Am Zaubersee
Bayrischer Bodensee
Text: Harald Scholl,Thomas Vaterlaus, Fotos: Angela Lamprecht, Carmen Janzen
Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz liegt der Bodensee weit weg von den Zentren des Weinbaus. Und doch sind hier zwei veritable Weinwunder im Gange: Am bayerischen Bodensee mit seinen 90 Hektar Reben und im thurgauischen Ottenberg, wo 55 Hektar mit Reben bestockt sind, bringen hochmotivierte Winzer im engen Austausch echte «Grands Crus» in die Flaschen.
Bayerischer Bodensee
In den Gesprächen blitzt sie immer wieder auf, die ganz spezielle Aura im nordöstlichsten Weinbau-Zipfel des Bodensees an der alleräussersten Peripherie des Deutschen Weinbaus. Ja, es scheint fast so, als sei hier eine konspirative Vereinigung am Werk. «Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich mehr über die anbau- und ausbauspezifischen Fragen meiner Kollegen nachdenke als über meine eigenen», sagt der 30-jährige Simon Hornstein, während er mit ein paar Flaschen Chardonnay unterm Arm über sein Terroir, den Kies am See, schlurft, um sie auf einem alten Holzfloss, das jetzt im Frühjahr auf dem Trockenen liegt, zu entkorken, für eine kleine Vergleichsprobe seiner Toplagen Seehalde (schlank, aber mit Kraft) und Sonnenbichl (eine winzige Spur generöser). Mit ihrer puristischen Geradlinigkeit erinnern diese Crus unweigerlich an das Burgund.
«Inzwischen denke ich etwas weniger ans Burgund, dafür umso mehr an unser Terroir am Bodensee.»
Simon Hornstein, Nonnenhorn
Nur, von wo kommt sie, diese vornehme Reduktion? «Wir richten unsere Rebbergsarbeit darauf aus, dass wir Traubenmoste mit niedrigem Stickstoffgehalt bekommen. Wenn diese Moste dann mit viel Trub vergoren werden, versuchen die Hefen, die im Trub enthaltenen Aminosäuren zu knacken, um an zusätzliche Stickstoffe ranzukommen. Und bei diesem Prozess werden Schwefelkomponenten ausgelöst, die sich mit Noten von zum Beispiel Feuerstein, Rauch oder Streichhölzern bemerkbar machen. Verstärken lässt sich dieser Effekt durch den Verzicht auf Umziehen oder einen langen Hefeausbau», sagt Simon Hornstein und gibt zu: «Früher war ich total angefixt von der Reduktion in jungen Burgundern von Coche-Dury, Roulot und anderen. Heute sehe ich die Sache entspannter. Ich denke, meine Weine sind jetzt etwas stiller, dafür kulinarisch besser einsetzbar. Und ich denke nicht mehr so oft ans Burgund, dafür immer mehr an unsere Lagen hier am Bodensee», sagt Hornstein.
Wenn es ein Wahrzeichen für den Aufbruch am bayerischen Bodensee gibt, dann ist es das Weingut Schmidt. Kühn und schlicht zugleich, gebaut von Vorarlberger Holzwerk-Künstlern, thront das Gut zwischen Wald und Rebbergen hoch über dem See. Es ist ein energetischer Kraftort, dessen Karma sich in Verbindung mit einem gutseigenen Lagenwein auf wundersame Weise potenzieren lässt. Von der Terrasse aus geht der Blick über den See ins Rheintal, wohin sich der Rheingletscher, der hier mal bis zu 800 Meter hoch war, vor 15 000 Jahren zurückgezogen hat und ein wildes Gemisch aus zerriebenem Gestein hinterlassen hat. Generell sind die Böden nahe dem Ufer mit ihrem hohen Kiesgehalt doch karger als die etwas schwereren, lehmigeren Verwitterungsböden in Hattnau, rund zwei Kilometer vom See entfernt, wo die Schmidts zu Hause sind. Genauso wie Simon Hornstein perfektioniert auch Sebastian Schmidt sein Spiel mit der Reduktion, seine Weissweine sind über die Jahre kontinuierlich geradliniger geworden. Er kennt das Thema, denn seine Wanderjahre führten ihn zu Dominique Lafon im Meursault. Was hat er von dort mitgenommen? «Hoffentlich etwas von der Hingabe, mit der sie dort ein Leben lang versuchen, ein Gespür für ihre Lagen zu entwickeln.»
