Äbbelwoi, Most und Cidre

Schneewittchen erwacht

Text: Dominik Vombach

  • Norman Groh bei der Apfelernte in der Wetterau.
  • Apfelernte beim Obsthof am Steinberg.

Europas Apfelweinmacher sind hellwach, und ihr Schneewittchen-Dasein scheint vorüber. Ob in Skandinavien, Spanien, Deutschland oder der Schweiz. Die Apfelweinwelt brodelt, und der Urknall steht vielleicht schon bald bevor.

 

Immer wieder sonntags, aber nur bei gutem Wetter, wiederholt sich folgendes Ritual: Familien in der ganzen Schweiz packen in aller Herrgottsfrühe ihre Rucksäcke, ziehen ihre Bergschuhe an und wandern los. In der Regel endet die Wandertour verschwitzt auf der Berghütte des Hausbergs oder an einem anderen Aussichtspunkt mit Gaststätte. Dort oben gibt es ein «Plättli» mit Trockenfleisch und einen «Suure Moscht». Der säuerliche, leicht salzige und sehr erfrischende Apfelwein schmeckt hier oben einfach unglaublich gut. Was dem Deutschen sein Radler, ist dem Schweizer sein Moscht. Ohne Berg-,Wandertour oder eine andere schweisstreibende Betätigung verliert er im Gegensatz zum Radler aber seine Anziehungskraft. Radler geht immer, Moscht ist ausserhalb der idyllischen Bergszenerie nahezu inexistent. Vor allem junge Schweizer greifen abends lieber zu Bier und Wein. Die Deutschen sind da nicht anders: Apfelwein ist hier so gut wie ausgestorben. Pro Kopf werden jährlich gerade einmal 0,49 Liter Äbbelwoi getrunken. Das ist nichts, wenn man bedenkt, wie viel Bier (circa 100 Liter) und Wein (circa 20 Liter) die Deutschen pro Jahr trinken. Nur in Hessen, dem Äbbelwoi-Gallien, gibt es noch so etwas wie eine lebendige Apfelweinkultur.

Wie Phönix aus der Asche

In den USA dagegen erlebt «Hard Cider» gerade die Wiederauferstehung und scheint der nächste grosse Trend nach der «Craft Beer»-Welle zu werden. In den letzten fünf Jahren stieg der Cider-Konsum um 50 Prozent. Für Norman Groh vom hessischen Apfelweinproduzenten Weidmann & Groh wäre dies das Paradies. Groh war erst vor kurzem in den Staaten und wurde bei der weltgrössten Apfelweinprämierung in Michigan, der Great Lakes International Cider & Perry Competition, für einen Apfelwein aus der fast vergessenen Sorte Speierling ausgezeichnet. Grohs Produkte sind so glasklar wie seine Ansichten. In den USA erlebte er, wie sich der Trend und die grosse Nachfrage auf das Angebot auswirkten: «Die Auswahl in den Bars ist immens. Zehn bis zwölf Apfelweine direkt ab Zapfhahn sind keine Seltenheit. In Hessen sind wir davon noch meilenweit entfernt.»

Für Groh ist viel vom US-Markt abhängig, denn wenn der Boom voranschreitet, stehen die Chancen nicht schlecht, dass er nach Europa überschwappt. Die Amerikaner sind Trendsetter, und wir Europäer ziehen nach. Ob Turnschuhe, Jeans oder Bier. Ohne den «Craft Beer»-Trend in Übersee gäbe es etwa hierzulande wohl keine Bars, die Gourmetbier aus Kleinstchargen anbieten. Vielleicht ist Apfelwein auch bei uns das nächste grosse Ding?

Vor dem Urknall

Ja, es brodelt auch in Europa. Zum Beispiel Anfang April 2014 in Frankfurt am Main. An einem sonnigen Sonntag fand die sechste «Apfelwein weltweit» statt, eine Publikumsmesse, bei der es um nichts anderes geht als Äbbelwoi. Mit knapp 90 Ausstellern aus zehn Nationen gilt die Messe als vielfältigste weltweit und als europäisches Gipfeltreffen innovativer Apfelweinproduzenten.

Rund 1500 Apfelweinliebhaber tummelten sich da im Frankfurter Palmengarten. Ein bunt durchmischtes Publikum aus traditionsbewussten Senioren, mondänen Geniessern und dem einen oder anderen «Bobo» (der bourgeoise Bohemien) mit Bembel (so wird der bauchige Steinzeugkrug bezeichnet, den hessische Gaststätten zum Ausschenken von Apfelwein benutzen) auf dem T-Shirt.

Die internationale Apfelweinmesse wurde von Andreas Schneider und Michael Stöckl ins Leben gerufen. Anfänglich versammelte man die kleine Apfelweinmacher-Szene im Frankfurter Römer. 2014 musste man aus Platzgründen zum ersten Mal in den grösseren Palmengarten umziehen. Steht die Apfelweinwelt also kurz vor dem Urknall? «Die Zeit ist reif für Apfelwein!», findet Andreas Schneider, der selbst Äbbelwoi auf seinem Obsthof am Steinberg produziert. Seit Schneiders Ausbildung im Jahr 1993 hat sich in der deutschen Apfelweinwelt tatsächlich ein Quantensprung vollzogen. Damals lag die Apfelweinkultur in Deutschland noch tief im Dornröschenschlaf: ein traditionelles, aber verkanntes Produkt. Sortenreine Abfüllungen waren verquere Ideen, und der Begriff «Terroir» war einzig in der Traubenweinwelt zu finden.

