Beaujolais, Touraine, Lambrusco, Valpolicella: Frankreich und Italien gelten seit jeher als Garanten für beschwingte rote Sommerweine. Ist das heute noch so, in Zeiten der Klimaerwärmung? Ja, lautet das Fazit dieses VINUM-Profipanels, das diesmal Weine mit viel Trinkspass für wenig Geld vorstellt. Übrigens mit leichten Vorteilen für die Franzosen, die in den Top 3 unter sich waren.
Wer glaubt, die Klimaerwärmung habe die leichten roten Sommerweine weggepustet, der irrt sich. Es gibt sie noch, die beschwingten Roten, die kühl getrunken oft mehr erfrischen als Rosés oder Weissweine. Stolze 19 der total 25 verkosteten Weine dieses Panels wurden von der Jury für hochsommertauglich befunden. Verkostet wurden Gewächse aus Frankreich und Italien – Länder, in denen die leichten Roten eine grosse Tradition haben. Wie die Resultate zeigen, ist etwa das Beaujolais noch immer ein sicherer Hafen für Weine dieser Art. Und dass auf dem vierten Platz ein klassischer Bardolino vom Gardasee für 16.80 Franken landete, weist auf ein anderes Fazit dieser Panelverkostung hin: Gute Sommerweine sind nicht teuer. Der Durchschnittspreis aller 25 verkosteten Weine lag bei moderaten 23 Franken. Das beste Verhältnis zwischen Qualität und Preis wies übrigens der Unlitro 2021 vom Weingut Ampeleia aus der Toskana auf. Von allen neun Verkostern als «frisch» eingestuft, erzielte er sehr gute 17 Punkte. Und das alles für 19.90 Franken – für die Literflasche wohlgemerkt. Beeindruckend war auch die enorme stilistische Vielfalt der Weine auf trinkigem Niveau. Mit diesem Panel beweisen Italien und vor allem Frankreich, dass sie in Sachen leichte Sommer-Rotweine noch immer den Ton angeben. Vielleicht heute sogar noch mehr als früher. Es gibt übrigens einen sicheren Tipp für maximales rotes Trinkvergnügen im Sommer: Man wähle von renommierten Weingütern die roten Basisweine aus. Das funktioniert vom Burgund mit dem Bourgogne Rouge und dem Beaujolais Village übers Veneto mit dem Valpolicella Classico bis zur Toskana, wo heute oft nurmehr der einfachste Chianti Classico ein sommertaugliches Gewächs ist.
Lieber Rot als Rosé
Allein schon das Farbenspiel der Weine in diesem Panel ist dazu angetan, für Abkühlung zu sorgen. Denn was da hellrubinrot oder in zarten Himbeertönen transparent im Glas funkelt, suggeriert bereits beim blossen Anblick kühlende Frische. Was für ein Unterschied zu der immer noch wachsenden Masse an dunkelvioletten oder gar pechschwarzen Säften, die den Eindruck vermitteln, dass man in der Schwergewichtsklasse gelandet ist! Mit einem Beaujolais Village oder einem Bardolino vom Gardasee kann einem so ein Malheur nicht passieren. Und trotzdem gelten gerade diese grossen Klassiker unter den roten Sommerweinen heute nicht gerade als trendy. Die Meinungsmacher und Influencer propagieren für den Sommer viel lieber Schaumweine, Weissweine oder Rosés. Dabei kann ein leichter, kühl getrunkener Rotwein mit feiner frischer Frucht und edler Herbe bedeutend mehr animieren als einer der vielen gefälligen, oft etwas konturlosen und nicht selten leicht süssen Rosés.
Beim Thema Sommerwein sehe ich immer wieder eine Szene vor mir, die ich mir vor einigen Jahren in Chioggia im Veneto einprägte. Wir sassen auf einer Restaurantterrasse im Schatten eines Strohvordaches und genossen zum gebratenen Fisch einen kühlen Bardolino vom Gardasee (ein nachträglicher Dank an den Wirt, der die Grösse hatte, in so einem Touristen-Magnet, wo die Leute fast alles zu jedem Preis trinken, einen so subtilen und preisgünstigen Wein auf die Karte zu setzen und dann noch kühl zu servieren…). Nur wenige Meter entfernt sass ein anderes Paar in der Sonne und hatte neben ihren Pici con Ragù doch tatsächlich einen Amarone stehen… Pralle Sonne, 32 Grad Celsius, Teigwaren mit schwerer Sauce und dann noch ein warmer Amarone im Glas, dio mio, schon beim blossen Hinsehen bildeten sich Schweisstropfen auf meiner Stirn.
