Internationaler Blaufränkisch Summit

Make Blau-fränkisch great (again)

Text: Harald Scholl, Fotos: Anna Stöcher

Wann ist eine Rebsorte eine «grosse» Rebsorte? Wenn sie in der Flasche über Jahrzehnte reifen kann, oder wenn sie eigenständige, leicht identifizierbare Weine hervorbringt? Oder beides? Oder ist es doch ein wenig komplizierter? Die Frage, ob Blaufränkisch – und damit auch Lemberger und Kékfrankos – zu den grossen Rebsorten der Welt zu zählen ist, sollte auf einem internationalen Summit im österreichischen Arlberg geklärt werden. Das Ergebnis? Eindeutig!

Nicht zuletzt weil sie persönlich vor Ort am Arlberg war, soll die Einführung der Weinschreiberkoryphäe Jancis Robinson gebühren. In ihrem Standardwerk «Wine Grapes» fasst sie die Charakteristik des Blaufränkisch wie folgt zusammen: «Dunkelschalige, dunkelfruchtige österreichisch-ungarische Sorte, zunehmend gut angebaut und vinifiziert. Gewinnt an Bedeutung. Eltern-Nachkommen-Beziehung mit Gouais Blanc (=Weisser Heunisch).» So einfach kann es sein, aber wie so oft ist die Wahrheit deutlich komplizierter. Denn die Frage, ob eine Rebsorte als gross oder nicht gross eingestuft werden kann, hängt von vielen Faktoren ab. Und da sind sich auch die Experten nicht immer völlig einig, welche Kriterien denn nun ausschlaggebend sind. Grosse rote Rebsorten, das sind nach landläufiger Meinung Pinot Noir, Cabernet Sauvignon, Tempranillo, Grenache, Syrah, Sangiovese, Nebbiolo und – Blaufränkisch? Mit der einfachen Feststellung kommt man nicht weiter, deshalb wurden auf dem Summit erst einmal munter Begrifflichkeiten gesammelt. Schlagworte wie Reifepotenzial, Herkunfts­charakter, Finesse, Komplexität, Icon Wines, hohe Qualität im Einstiegsbereich, Authentizität, Geschichte und nicht zuletzt der Sekundärmarkt wurden genannt. Und dann ist da ja noch die Frage, ob eine grosse Rebsorte auch als Blendpartner gross sein kann – wie etwa Cabernet Sauvignon – oder ausschliesslich als Monovarietät wie der Pinot Noir respektive Spätburgunder. Und bei diesem Thema fängt es für den Blaufränkisch an schwierig zu werden. Als Solorebsorte ist er erst seit 20 bis 30 Jahren vorne dabei und auch so etwas wie der Normalzustand. Davor war er vor allem in Verschnitten zu finden, Cuvées mit Merlot, Cabernet Sauvignon oder auch Zweigelt waren die Regel. Roland Velich, der mit seinem Weingut Moric einer der qualitativen Vorreiter in Sachen Blaufränkisch ist, brachte es auf den Punkt: «Es war ein langer Weg bis zum Blaufränkisch der Jetztzeit. Am Anfang wurde er im Blend mit Cabernet Sauvignon regelrecht versteckt.» In dieser Form wurde aus der Rebsorte kein echter Exportschlager, obwohl vor allem die Weine aus dem Burgenland in Österreich immer angesagter waren.

Auch die Nachbarn im Westen, vornehmlich Deutschland, fanden immer stärker Gefallen an der Rebsorte. Wobei ganz klar gesagt werden muss, dass es zwei unterschiedliche Vorlieben gab – und gibt. In Österreich selber sind die glattgebügelten, geschmeidigen Blaufränkisch besonders hoch angesehen, im Rest von Europa sucht man eher den ungezähmteren Ausdruck der Rebsorte. Voller würziger Noten, mit Unterholz, Länge und eigenständiger Komplexität. Was auch daran liegen mag, dass sich dieser Stil auch in den besseren Lembergern findet. Der Deutsche scheint es dadurch einfach gewohnter zu sein. Trotzdem sind die Österreicher davon überzeugt, mit der Rebsorte ihren Platz im internationalen Kanon gefunden zu haben. Die häufig gehörte Frage nach der Vergleichbarkeit, nach dem «Mit welcher Sorte würden Sie Blaufränkisch am ehesten vergleichen?», beantworten Österreichs Winzerinnen und Winzer zunehmend selbstbewusst. Sie sagen sinngemäss, es gibt beim Blaufränkisch einen eigenen, regionalen Stil. Was ja auch nicht verwundert. Wo die Alpen enden und die grossen Ebenen Mitteleuropas beginnen, entstehen eben andere Weine.

