Die Renaissance des Korks

Auf Kork gebaut

Text und Fotos: Miguel Zamorano

Kaum ein Thema in der Weinwelt erhitzt die Gemüter mehr als die Frage um die Sinnhaftigkeit des Korkens als Verschluss. Verfechter stilisieren ihn zu einem wichtigen Element der Weinkultur; Kritiker hingegen denken vor allem an Weinfehler und Oxidation. Eine Reise in das Herz seines Ursprungsortes, der Iberischen Halbinsel, bringt Klarheit in diese Debatte.

Die Sonne in Lavra, Portugal, steht schon im Zenit, als an einem späten Vormittag im Juli die Arbeit richtig losgeht. Vier Arbeiter beladen die Ladefläche eines LKWs mit Korkrinde, dort schichten sie sie langsam zu einer grossen Korkwand auf. Das anstrengende Beladen findet mitten in einem Korkwald statt, östlich der portugiesischen Hauptstadt Lissabon gelegen. In der Ferne zwitschern Vögel, im Schatten der Korkeichen chillt eine kleine Schafherde.

Seit ein paar Tagen pausiert die Ernte der Korkbäume bei den Zulieferern von M.A.Silva, einem der grössten Korkhersteller des Landes. Es hat geregnet, und die Rinde muss zwei Wochen trocknen, bevor die Erntehelfer wieder die Axt anlegen. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Schnitt die Baumstruktur nicht beschädigt. Die Zeit wird genutzt, um die Rinde wegzuräumen und in das nahegelegene Rohstoffzentrum in Alter do Chão zu bringen. Dort findet der erste, manuelle Auswahlprozess statt – Arbeiter sichten die Korkhälften und schneiden die besten Schichten heraus, aus denen später Naturkorkstopfen gestanzt werden. Der Grossteil der Rinde wird zu Mikroagglomerat verarbeitet, das wiederum zur Herstellung technischer Korken dient, aber auch für Dämmungsplatten, Böden oder Schuhmaterial verwendet wird. 

Szenenwechsel: Eigentlich zählt das Köpfen einer Weinflasche zum weniger wichtigen Teil beim Weingenuss. Die Hauptsache ist, dass die Flasche sauber und der Wein wohltemperiert ist. Doch wenn das Korkgeräusch fehlt, dann findet auch ein zentrales Element der Weinkultur nicht statt. Denn das «Ploppen» gilt als universelle Sprache der Freude. Ein wichtiger Teil einer Zeremonie, die erst zum richtigen Weingenuss führt. Darauf können sich viele Verfechter dieses Verschlusses einigen. Doch wer derart für den Korken als wichtiges Element des Weingenusses kämpft, bekommt fast ausschliesslich mitleidvolle Blicke der Korkkritiker zugeworfen. Diese Fraktion wirft sich mit nicht weniger Elan in die Debatte als die Kontrahenten: Korken sind eine vermeidbare Gefahrenquelle, die im schlimmsten Fall zu muffigem Geruch nach nassem Karton führt. Der vom Trichloroanisole-Pilz (TCA) verursachte Korkgeschmack ist genau das Gegenteil vom Genuss. Wer Korken nutzt, der hat es nicht anders verdient, meinen nicht wenige Winzer, die ihr gesamtes Sortiment mit Drehverschluss ausstatten. Zusätzlich führen sie noch die Konservierung des Weines an, denn mit Drehverschluss gibt es einfach keine Oxidationsgefahr.

Der Ärger mit dem Korken ist gut dokumentiert: Die Menschen wussten bereits im 17. Jahrhundert davon, als in England die ersten Glasflaschen zunächst mit Glasstöpsel verschlossen wurden. Der Kork, der zeitgleich aufkam, wurde wegen Korkschmeckern gemieden. Dass er sich letztlich trotzdem durchsetzte, liegt an seiner Dehnbarkeit und an der einfachen Handhabung. Denn der Kork wird nur in den Flaschenhals gedrückt, der Glasstopfen dagegen muss mit Gel und Öl für den dazugehörigen Flaschenhals präpariert werden. Ein mühsames Unterfangen und auch geschmacklich fragwürdig.

