Beethovens Hausarzt soll dem Klavier-Virtuosen Zierfandler aus Niederösterreich verordnet haben. Und als man Joseph Haydn Golddukaten statt wie bis dahin burgenländischen Rotwein als Gage bot, lehnte er entrüstet ab. Dass Österreichs Wein bis heute kaum mit Gold aufzuwiegen ist, hat ebenso schwerwiegende Gründe.
Grosse Weine sind immer von der Landschaft geprägt, in der sie gedeihen. Je enger die Umgebung eingegrenzt ist, je perfekter die Standortbedingungen und je kompatibler ihr jeweiliges Terroir, umso gelungener die Gewächse. Einige Lagen dieser Welt muss man nur sehen, um zu wissen, warum dort Wein wächst. Der ummauerte Weingarten Clos Vougeot im Burgund oder der mystische Hügel Cannubi bei Barolo stehen beispielhaft hierfür. Auch in Österreichs 4300 Einzellagen, hier Rieden genannt, kommen Weine zustande, von denen einige an der Spitze des weltweiten Qualitäts-Rankings mitspielen: Die Rieden Zieregg, Heiligenstein oder Mariental repräsentieren nur einige von ihnen. Im österreichischen Weinverständnis teilt sich der Herkunftsbegriff in verschiedene Ebenen. Er hört nicht bei den spezifischen Weinbaugebieten auf, sondern definiert Ursprung und Qualität von bestimmten Ortschaften über Grosslagen bis hin zu einzelnen Weingärten – den Rieden. Starten wir exemplarisch in der Wiener Grosslage Nußberg auf 332 Metern Seehöhe. Schon seine südliche Ausrichtung, deren Sonneneinstrahlung den Trauben schöne Reife schenkt, prädestiniert ihn für den Weinanbau. Ebenso das pannonische Klima, das durch Thermik gestützt wird. Alte, knorrige Rebstöcke stehen auf reichhaltigen Muschelkalkböden und sorgen später für eine rauchig-speckige Nase und schmelzige Kräuterwürze am Gaumen. Der Nußberg bildet dabei die Metaebene dieses Terroirs. Unterteilt ist die Grosslage oberhalb der Donau mit Blick auf Österreichs Hauptstadt nämlich in Rieden wie Rosengartel, Preußen oder Haarlocke.
In den Weinberg zoomen
Mit der DAC-Herkunftspyramide hat man in Österreich ein dreistufiges Qualitätssystem geschaffen, das sich in Gebiets-, Orts- und Riedenweinen widerspiegelt. So beherbergen etwa Wiener Ortswein-Herkünfte wie Grinzing oder Bisamberg auf 582 Hektar Rebfläche insgesamt 140 exakt abgegrenzte Rieden. Jede einzelne Parzelle links und rechts der Donau bringt ihre eigene Stilistik hervor, macht ihre Weine differenzierbar und trifft damit unterschiedliche Vorlieben. Was für Wien gilt, gilt für das gesamte Weinbauland Österreich mit seinen 26 Weinbaugebieten und 458 Weinbaugemeinden bis hin zu den Rieden, dem Heiligtum der österreichischen Weinwelt.
Immer mehr Weinliebhaber möchten wissen, wo genau der steirische Sauvignon Blanc oder der Blaufränkisch vom Neusiedlersee herkommt. Sie möchten die Herkunft regelrecht heranzoomen, weil sie erkannt haben, dass damit der Detailgrad steigt. Und mit jedem Detail mehr, also mit zunehmender Transparenz, wird das Gewächs in ihren Gläsern greifbarer. Deshalb findet man seit Neuestem zu den insgesamt 4300 Einzellagen von Niederösterreich bis zur Steiermark unter riedenkarten.at qualitäts- und geschmacksprägende Parameter wie Weinbaufläche, Seehöhe, Sonnenscheindauer, Ausrichtung und Hangneigung.
