Neuer Wind im Bündner Land
Graubünden: frischer Wind in der Weinszene
Text: Nicole Harreisser, Foto: Siffert / weinweltfoto.ch, Andreas Gemperle / photoworkers.ch, Christian Felber / MIGN, z.V.g., Flaschenfotos: VINUM
Die Weinszene in Graubünden kennt viele herausragende Namen, die auch internationales Renommee haben, wie beispielsweise Gantenbein, Grünenfelder und Donatsch. Aber auch Quereinsteiger und junge Winzer machen mehr und mehr von sich reden und sind keine Geheimtipps mehr. Und den Bündner Weinen widmet sich eine ganz besondere kulinarische Adresse, bei deren Besuch man in die Tiefe und die Breite der ganzen Weinregion eintauchen kann. Alles Zutaten für eine wunderbare kulinarische Reise zu neuen Adressen im Bündner Land.
Klein, aber unbedingt fein
Sven Fröhlich, Jenins
Manchmal nimmt das Leben eine unvorhergesehene Wendung, und so war es auch bei Sven Fröhlich. Er kam 2004 in die Schweiz, und nach nur einem Jahr stand der gelernte Fernmeldemonteur aus Berlin vor dem Nichts, denn sein Arbeitgeber schloss den Betrieb. «Weinbau hat mich schon immer fasziniert», meint er, und mit der Unterstützung seiner Frau wagte er den Schritt in die Weinbranche. Er begann 2007 mit einem Praktikum bei Thomas Studach in Malans, und seither lässt ihn die Passion für Wein gar nicht mehr los. Nach der Winzerlehre, die er auf dem Weingut Treib bei Ueli und Jürg Liesch und im zweiten Lehrjahr im Schaffhauser Thayngen bei Th. Stamm absolvierte, folgte seine erste Arbeitsstelle im bekannten Weingut Gantenbein, was ihn stark prägte. Einige weitere Stationen nach fünf gemeinsamen Ernten mit den Gantenbeins in der Bündner Herrschaft folgten, unter anderem bei der Familie Lipp, bei Christian Hermann, Georg Schlegel und auf Schloss Salenegg. Mehr und mehr wuchs der Wunsch in ihm, seinen eigenen Wein zu machen. Aber dazu braucht es Rebberge beziehungsweise Trauben. Die erste Gelegenheit, einen eigenen Wein zu keltern, bot sich ihm 2015, als ihm die Familie seines Vermieters die ersten 300 Rebstöcke anvertraute und dazu auch seine favorisierte Rebsorte Pinot Noir. Aber ein Wein in der Flasche braucht ein Etikett, auch wenn die Anzahl der Flaschen zu Beginn noch sehr klein war. «Man macht sich seine Gedanken, wie man das Etikett gestaltet. Gemeinsam mit meiner Frau stand ich in ‹unseren› Rebzeilen und suchte nach einer Inspiration. Da flog eine Hummel um uns herum, und die Idee war geboren.» Auch heute noch ziert das «Hummeli» die Etiketten der Weine von Sven Fröhlich.
Als Winzer habe ich meine wahre Berufung gefunden.
Begonnen hat es mit rund 300 Flaschen von den ersten selbst bewirtschafteten Rebflächen mit Pinot Noir. Mit dem Jahrgang 2018 konnte er die Menge steigern, denn Anfang des Jahres kamen neue Flächen hinzu, die einen eigenen Keller bedingten. Er konnte glücklicherweise den ehemaligen Keller von Thomas Studach in Malans übernehmen. Jeder Jahrgang seiner Pinot Noir ist eine Steigerung des Vorgängers. Die fortschreitende Entwicklung seines Schaffens begeistert mit jedem einzelnen Glas. Heute bewirtschaftet er insgesamt 1,4 Hektar Rebfläche in Jenins und Malans und kauft Trauben von befreundeten Winzern hinzu. Der Zusammenhalt in der Herrschaft spielt eine grosse Rolle. Man hilft und unterstützt sich gegenseitig. 2018 war er bei seinem Nachbarn Georg Schlegel, als Georg jun. auf Fortbildung in Neuseeland war, und brachte dann seine eigene Ernte ein. Schlegel revanchierte sich mit Unterstützung bei der Winzerprüfung. Beide, Sven Fröhlich und Georg Schlegel jun., konnten sich 2021 über die Auszeichnung «Rookie des Jahres» freuen. Rund 4600 Flaschen konnte er vom 2020er seines Pinot Noir füllen. «Ich konnte die Menge in den vergangenen Jahren immer wieder etwas steigern. Dennoch sind meine Weine meist schnell ausverkauft.» Einen direkten Vertrieb oder Webshop hat Sven Fröhlich nicht. Er arbeitet mit dem Fachhandel eng zusammen. «Ich will mich ganz auf den Weinbau konzentrieren.» Auch in einigen bekannten Restaurants, nicht nur im «Alten Torkel», gibt es seine Weine, neben dem Pinot Noir findet sich auch der animierende, frische Riesling x Sylvaner auf den Weinkarten.
