Châteauneuf-du-Pape

Dem Klima die Stirn bieten

Text: Birte Jantzen / Fotos: Stéphane Chalaye, Guenhael Kessler

Hier gibt es nichts Glamouröses, vielmehr enge Gassen, alte Häuser, Terrassengärten mit Kakteen, Zypressen und Olivenbäumen, ein paar kleine Geschäfte und einen steilen Weg durch das Dorf hinauf bis zur imposanten Ruine des ehemaligen Sommerpalastes der Päpste. Von dort ist der Ausblick traumhaft: Weinberge, Dörfer, bewaldete Hügel, gen Süden die gezackte Silhouette des Massif des Alpilles, gen Osten der fast 2000 Meter hohe Berg Mont Ventoux, an dessen Hängen so manch ambitionierter Radfahrer sonntags auf der Strecke bleibt. Das glitzernde Band des Rhône-Flusses schlängelt sich von Nord nach Süd und umrundet das Terroir von Châteauneuf-du-Pape gemächlich an seiner Westseite. Weniger gemächlich ist der Mistral, ein kühler, oft sehr lebhafter Fallwind aus nordwestlicher Richtung, der fast hundert Tage pro Jahr das Rhône-Tal zerzaust, die Wolken vertreibt und die Weintrauben nach Regen in Rekordzeit trocknet. Die Sonne scheint gut 2800 Stunden im Jahr, das Klima ist eigentlich mediterran und vorbildlich für den Weinbau. Eigentlich. Wäre da nicht der berühmt-berüchtigte Klimawandel.

Ob man ihn nun ernst nimmt oder ignoriert: Es wird wärmer, trockener, das Wetter launischer, jeder Jahrgang immer unvorhersehbarer mit zum Teil dramatischen Folgen für den Weinbau und ganz allgemein für die Landwirtschaft. Noch freuen sich die Winzer der Champagne und an der Loire, denn in kühleren Gefilden werden die Trauben nun regelmässiger vorbildlich reif. Im Süden hingegen macht sich Besorgnis breit. Im Burgund hagelt es immer regelmässiger, im Roussillon hat es seit zwei Jahren fast nicht mehr geregnet, in der Provence gibt es immer häufiger dramatische Waldbrände, die auch vor Weinbergen nicht mehr Halt machen, und im südlichen Rhône-Tal kämpfen die Winzer mit Wassermangel, ungewöhnlich langanhaltenden Hitzewellen und steigendem Alkoholgehalt in den Weinen. Wer nicht spätestens jetzt sein Weinbergsmanagement überdenkt und neue Strategien entwickelt, um sich den klimatischen Herausforderungen – und dem kommenden Wassermangel – anzupassen, der wird wohl in recht naher Zukunft den Zug verpassen. Zwar ist die Rebe von Natur aus äusserst widerstands- und anpassungsfähig, allerdings kommt das agronomische Leitbild der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Weinberg heute klar an seine Grenzen.

Global denken, lokal handeln

Kurioserweise sind es nicht unbedingt die wirtschaftlich erfolgreichsten Winzer, die ihre Praktiken als Erstes um- und in Frage stellen. Viel häufiger fängt die Veränderung bei den Weingütern an, die wirtschaftlich mehr zu verlieren haben – oder vielleicht auch gerade deshalb. Mittlerweile ist auch die junge Winzergeneration ein zentrales und treibendes Element. Dass sich aber gleich ein ganzes Weinbaugebiet kollektiv der Herausforderung stellt, das bleibt, obwohl am sinnvollsten, noch immer die Ausnahme. Und Châteauneuf-du-Pape ist ebenso eine Ausnahme: Hier wird der Klimawandel-Stier grossflächig an den Hörnern gepackt. Zu denken, es gäbe nur einen richtigen Weg, wäre nicht nur falsch, sondern hinderlich, denn das Thema Klimawandel ist einfach zu komplex und von spezifischen örtlichen Gegebenheiten abhängig, um nur eine Antwort zu ermöglichen. Michel Blanc, Direktor des Winzerverbands von Châteauneuf-du-Pape, fasst es pragmatisch zusammen: «Global denken, lokal handeln!»