Viel Alkohol und doch frisch?
Bleibt die Frage: Was ist ein roter Sommerwein? Nun, jeder Rotwein, den man im Sommer entkorkt, würde vielleicht der Pragmatiker sagen. Als es um die Planung dieses Profipanels ging, war die erste Idee, ein Höchstlimit bezüglich des Alkoholgehalts festzulegen. Dies in der Überzeugung, dass nur Weine mit wenig Alkohol, also beispielsweise mit weniger als 13,5 Volumenprozent, überhaupt für sich in Anspruch nehmen können, für heisse Sommertage geeignet zu sein. Doch wer sich mit dem Thema beschäftigt, kommt schnell zu dem Schluss, dass nicht der Alkoholgehalt der entscheidende Punkt ist. Darum verzichteten wir auf diese Einschränkung und machten uns die Sache so einfach wie möglich. Wir spielten nämlich den Ball den angefragten Fachhändlern zu. Sie sollten aus ihrem Sortiment jene Gewächse auswählen, die aus ihrer Sicht der Beschreibung «roter Sommerwein » am ehesten entsprechen. Und so kam es, wie es kommen musste. Zwar liegt der durchschnittliche Alkoholgehalt der 25 in diesem Panel verkosteten Weine bei moderaten 13 Volumenprozent, aber ausgerechnet beim höchstbewerteten Wein, dem La Dame Rousse 2020, einem Wein aus der AOC Lirac im südlichen Abschnitt der Rhône, handelt es sich um den eklatantesten Ausreisser nach oben.
Die Assemblage aus Grenache und Syrah von rund 40-jährigen Stöcken bringt nämlich astronomisch anmutende 15 Volumenprozent auf die Waage. Sie werden sich die berechtigte Frage stellen: Wie kann solch ein Gewächs als Sieger aus einer so thematisierten Verkostung hervorgehen? Ein Blick in die Verkostungsnotizen gibt Aufschluss. Stilistisch wurde diese Assemblage exakt im Übergangsstadium zwischen «Frisch» und «Vollfruchtig» verortet. Dabei störte die Opulenz nicht, vielmehr wurde die Harmonie des Weines hervorgehoben, die raffinierte, animierende Balance und das frische Nachspiel.
Eichenholzwürze? Im Sommer, nein danke!
Der Grund für diese Einschätzung dürfte auch massgeblich darauf zurückzuführen sein, dass dieser Wein am Anfang der Probe verkostet wurde, als die Weine noch in Karaffen auf Eis lagen. Die kalte Temperatur nahm dem Wein seine Wucht und betonte seine trinkige Fruchtigkeit. Verfügt ein alkoholintensiver Wein nämlich über viel jugendlich pure Frucht sowie Schmelz und Balance, so behält er seine Harmonie, auch wenn er stark runtergekühlt wird. Und erfüllt so die Eigenschaften eines perfekten Sommerweins. Daraus lässt sich die Regel ableiten: Rote Sommerweine müssen kühlfähig sein. Doch das sind längst nicht alle Rotweine. Ein kritischer Punkt diesbezüglich ist beispielsweise die Eichenholzwürze. Ist ein Wein spürbar von Holz geprägt, so wirkt dieses bei niedriger Temperatur störend und hemmt den Trinkfluss. Das Gleiche gilt für Reifenoten. Zeigt ein Wein getrocknete Früchte, Erde, Gewürz, Leder oder Tabak und eine leicht gezehrte Struktur im Gaumen, ist er als kühl servierter Sommerwein fast immer eine Fehlbesetzung. Es ist kein Wunder, dass die Gran Reservas aus der Rioja viel eher als Winter- denn als Sommerweine gelten. Auch Restsüsse oder eben Alterssüsse ist für Sommerweine fast immer ein No-Go!übrigens: Wer die Weinbeschreibungen der Fachhändler aufmerksam liest, kann in den meisten Fällen leicht herausfinden, ob ein rotes Gewächs sommertauglich ist oder eben nicht. Und jüngere Jahrgänge sind älteren in der Regel vorzuziehen.