Immer neue Features kommen hinzu, um noch mehr Einflussgrössen aufzuzeigen. Aktuell wird an der visuellen Darstellung geologischer Faktoren je Ried gearbeitet. Der weltweit erste digitale Weinatlas für ein gesamtes Weinland auf allen drei Qualitätsebenen ist durch die Zusammenarbeit der ÖWM (Österreich Wein Marketing) mit dem Institut für Geografie und Regionalforschung der Universität Wien entstanden. Aktualisiert werden die interaktiven Weinkarten anhand der neuesten weingesetzlichen Entwicklungen, so dass Freunde österreichischer Gewächse ein permanentes Upgrade erfahren. Per du mit seinem Lieblingswein zu sein, kostet nicht mehr als ein paar Klicks auf der Maustaste.
Thermenregion DAC
Die 1872 Hektar grosse Thermenregion DAC grenzt direkt an den südlichen Stadtrand von Foto: ÖWM / WSNA / Kramer Wien. An den Hängen des Wienerwaldes feiert die Weinkompetenz mit den autochthonen Sortenraritäten Rotgipfler und Zierfandler eine Renaissance. Diese beiden und alle anderen Rebsorten um Gumpoldskirchen profitieren vom pannonischen Klimaeinfluss mit heissen Sommern und trockenen Herbsttagen: Ständige Luftbewegung lässt die Reben nach Tau oder Regen schnell abtrocknen. Im Fokus der geologischen Vielfalt liegen relativ schwere Böden wie sandige Lehme und lehmige Tone mit hohem Muschelkalkanteil. Mit dem Jahrgang 2023 kommen die Gebiets-, Orts- und Riedenweine zum ersten Mal als herkunftstypische DAC-Weine auf den Markt: ein wichtiger Schritt für die Thermenregion, mit dem sich der Kreis der österreichischen DAC-Herkünfte endlich schliesst.
Thermeregion DAC
Ab Jahrgang 2023
Zugelassene Rebsorten (reinsortig oder als Cuvée, kein Rosé, kein Gleichgepresster): Rotgipfler, Zierfandler, Weissburgunder, Chardonnay, Pinot Noir, St. Laurent
Einreichung zur Prüfnummer: ab 1. Juli des auf die Ernte folgenden Jahres
Zugelassene Rebsorten (reinsortig oder als Cuvée, kein Rosé, kein Gleichgepresster): Rotgipfler, Zierfandler, Weissburgunder, Grauburgunder, Chardonnay, Pinot Noir, St. Laurent, Zweigelt
Einreichung zur Prüfnummer: ab 1. März (trocken) bzw. 1. Mai (süss) des auf die Ernte folgenden Jahres
Zugelassene Rebsorten (reinsortig oder als Cuvée oder gemischter Satz, kein Rosé, kein Gleichgepresster): Rotgipfler, Zierfandler, Weissburgunder, Grauburgunder, Chardonnay, Neuburger, Pinot Noir, St. Laurent, Blauer Portugieser, Zweigelt
Rebsorten-Statistik
1872 Hektar Gesamtfläche
Auf Platz eins des Rebsortenspiegels steht in der Thermenregion mit 13,9 Prozent der Zweigelt, gefolgt von Grüner Veltliner und St. Laurent. Mit dem fünften Platz kommt die zweite weisse Rebsorte ins Spiel: der Rotgipfler. Die mittelbis spätreifende Kreuzung aus Traminer und Rotem Veltliner findet sich aufgrund des Klimas und des Bodens fast ausschliesslich in der Thermenregion. Rotgipfler bevorzugt warme Südlagen und kalkhaltigen Untergrund und ergibt tiefgründigen, würzigen Wein. Eine weitere Rarität der sonnenverwöhnten Thermenregion ist der Zierfandler – wie der Rotgipfler eine autochthone Rebsorte. Er macht 3,2 Prozent des regionalen Rebsortenspiegels aus. Sein Synonym «Spätrot» verweist auf die rötliche Beerenfarbe der spätreifenden Trauben. Im Weingarten eher schwierig zu handhaben, sind die Weine extraktreich, rassig und würzig und laufen im Prädikatsweinbereich zur Hochform auf.
