Cognac / Armagnac

Kühle Zeiten, heisse Brände

Text und Fotos: Rolf Bichsel

Wenn der Regen an das Fenster klopft und der Raureif von der Rinne tropft, ist es Zeit für ein Glas konzentriertes Feuer allererster Güte. Zeit für einen alten Weinbrand, Zeit für einen herben Armagnac oder einen feinen Cognac.

Ich mag jede Jahreszeit. Am liebsten die, die auf die aktuelle folgt. Im Sommer warte ich ungeduldig auf den Herbst, im Herbst träume ich vom Winter, und im Winter sehne ich mich nach Frühlingserwachen. Warum ich auf den Winter poche? Die Tage werden kürzer, die Nächte länger, der Garten ruht, selbst die Arbeit scheint sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. So habe ich, nachdem mich das Leben löffelweise aufgefressen hat, endlich etwas Zeit. Zeit für ein paar stille Momente. Draussen friert es Stein und Bein, der Nebel schleicht ums Haus, ich lege einen dicken Eichenast aufs Kaminfeuer, lümmle mich in meinen bequemsten Sessel, wärme die Füsse am Feuer, greife nach einem Buch oder zwei – Kellers grüner Heinrich, Fontanes Stechlin, Kleists Marquise von O, Meyrinks Golem passen bestens in die Jahreszeit – und schalte auf gemütlich. Damit das klappt, darf eines nicht fehlen: ein bauchiges Glas bernsteinfarbiger Flüssigkeit aus der staubigen Flasche, die seit letztem März im Schrank steht. 

Ich bin kein Aperitifmensch, vom Digestif halte ich wenig, und Weinbrand zum Essen mag ich nicht. Schnäpse, die sich bei mir fast ausschliesslich auf Armagnac und Cognac beschränken, sind obigem Moment vorbehalten. Eine Flasche reicht dabei für eine Saison – oder fast. Denn aus irgendeinem Grund bringe ich es meist fertig, am letzten Winterabend, also so Mitte März, noch eine neue anzubrechen, als wolle ich ein erstes Kapitel daraus lesen, um mich dann ein paar Monate lang auf die Fortsetzung freuen zu können. 

«Wer durch die stillen Keller des Hauses streift, kann sich davon überzeugen, dass hier alles authentisch und angenehm altmodisch geblieben ist.»

Natürlich komme ich mir vor wie ein blauäugiges Kamel, wenn ich solche Zeilen tippe oder wie ein verstörter Dinosaurier. Denn der Genuss eines Cognacs oder Armagnacs ist out, genauso wie das Schmökern in Klassikern (und das Lesen überhaupt), Kaminfeuer oder romantische Weinautoren. Den Winter bekämpft man heute, indem man nach Bangkok oder auf die Bahamas fliegt. Wer zuhause bleibt, den fressen die Hunde. Aber wie hat doch schon der Berner Lyriker Kurt Hutterli geschrieben: «Kinder haben aufs Trottoir gekritzelt: Wer das liest, ist ein Kamel. Ich lese es immer, wenn ich daran vorbeigehe.» Ich auch. Und darum bleibe ich bei der Flasche auf dem Fenstersims. Die mich fast jedes Jahr zu einem besonderen Abstecher ermuntert. Denn Winter ist auch die hohe Zeit der Brennmeister und brodelnden Kessel. Drüben in den Landes oder im Gers, wo die Armagnaken hausten, ist es oft noch der Störenbrenner, der mit einem Gefährt, das der dicken Emma aus Jim Knopfs Abenteuern gleicht, von Hof zu Hof zieht, um Wein in Schnaps zu verwandeln, der dann glasklar aus dem Messinghahnen rinnt, bevor er seinen langen Schlummer in Fass und Krug antritt. Diesseits in der Charente, dem Reich des Cognacs, sind es meist geheimnisvolle Maschinerien in grossen Hallen, die an den Antriebsmotor des Nautilus von Jules Vernes’ Kapitän Nemo erinnern. Gasbrenner sorgen tosend für das nötige Feuer, und gebrannt wird in zwei Durchgängen. 