Eine Klasse für sich sind die Weine des 36-jährigen Benjamin Lanz in Nonnenhorn. Dass am bayerischen Bodensee aus Chardonnay oder Pinot Noir grosse Lagenweine entstehen können, ist bewundernswert, aber keine Überraschung, das Potenzial dieser Sorten ist bekannt. Benjamin Lanz erzeugt seine «Grands Crus» aber durchwegs aus pilzresistenten Sorten wie Souvignier Gris und Johanniter, künftig auch aus Sauvignac, die er seit 2008 auf inzwischen sieben Hektar gezielt angepflanzt hat. Das Verblüffende dabei ist, dass vor allem der geradlinig tiefgründige Souvignier Gris mit seiner subtil floral-mineralischen Aromatik und viel Zug im Gaumen eine Verwandtschaft mit den Chardonnays von Hornstein und Schmidt zeigt. «Mein Weg ist klar, Herkunft vor Sorte», sagt Lanz. So ist er gerade daran, die Sortennamen von den Labels zu verbannen. Entenberg ist nur noch Entenberg und die Sorte, in diesem Falle eben der Souvignier Gris, lediglich das Transportmittel, um den Lagencharakter in die Flasche zu bringen. Und das ist noch nicht alles. Ab dem Jahrgang 2021 wird er beginnen, seine Lagenweine als Assemblagen oder später gar als Mischsatz in die Flaschen zu bringen. Ein logischer Schritt: «Wenn ich Lagenwein aus mehreren Sorten keltere, so hoffe ich, dass die sensorischen Eigenschaften der einzelnen Sorten noch weiter zurückgebunden werden und der Charakter der Lage noch mehr in den Vordergrund tritt.»
Das Weinwunder am bayerischen Bodensee umfasst gerade mal 90 Hektar und ist ein Kuriosumder besonderen Art, denn es untersteht in Bezug der Anbaurichtlinien dem Weinbaugebiet Württemberg, für die Kontrollen sind aber die bayerischen Behörden verantwortlich. «Es ist ein Konstrukt, in dem wir uns nicht wohlfühlen», sagt Simon Hornstein. Seit fünf Jahren wird deshalb in abendfüllenden Treffen diskutiert und philosophiert, in was für einem mehr selbstbestimmten Rahmen sich die Winzer besser entwickeln könnten. Das grosse Ziel wäre eine eigenständige Ursprungsbezeichnung – g.U. – zu schaffen. Und sie haben diesbezüglich schon konkrete Vorstellungen: So sollen nur Weine die Ursprungsbezeichnung erhalten, die herbizidfrei angebaut worden sind. Und sie haben fuü das oberste Segment ihrer Qualitätspyramide bereits 13 Einzellagen definiert. Doch den rund zehn Winzern ist auch klar, dass es jahre- oder gar jahrzehntelang dauern wird, bis so ein «g.U.-Ding» durch alle Mühlen durch ist. Viel schneller könnten sie ihr Ziel über eine privatrechtliche Vereinigung mitselbstbestimmten Richtlinien erreichen. Doch egal, wohin ihr Weg führt, allein schon die bisherigen Diskussionen haben dem Weinwunder am See zusätzlich Auftrieb verliehen.
«Wenn der Stress als Mutter, Winzerin und Wirtin zu gross wird, hilft ein Gläschen Superblubber.»
Teresa Deufel
Zum Glück hat sie ihren Superblubber, diesen Pét Nat aus Johanniter, der ihr Turbopower verleiht. Denn wenn Teresa Deufel anfängt zu erzählen, was sie so alles macht, kann das eine Weile dauern. Da wären drei Kinder im Alter von ein bis sieben Jahren. Dann ihr Drei-Hektar-Weingut, in dem sie über zehn verschiedene Weine produziert. Nicht zu vergessen das «Degelstein», so eine Art Social-Beach-Club für Weinfreaks. Dass sie auch noch Ferienwohnungen vermietet und ihr Mann auf 30 Hektar Äpfel anbaut, erwähnt sie beiläufig in einem Nebensatz. Und trotz des ganzen Stresses bleibt sie kreativ.
Das Buchstaben-Spiel «Muchacho» ist eine Abkürzung für eine beschwingte Cuvée aus Muscaris und Chardonnay, die im Holz gereift ist. Die Labels von Teresas Naturale-Linie, die sie vor fünf Jahren lanciert hat, sind verspielte Wimmelbilder, in denen der Walfisch, ihr Lieblingstier, nicht fehlen darf. Auch wenn sie mit ihren maischenvergorenen Weissweinen ganz eigene Akzente setzt, so haben diese mit den Gewächsen ihrer Kumpels Schmidt, Hornstein und Lanz doch etwas Entscheidendes gemeinsam: Man kann hier, in diesem wundersamen kleinen Weinland am See, den ganzen Tag von Winzer zu Winzer fahren und begegnet nie einem dieser kaltvergorenen, auf kitschige Primäraromen getrimmten Säftchen, die einem andernorts viel Nerv und Zeit rauben.