Heute ist alles ganz anders. Auf der «Apfelwein weltweit» findet man sortenreine Abfüllungen en masse. Boskop, Speierling, Trierer Weinapfel und auch die Ananasrenette – fast vergessene Sorten spielen wieder eine grosse Rolle. Aus der Ananasrenette macht Schneider einen gut strukturierten Schaumwein mit feiner Perlage. Einen Apfelwein für Weinliebhaber. Andreas Schneider ist es wichtig, die Umgebung in seinen Produkten widerzuspiegeln, nicht nur den Sortencharakter herauszuarbeiten. Er macht Terroir-Apfelweine. «Jeder Baum und jeder Apfel ist unterschiedlich. Trotz der vielen Apfelindividuen im resultierenden Wein ist eines Jahr für Jahr erkennbar: die Lage», sagt er. Schneider zählt sich zu einer Generation von Apfelwein-Terroir-Vorreitern. Zu diesen gehören auch der französische Spitzen-Cidre-Macher Eric Bordelet, ein ehemaliger Sommelier, der nach Jahren in der Spitzengastronomie zurück in die Normandie ging, um dem Cidre neues Leben einzuhauchen, und der Schweizer Jacques Berritaz von der Cidrerie Vulcaine im Wallis.

Andreas Schneider hat eine klare Vorstellung davon, wie es mit dem Apfelwein weitergehen wird: «Es gibt mittlerweile Sommeliers, die sich ausschliesslich mit Apfelwein beschäftigen. Michael Stöckl war der erste hierzulande. Die Spitzengastronomie bindet unsere Produkte immer stärker ein. Ich selbst durfte meine Weine beispielsweise bei der Warm-up-Party zum Rheingau Gourmet Festival präsentieren. Der Boden ist offen, wie im Frühling, jetzt müssen wir nur noch säen und anschliessend ernten!» Schneider möchte seine Produkte in eine andere Liga hieven: die Liga der Traubenweine.

Eiskalte Händchen

Jens Skovgaard Pedersen von der Cold Hand Winery in Randers im dänischen Jütland ist sich sicher, dass Fruchtweine im skandinavischen Klima besser aufgehoben sind als Traubenweine. «Sorten wie Cox Orange oder Filippa sind perfekt für diese Umgebung», sagt Skovgaard, der einige Hundert Apfelsorten auf seiner Plantage anbaut. Vor wenigen Jahren machte er per Zufall eine Entdeckung, die sein Leben veränderte. Ein Kanister Apfelsaft, den er in der Gefriertruhe vergessen hatte, sonderte einen braunen, dicklichen Saft ab. Neugierig kostete er den viskosen Extrakt. Ein Moment für Skovgaard, wie es die Idee zur Relativitätstheorie für Einstein gewesen sein muss: die Entdeckung der Kryokonzentration in der heimischen Gefriertruhe. Ihm wurde schlagartig klar, dass er aus dem Konzentrat Wein machen musste. Der erste Eis-Apfelwein Dänemarks war geboren.

Nebenbei kreierte Skovgaard so auch gleich einen neuen, nordischen Weinstil, der eben nicht auf Trauben basiert. Kennzeichnend sind intensive Frucht, Frische und prägnante, saftige Säure. Ja, Säure. Was viele andere Apfelweinmacher in Europa als Teufelswerk ansehen und mit dem biologischen Säureabbau bekämpfen, ist für Skovgaard essenziell. «Säure ist ein wichtiges Element unseres Stils, sie verleiht Frische, Struktur und ist mitverantwortlich für den gewünschten Trinkfluss. Ohne ausreichende Säure entsteht kein guter nordischer Fruchtwein.»

Seit 2010 keltern Skovgaard und sein Geschäftspartner Flemming Villebro Jørgensen, der für die Apfelproduktion zuständig ist, die Apfelweine. Spitzenrestaurants in ganz Dänemark wissen die Produkte der beiden mittlerweile zu schätzen. «Die neue skandinavische Küche harmoniert wunderbar mit unseren Produkten», sagt Jørgensen. Ein Ende der Entwicklung in Dänemark, wo Fruchtweine laut Skovgaard gerade einen Boom erleben, ist nicht in Sicht. Er sieht sich und die Cold Hand Winery als Pioniere der neuen, nordischen (Frucht-)Weinkultur. Einer Kultur, die jetzt, in diesem Moment, entsteht. Skovgaard möchte die Frucht noch klarer herausarbeiten, sucht nach Sorten, die für die Expression seines Stils noch geeigneter sind. «Unser Glück ist, dass wir keiner Tradition verpflichtet sind, die uns fesselt. Wir sind quasi dazu angetrieben, kreativ zu sein, und können einen eigenen Stil entwickeln», sagt Skovgaard.