16 Jahresproduktionen in den Kellern

In einer solchen Halle stehe ich eben, sauge den herrlichen Duft der werdenden Destillate ein, fruchtig wie Kirschbrand, würzig wie Lebkuchen, geheimnisvoll-blumig wie Enzian. Ich bin bei Cognac Frapin zu Besuch, dem Lafite unter den grossen Destillaten. Frapin ist einmalig in allem. Hier werden nur die Trauben des hauseigenen Château Fontpinot zu Grundwein und damit zu Cognac verarbeitet: Frapin ist der einzige echte Schlossbetrieb des Cognacs und mit 240 Hektar Reben auf den Lehm-Kalk-Böden der Grande Champagne auch die flächenmässig grösste Domäne der Region. Cognac wird hier von A (wie Anbau) bis V (wie Vertrieb) inhouse gefertigt. Die Frapin, immer noch zu 100 Prozent Besitzer des Betriebs, sind bereits im 13. Jahrhundert in der Charente verbürgt. Der Renaissancedichter Rablais (Gargantua und Pentagruel) ist ein Abkömmling der Familie. Das Wappen wurde ihr von Ludwig dem XIV. verliehen, die Kellerei hat Gustave Eiffel 1892 gebaut, der Pierre Frapin drei Jahre zuvor an der Weltausstellung in Paris eine Goldmedaille für seine hervorragenden Weinbrände überreichen konnte. Der älteste verbriefte, hier produzierte Cognac stammt von 1793, der älteste noch vorhandene Blend ist der von 1888, basierend auf Destillaten von 1870, und in zwanzig Kellern – darunter sogenannte trockene (unter dem Dach, wo Wasser besser verdunstet, was zu grösserer Feinheit der Brände führt) und feuchte Keller (auf dem Erdboden, grössere Verdunstung von Alkohol und damit rundere und geschmeidigere Destillate) – ruhen im Durchschnitt 16 Jahresproduktionen. Nur sieben sind es in der Region im Schnitt. Tonkrüge und Fässer, die einen bestimmten Jahrgang enthalten, sind amtlich versiegelt, damit alles mit rechten Dingen zugeht. Das Durchschnittsalter der Assemblagen ist beträchtlich: mindestens 45 Jahre für den Extra, mindestens 20 Jahre für den delikaten XO, die Vorzeige-Cuvée des Hauses. Daneben bietet Frapin aber auch echte Jahrgangscognacs an: Aktuell sind 1991, 1989 und 1988 zu haben. 

Wer durch die Keller streift, kann sich davon überzeugen, dass hier alles authentisch und angenehm altmodisch geblieben ist. Echt ist der Staub auf den Flaschen, echt sind die dicken Spinnweben, die ein Gefühl von Dornröschenschloss aufkommen lassen. Nur im modernen Kelterhaus winkt zeitgemässe High-End-Technik und im Saal, wo die blitzblanken kupfernen Brennkessel wie Statuen thronen. Beim Schlendern durch die endlosen, meist menschenleeren Räume geht dem Besucher auch auf, wer letztlich für die Einzigartigkeit dieser Ausnahmebrände sorgt: der Mensch in bescheidenem, die Zeit, der Liebe Gott und die ganze Engelschar aber in ganz besonderem Mass.

Wehmut kommt beim Blick auf die Exportzahlen auf. Die Spitzenbrände gehen heute mehrheitlich in die USA, nach Russland und China. Europa folgt unter ferner liefen. Für die anderen grossen Cognac- und Armagnac-Erzeuger sieht es ähnlich aus. Ohne die florierenden Fremdmärkte müssten wir wohl bald um das Fortbestehen der Kultur alter Weinbrände fürchten. Doch das ist ein weites Feld, wie Fontane den alten Briest sagen liess. Fontane, der noch wusste, was ein guter Kognak ist, nicht nachtragend war und diesem auch nach seiner Kriegsgefangenschaft im deutsch-französischen Konflikt von 1870 / 71 weiter huldigte. Vielleicht, weil damals das Leben noch etwas gemütlicher floss. So wie bei mir im Winter.