www.froehlich-weine.ch
Graubünden AOC Pinot Noir 2020
18.5 Punkte | 2024 bis 2045
Mit dem noch jungen 2020er Pinot ist Sven Fröhlich wiederum ein absolut herausragender Wein gelungen, der die Vorgänger-Jahrgänge übertrifft. In der Nase mit frischen, delikat würzigen Noten. Strahlt Tiefgang aus mit klassischer Pinot-Aromatik und macht mit seinem cremigen Schmelz Lust auf den zweiten Schluck.
www.gerstl.ch, www.vinothek-brancaia.ch
Graubünden AOC Riesling x Sylvaner 2021
17 Punkte | 2024 bis 2026
Zunächst dezente Noten in der Nase, mit Belüftung intensiver und voller, viel Frische und gelbe Frucht, ein Hauch Exotik. Viel herbe Zitronenzeste am Gaumen, auch Limettenzeste, dann auch Aprikosenfrucht und gelber Pfirsich. Die Frische zieht sich bis ins lange Finale.
www.vinothek-brancaia.ch
Tief verwurzelt in der Region
Gatluzi Weinbau Heinz Kunz et al., Fläsch
Seit Januar 2020 trägt das Weingut im Dorfkern von Fläsch einen neuen Namen: Gatluzi, benannt nach dem gebräuchlichen Namen der Strasse, an der das Weingut angesiedelt ist. Heinz Kunz hat als dritte Generation das Weingut von seinen Eltern übernommen und komplett umgekrempelt. «Wir haben es in der Familie diskutiert, und meine Eltern waren der Meinung, es kommt bei einer Übergabe eh alles neu, aber wenn es die eigenen Kinder sind, die alles auf den Kopf stellen, tut es weniger weh.» Heinz’ Schwestern hatten kein Interesse an der Übernahme. Die Eltern sind auch heute noch im Team «et al.», wenn auch nicht mehr zu 100 Prozent, und fahren ihr Engagement mehr und mehr zurück. Vor vielen Jahren hatte Heinz die Ausbildung zum Winzer gemacht und als Weintechnologe gearbeitet, dann aber den Weg Richtung Kunst und Kultur eingeschlagen mit dem Bachelor-Studium in Kulturwissenschaften und dem Master in Kunst.
Der ganzheitliche Ansatz der Landwirtschaft, nicht nur im Weinbau, liegt mir am Herzen.
Als die Übernahme Thema wurde, fiel die Entscheidung «fürs Dorf», und Heinz kehrte zusammen mit Freundin Daniela zurück nach Fläsch. «Mich hat ganz besonders der ganzheitliche Ansatz der Landwirtschaft mit den zahlreichen Gestaltungsmöglichkeiten angesprochen. Ich wollte etwas schaffen, das langlebig und langfristig funktioniert.» Und er warf konzeptionell alles über den Haufen. Im ersten Winter wurde alles überdacht, neu gedacht, verworfen und neu gestaltet: der Name des Weinguts, die Etiketten und auch das Portfolio. Nicht alle Kunden haben diesen Wechsel gutgeheissen, dafür sind neue hinzugekommen. Aber für Heinz war diese Neuausrichtung essenziell. Es folgte die Umstellung auf biologischen Anbau, und mit dem Jahrgang 2022 ist der Betrieb nach Bio-Knospe zertifiziert. Der Start war nicht einfach, die ersten beiden Ernten waren sehr klein, Frost und Hagel dezimierten die Trauben, und Corona machte das Leben nicht leichter. Erst der Jahrgang 2022 zeigte, welche Arbeit auf das Team um Heinz zukommt.