«Grosse Rebsorten können eben beides: im Einstiegsbereich die Erwartungen der Kunden an eine bestimmte Aromatik erfüllen und im Topsegment die Expression des Bodens und des Winzers zulassen.»

Willi Balanjuk

Es muss ihnen also darum gehen, die eigenen Chancen und Möglichkeiten zu be- und ergreifen. Um so ihren Platz in der Weinwelt zu finden. Wie schwierig und langwierig der Weg dahin sein kann, belegt eine Zahl. 1959 waren 70 Prozent der österreichischen Weingärten in der Einzelpfahlmethode angepflanzt, 1974 waren es nur noch drei Prozent. Diese Industrialisierung des Weinbaus war der Qualitätsentwicklung des österreichischen Rotweins nicht förderlich. Es ging in erster Linie um Ertragssteigerung, um ökonomische Aspekte. Spitzenqualität spielte kaum eine Rolle. Das änderte sich erst – beginnend mit dem Weisswein – in den späten 70er und vor allem in den 80er Jahren. Nicht zuletzt als Folge des österreichischen Weinskandals von 1985.

Auch eine Frage des Stils

Vor allem die in den letzten zehn Jahren einsetzende Suche der Weinjournalisten und Weintrinker nach schlankeren, säurefokussierten Rotweinen hilft der Akzeptanz des Blaufränkisch bis heute ganz erheblich. Die Extraktjagd der 90er Jahre konnte er ohnehin nicht mitgehen, seine Stärken liegen nicht in der fruchtdominierten Wucht, eher in der kühlen Finesse. Willi Balanjuk, Weinexperte aus Österreich, fasste es so zusammen: «Blaufränkisch ist historisch gesehen ein Gewinner der globalen Erwärmung, weil die phenolische Reife heutzutage einfacher ist. Ein einfacher Basis-Blaufränkisch war in der Vergangenheit unmöglich zu verkaufen. Heute erreichen wir sogar im Einstiegssegment problemlos die nötige Reife.» Mit dieser Reife zeigt Blaufränkisch, was er kann, die Säure und das Tannin bisweilen ungestüm, viel rote und schwarze Beerenfrucht, dazu Kirschen, Kräuter und Waldboden. Allesamt Elemente, die früher vor allem den Weinen aus Bordeaux zugesprochen wurden. «Frische ist heutzutage das bestimmende Element, wir sprechen hierbei über die letzten 30 Jahre», sagt René Langdahl vom Vinbladet aus Dänemark. «Wenn Sie um Reife kämpfen, können Sie nicht gleichzeitig nach Frische streben. Aber Blaufränkisch kann Frische eben auch in einem sehr heissen und trockenen Jahrgang zeigen.» Dafür mussten sich die österreichischen Winzerinnen und Winzer aber ganz erheblich umstellen oder genauer gesagt: anpassen. Heute beginnen und beenden sie die Ernte vier bis fünf Wochen früher als noch vor 20 Jahren. So mussten sie sich 2018 mit der Ernte beeilen, um keine überreifen Beeren zu bekommen. 2019 hatten sie wieder eine relativ lange Vegetationszeit mit später Ernte, und der Jahrgang 2020 war aus Sicht der Erzeuger in allen Belangen nahezu perfekt. Flexibilität ist das Schlagwort, es gibt keine festen Regeln mehr. Vor allem um die den Blaufränkisch so prägende Säure in die Flasche zu bringen, müssen die Winzer sich einiges einfallen lassen. Denn hier hat sich ein wahrer Sinneswandel vollzogen: «Wir sehen die Säure des Blaufränkisch heute eher als Freund denn als Feind», sagt Roland Velich. Und Freunde soll man bekanntermassen tunlichst pfleglich behandeln. Vor allem die Jahrgänge seit 2015 sind dafür ein perfektes Beispiel. Der Lutzmannsburg «Alte Reben» von Velichs Weingut Moric aus diesem Jahr könnte einer der besten je gemachten Blaufränkisch überhaupt sein. Dass es in so unterschiedlichen Jahren dennoch zu grundsätzlich kontinuierlichen Qualitätssteigerungen kommen konnte, hat mit der Rebsorte selbst zu tun. Blaufränkisch hat eine dickere Haut als viele andere Rebsorten. Seine solide Struktur gibt den Erzeugern die Freiheit, auf den perfekten Erntezeitpunkt warten zu können, wann immer der auch sein mag. Selbst mit Niederschlägen direkt vor der Ernte – ein Phänomen, das in den letzten Jahren aufgrund des Klimawandels oft zu sehen war – bleiben die Blaufränkisch-Trauben relativ lange gesund.