Vielmehr geht es also darum, an verschiedenen Punkten anzusetzen, um so die Rebberge insgesamt immer anpassungsfähiger zu machen. Dabei hat Châteauneuf-du-Pape den umliegenden Weinbaugebieten gegenüber einen ganz entscheidenden Vorteil: die Anzahl der im Pflichtenheft zugelassenen weissen und roten Rebsorten. Schon 1936, als die Appellation per Dekret die allererste französische AOC (geschützte Ursprungsbezeichnung) wurde, waren von vornherein 13 Rebsorten zugelassen (mit den farbigen Varianten insgesamt 18). Es gab weder Haupt- noch Nebenrebsorten, und nicht selten wurden sie bunt gemischt gepflanzt, zusammen geerntet und vinifiziert.

Häufig kamen beim Rotwein zum Beispiel auch weisse Trauben mit in den Gärtank, für mehr Finesse und Frische – eine Tradition, die auf dem biodynamisch geführten Domaine de Beaurenard gepflegt wurde und noch immer wird. Während des 20. Jahrhunderts verschwand diese Tradition von den meisten Weingütern, ist heute aber wieder stark im Kommen. Als das Pflichtenheft von Châteauneuf-du-Pape 2010 vom Winzerverband neu überarbeitet und 2011 der staatlichen Einrichtung INAO (Institut national de l’Origine et de la Qualité) vorgelegt wurde, wollte letztere diese Freiheit unterbinden und Haupt- und Nebenrebsorten festlegen lassen. Nach sechs-monatigem administrativem Gerangel konnte sich Châteauneuf schliesslich durchsetzen. Ein ziemlicher Glücksfall. Die meisten Appellationen des südlichen Rhônetals haben sich auf einige wenige Rebsorten spezialisiert und kämpfen mit steigenden Alkoholgehalten. Die Winzer von Châteauneuf können auf die komplementären Eigenschaften ihrer Rebsorten zurückgreifen. Der Anteil von Syrah, Grenache und Mourvèdre kann frei nach Belieben reduziert und mit weissen Rebsorten wie Picpoul Blanc und Bourboulenc kombiniert werden. Resultat: Der Alkoholgehalt wird reduziert, und der Wein bewahrt mehr Frische. Nur Rosé darf nicht dabei rauskommen. Insgesamt setzen die Winzer heute mehr und mehr auf Weisswein. Noch macht er nur fünf Prozent der Produktion aus, die Tendenz ist aber steigend.

Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit

Um die genetische Vielfalt der Rebsorten zu bewahren und nicht von der limitierten Auswahl der französischen Rebschulen abhängig zu sein, wurde 2018 ein eigenes Rebsortenkonservatorium ins Leben gerufen. Nach vier Jahren sorgfältiger Beobachtung von 40 bis 120 Jahre alten, quer über die Appellation verteilten Rebstöcken wurde 2023 eine sorgfältige Massenselektion gestartet, und 2024 wird die erste Parzelle des Konservatoriums gepflanzt. Eine sinnvolle Strategie, ist doch so manch vergessene Rebsorte nicht nur für den Wein selbst interessant, sondern in Zeiten des Klimawandels auch für den Weinberg.

Zusätzlich wird kollektiv am Erhalt und an der Förderung von Biodiversität gearbeitet: 35 Prozent des gut 3100  Hektar grossen Territoriums von Châteauneuf werden biologisch bewirtschaftet – der französische Durchschnitt liegt bei neun Prozent –, und über 70 Prozent der gesamten Appellation verzichten im Kampf gegen den Traubenwickler auf Insektizide. Manch einer mag sich fragen: Was hat das mit dem Klimawandel zu tun? Die Antwort ist: eine ganze Menge. Denn wer sich mit Biodiversität auseinandersetzt, dem wird schnell klar, wie stark die beiden Themen miteinander verwoben sind, im Grossen wie im Kleinen.

 

