«Nennt mich Landwirt»
Interview mit Hoss Hauksson, Winzer, Wermut- und Getränke-Hersteller im Kanton Aargau
Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Fotos: Manuela Iten und Ted Börjesson
Der 53-jährige Hoss Hauksson ist nahe der isländischen Hauptstadt Reykjavik aufgewachsen, promovierte in Mathematik und arbeitete im Finanzwesen. 2017 wurde er Winzer im Kanton Aargau. Heute, sechs Jahre später, wird ihm das Korsett des Winzer-Metiers zu eng. Er bringt Wermut als Pét Nat in die Flasche, verfeinert Wein mit Kräuterblüten-Infusionen und will seine Rebberge in Agrofrost-Projekte umwandeln. Sein Ziel: «Möglichst viel Biodiversität, die ich auch in die Flasche bringen möchte, mit Trauben, aber nicht nur...»
«Waldboden bringt mehr Terroir in den Wein.»
Sie haben Ihren 2021er Ciliegio, eine Cuvée aus Merlot und Cabernet Franc, die Sie im Tessin anbauen, mit einer Infusion aus Thymianblüten verfeinert. Warum?
In der betreffenden Parzelle wachsen kräftige Thymian-Büsche, und immer, wenn ich da hingehe und arbeite, berührt mich dieser Thymian-Duft. Bald kam ich zu dem Schluss, dass der Thymian dieses Stück Land genauso repräsentiert wie die Trauben. Mit einer moderaten, nur unterschwellig wahrnehmbaren Blüteninfusion wollte ich nichts anderes, als das Terroir ganzheitlicher in die Flaschen zu bringen.
Ist das denn noch Wein, wenn da auch Thymianblüten mit drin sind?
Gesetzlich gesehen ist es ein aromatisierter Wein. Ab dem Jahrgang 2022 wird’s noch komplizierter. Denn im betreffenden Rebberg steht auch noch ein prächtiger Kirschbaum. Darum werde ich dem Wein nebst den Thymianblüten auch noch etwas Kirschwein beigeben. Dann ist es rechtlich definitiv kein Wein mehr, sondern nur noch ein alkoholhaltiges Getränk.
Die Verfechter der reinen Wein-Lehre werden da wohl an Panscherei denken…
Kann schon sein. Aber das interessiert mich genauso wenig wie all die rechtlichen Fragen. Wichtig ist für mich, dass ich das Stück Land, das ich bearbeite, ganzheitlich erkenne. Dass ich begreife, welche Pflanzen sich hier wohl fühlen und gut gedeihen. Und wenn dort nicht nur Trauben gut wachsen, sondern eben auch anderes, möchte ich darauf eingehen. Das ist heute meine Interpretation des Terroir-Begriffes. Alles was in der Flasche ist, soll von einer klar definierten Parzelle stammen. Und es soll vergoren sein. Ansonsten aber ist alles möglich.
Wie kann man erkennen, welche Pflanzen für einen Ort geschaffen sind?
Wer offen durch sein Land geht, sieht, was gut wächst. Ich betreibe biodynamischen Anbau und strebe folglich eine vielfältige Flora, ein komplexes Ökosystem an. Von dem, was ich aussäe oder pflanze, wächst manches besser als anderes. Wermutkraut beispielsweise habe ich anfänglich nur angebaut, um daraus ein natürliches Präparat für den Pflanzenschutz zu produzieren. Als ich gesehen habe, wie prächtig er gedeiht, habe ich begonnen, Wermut zu produzieren.
Auch Ihr Wermut ist anders als andere…
Beide Wermuts die ich produziere, der weisse Hvítur und der rote Rauður sind absolut naturbelassen, sie werden also nicht mit Alkohol aufgespritet und auch nicht mit Zucker versetzt. Das Wichtigste ist für mich aber, dass Trauben, Wermutkraut und ergänzende Kräuter auf dem gleichen Fleck Erde gedeihen. Hat das Elixier mehr als 14,5 Volumenprozent Alkohol, darf ich es als Wermut deklarieren, hat es weniger, ist es aromatisierter Wein. Für mich ist das völlig unerheblich, für mich sind es einfach Hvítur und Rauður. Übrigens werde ich den weissen Wermut von jetzt an als Pét Nat in die Flasche bringen. Davon verspreche ich mir eine bessere Integration der Kräuterkomponenten in den Wein.
Was könnte denn in einer Flasche von Ihnen künftig noch so alles drin sein ausser Trauben?