Ganzheitlich und langlebig
Heinz trifft viele Entscheidungen aus dem Bauch heraus, hat viele spannende Ideen und schliesst nichts aus. «Mein Leben im Weingut ist nicht in Stein gemeisselt. Es gibt so viel mehr, was wir auch rund um das Weingut ansiedeln können und was für mich wichtig ist.» So gehört zum Weingut auch ein Co-Working-Space, und Daniela, die primär ausserhalb des Weinguts tätig ist, bietet Yogakurse an. Das Weingut ist voller Leben, auch Kunst und Kultur spielen eine grosse Rolle mit zahlreichen Anlässen auf dem Gut. Die Balance des Ganzen steht im Vordergrund, Ganzheitlichkeit und Langlebigkeit sind keine Floskeln, sondern werden gelebt. Bei einer Erweiterung der Rebfläche oder nötiger Neuanpflanzung werden kaum europäische Rebsorten zum Einsatz kommen, Heinz setzt künftig wohl auf Piwi-Sorten, denn in diesen sieht er langfristig im biologischen Rebbau die Zukunft. Die Assemblage Scholle Rot ohne Bezug auf die Rebsorten könnte dieser künftigen Entwicklung folgen: Zu Blauburgunder und Cabernet Dorsa in 2019 gesellte sich ab 2020 Merlot hinzu. Neue Ideen hat Heinz auf jeden Fall, einen Traum auch: das Weingut in ein Projekt mit grösserem Team im Rahmen einer Kooperative einzubringen, mit Tieren und einem auf die Zukunft angelegten ganzheitlichen Ansatz.
www.gatluzi.ch
Fläscher Chardonnay 2021
18 Punkte | 2023 bis 2026
Sehr junger, knackiger Chardonnay, den man unbedingt karaffieren sollte oder noch einige Zeit zur Seite legen. Klar und typisch in der Nase mit schlanker Struktur. Kühl und ausbalanciert am Gaumen. Gradlinig, lebendig, mit Zug und gutem Trinkfluss.
www.siphappens.ch
Fläscher Scholle Rot 2019
17 Punkte | 2023 bis 2027
Dichte, rote und dunkle Frucht, etwas Salzkaramell. Saftig und frisch am Gaumen, viel Frucht, etwas Buchsbaum. Sehr klar. Viel Blaubeeren und etwas Holunder. Gute Tanninstruktur, sehr ausgewogen und eindrucksvoll. Straff und mit feiner Salznote am Gaumen, die sich bis in den langen, frischen Abgang zieht. Feine Bittermandelnote.
www.siphappens.ch
Heimat des Bündner Weins
Alter Torkel, Jenins
Ein Kleinod in der Bündner Herrschaft, das die Herzen der Weinliebhaber höherschlagen lässt: der «Alte Torkel» in Jenins. Insgesamt 80 Winzer sind im Weinverband «Graubünden Wein» Mitglied und im «Alten Torkel» mit einer Auswahl ihrer Kreszenzen vertreten. Seit März 2020 sind Oliver und Julia Friedrich Pächter des Torkels. Sie haben den «Torkel» nach umfangreichem Umbau und dem einem Barriquefass nachempfundenen modernen Anbau übernommen. Nimmt man bei Sonnenschein gleich auf der Terrasse Platz, bietet sich ein weitläufiger Blick über die Bündner Weinlandschaft. Eine Auszeit, um die Batterien wieder aufzuladen. Und geradezu neben-bei lassen sich die grossartigen Weine der Bündner Herrschaft entdecken, die in der mehr als tausend Positionen umfassenden Weinkarte versammelt sind, auch mit einer beeindruckenden Auswahl an wechselnden Offenausschankweinen. Die AT-Weine sind eine Exklusivabfüllung für den «Alten Torkel». Mit viel Enthusiasmus und Durchhaltevermögen können Oliver und Julia mit ihrem Team auf eine erfolgreiche Gegenwart und Zukunft blicken, mit «Kellergeflüster», «Winzer Live Talks», «Fine Wineing Master-Classes» und «Wine@home», dem Genuss zum Mit-nach-Hause-Nehmen.
www.alter-torkel.ch
Oliver Friedrich, heute sind Sie «der» Fachmann für Weine aus der Bündner Herrschaft. Wie sind Sie überhaupt zum Wein gekommen?
Eigentlich habe ich lange Zeit lieber Bier getrunken, aber nach meiner Ausbildung zum Kellner im «Hotel Bareiss» und ersten zarten Erfahrungen mit Wein entschloss ich mich, eine Auszeit zu nehmen, um mehr über Wein zu lernen. Ich habe mir damals einen VW-Bus gekauft und bin für drei Monate damit durch Europa gereist, um mehr über Wein zu erfahren und vor allem auch über die Menschen und die Geschichten dahinter. Ich wollte meinen Gästen die Geschichte hinter dem Wein erzählen können.