Mikroskopisch wird es in Sachen Bodenleben. Klar ist: Je ausgewogener der Anteil an organischer Substanz im Boden, desto effizienter wird dessen Fähigkeit, Wasser und Kohlenstoff zu speichern, Nährstoffe ab- und umzubauen und den Reben verfügbar zu machen. Monokultur, fehlende Begrünung, zu häufiges Umpflügen, aber auch der Einsatz von Pestiziden gehören zu den Faktoren, die generell einen negativen Einfluss auf Bodenstruktur und Bodenleben ausüben. Noch sind sich die Winzer bei dem Thema uneinig, und jeder entwickelt seine eigene Strategie. Edouard Guérin, technischer Direktor des Weingutes Clos de l’Oratoire des Papes, setzt zum Beispiel auf das Ausbringen von kompostiertem Mist: «Innerhalb von nur sechs Jahren haben unsere Böden an organischer Substanz gewonnen. Heute liegen sie bei 2,4 Prozent und in den nächsten Jahren wollen wir auf vier Prozent kommen.» Man sieht sofort den Unterschied: «Die Vitalität der Reben hat zugenommen. Allerdings auch die der Bodenbedeckung. Letztendlich zähmen sie sich mehr oder minder gegenseitig.» Ganz auf Bodenarbeiten kann Guérin also noch nicht verzichten. Insgesamt gesehen spart er jedoch schon jetzt Fahrten mit dem Traktor, das heisst fossile Brennstoffe und somit CO2.

Florent Lançon vom Weingut Domaine de la Solitude setzt zu hundert Prozent auf Nachhaltigkeit. Von klein auf von Pflanzen fasziniert, machte er einen Masterabschluss in Biologie, funktionaler und evolutionärer Ökologie. Winzer wollte er eigentlich nicht werden, aber unverhofft kommt oft, und er übernahm das Familien-Weingut in achter Generation. Seit 2007 tobt er sich im Weinberg aus und war der Erste, der in Châteauneuf anfing mit Schafen zu arbeiten. Erst wurde er spöttisch belächelt, heute werden 20 Prozent der Appellation beweidet. Gäbe es genügend Schäfer, wären es noch mehr. Was die Nachhaltigkeit anbelangt, schlagen die Schafe den Traktor mit links: natürliche Rasenmäher ganz ohne Diesel, die im Winterhalbjahr die Begrünung bis kurz über dem Boden abgrasen und den darunter versteckten Pflanzen helfen durchzutreiben. Sie sind bienenfreundlich, düngen gratis und ziehen eine Fülle von Nützlingen an. Echte Tausendsassa. Heute kümmert sich der Winzerverband um die Organisation rund um die Schafe, auch um die Winzer zu entlasten.

Florent Lançon ist auch im Weinkeller ein Vorreiter. Er fand Notizen seines Urgrossvaters über die Weinherstellung, damals ganz trivial ohne Technik, ohne Önologie und ohne Elektrizität. 2016 beschloss er ihn nachzuahmen und hat wohl nicht damit gerechnet, dass dieses amüsante Lowtech-Zero-Carbon-Experiment einen der spannendsten Rotweine der Appellation hervorbringen würde. Mittlerweile gibt es diesen auch als umwerfenden Weisswein. Manchmal liegt die Zukunft eben auch in der Vergangenheit.

Ins Gleichgewicht bringen

Erfrischend ist die ganzheitliche Strategie der Appellation, wieder mehr Abwechslung ins Landschaftsbild zu bringen. Von der jungen Winzergeneration initiiert, wurde zum Ziel gesetzt, über die nächsten Jahre 42 Kilometer an Feldhecken und Bäumen zu pflanzen. Genauer betrachtet handelt es sich um Agroforstwirtschaft, ein historisches Bewirtschaftungssystem, welches bereits im Mittelalter weit verbreitet war, zum Ende des 19. Jahrhunderts jedoch aus vielen Agrarlandschaften verschwand – auch aus den Weinbergen. Genannt wurde das Projekt: der Heckenmarathon. Hier zahlt sich aus, dass der Winzerverband schon vor Längerem eine exakte Kartierung der Appellation anfertigen liess. Sie zeigt nicht nur die Ausrichtung und genaue Aufteilung der Parzellen, sondern gibt auch Auskunft über Bodenvariationen, Grünflächen und Gehölze, Steinmauern, Terrassen – sogar zur Bekämpfung der Rebkrankheit Goldgelbe Vergilbung wird die Karte genutzt. Sie erleichtert das Anlegen der Hecken, welche nicht nur für die Biodiversität von Vorteil sind, sondern auch für das Mikroklima in den angrenzenden Parzellen. Es sind Inseln der Frische, vor allem an heissen Sommertagen. Sie helfen Feuchtigkeit zu speichern und verhindern bei Regen und starkem Mistral Erosion. Die junge Generation steht mit Begeisterung hinter dem Heckenmarathon, manch einer der älteren Generation schaut mit Misstrauen auf die grüne Invasion.