Nun andere Beeren, etwa Sanddornbeeren oder Weissdornbeeren, aber auch Kernobst, vergorene Kirschen und natürlich auch Kräuter und Blüten. Neu in den Verkauf kommen wird sicher ein Kerner mit einer Infusion von Weissdornblüten und ein Cidre aus Speierling und Sanddorn. Später auch ein Wein aus der Kirschsorte Schattenmorelle, veredelt mit Ginkgo, und ein Poiré, also ein Birnenwein aus Schafenbirnen.
Sie haben damit begonnen, gezielt Kirsch-, Birn-, Nuss- oder Ginkgobäume in Ihren Rebbergen anzupflanzen. Nun ist die Wahl einer Baumart ja noch langfristiger angelegt als die Wahl einer Rebsorte. Man sollte sich also sicher sein, dass man das Richtige pflanzt. Nach welchen Kriterien wählen Sie diese Bäume aus?
Wie schon gesagt geht es in erster Linie darum, ein Gespür für seine Parzellen zu entwickeln. Ich sehe es als eine Art von Meditation. Man steht im Rebberg, schärft seine Sinne und versucht die alles entscheidende Frage zu beantworten: Was will dieses Stück Land? Wenn ich dann einen Nuss- oder Birnbaum vor Augen habe oder weisse Blüten, ist das für mich ein wichtiges Indiz.
Würden Sie sich selber noch als Winzer bezeichnen?
Unser Fokus verschiebt sich immer mehr auf die Landwirtschaft und weg von der Kellertechnik. Im Keller arbeiten wir mit so wenig Maschinen oder Zusatzstoffen wie überhaupt möglich, häufig auch ohne Sulfitzusatz. Und unter Landwirtschaft verstehen wir eben nicht nur den Anbau von Trauben, sondern von diversen Pflanzen. Auch unsere Zwergschafe sind wichtig. So gesehen bin ich heute weniger Winzer, dafür mehr Landwirt. Übrigens eine sehr schöne Wortschöpfung.
Sie sind in Island aufgewachsen und stark mit Ihrer Heimat verbunden. Nun liegt dieses Land doch sehr weit von den Zonen entfernt, wo Weinbau betrieben wird. Kennen Sie andere isländische Winzer?
Ich kenne nur einen, Steve Matthiasson im Napa Valley, dessen Philosophie übrigens nicht so weit von meiner entfernt liegt. Allerdings lebt die Matthiasson-Familie schon seit mehreren Generationen in den USA.
Was sind Ihre frühesten Erinnerungen an Wein?
Meine Eltern haben ab und zu mal Wein getrunken, aber er spielte keine Rolle in unserem Leben. Und als ich jung war, hatte ich wie meine Freunde in Reykjavik an den Wochenenden vor allem ein Ziel: möglichst schnell betrunken zu werden. Weil Alkohol in Island sehr teuer ist, haben wir manchmal selber Wein aus Heidelbeeren gemacht und dazu Musik gehört, etwa von den Sugarcubes mit Björk als Sängerin. Das war keine so gute Idee, die Sache mit dem Wein, meine ich.
Später haben Sie einen Doktortitel in Mathematik erworben und sich mit der Opti- mierung von Turbojet-Antrieben für Flugzeuge beschäftigt und danach Trading-Modelle für das Finanzwesen und den Rohstoffhandel entwickelt. Ein anderes Leben als heute…
Ja, aber es gibt doch eine Parallele: Ich habe mich meinem damaligen Job genauso intensiv gewidmet wie meinem jetzigen. Natürlich gab es in dieser Lebensphase auch schon Wein, abends auf Geschäftsreisen oder so. Aber er hat mich nicht gepackt.
Was war denn der Auslöser für die Hinwendung zum Wein?
Es gibt da kein einzelnes Erlebnis. Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 zog ich mit meiner Familie in die Schweiz, nach Zug. Hier fand ich Ruhe, und allmählich wuchs mein Interesse für Wein. Ich begann Winzer zu besuchen. 2014 vinifizierte ich als Hobbywinzer in der Waschküche meine ersten Weine.