Jahrgang 2011 – ein Wendepunkt?

Eine zentrale Bedeutung in der Frage nach der Grösse von Blaufränkisch kommt dem Jahrgang 2011 zu. Der österreichische Wein­experte Willi Balanjuk konstatierte dem Jahrgang kurz und bündig «das beste Tannin aller Zeiten in Österreich». Wer die feinsten dieser Weine aus dem besagten Jahr im Glas hat, wird ihm durchaus Recht geben. Tiefe, Länge und Komplexität, dazu Frische, Feinheit und Eleganz sind neben dem seidenweichen und doch festen Tannin die kennzeichnenden Merkmale des Jahrgangs. Das liegt mit Sicherheit auch an der veränderten Herangehensweise der Winzer. Der Moderator des Summit, Matthias Wickhoff MW aus Wien, hat die Frage, ob es eine gemeinsame Vorstellung von der Weinherstellung beim Blaufränkisch gibt, so beantwortet: «Die Tendenz ist klar: weniger Eiche, Überreife vermeiden, mit Spontanvergärung arbeiten. Aber es gibt durchaus unterschiedliche Herangehensweisen der Produzenten. Einige Hersteller etwa spielen mit verschiedenen Gärmethoden und Gefässen herum. Grundsätzlich geht es um den Ort der Herkunft, aber auch darum, ihn zu vermitteln.» Jamie Goode vom «Sunday Express» aus London ergänzt: «Die europäische Perspektive auf den Weinbau hat sich verändert, als die Berater hinzukamen, von da an ging es vornehmlich um Reife. Etwas reif war natürlich gut, aber je reifer, desto besser. Heute sehen wir eine enorme Verschiebung weg von dieser Sichtweise, einfach weil sie oft in Überreife endete. Jetzt bekommen die Winzer die Reife, die es braucht, was sie als angemessenen Grad definieren. Es ist eine wirklich interessante Zeit – und der richtige Zeitpunkt, um die Talente der Rebsorte Blaufränkisch zum Ausdruck zu bringen.» Dazu gehört es auch, den Weinen die nötige Zeit zur Entwicklung zu geben. Vor allem in Österreich gibt es bis heute ein fast schon fatales Verlangen nach aktuellen Jahrgängen bei den Weinkunden. Und da kann Blaufränkisch nicht wirklich punkten. Er braucht Zeit. Dazu sagte Clemens Riedl von der Weinhandlung Trinkreif aus Wien, der sich auf den Handel mit reifen Weinen spezialisiert hat: «Ich glaube, ich hatte noch nie einen Blaufränkisch, der in den ersten zehn Jahren besser war als in den zehn, 15 Jahren danach. Blaufränkisch benötigt mindestens zehn Jahre, zumindest auf Einzellagenebene.» 15 Jahre und mehr sieht auch Roland Velich als perfektes Trinkalter für die besten Blaufränkisch. Nur schade, dass es davon so wenige auf dem Markt gibt. Ein Sekundärmarkt, selbst für die besten Weine aus der Rebsorte, hat sich bisher nicht wirklich gebildet. Und was, nebenbei bemerkt, auch ein klassisches Zeichen für eine grosse Rebsorte wäre. Aber darüber wollten alle Teilnehmer durchaus grosszügig hinwegsehen.

«Ob Blaufränkisch dekantiert werden muss oder nicht, hängt vom Glas ab. Wenn Sie ein grosses Glas haben, ist es nicht erforderlich.»

Marc Almert

Der sich ändernde Stil und der daraus resultierende veränderte Geschmack deckt sich auch mit den Erfahrungen, die in der Gastronomie gemacht werden. Josef Neulinger, Sommelier im «Almhof Schneider» in Lech: «Der Geschmack der Kunden hat sich geändert. Alles konzentrierte sich ehemals auf Kraft, auf dunkle Farbe. Mittlerweile wurde der Gaumen der Kunden feiner. Oft werde ich nach einheimischen Weinen gefragt. Wenn wir ihnen dann einen Blaufränkisch servieren, sagen sie ‹Wow!› und sind wirklich überrascht. Die Gäste trinken heute insgesamt weniger, aber deutlich eleganter. Auch weil sich der Stil des Essens geändert hat.» Das wird eindeutig als ein weiterer Pluspunkt für den Blaufränkisch gesehen, seine gastronomische Einsetzbarkeit.

