Interview mit John H. Wurdeman

Master of Orange Wine

Text: Eva Maria Dülligen, Foto: z.V.g.

Wenn er in seinem Pickup durch die Weinberge brettert, hört er Patty Smith, Neil Young und Jethro Tull. Auf georgischen Festen stimmt er in traditionelle Volksmusik ein. Der US-Amerikaner John H. Wurdeman ist eine kontroverse Lichtgestalt, die die Naturwein-Revolution mitgeprägt hat. Wie, erfuhren wir auf seinem Weingut in Sighnaghi.


John, wie viele Gläser Natural Wine hast du heute getrunken?

John Wurdeman: Keins. Manchmal nehme ich die Gelegenheit gern wahr, keinen Wein zu trinken. Morgen früh fliege ich mit meiner Tochter von Tiflis nach Mailand, da möchte ich fit sein. Wenn ich Wein trinke, dann nur Natural Wine. Es sei denn, es handelt sich um einen 30 Jahre alten Petrus.

Wirst du in Italien deine Weine promoten?

Nein, meine Tochter Gvantsa beginnt ein Studium in Mailand. Ich werde mit ihr dort ein Apartment suchen und helfen, alle bürokratischen Dinge für den Umzug zu regeln. Ansonsten bewerbe ich meine Natural Wines international zum Beispiel auf Pop-Up Events in Kopenhagen, San Paulo, Oslo, London, Stockholm oder Taipeh.

Was willst du den Menschen auf deinen weltweiten Wein-Missionen über georgischen Natural Wine mitgeben?

Dass handwerklich gut gemachter georgischer Qvevri-Wein beeindruckend anders ist als die meisten sich selbst überlassenen Weine: gradliniger, archaischer, kunstgerechter. An der Qualitätsspitze findet sich Spannung bei gleichzeitiger Harmonie und ein aromatisches Spektrum, das für viele Weingeniesser eine völlig neue Erfahrung darstellt.

Wie kommunizierst du das im Ausland?

Wenn es Weinliebhaber nicht nach Georgien reisen können, bringen wir ein Stück Georgien mit. Anfang April war ich zum Beispiel in der Steiermark, eine Region, die selbst vortreffliche Natural-Wine Erzeuger wie Peter Skoff hat. Im steirischen Jagawirt mit biobasierter Küche fand unser Georgien Pop Up mit Natural Wines und Gerichten vom Slowfood-Restaurant Poliphonia aus Tiflis statt.

Bei euch auf dem Weingut Pheasant’s Tears findet die Gärung in Qvevris, in bauchigen Tongefässen, statt. Was ist das Besondere an dieser Technik?

Sobald sich die Qvevris unter der Erde befinden, nutzen sie minimale Temperatur-Schwankungen. In der Herbstmilde wird die Spontan-Vergärung forciert. Die Kühle des Winters sorgt für die Stabilisation des Weins. Wenn man Orange Wine macht, hat der Traubensaft so lange Maischekontakt, bis er eine intensive Gerbstoffstruktur besitzt, intensive Aromatik und Farbe, die bei Weisswein von Bernstein bis Tieforange reicht. Man kann sagen: Es existiert keine naturnähere Methode der Vinifikation. 2013 hat die UNESCO dieses älteste Verfahren der Weinherstellung auf die Liste des immateriellen Weltkulturerbes gesetzt.

Wo genau markierst du den Unterschied zwischen Weisswein und Orange Wine?

Master of Wine Sarah Abbott sagte einmal, Georgischer Orange Wine sei nicht die gewöhnliche Schwester des Weissweins, sondern viel mehr die selbstreflektierende Cousine des Rotweins. Diese Metapher legt nahe, dass Weissweine aus Qvevris, wenig mit klassischem Weisswein gemein haben. Sarah meinte, das erste Mal georgischen Orange Wine zu trinken, sei wie die Begegnung mit dem fünften Element.

Kannst du dich noch daran erinnern, wann deine Passion als US-Amerikaner für die georgische Kultur erwacht ist?

Mit 15 Jahren bin ich auf dem Skateboard zu meinem Lieblings-CD-Laden «Plan 9» in Richmond gesurft. Auf dem Weg zu meiner Skateboarder-Music-Ecke fiel mir ein CD-Cover mit archaisch wirkenden Schriftzeichen ins Auge. Der Tonträger hiess «Georgian Folk Music Today». Als ich ihn zuhause in meinem CD-Player schob, pulste Musik aus den Boxen, wie ich sie vorher noch nie gehört hatte. Ein polyphoner Gesang, bei dem die Stimmen spielerisch ineinanderflossen, ergreifend wie mehrstimmiger Vogelgesang, der nacheinander einsetzt. Das war in gewisser Weise eine von sehr vielen Initialzündungen für meine Liebe zu Georgien.

1996 hast du in Sighnaghi ein Haus gekauft, und 1998 bist du dauerhaft nach Georgien gezogen. Aber erst 2007 hast du das Weingut Pheasant’s Tears ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?

Damals sass ich bei brüllender Hitze in einem georgischen Weinfeld und malte. Malen und das Sammeln und Aufnehmen von Folklore-Liedern waren damals mein Lebensinhalt. Plötzlich kam ein alter Sowjet-Traktor mit ohrenbetäubendem Lärm um die Ecke. Der junge Mann auf dem Trecker schrie etwas durch den Krach und ich bedeutete ihm, dass ich nichts verstehen würde. Er konnte den Traktor nicht ausmachen, weil der keinen Anlasser hatte. Schliesslich verstand ich, dass er mich zum Abendessen einlud.