Es heisst, bei Ihren Wein-Anfängen habe Sie der polnische Filmregisseur Krzysztof Kieslowski inspiriert…
Ja, zur gleichen Zeit habe ich mir seine Film-Trilogie «Drei Farben» mit den Teilen «Blau», «Weiss» und «Rot» angeschaut, benannt nach der französischen Flagge. Die drei Filme behandeln denn auch die drei Bestandteile des französischen Wahlspruches Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. So entstand die Idee einer Wein-Trilogie. Nach jeder Ernte habe ich zu einem übergeordneten Thema verschiedene Versuche durchgeführt, 2014 zum Thema Konzentration, 2015 zum Thema Holzausbau und 2016 zum Thema Gärung. So habe ich allmählich ein Feeling für das Weinmachen entwickelt.
Schon ein Jahr später, 2017, wechselten Sie den Beruf und wurden Winzer im Kanton Aargau. Die ersten Weine entstanden noch nach konventioneller Machart, oder?
Als ich 2017 anfing, war es zu spät, um mich für die Umstellung auf biodynamischen Anbau anzumelden. Darum folgte dieser Schritt dann erst ein Jahr später. Im Keller habe ich im ersten Jahr konventionell gearbeitet.
Jetzt, nach fünf Jahren Biodynamie, wollen Sie einen entscheidenden Schritt weiter- gehen und Weinbau im Rahmen eines Agro- forst-Projektes betreiben. Der Rebbau findet also quasi in einem waldähnlichen Umfeld statt. Was bringt das?
Ursprünglich ist die Rebe sicher nicht auf dem freien Feld gewachsen, sondern am Waldrand oder in Waldlichtungen. Der Boden im Wald ist geprägt durch einen enormen Reichtum an Mikroorganismen. Reben geben die Hälfte des Zuckers, den sie mittels Fotosynthese gewinnen, über die Wurzeln an den Boden ab. Sie füttern gewissermassen die Mikroorganismen, die wiederum Mineralien aus dem Boden lösen und sie der Rebe zur Verfügung stellen. Im Wald ist die Zusammensetzung der Mikroorganismen eine andere als im freien Feld. Der Waldboden ist gewissermassen das natürlichere Umfeld für die Rebe, und das hat Einfluss auf die Gesundheit der Rebe und den Ausdruck des Terroirs. Zudem ist im Wald der Boden beschattet, ein weiterer entscheidender Vorteil in Zeiten von Klimaerwärmung und Hitzewellen.
Wer Sie heute trifft, kann sich kaum mehr vorstellen, dass Sie sich früher mal mit Hochfrequenz-Währungsdaten, Rohstoffhandel und Hedgefonds beschäftigt haben. Ist etwas geblieben von Ihrem früheren Leben?
Nun vielleicht die Faszination für komplexe Problemstellungen und der Spass daran, über längere Zeit systematisch eine Lösung zu erarbeiten. Das erwähnte Agroforst-Projekt ist so ein Fall. Ich habe mich auch sehr lange mit der Frage beschäftigt, wie ich in meiner sehr humusreichen Lage Alpberg das zu starke Wachstum der Reben bremsen kann. Die Lösung besteht im Anpflanzen von einer Reihe Walnuss-Bäumen, die so hungrig sind, dass sie dem Boden über einen Radius von 30 Metern die Nährstoffe entziehen. So können wir die Reben auf natürliche Art ins Gleichgewicht bringen.
Sie haben immer noch einen starken Bezug zu Island, das geheimnisvolle Zeichen auf Ihren Labels erinnert an die Mythologie der Wikinger.
Ja, das Zeichen ist eine Zauber-Rune, die helfen soll, Freundschaften aufzubauen oder die Liebe einer Frau zu gewinnen. Das Oberhaupt der Glaubensgemeinschaft der isländischen Neuheiden hat eine Zeremonie abgehalten, um diesem Zauber-Zeichen zusätzlich Kraft zu verleihen. Für mich ist es die gleiche Kraft, die entsteht, wenn man zusammen eine Flasche Wein geniesst. Zwar hat die Ásatrú-Religion in Island offiziell nur 5000 Mitglieder, aber Untersuchungen zeigen, dass dieser Glaube noch immer sehr stark verbreitet ist.
Gibt es etwas, das Sie mit gleich viel Leidenschaft betreiben wie Ihre spezielle Form des Weinbaus?
Ja, die Jagd. Sie war für uns in Island lange Zeit sehr wichtig. Island ist ein karges Land, wo alle Ressourcen der Ernährungsgewinnung genutzt werden müssen. So wurden die Jagd und die Fischerei in unserer Familie von Generation zu Generation weitergegeben. Ich bin schon als Kind mitgegangen. Inzwischen jage ich mehr in der Schweiz als in Island.
Lieber Hoss Hauksson, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.