Fünf mal nachgefragt
Als Obmann des Regionalen Weinkomitees Thermenregion führte Heinrich Hartl die finalen Beschlüsse für das DAC-System herbei. Der Önologe mit seinem 14-Hektar-Bioweingut erklärte im VINUM-Kurzinterview, warum es dafür über 20 Jahre brauchte und warum die Thermenregion DAC-reif war.
www.weinland-thermenregion.at
Bis vor Kurzem war die Thermenregion das letzte gallische Dorf auf der Weinbaukarte Österreichs. Erst seit diesem Jahr gibt es die Thermenregion DAC. Woran lag’s?
Wenn’s dem Esel zu gut geht, geht er aufs Glatteis tanzen. Die Thermenregion war immer schon stark von der Heurigenkultur geprägt. Zu viele Winzer konnten ihre Weine so problemlos an die Leute bringen, was den Innovationsschub um Jahre verschoben hat.
Das war sicher nicht der einzige Grund. Nach einem 20-jährigen DAC-Prozess in Österreich, der 2003 mit dem Weinviertel DAC begann, gibt es heuer zum ersten Mal DAC-Weine aus Ihrer Region.
Freilich hatte unser Dornröschenschlaf auch damit zu tun, dass wir uns nicht genügend mit den Playern der Weinbranche auseinandergesetzt haben. Also hatten wir auch keinen Überblick, wo die Zeitreise hingeht. Ausserdem erschien uns das Herkunftsprinzip lange Zeit zu verwirrend. In den Gasthäusern wurde in den ersten Jahren des DAC-Systems von den Gästen immer wieder ein «Glas Grüner Veltliner DAC» bestellt anstatt korrekterweise ein Glas «DAC Weinviertel».
Also, was genau hat Sie als Obmann und die anderen Mitglieder des regionalen Wein-Komitees von dem DAC-Prinzip überzeugt?
Es ist immer konkreter und somit auch populärer geworden. DAC ist über die Jahrzehnte zu einer Marke avanciert, man kann es sich gar nicht mehr leisten, kein Mitglied im Club zu sein. Parallel dazu hat sich die Qualität unserer Weine kontinuierlich gesteigert. Ich glaube, dass ich die besten Weine meiner Heimatregion nur als Thermenregion DAC an die Spitze der österreichischen Weinbaugebiete katapultieren kann.
Was prädestiniert die Thermenregion denn dazu, Mitglied im Club zu sein?
Abgesehen davon, dass Napoleon Bonaparte sich den Gumpoldskirchner Wein aus einer unserer Weinbaugemeinden an die Front hat kommen lassen und Zisterzienser-Mönche ihr Weinwissen aus dem Burgund hierhergebracht haben, besitzen wir ein einzigartiges Terroir: pannonisches Klima aus der ungarischen Tiefebene, 1800 Sonnenstunden pro Jahr, Muschelkalkböden, die von den Ausläufern des Urmeers herrühren, und autochthone Rebsorten wie Rotgipfler und Zierfandler.
Und wenn mich das als eingefleischte Liebhaberin burgenländischer oder südsteirischer Weine noch nicht überzeugt?
Dann sollten Sie die Augen schliessen und sich einen tropenfruchtigen, mineralischen Rotgipfler über den Gaumen rollen lassen. Oder einfach herkommen: Neben der Dichte an Spitzenweinen von Chardonnay bis Zierfandler und Top-Weingütern bietet die Thermenregion ein kleines Wander- und Wellnessparadies entlang des Wienerwaldes – Heurigenbuffets mit Blick auf sonnige Riedenlandschaften inklusive.