Die Apfelweinrevolution steht vielleicht schon kurz bevor. Tradition muss dabei kein Hindernis sein, wie das Odenwälder Projekt Bembel-With-Care beweist: Designer Benedikt Kuhn macht sie sich sogar zunutze, um daraus eine eigene kleine Welt zu kreieren. In dieser Welt ist alles entstaubt. Der Bembel ist schwarz, und das «Gerippte» (traditionelles hessisches Apfelweinglas) gibt es auch dazu. Apfelwein wird gemischt und sogar in Dosen abgefüllt. So passt er auch in hippe Bars und Restaurants – und nicht mehr nur zur Bergtour.

Unsere Tipps - Eine Auswahl der besten Apfelweine

 

Bembel-With-Care, Deutschland, Barrique Apfelschaumwein 2012

Auf 100 Flaschen limitierter, flaschenvergorener Apfelschaumwein von den Äbbelwoi-Entstaubern aus dem Odenwald. Spannendes Bouquet mit dezenten Barrique-Noten, etwas Rauch und frischem Apfel. Am Gaumen fruchtig-frisch, mit feiner Perlage. Dazu sieht die Flasche noch schick aus.

Preis ca. 19,85 Euro

www.bembel-with-care.de

 

Egge Gård, Norwegen, Stille Liersider 2011

Die unglaubliche Frische und Leichtigkeit dieses Eplesider ist beeindruckend. In der Nase viel frischer Apfel und etwas Karamell. Am Gaumen so saftig und ausgewogen, dass man Angst hat, die Flasche könnte allzu schnell leer sein. Ein Produkt, das nur so vor Trinkfreude strotzt!

Preis ca. 18 Euro

www.eggegaard.no

 

Obsthof am Steinberg, Deutschland, Ananasrenette 2013

Apfelschaumwein für Weinliebhaber! Andreas Schneider gelingt es, aus der fast vergessenen Ananasrenette einen Schaumwein zu kreieren, der alles vereint, was guter Schaumwein haben muss. In der Nase ansprechende Exotik, am Gaumen perfekte Säure und Struktur.

Preis ca. 18 Euro

www.obsthof-am-steinberg.de

 

Graber, Schweiz, Apfelschaumwein Demi-sec

Sehr zarter Duft mit floralen Noten, getrockneter Feige, Bratapfel, Kiwi und Butterscotch. Am Gaumen unaufdringliche, feine Süsse, mit Karamell und einem Hauch Marzipan. Cremiges Mousseux und langer Abgang mit natürlicher, edler Zitrusfrucht. Zur Gänseleber ausprobieren.

Preis ca. 13 Franken

www.grabermost.ch

 

Weidmann & Groh, Deutschland, Trierer Weinapfel 2012

Sommerliches, animierendes Bouquet mit viel frischem, knackigem Apfel, Fenchelsamen und kräuterwürzigen Noten. Am Gaumen vollmundig und sehr erfrischend dank der saftigen Säure und leichtem Tannin. Endet sehr lang auf salzig jodigenNoten. Der perfekte Apfelwein für heisse Tage.

Preis ca. 5,40 Euro

www.weidmann-groh.de

 

Viuda de Angélon, Spanien, Sidra Brut Nature Prau Monga DO

Asturischer, nach der Méthode Champenoise hergestellter Apfelschaumwein. Verwendet werden nur ausgewählte, in der DO zugelassene Apfelsorten. Intensives, rauchig-speckiges Bouquet mit Apfelaromen in allen Variationen. Am Gaumen griffig mit feiner Perlage.

Preis ca. 6,70 Euro

www.sidraviudaangelonpomar.es

 

Cold Hand Winery, Dänemark, Malus X – Feminam 2011

Kreativ und ungewöhnlich. Der Feminam vereint kryokonzentrierten Apfelmost und Eau de Vie. In der Nase volles, intensives Apfelaroma und ein Hauch Karamell. Fein vom achtmonatigen Barrique-Ausbau. Das Spiel von Süsse und markanter Säure am Gaumen ist beeindruckend und erfrischend.

Preis ca. circa 45 Euro

www.coldhandwinery.dk

 

Manufaktur Jörg Geiger, Deutschland, HolzApfel

Sortenreiner Apfelwein aus Sämling Bittenfelder. In der Nase reifes Kernobst, Honig, dazu exotische Frucht und Würze. Sehr feine Holzaromen vom Barrique-Ausbau. Am Gaumen kraftvoll und würzig mit angenehmer, tragender Säure. Erstaunlich langanhaltend.

Preis ca. 12 Euro

ww.manufaktur-joerg-geiger.de

 

Sidra Trabanco, Spanien, Sidra Natural

Intensives Bouquet mit frischem Apfel, Agrumen und Rauch. Aromatisch nicht weit entfernt von einem Naturwein. In der Nase und am Gaumen sehr animalisch. Vollmundiger, fester Apfelwein mit prägnanter Säure und Olivenaroma am Gaumen. Wunderbar unangepasstes Produkt.

Preis ca. 2,99 Euro

www.casamolina.de

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