Reisetipps
Haus am See
Uferstraße 23
D-88149 Nonnenhorn
Tel. +49 (0)8382 98 85 10
www.hausamsee-nonnenhorn.de
Eine Oase am Wasser. Nirgends kommt das spezielle Feeling am bayerischen Bodensee so rüber wie in diesem Hotel mit viel Grün bis zum Ufer. Gute Küche, aber auch Dampfbad und Yoga am See. Der junge Patron Valentin Knörle, der das Haus mit seinen Eltern führt, ist mit den Winzern per Du.
Hotel Restaurant Torkel
Seehalde 14
D-88149 Nonnenhorn
Tel. +49 (0)8382 986 20
www.hotel-torkel.de
Klassik trifft Moderne, was die Architektur schon von aussen ankündigt, ist das Konzept des Hauses, das einige hundert Meter vom Ufer im Dorfzentrum thront. In den modernen Zimmern sorgt edles Altholz für Wohlgefühl. Gute Küche. Und die coole kleine Bar ist ideal, um einen Tag mit Winzerbesuchen ausklingen zu lassen.
Restaurant Pinot by Schmidt am Bodensee
Hattnau 62
D-88142 Wasserburg
Tel. +49 (0)8382 943 21 74
www.schmidt-am-bodensee.de
Das coole Holzwerk und die grandiose Terrasse machen das «Pinot» vom Weingut Schmidt zum ultimativen Genuss-Treffpunkt für Weinfreaks. Das hat sich rumgesprochen, wie die langen Warteschlangen an den Wochenenden beweisen. Ab April geöffnet. Doch auch im Winterhalbjahr muss hier keiner hungern. Denn im Dorf betreibt die Familie Schmidt ihre «Rädle»-Wirtschaft mit ihrer 300-jährigen Gaststube.
Boutique-Hotel Adara
Alter Schulplatz 1
D-88131 Lindau
Tel. +49 (0)8382 94 35 00
www.aldara-lindau.de
Ein Abstecher ins nahegelegene malerische Lindau lohnt sich. Allein schon wegen der spektakulären Hafeneinfahrt mit dem bayerischen Löwen und dem Leuchtturm. Das «Adara» befindet sich in einem überaus sorgfältig und stilvoll renovierten Altstadthaus. Das kleine Restaurant «KARRisma» im Erdgeschoss vereint ambitionierte Küche und ausgewähltes Ambiente.
Weintipps
Schmidt am See
Chardonnay Reserve Zwirken 2020
17.5 Punkte | 2023 bis 2028
Feuerstein, Streichhölzer, florale Noten, Anflug von Agrumen. Sehr klar und mit toller Finesse im Gaumen.
Spätburgunder Gundelsberg 2021
18 Punkte | 2023 bis 2030
Rote und dunkle Beerenfrucht, Rauchund Pfeffer. Im Gaumen dicht gewoben, enorm kraftvoll und verspielt zugleich.
Weingut Lanz
Sprudeldicke Dirn Brut Nature 2019
17 Punkte | 2023 bis 2026
Gemeinschaftswerk mit Teresa Deufel aus Johanniter. Animierendes Spiel von Reife und Frische. Dazu Agrumen und Brioche. Im Gaumen geradlinig und knackig. Animierend.
Bodolzer Johanniter 2021
17.5 Punkte | 2023 bis 2028
In der Nase zurückhaltend, aber sehr klar. Etwas Kernobst und Blüten, auch dunkle Komponenten. Im Gaumen sehr straff, mit viel Zug.
Hornstein am See
Sonnenbichl Chardonnay 2020
17.5 Punkte | 2023 bis 2028
Getrocknete Kräuter, Fenchel, auch salzige Noten. Im Gaumen kraftvoll, aber perfekt balanciert. Herrlich saftige Säure.
Seehalde Chardonnay 2020
18 Punkte | 2023 bis 2030
Subtile Aromatik mit Agrumen, Feuerstein, Rauch und Anis. Wirkt trotz viel Zug im Gaumen subtil und tänzerisch.