Wie wenig sich die Debatte seitdem verändert hat. Eins muss man der Kork-Kritikerfraktion allerdings zugestehen: Sie lebt den Duktus der Besserwisser konsequent aus, auch weil Besserwissen hier ausnahmsweise zu Besserhandeln führt. Andererseits: In einer Welt, in der Hersteller von Elektroautos ganze Abteilungen damit beschäftigen, den richtigen Motorensound zu kreieren – damit das mit dem Gaspedaldrücken auch akustisch Spass macht –, ist es nicht verwunderlich, dass die Geräusche eines ploppenden Korkens immer noch mehr Freude bereiten als das Drehen an einem Schraubverschluss.

Der Trend zur Nachhaltigkeit

Die gesamte Weinwelt teilt sich grob in Kork- und Drehverschluss-Nutzer ein. Vereinfacht gesagt: Kork wird in der Alten Welt auf der Iberischen Halbinsel, in Frankreich und Italien genutzt. Die Korkkultur, die vor allem die Produzenten vorgeben zu bewahren, wird auch vom örtlichen Konsumenten geschätzt. Eine Flasche mit Drehverschluss als Mitbringsel? Das geht in den genannten Ländern wirklich nur bei sehr harten Weinkennern. In Zentraleuropa sowie in Australien und Neuseeland ist es genau umgekehrt: Hier greift man eher zum Drehverschluss. Allerdings ist das alles nicht in Stein gemeisselt, es gibt immer wieder Veränderungen in den einzelnen Märkten. So machte sich im Frühjahr 2024 eine Winzergruppe um Franz Haas aus Südtirol für die Einführung des Schraubers in Italien stark.

Ein Verschluss, der mittlerweile bei einer von drei Flaschen verwendet wird, wie Amcor, der Produzent des berühmten Stelvin-Verschlusses, auf Anfrage mitteilt. Und der gleichzeitig eine verbesserte Ökobilanz vorlegt: Laut Amcor werden seit 2023 bis zu 46 Prozent der Verschlüsse mit recyceltem Aluminium produziert. Für einen kleineren CO2-Fussabdruck ist das nicht unwichtig, da laut der Aluminium Closures Group (ACG) das Recyceln des Rohstoffs Aluminium bis zu 95 Prozent weniger Energie verbraucht als die Herstellung selbst.

Doch Kork wächst nach und bindet dabei CO2 – beim Wachstum des Baums und nach dem Abrinden, wenn die Rinde nachwächst. Dieser Prozess allein benötigt sieben bis neun Jahre. An jeder Korkeiche ist das Abrindejahr sichtbar an der Zahl, die an dem nackten Baumstamm zu sehen ist.

Dass die Arbeit mit der Korkeiche nachhaltig ist, hat dem Korken nicht allein zu seinem Überleben verholfen. Die Branche hat gelernt, das Problem mit dem Korkgeschmack in den Griff zu bekommen. Dabei mussten die grossen Korkproduzenten den Fokus auf Technik und Wissenschaft legen. Und das geschah relativ spät. Ende der 1990er Jahre war das Problem mit dem Geschmack besonders virulent. Das Phänomen TCA war zwar bekannt, aber nur unzureichend beschrieben. Fachleuten fiel der Geruch und Geschmack nach nasser Pappe bis dahin immer wieder bei einzelnen Flaschen auf. Doch es passierte nur wenig. Erst als einzelne Weinländer komplett auf Drehverschluss wechselten, wurde die Korkbranche wachgerüttelt. Den Switch zum Drehverschluss führten Neuseeland und Australien an, die ihre Pinots und Sauvignon Blanc Anfang der 2000er Jahre mit diesem neuen Verschluss auf den Markt brachten. Die Korkproduzenten reagierten erst dann auf das Problem.