«Blaufränkisch ist perfekt an das trockene Sommerklima angepasst. Vor allem im Burgenland hatten wir schon immer heisse Sommer.»

Roland Velich

Der Weg ist noch nicht zu Ende

Am Blaufränkisch zeigt sich geradezu exemplarisch, was alles möglich ist, wenn man an das Potenzial einer Rebsorte glaubt, ihre Stärken konsequent nach vorne bringt und sie nicht einem uniformen Geschmacksbild unterwirft. Eben nicht dem Markt hinterherhechelt um des kurzzeitigen wirtschaftlichen Erfolgs willen. Als rebsortenreiner Wein hat Blaufränkisch jedenfalls das Beste noch vor sich, ist auf dem besten Weg zur wirklich grossen Rebsorte. Darin waren sich im Prinzip alle Experten einig.

Und wenn die Frage nach der Kennzeichnung und Namensgebung vereinfacht wird – vor allem die englischsprachigen Journalistinnen und Journalisten sehen immer wieder Probleme mit der Verständlichkeit von Rieden und Orten –, steht dem endgültigen internationalen Durchbruch des Blaufränkisch nichts mehr im Weg. Aber auch daran wird gearbeitet, speziell in der Blaufränkisch-Hochburg, dem Burgenland. Roland Velich: «Wir sind nicht zufrieden mit der aktuellen Situation. Anstatt vier DACs im Burgenland – Neusiedlersee, Leithaberg, Mittelburgenland, Eisenberg – wäre es besser, eine gemeinsame Burgenland-DAC zu haben und daraus individuelle Stile pro Dorf oder Gebiet zu entwickeln.» Daneben wird es darum gehen, eine einfache und prägnante Umschreibung für Weine aus der Rebsorte Blaufränkisch zu finden. Denn bei aller Grösse muss sich ein Wein auch verkaufen. Auch da hatten die Experten einige Ideen. Von «Die österreichische Rotweinsorte mit der grössten Authentizität. Wenn Sie Bordeaux oder Sangiovese der linken Seite mögen, werden Sie ihn höchstwahrscheinlich auch mögen» über «Bei der Empfehlung von Blaufränkisch im Restaurant beziehen wir uns auf die Natur Österreichs: Reinheit, Kirschen, getrocknete Kräuterkomponente» bis hin zu «Feine Tannine, erfrischend gute Säure, die Frucht ist kräftig und hält lange durch, er drückt das Terroir aus» war vieles dabei. Eine wirklich griffige Formulierung steht aber noch aus.

Es bleibt also weiter einiges zu tun für die grosse Rebsorte Blaufränkisch. Vielleicht beim nächsten Summit.

Top 10 Blaufränkisch

Viele der älteren Jahrgänge sind – verständlicherweise – nicht mehr im Handel erhältlich. Wir haben als Bezugsquellen daher Vinotheken genannt, die über aktuelle Jahrgänge der Weine verfügen. Und wer weiss, vielleicht findet sich auf Nachfrage noch die eine oder andere Einzelflasche. Insbesondere die Suche nach Flaschen des Jahrgangs 2011 lohnt sich, er markiert mit seiner aussergewöhnlichen Tanninstruktur einen echten Wendepunkt beim Blaufränkisch.

RangBeschreibung
1
96/ 100
Punkte
Burgenland, Österreich
Weingut Moric
2
95/ 100
Punkte
Burgenland, Österreich
Weingut
3
95/ 100
Punkte
Burgenland, Österreich
Weingut Anita &
4
18,0/ 20
Punkte
Niederösterreich, Österreich
Weingut Dorli Muhr
5
18,0/ 20
Punkte
Burgenland, Österreich
Weingut Claus Preisinger
6
94/ 100
Punkte
Burgenland, Österreich
Weingut Gesellmann GmbH
7
94/ 100
Punkte
Burgenland, Österreich
Weingut Heinrich GmbH
8
95/ 100
Punkte
Burgenland, Österreich
Tschida Illmitz - Christian Tschida
9
18,0/ 20
Punkte
Niederösterreich, Österreich
Weingut Dorli Muhr
10
18,0/ 20
Punkte
Burgenland, Österreich
Weingut Heinrich GmbH

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