Teresa Deufel
Superblubber 2021
16.5 Punkte | 2023 bis 2024
Ein Pét Nat aus Johanniter. Aromen von Kernobst, Zeigt im Gaumen viel Schmelz. Sehr trinkig, macht Spass.
MuHo 2020
17.5 Punkte | 2023 bis 2026
Im Holz ausgebauter Muscaris. Birnen, Rosenblätter und Laub. Im Gaumen vielschichtig und kraftvoll. Saftige Säure.
Ottenberg im Thurgau
Eine Flaschenfüllanlage und ein Hügel – das ist auf den ersten Blick die Gemeinsamkeit der vier wichtigsten Winzer am thurgauischen Ottenberg. Es verbindet sie aber noch etwas anderes, weniger Profanes. Es ist die Liebe und Leidenschaft für die launische Diva Pinot Noir. Alle vier Betriebe schaffen es trotz jeweils unterschiedlicher Ansätze, der Rebsorte so etwas wie einen «Ottenberg-Stil» abzugewinnen.
Das ist nicht ganz unwichtig im Kopf zu behalten, wenn man sich aufmacht ins thurgauische Weinfelden, wenige Kilometer hinter Konstanz in der Schweiz gelegen. Am Ottenberg, einem Höhenzug von etwas sechs Kilometern Länge in einer Höhe von 680 Metern über dem Meer, wird schon seit dem 9. Jahrhundert Weinbau betrieben, aktuell auf einer Gesamtfläche von rund 55 Hektar. Mit dieser mehr als tausendjährigen Weinbaugeschichte wird einerseits zurückhaltend, andererseits auch stolz umgegangen. Eines der Wahrzeichen der Region ist das Schlossgut Bachtobel, der Gutsherr Johannes Meier führt seit 2008 den Betrieb in achter Generation. Bewahren und Entwickeln sind die nur scheinbaren Gegenpole, in deren Spannungsfeld er mit seinem Team – der Önologin Ines Rebentrost und den beiden Winzern Fazli Llolluni und Philipp Gfeller – einige der feinsten und gesuchtesten Weine der ganzen Schweiz produziert.
Dabei hilft eine Torkel (= Kelter) aus dem Jahr 1584, die tatsächlich ein Bauteil hat, das sogar noch älter ist und wahrscheinlich in Betrieb genommen wurde, als Michelangelo noch gelebt hat. Und ein wenig kommt dem Besucher der Gedanke an grosse Kunst, wenn das Ensemble besucht wird. Das laut Kaufurkunde von 1784 «…herrschaftliche Schlössli mit Keller…» ist in einem ausgezeichneten Zustand, man spürt die Sorgfalt, mit der dieser Kulturschatz bewahrt wird. Diese Achtsamkeit gegenüber der Geschichte, sich selbst und vor allem den Reben ist hier keine Floskel, wie Winzer Philipp Gfeller erklärt.
«Das Motto ‹Weniger ist mehr› hilft uns bei der Suche nach Authentizität und Terroir.»
Michael Broger
Alle Mitarbeiter im Team sind bei 80 Prozent Arbeitszeit, mehr als 30 000 Flaschen pro Jahr werden Reben und Menschen nicht zugemutet. Auch auf Bachtobel steht der Pinot Noir im Mittelpunkt, der Einfachheit halber in der internen Hierarchie durchnummeriert von 1 bis 4. Die Weine zeigen exemplarisch, welche stilistische Vielfalt schon mit einer Rebsorte am Ottenberg möglich ist. Ein Beleg für das Potenzial der Region, das über den Boden und das Klima hinausgeht und sich im Kopf des Weintrinkers wirklich zum Terroir formt. Wenn man diesen Faden weiterspinnt, wird deutlich, dass es innerhalb der Winzerschaft einen gemeinsamen Spirit zu geben scheint, sichtbar geworden an der Flaschenfüllanlage. Vier Weinbaubetriebe, die sich völlig ohne Streit seit mehreren Jahren eine Füllanlage teilen – wo gibt es das schon? Der zweite in diesem Viererbund ist Michael Broger, der interessanterweise viele Jahre auf Schlossgut Bachtobel gearbeitet hat. Um dann seinen eigenen Betrieb aufzumachen – in Steinwurfweite von seinem ehemaligen Arbeitgeber entfernt.