Ein Kraftakt der Wissenschaft und Technik

Portugal ist der grösste Hersteller der Branche, die jedes Jahr 2,2 Milliarden US-Dollar umsetzt. Das industrielle Herz der portugiesischen Korkbranche schlägt in Santa Maria da Feira. Im Norden des Landes und südlich von Porto haben über 600 Korkbetriebe ihren Sitz. Auch M.A.Silva, das mit 600 Millionen Korken zu den grossen Playern zählt, unterhält hier seine Fabriken. In direkter Nachbarschaft mit dem Konkurrenten Amorim, der gut achtmal so viele Korken auf den Markt wirft. Das Alentejo mit seinen sanften Hügeln und grasenden Schafherden ist hier weit weg.

Aus der Nähe kann man beobachten, welchen Aufwand die Industrie betreibt, um möglichst saubere Korken zu produzieren. Die technologische Aufrüstung ist beachtlich. Ganze Laboreinheiten sind praktisch mit nichts anderem beschäftigt, als nachzuweisen, dass die verarbeiteten Korkrinden keine oder nur geringe TCA-Werte aufweisen. Für den Menschen spürbar ist TCA erst ab einem Wert von 0,5 Nanogramm pro Liter. Mittels Gasphasenspektroskopie, die M.A.Silva einsetzt, werden Korken auf diesen Wert geprüft. «Unsere Geräte spüren einen Tropfen TCA in etwa 800 olympischen Schwimmbecken auf», sagt M.A.Silva-Sprecher Nuno Silva.

Dazu wird jeder Korken einzeln analysiert. Ein Verfahren, das vor allem Verschlüssen der Premiumklasse vorbehalten ist. Und kürzlich gab M.A.Silva bekannt, dass nun auch künstliche Intelligenz bei dem Aufspüren von möglichen Korkfehlern eingesetzt wird. Eine Kamera soll künftig die optische Untersuchung eines Korkens übernehmen, Fehlermerkmale finden und sofort aussortieren. Ein Teil der optischen Analyse geschieht schon heute – die Arbeiter im Raw Material Center in Alter do Chão führen eine erste visuelle Analyse durch. Aber erst die künstliche Intelligenz soll es ermöglichen, fehlerhafte Muster in grossen Mengen vorzufinden und damit etwaige menschliche Fehler bei der Sortierung zu minimalisieren. Ein weiterer Nebeneffekt: Die künstliche Intelligenz soll auch den schleichenden demographischen Wandel bei den Arbeitskräften neutralisieren. «Wir finden immer weniger Leute, die am Band arbeiten und Kork analysieren wollen», erklärt Nuno Silva.

Schreitet man durch die Verarbeitungsfabrik in Santa Maria da Feira, fällt sofort auf, dass von der Natur-Aura, die den Korkwald weiter südlich im Alentejo umhüllt, kaum etwas übrig geblieben ist. Hier wird der Korkstreifen am laufenden Band gelöchert, zermalmt, zerkleinert und zerhackt. Es ist laut, die Arbeiter tragen Hörschutz. Das Korkgranulat wird durch dampfende Röhren gejagt, sterilisiert und dann sortiert. Etwas später spuckt eine Stanzmaschine den gepressten Kork wieder aus. Nur so entstehen Korken in gewünschter Dicke für hochwertige Schaumweine. Aber auch Korken, die für Bier und Weine im Einstiegs- und mittleren Segment geeignet sind.

Ein Bereich, in dem die Schrauber sich erfolgreich etabliert haben: Weissweine und jung zu trinkende Gewächse kommen längst mit Drehverschluss auf den Markt. Der Kork ist noch bei hochwertigen Weinen erwünscht, die mit der Zeit reifen dürfen und das auch sollen. Schafft die Branche das Comeback? Sie hat keine andere Wahl. Das meiste Geld verdient sie nach wie vor mit der Herstellung von Korken, die Verarbeitung von anderen Gütern aus dem Rohstoff ist arbeitsintensiv und wirft nicht den gleichen Gewinn ab.

Bei Schaumwein nach traditioneller Methode wird die Branche wohl noch eine Weile auf blühende Korkeichen hoffen. Einen Champa­gner Dom Pérignon mit Aluminiumverschluss gibt es (noch) nicht.

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