Von den Weinen Europas hin zu ausschliesslich Bündner Wein hört sich zunächst einmal nach einem weiten Weg an. 2009 wechselten Sie zu Andreas Caminada ins Schloss Schauenstein, und dort tauchten Sie tief in die Idee der Regionalität ein. Wann hatten Sie die Idee, die erste Weinkarte auf höchstem Niveau mit ausschliesslich Weinen der Region als Menübegleitung zu kreieren?
Andreas hatte den Input gebracht, wir hatten uns danach vielfach über diese Idee ausgetauscht und es dann einfach gewagt, in einem Schritt von Weinen der Alten Welt auf rein Bündner Weine umzustellen. Anfangs war es nicht einfach, aber die Qualität der Weine überzeugte unsere Gäste. Eine Schwierigkeit war allerdings, dass fast ausschliesslich junge Jahrgänge verfügbar waren, die in der Säure betont sind. Doch über die Jahre konnten wir eine schöne Jahrgangstiefe aufbauen.
Im März 2020 haben Sie als Nicht-Bündner zusammen mit Ihrer Frau Julia als Pächter den «Alten Torkel» übernommen. Wie kam es dazu?
Eigentlich wollten meine Frau Julia und ich uns gar nicht selbstständig machen, aber wir hatten uns schon 2009 einfach in die Region und in den «Alten Torkel» verliebt, und als ein Nachfolger für die langjährige Pächterin gesucht wurde, haben wir beherzt zugegriffen, um unseren Traum zu verwirklichen.
Im «Alten Torkel» findet man die wohl umfassendste und tiefste Auswahl an Bündner Weinen. Was macht die Faszination aus?
Durch den direkten Kontakt zu den Winzern, die wir regelmässig mit unseren Mitarbeitern besuchen, sind wir in der glücklichen Lage, nicht nur aktuelle, sondern auch gereifte Jahrgänge beziehen zu können. Mit dem wechselnden Offenweinangebot bieten wir unseren Gästen eine grosse Auswahl. Mit unserer AT-Spezialabfüllung können wir unseren Gästen zusätzlich einen Schaum-, Weiss- und Rotwein eines Winzers servieren, der exklusiv für den Alten Torkel in limitierter Menge als Friedrich's Bestes Fass abgefüllt wurde.
Nimmt man die Speisekarte des «Alten Torkels» zum ersten Mal in die Hand, stutzt man etwas: Nicht das Gericht steht an erster Stelle, man wählt die Art des Weines und im zweiten Schritt das Gericht. Wie kommt die Auswahl zustande?
Die Idee ist so einfach wie simpel: Der Wein bestimmt das Gericht! Die Empfehlungen zu den Weinen treffen wir im Team, also Service und Küche. Nur was für alle stimmig ist, kommt auf die Karte. Dabei können auch ungewöhnliche Kombinationen entstehen, wie zum Beispiel der Sauvignon Blanc von Jürg Marugg mit Auster und Granny Smith und Sauerrahm. Untypisch für einen Torkel, aber absolut stimmig.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Wir sehen für uns den «Alten Torkel» als unser Zuhause, als Erweiterung unseres Wohnzimmers. Es ist eine langfristige Planung aller Aktivitäten, und das Schritt für Schritt. Heute kommt noch ein Grossteil der Gäste aus weiterer Entfernung, das möchten wir durch eine Integration in die Region ergänzen. Der Torkel soll auch eine regionale Institution werden. Auch haben wir viele Ideen, um die «stille» Zeit im Winter attraktiver zu machen. Viele scheuen auch den Weg, weil sie den Heimweg mit dem Auto antreten müssen. Daraus haben wir ein «Rundum-sorglos-Paket» entwickelt: unsere Bündner-Wein-Degustation in vier oder sechs Gängen, eine Übernachtung im «Hotel Rössli» in Bad Ragaz und Transfer mit unserem eigenen Shuttle-Service. Dieses Angebot werden wir stetig ausbauen.
Ein weiterer wichtiger Punkt für die Zukunft des «Alten Torkels» sind unsere Mitarbeiter. Wir haben ein eigenes Online-Bewerberportal (www.alter-torkel-genussexperte.ch) aufgesetzt und sind transparent gegenüber unseren Mitarbeitern. Ausserdem engagiere ich mich stark für den Nachwuchs im doch etwas in den Hintergrund getretenen Berufsstand des Kellners, der unbedingt wieder mehr Wertschätzung erfahren muss.