe ich selbst klargemacht.» Auch im neuseeländischen Central Otago, wo sie auf dem Weingut Rippon biodynamischen Anbau auf den Schieferböden von Lake Wanaka kennenlernte, interessierte es wenig, dass sie eine Diel war. Eine zu sein, heisst für die dreifache Mutter und Frau des französischen Ex-Profi -Volleyballspielers Sylvain Segen und Fluch zugleich. Genauer als andereVDP-Weingüter wird das Schlossgut beäugt. Keine Privilegien aufgrund der Tafelsilber-Lagen oder Burg Layen, der imposanten Weingutskulisse. Umso mehr Gas gibt die Nahe-Winzerin. Aus den «ehemaligen Wuchtbrummen» sind präzise Tropfen geworden. Ihr Ausbau findet nicht mehr nur in burgundischer Barrique, sondern auch in grösseren Stückfässern statt, um die Burgunder selbst und weniger das Holz sprechen zu lassen. Der Vater hätte bei seiner Weingutübernahme gar keine Zeit für Details gehabt. Da musste in die Basis investiert werden, Weinberge wurden umstrukturiert, und eine Vinothek wurde angeschafft. «Cool, dass ich mich heute weinmässig fokussieren kann», sagt die Nachwuchswinzerin, «was kann ich noch typischer machen? Das ist ein echtes Privileg.»
Steckbrief Caroline Diel
Alter 35
Gründung des Weinguts ca. 1815
Hektar 22
Einzellagen Burgberg, Dorsheimer Goldloch, Pittermännchen
Rebsorten 65% Riesling, 35% Pinot Noir
Weingutsübernahme 2006
Best-of Dorsheimer Goldloch Riesling
Grösste Veränderungen Naturnaher Anbau, Spontanvergärung, gedrosselter Barrique-Einfluss, verschlankter Weinstil