Deidesheim
Deidesheim, Glück allein?
Text: Eva Maria Dülligen, Fotos: Jana Kay
Gehen Sie nicht über Los. Ziehen Sie keine 2000 Euro ein – die Weinbaugemeinde Deidesheim ist für manchen Ureinwohner ein gastronomisches Monopoly. Statt Park oder Schlossallee lauten die Adressen «Am Marktplatz» oder «Weinstraße» mit den Highend-Restaurants wie «Deidesheimer Hof» und «Leopold». Wie viel Spielraum die führenden Clans den Gastronomen der Nebengassen lassen, haben wir eruiert.
Nichts ist hier dem architektonischen Zufall überlassen. Der restaurierte Pferdestall des 1849 gegründeten Weinguts Dr. Deinhard strotzt vor Detailliebe: Aufpolierte Sandsteinsäulen stützen das alte Kreuzgewölbe, reduzierte Farben geben den Ton von Stoffsesseln, Bistrotischen und Weinbar an, Accessoires in Form von futuristischen Deckenlampen und abstrakten Pferdeköpfen aus Holz durchkreuzen die historische Kulisse. Unter «geerdetes Weinstubenflair» subsumiert die hauseigene PR-Instanz das bauwerkliche Herzstück – eine gut gemeinte Untertreibung, wohl um auch liquide Gäste mit Hang zum Authentischen einzufangen.
Stilistische Fettnäpfchen sucht man im «Leopold» bei unorthodoxer Regionalküche und kulinarischen Ausflügen etwa nach Japan oder Irland ebenso vergeblich: «Wir dekorieren nicht mit dreimal umgedrehter Kresse, die mit der Nagelschere getrimmt wurde», sagt Küchenchef Christian Meier, «und unsere Gäste müssen auch keinen Kurs in Stäbchenessen oder Hummersezieren belegt haben.» Der 31-jährige Koch aus Zürich weiss, wie man sich bildsprachlich von einer Grandezza-Atmosphäre abgrenzt. Wer als betuchter Feinschmecker nach Deidesheim kommt, will meist beides: Tellerleistung auf Sterneniveau und, naja, eben «Weinstubenflair». So wie die japanische Gruppe am Nebentisch, die sich über dampfende Schmankerl aus der Region hermacht. «Japaner, die im ‹Leopold› essen, bestellen nicht unser Wagyū-Rind aus Kobe, sondern den ‹Pfälzer Teller› mit Saumagen, Leberknödel und Bratwurst», legt Meier nach und überzieht meinen mit Fliegenfisch geangelten Wildlachs aus Island mit Safransud. Der sei nur vier Wochen im Jahr verfügbar, so der Zürcher Koch, ich hätte Glück, ihn zu bekommen. Mit Weisswein, Pernod und Limettensaft abgelöscht, verteilt sich die Meeresdelikatesse bissfest und samtig zugleich in der Mundhöhle. Der Chardonnay aus dem Hause von Winning verlängert die süsslich-nussigen Aspekte des Fischgangs. Aber wie hält sich ein Restaurant in einem 3700-Einwohner-Nest inklusive 30 Fresslokalen mit Hauptgerichten, die schon mal 40 Euro kosten? «Mannheim boomt, vor allem zahlungskräftige Studenten von dort kommen hierher. Dann ist der Raum Stuttgart eine taffe Region mit Bosch, Porsche und Daimler. Es ist viel Wohlstand um uns herum, von Karlsruhe bis Frankfurt.»
Deftiges Kontrastprogramm
Der Speckgürtel um die Mittelhaardt sichert die Existenz des Niederberger-Imperiums, zu dem unter anderem das «Leopold» gehört. Achim Niederberger, der 2013 überraschend verstarb, kaufte nicht nur die Weingüter von Winning, Reichsrat von Buhl und Dr. von Bassermann-Jordan – er hinterliess seiner Frau Jana ausserdem vier Gastrotempel. Was also ist Deidesheim, was nicht Niederberger ist? Zum Beispiel das «Kirchenstübl», wo Peter Rau seinen schmalen Hinterhof zu einer Mischung aus Campingplätzchen und Strausswirtschaft stilisiert hat. Das Dorf sei nach der Kohl-Ära eingeschlafen, Kohl hätte es mit seinen Staatsempfängen im «Deidesheimer Hof» in den weltweiten Fokus gerückt, lässt Rau wissen und bittet, an einem der Klapptische Platz zu nehmen. «Achim hat es durch intensive Medienarbeit wieder wach geküsst. Wir profitieren touristisch alle von seinem geschäftlichen Spürsinn.»
Kaum zu glauben, dass der Hof neben einem ehemaligen Gardinengeschäft Weintouristen anlockt. Doch der Schein trügt: Der klassische Saumagen ist, seit Rau 1984 eröffnete, ein Gästemagnet. Wenn er selbst und Dackel Butz mal nicht da wären, hagele es Beschwerden von der 90-prozentigen Stammklientel. Deftig-Regionales wie Sauerbraten und Es hat uns getroffen wie der Blitz», sagt «Kanne»-Pächterin Karin Winter. «Elf Jahre haben wir den Betrieb durch Höhen und Tiefen gelenkt.» Was das Weingut Dr. Bürklin aus dem Gasthaus machen wird, weiss Frau Winter nicht. Für sie jedenfalls gehe es weiter. Man sucht schon nach einer neuen Immobilie. Krautwickel geht im Sekundentakt an die Tische. Dass es seit kurzem am Provinzbahnhof ein japanisches Restaurant gibt, erscheint dem Gastronomen bizarr. Das passe irgendwie nicht in die hiesige Gastrolandschaft.