Some like it hot –
Genuss vor dem Kamin

«Alter Cognac gibt mir mehr für mein Geld als Antiquitäten», schrieb Ernest Hemingway in seinem Roman «Fiesta». Recht hat er! Hier darum eine kleine Sammlung ausgezeichneter Weinbrände aus den im Südwesten Frankreichs gelegenen Regionen Cognac und Armagnac, die wir uns gerne ab und an selber gönnen. Es handelt sich um lange gereifte Destillate der besonderen Art.

Armagnac Château Garreau 

Cuvée du Siècle

Dieser authentische Familienbetrieb aus den Landes ist eine eigentliche Entdeckung. Die Cuvée du Siècle hat es uns besonders angetan: Sie verwöhnt die Nase durch die komplexe Aromatik, die spannende Geschichten erzählt. Backpflaume, Gewürze, Unterholz, Steinpilz, Blumen und Wurzeln, Kakao; von ähnlich komplexer Art auch im Mund, ölig, doch nicht plump, sehr, sehr lang, vollmundig und voller Charakter, ideal zur Zigarre. Für die authentische Art. XO und Millésime 1985 sind ebenfalls empfehlenswert. 

Armagnac Château du Lacquy

Bas Armagnac 2000

Komplexe Würze mit mineralischen und fruchtigen, dann blumigen Akzenten; geradlinig und schnörkellos im Mund, feuriges Finale; mit Charakter. Für Liebhaber des Authentischen. 

Cognac Biskuit

Interlude Hors d’Age

Superbes, raffiniertes, rauchig-blumig-würziges Bouquet; zeigt auch im Mund Komplexität, Spannung, Länge, Harmonie, das Finale ist feurig, ohne scharf zu wirken. Ausgezeichnet gemacht; erfreulich. 

Cognac d’Aincourt

Grande Champagne Extra

Verführerisches Bouquet von Kakao und Hyazinthe, dann exotische Gewürze; von ausgesprochener Finesse im Mund, elegant und delikat.

Cognac Delamain

Extra Grande Champagne

Geheimnisvolle, raffinierte, blumige Aromatik von Enzian und exotischen Gewürzen, von grosser Klasse und Finesse auch im Mund, herrliche Verbindung von Sanftheit und Länge, unaufdringliches, aber schwelendes Feuer, Cognac für Kenner. 

Cognac Frapin

Château Fontpinot XO 

Man muss an einem Glas dieses Schlosslagen-Cognacs aus im Schnitt 20-jährigen Bränden nicht einmal riechen: Er verströmt schon auf Distanz sein herrlich komplexes, verführerisches Bouquet von Nüssen, Backgewürzen, Dörrfrüchten und vielem mehr. Im Mund fällt seine exquisite Eleganz aus dem Rahmen, seine immense Länge, seine Transparenz und sogar Frische. Unsere ganz besondere Empfehlung für alle Liebhaber grosser, klassischer, gleichsam aristokratischer Cognacs: einfach so geniessen, in einer stillen Stunde. 

Cognac Hine 

Triomphe Grande Champagne

Superbes, komplexes Bouquet von Backgewürzen, Kakao, mit mineralischen und blumigen Akzenten; voll im Mund, dicht und anhaltend, schwelendes, aber geläutertes Feuer im exquisit und langsam verhallenden Finale. Ein Spitzenbrand der Sonderklasse. 

Cognac Louis Royer

XO

Verführerische, komplexe Aromatik, gute Balance von Fülle und Schärfe, besitzt Temperament, der ideale Digestif-Cognac. 

Cognac Vallein Tercinier

Très Vieux Fins Bois

Auch diesen kleinen Familienbetrieb haben wir erst kürzlich entdeckt. Unter den durch und durch eigenständigen Destillaten ist uns der alte Fins Bois besonders aufgefallen, der das Vorurteil Lügen straft, aus dieser Zone kämen nur mittelmässige Destillate. Superbes Bouquet des lange gereiften Brandes, blumig und komplex; von exquisiter Finesse und grosser Länge, geradlinig wie ein Rasiermesser, ellenlanges, so feuriges wie aromatisch-frisches Finale. Ausgezeichnet auch die Fine Champagne XO Vieille Réserve und Hors d’Age. 

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