Gela Patalashvili, der Mann auf dem Traktor, hat dich nicht ohne Hintergedanken zu diesem Festmahl eingeladen...

Gela hat den Ausbau in Qvevris vom Grossvater gelernt. Er meinte, dass viele Weine, die von hier aus um die Welt gingen, nicht georgisch sprächen, sondern auf ein paar heimische Rebsorten von über fünfhundert hier existierenden reduziert und in Edelstahltanks dem Mainstream-Geschmack angepasst würden. Weil Gela von meiner Liebe zur georgischen Kultur wusste, bat er mich um Hilfe: Du sprichst viele Sprachen und hast Kontakte in die ganze Welt. Gib unseren Weinen ihre Stimme zurück.

Was hat dich überzeugt, dein Leben als Maler hintanzustellen und dich georgischem Amphoren-Wein hinzugeben?

Ich überschreibe das mal mit: Es ist einfacher eine Tradition zu bewahren als sie wieder herzustellen. Im Laufe der Jahre habe ich Amphorenweine von Autodidakten und solche von Weinmachern verkostet, die seit Generationen Weine in Qvevris herstellen. Man schmeckt die Erfahrung. Und genau an diesem Punkt setze ich an. Denn etwa 90 georgische Erzeuger, die in Qvevris ausbauen, bilden ein Schieflage zu Millionen von Flaschen seelenloser Weine aus Riesen-Edelstahltanks, die vor allem nach Russland fliessen. Gela und ich kauften die Rechte von Dorfbewohnern, bis zu 100 Jahre alte Qvevris auszugraben. Darin bauen wir ökologisch nach traditioneller Methode und ausschliesslich mit autochthonen Rebsorten aus: diametral der globalen Technisierung des Weinbaus entgegengesetzt.

Inzwischen giltst du als inoffizieller Botschafter georgischer Kultur. Auf welche Weise hast du in Qvevris ausgebauten Natural Wine aus der internationalen Versenkung geholt?

Im Laufe der Natural Wine Bewegung zeichnete sich ab, dass Natural Wine, der in den vergangenen Jahrzehnten als «Hippiesaft» herabgewürdigt wurde, plötzlich weltweit in Michelin-Sterne-Restaurants serviert wird. Wenn Gäste sehen, dass unser Rkatsiteli im Kopenhagener Sternerestaurant Noma auf der Wein-Liste steht, ist die Neugier geweckt. Es existieren zwei verschiedene Märkte für zwei Arten von Weintrinkern: die, die Blockbuster bevorzugen und jene, die Independent Filme lieben. Wir sprechen über Social Media oder Messen wie The Real Wine Fair in London explizit Menschen an, die authentische Weine wollen.

Du bist schon dein ganzes Leben Vegetarier. Die georgische Küche ist bekanntlich fisch- und fleischlastig. Wie geht das in deinem Restaurant «Pheasant’s Tears» zusammen?

Als ich Georgien 1995 zum ersten Mal bereiste, wurde ich zu einem Festmahl eingeladen. Der Tisch bog sich unter der Last der vielen Köstlichkeiten aus Gemüsen: Wildpilze, Pa­prika, Rote Bete, Auberginen und herrliche Gewürze. Man bekommt alles auf den Bauernmärkten.

«Wir sorgen uns um die Herkunft unserer Lebensmittel. Warum übertragen wir dieses Ethos nicht verstärkt auf das, was wir trinken?»

Gemeinsam mit meinem Chefkoch Gia Rokashvili kreiere ich Menüs, die überwiegend vegetarische Gänge wie geräucherte Auberginen oder Wasserbüffel-Joghurt mit Granatapfelsirup anbieten. Neben vielen vegetarischen Gerichten servieren wir auch Gerichte aus Fleisch ethnischer Herkunft und zelebrieren eine grosse Auswahl an georgischer Küche. Ich mache mein kulinarisches Selbstbewusstsein nicht zum Dogma.

Bei unserem Tasting stach einer deiner Natural Wines klar hervor: Poliphonia, der die Weinwelt wie ein Rasiermesser in Fans und Feinde teilt. Warum polarisiert er so?

Poliphonia ist ein Verschnitt von 117 weissen und roten Rebsorten aus einem Versuchs-Weingarten bei Tibaani. Wir wollen damit autochthone Rebsorten erhalten und fördern. Der Name rekurriert auf die georgischen mehrstimmigen Choräle. Ich nenne ihn «harmonisches Chaos»: Stimmen in unterschiedlichen Tonhöhen und Intervallen verschmelzen zum Wohlklang. Die einen bezeichnen ihn als planlos, andere als intellektuell.

«Pheasant’s Tears», der Name eures Weinguts und Restaurants, klingt ungewöhnlich. Wo kommt er her?

Der Weingutsname sollte die pure Schönheit unserer Weine in georgischer Bildsprache widerspiegeln. Also habe ich alte Männer in Sighnaghi beim Backgammon-Spiel belauscht, als sie über Wein sprachen. Sighnaghi liegt an der kachetischen Weinstrasse im Osten Georgiens und ist ein Ort, an dem Wein eine Seele hat. Eines Sommerabends hatte ich es, als ich hörte, wie einer der Männer sagte: Nur der beste Wein rührt den Fasan zu Freudentränen, wenn er daran nippt.

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