Dafür passt das Gasthaus «Zur Kanne» umso besser in die Welt von Saumagen und Flääschknepp. Restaurantleiter Meinolf Sachse leistet sich mit «Kalbsleber Berliner Art» aber auch kulinarische Seitensprünge, schliesslich ist er gebürtiger Berliner. «Grössere Portionen», «schlankere Stilistik», «teils mediterraner Einschlag», umreisst der 29-Jährige das Konzept vom ältesten Gasthaus der Pfalz. Ligurisches Gemüse und Kichererbsen schummeln sich zwischen Weinkraut und Kartoffelstampf. Unter Feigen- und Olivenbäumen sitzt man im riesigen Gästehof und hat die Wahl zwischen 500 Weinpositionen mit Fokus auf Pfalz, Mosel und Baden. Leider nicht mehr lange, denn der Pachtvertrag wurde aufgekündigt, und die 1160 gebaute Herberge mit Schankerlaubnis fällt wieder an die Eigentümer – das Weingut Dr. Bürklin.
Deidesheimer Disneyland
Wo sich das Publikum in der «Kanne» mehrheitlich aus Mittfünfzigern rekrutiert, ist das «Bistro 1718» mit Youngstern überflutet. In der offenen Showküche quetscht der Maître Mayo über einen Burger. Nicht irgendeinen, sondern einen aus Wagyū-Beef, getoppt von Cheddar und Spezialsauce. Dazu gibt es krosse Süsskartoffelchips. Ein Fast-Food-Gedicht, in dem zudem ein Fähnchen mit einer Nummer steckt: Jeder hundertste Burger ist gratis, meiner hat die 1494, Nummer 1500 wäre auf Kosten des Hauses gegangen. Da ich keine sechs weiteren mehr verdrücken kann, entscheide ich mich in unorthodoxer Reihenfolge für die gegrillten Garnelen mit Babysalat und Blutampfer sowie einen Weissburgunder, der runtergeht wie Limonensaft. Auch dieser Genusstempel reiht sich ins Niederberger-Imperium. Und das Konzept der Diversifikation geht auf. Mit unterschiedlichem Speck fängt man unterschiedliche Mäuse. Hier sind es junge Gourmets, meist pfälzische Studenten, die «Surf & Turf» oder das Grillen in Eigenregie auf einem rauchfreien Holzkohlegrill am Tisch prickelnder finden als französische Hochküche.
Steht einem der Sinn nach Haute Cuisine, ist das in dem Weindorf auch kein Problem. Helmut Kohls Lieblingsrestaurant, der einfach Michelin-gekrönte «Schwarze Hahn» in der Institution «Deidesheimer Hof», hat Sachen am Start, die kulinarische Tränen kullern lassen. Nicht von ungefähr liessen sich die britische Queen, Margaret Thatcher oder Boris Jelzin auf Staatsbanketten mit dem deutschen Exkanzler hier verhätscheln. Was immer im diplomatischen Hinterzimmer zwischen Feuilleté von geräucherter Entenbrust und Champagnersorbet beschlossen wurde, bleibt bis heute gut gehütetes Geheimnis der Familie Hahn. Diskretion herrscht ebenfalls, wenn es um die aktuelle «gehobene Rustikalküche» geht. Der Strudel vom Altrhein-Zander, der wie Mousse auf dem Zünglein zergeht, wird von Küchenchef Felix Jarzina nur so weit kommentiert, als dass er mit Zanderfarce und Safranschaum verfeinert wurde. «Sie können uns nicht mit den Lokalen der Niederberger-Gruppe vergleichen», sagt Hanns-Georg Hahn, Marketingleiter des Familienbetriebs. «Das sind Weingüter, in die man ein Restaurant eingebaut hat. Wir waren immer schon ein reines Restaurant.» Und, wie gesagt, eine Institution – von der Dimension eines Disneylands: Hinter den denkmalgeschützten Mauern dreht sich 342 Tage im Jahr ein gastronomisches Riesenrad, in dem vom Brautpaar bis zur Tagungsgruppe alle Platz nehmen dürfen: Schlosskeller, alte Scheune, Cyriakusgewölbe bedienen jeden Eventgeschmack. Ausschlafen kann man seine Weinlaune in einem der 28 Luxuszimmer mit Blick auf den historischen Marktplatz.
Auf dem wartet die letzte Adresse unserer Gastrorecherche. Vis-à-vis dem «Deidesheimer Hof» hat das Geschwisterpaar Eva-Maria und Philipp Weisbrodt vor vier Jahren die «Weinbar 1911» eröffnet. Weder der Diplom-Önologe noch die Mediengestalterin hat sich träumen lassen, wie sehr ihr Laden boomen würde. Nur Sekt und Stillwein vom eigenen elf Hektar grossen Bio-Weingut werden ausgeschenkt. Eine Grundlage schaffen pfälzische Tapas wie Blutwurst, Weichkäse und Salami der Region. «Wir schliessen die Lücke zwischen Sternetempel und Weinstube», sagt die 28-jährige Eva-Maria. Kein Groll auf die Niederberger-oder Hahn-Dynastie blitzt aus ihren Augen. Man rücke vielmehr zusammen, das sei auf so engem Raum auch gar nicht anders möglich. «Für uns ist die Niederberger-Gruppe die beste Werbung. Das Marketing überlassen wir denen.» Sie muss es wissen. Schliesslich leitet sie neben ihrer Weinbar die Werbeagentur «Ansichtssache».