«Schön, dass rote Sommerweine für einmal die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Und alle Achtung vor den Winzern, die es auch in Zeiten der Klimaerwärmung schaffen, so beschwingte Rotweine in die Flaschen zu bringen. Gelungene rote Sommerweine verfügen über eine saftigsubtile Fruchtigkeit. Dann kann man sie durchaus auch sehr kühl servieren, ohne dass sie ihre Harmonie verlieren.»
Nicole Vaculik Sommelière, Meersburg
«Die Mehrheit der verkosteten Weine zeigte Frische und guten Trinkfluss. Was solchen Sommerweinen guttut, ist eine kühle Serviertemperatur. Also lieber fünf Grad Celsius zu kalt als fünf Grad zu warm einschenken. 13 Grad sind nach meiner Meinung ideal. Darum: Scheut euch nicht vor Kühlmanschetten oder Eiskübeln. Ihr werdet sehen: So machen diese Rotweine im Sommer mehr Spass.»
Adrian van Velsen Blogger und Journalist, Windisch
«Es gibt keine allgemeingültige Definition eines roten Sommerweins. Für mich hat diese Verkostung aber gezeigt, dass Eichenholzwürze und Reifenoten keine wünschenswerten Eigenschaften eines Sommerweins sind. Puristische, saftig-fleischige Weine bereiten gut gekühlt an heissen Sommertagen mehr Vergnügen. Trinkfluss und Säure haben eine höhere Priorität als Kraft und Länge.»
Luana Paladino Weinhändlerin, Zürich
«Die Mehrheit der verkosteten Weine erfüllte tatsächlich die Kriterien eines leichten Trinkweins. Gemeint sind Gewächse, die man ‹senza cervello›, also ohne sein Hirn einzuschalten, geniessen kann, wie mir kürzlich ein befreundeter Winzer diesen Weintypus beschrieb. Die Verkostung hat aber auch gezeigt, dass längst nicht alle Weine, die sich im Sommer gut trinken lassen, auch wirklich Spitzengewächse sind.»
Alain Kunz Journalist, Zug
«Ein typischer roter Sommerwein sollte nach meiner Meinung über Frische in Form einer lebendigen Säure verfügen, aber auch über eine ausgeprägte Frucht und zartbittere Noten im Abgang. Crus, die diese Eigenschaften aufweisen, harmonieren sehr gut mit den Röstaromen und der Salzigkeit von Grillgut. Dabei denke ich nicht nur an Fleisch, sondern genauso an Fisch oder Gemüse aller Art.»
Gabriel Tinguely Journalist, Bern
Die Jury
Von links nach rechts
Carsten Fuss
Weinhändler und Dozent (Académie du Vin), Zürich
Sein Favorit: Kalterersee Classico Superiore Alexander 2020 vom Weingut Nicolussi-Leck, Südtirol
Alain Kunz
Journalist, Zug
Sein Favorit: La Dame Rousse 2020 von der Domaine de la Mordorée, Lirac
Thomas Vaterlaus
Chefredakteur VINUM, Zürich
Sein Favorit: Lambrusco Bergianti Stiolo Rosso 2021 von Terrevive, Emilia-Romagna
Luana Paladino
Weinhändlerin, Zürich
Ihr Favorit: Frappato Nerocapitano 2021 von Lamoresca, Sizilien
Nicole Vaculik
Sommelière, Meersburg
Ihr Favorit: Reverdon 2020 von Château Thivin, Beaujolais (Brouilly)
Gabriel Tinguely
Journalist, Bern
Sein Favorit: La Dame Rousse 2020 von der Domaine de la Mordorée, Lirac
Miguel Zamorano
Redakteur VINUM, Zürich
Sein Favorit: La Mondeuse 2020 von Ficomontanino, Toskana
Adrian van Velsen
Blogger und Journalist, Windisch
Sein Favorit: Cote 50 2022 von Domaine Yannick Amirault, Bourgueil (Loire)
Ueli Holzer
Weinhändler, Winterthur
Sein Favorit: Reverdon 2020 von Château Thivin, Beaujolais (Brouilly)