So wird viel auf Kommunikation gesetzt, auf gemeinschaftliches Arbeiten und auf Weiterbildung. Dass die Agroforstwirtschaft nebenbei Einfluss auf den Wasserhaushalt ganzer Landstriche bis hin zu lokalen Wetterphänomenen hat, ist ein echter Pluspunkt, aber noch wenig bekannt. Der einzige Dämpfer: Um wieder Gleichgewicht in ein gestörtes Agroökosystem zu bringen, braucht es Zeit. Die Frage ist: Haben wir die?

Die einen schauen weg, die anderen krempeln die Ärmel hoch. So auch Château de Beau­castel. Gerade wird ihr neuer Lowtech-Weinkeller fertig.

In althergebrachter Pisé-Bauweise errichtet, wurde der imposante Lehmstampfbau aus vor Ort recycelten und regionalen Materialien gefertigt: ein vollkommen bioklimatischer Weinkeller, der sich selbst thermisch reguliert und nur wenig Energie verbraucht.

Auch Château de Nalys wird demnächst seinen alten Weinkeller durch solch einen bioklimatischen Lehmstampfbau ersetzen. Die Inspiration für diese Bauweise hat sich zumindest Beaucastel von einem der renommiertesten Weingüter der Provence geholt: Domaine de Trévallon. Hier steht so ein Keller schon länger, allerdings im Kleinformat. Eine weitere Inspiration sind die Weinberge von Trévallon. Auf der Nordseite des Massif des Alpilles gelegen, eingebettet im Wald, ist das Mikroklima hier frischer als in Weinbergen südlicher Ausrichtung. Auch profitieren sie im Sommer stärker vom kühlenden Mistral. Eine Vielzahl von Rebsorten wächst hier, aber es gibt nur einen Rot- und einen Weisswein, stets frisch und finessenreich. Der jüngst verstorbene Eloi Dürrbach setzte auf Trévallon kompromisslos seine Vision des Weins um. Heute zeigt sich, wie weit er seiner Zeit voraus war. In Gigondas folgt das Weingut Domaine Les Chênes Blancs diesem Beispiel. Es wird viel mit ganzen Trauben gearbeitet, um trotz der heissen Sommer Frische und Tiefe in die Weine zu zaubern, und Clément Roux strukturiert gerade seine gesamten Weinberge neu, um sie für die Zukunft zu wappnen. Noch ist die Produktion klein und ein absoluter Geheimtipp. Dank seiner vorausschauenden Strategie gehört er morgen sicher zu den Besten seiner Appellation.

Wie wichtig die Lage der Parzellen in Zeiten des Klimawandels ist, zeigt auch das in Gigondas gelegene Weingut Domaine de Piéblanc. Viele der Winzer dort besitzen Weinberge in Châteauneuf-du-Pape. Nicht Matthieu Ponson. Er investierte lieber in höher gelegene Parzellen rund um das malerische Dörfchen Suzette, oben in den Dentelles de Montmirail, einem kleinen Gebirgszug am Fusse des legendären Mont Ventoux. Die Parzellen sind in schmalen Terrassen angelegt und folgen den natürlichen Kurven der Hänge. Dabei entsteht eine Vielfalt von Ausrichtungen und Höhenlagen. Kombiniert mit der lokalen Flora und Fauna zeigt diese Art von Weinbergsmanagement, wie der Weinberg von morgen aussehen könnte. Selbst in Châteauneuf-du-Pape ist das zumindest teilweise umsetzbar, einige Winzer machen dies auch schon. Stellt sich letztendlich die Frage: Ist Weinbau unter solch extremen Bedingungen überhaupt zukunftstauglich? Fakt ist, dass dank der Initiativen sowohl des Winzerverbandes als auch der Winzer von Châteauneuf-du-Pape die besten Weine der Appellation trotz Klimawandel immer frischer und eleganter werden. Parker-Stil ade.

Sicher wird in Zukunft weniger produziert und Befürworter der künstlichen Bewässerung werden von der neuen Realität des Wassermangels unerbittlich eingeholt werden. Aber es besteht Hoffnung, und das Beispiel von Châteauneuf-du-Pape zeigt, wie man kreativ und kollektiv den Unwägbarkeiten des Klimas die Stirn bieten kann. Und sei es, indem man wie auf dem Weingut L’Or de Line durch Nistkästen die Fledermäuse dazu einlädt, in den Weinbergen mal wieder vorbeizuschauen.

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