Er scheint auf den ersten Blick das genaue Gegenteil zu sein im Vergleich zur aristokratischen Geschichte seines Ex-Arbeitgebers. In Latzhosen begrüsst er seine Besucher, um mit ihnen erst einmal ums Haus zu gehen und die Weinberge zu besichtigen. Drei Hektar besitzt er inzwischen, im wahrsten Sinne liegen sie rund ums Haus verstreut. Broger ist ein absolut eigenständiger Kopf, er arbeitet biologisch, will sich aber nicht zertifizieren lassen. Weil ihm weder Bioland noch Demeter noch sonst ein Bioverband weit genug gehen. Nicht biodynamisch, sondern Broger-dynamisch nennt er mit gesundem Selbstbewusstsein seine Art, die Weinberge zu bewirtschaften. Wer sich die kerngesunden und vitalen Rebstöcke ansieht, bekommt schnell eine Vorstellung davon, was er meint. Broger arbeitet mit verschiedenen Kompostierungsmethoden, auch zwei Bokashi-Container sind darunter. Regelmässig bringt er seine so erzeugten Komposte aus, die Böden wirken dadurch sogar im Winter lebendig und gesund. Sein Interesse an der Landwirtschaft endet nicht beim Wein, ein sensationeller Cider aus alten Thurgauer Apfelsorten oder auch selbst gemachte Würste sind für ihn selbstverständlich und logische Ergänzung zu den Weinen.
Und die Weine selbst? Dürften im besten Sinne in die Kategorie Naturweine fallen. Ihnen allen ist eine fast schon unverschämte Trinkanimation zu eigen, obwohl unfiltriert und ohne sonstige Tricks auf die Flasche gebracht und mit Schwefelmengen, die unter allen üblichen Werten liegen. Sie sind von einer Klarheit, Frische und Präzision, die Staunen macht. Die Weine von Michael Broger sind äusserst gesucht, glücklich darf sich schätzen, wer bei den zwei Abholterminen pro Jahr ein paar der Flaschen bekommt.
Nur drei Autominuten von diesem vinologischen Biotop entfernt liegt das Weingut Burkhart. Der Chef, Michael, hat den Betrieb 2016 von seinem Vater Willi übernommen. Der hatte das Weingut im Nebenerwerb geführt und sagte zu seinem Sohn, er solle lieber etwas Vernünftiges lernen. Das wäre dann wohl Polizist gewesen, das war Michaels Traumberuf. Zum Glück für alle Weinfreunde ist das alles Geschichte, Michael wurde Winzer und stieg voller Elan ein. Mittlerweile umfasst der Betrieb sieben Hektar und elf Rebsorten. Immerhin 25 Prozent der Rebstöcke sind sogenannte Piwis, pilzwiderstandsfähige Neuzüchtungen. Der Ottenberg ist halt ein Traumland für Reberkrankungen wie Peronospora. «Wir sind eben sehr gastfreundlich», kommentiert Michael das Sortenspiegel ist auch die Farbzusammensetzung: Rund Dreiviertel seiner Flächen sind mit weissen Rebsorten bestockt, ungewöhnlich in einer Gegend, die zu 80 Prozent rote gepflanzt hat. Burkhart geht auch sonst seine eigenen Wege. Man bietet Workshops und Seminare an, kulinarische Veranstaltungen, hat regelmässig den Hofverkauf geöffnet. Dennoch steht auch hier ganz klar der Wein im Mittelpunkt. Und auch wenn weisse Sorten den grössten Anteil ausmachen – die Spätburgunder sind auch hier von besonderer Klasse. Vor allem mit seinem Pinot Schloss Weidenfelden non filtré spielt Burkhart in der obersten Liga mit.
Am östlichen Ende des Ottenberg liegt der Betrieb von Martin Wolfer, dem vierten Füllanlagenmitbesitzer. In diesem Teil der Region sind die Böden wesentlich leichter, skelettreicher und auch poröser als im westlichen Teil des Hangs, wo eher schwere Lehmböden die Regel sind.
«Der Ottenberg ist mit den Farben der Natur und den Reben ein kleines Paradies.»
Martin Wolfer
Streng genommen ist Martin Wolfer der grösste der Ottenberg-Winzer, soweit man das bei knapp elf Hektar Rebfläche sagen kann. Sein Vater und der Onkel haben den Betrieb im Wesentlichen aufgebaut, Martin hat ihn zielstrebig in die Moderne geführt. Er ist auch dafür verantwortlich, dass rund Zweidrittel der Flächen mit roten Sorten – weit überwiegend Pinot Noir – bestockt sind. Er ist vor allem vom Reifepotenzial des Pinot überzeugt. Von seinem besten Pinot werden daher seit 2015 jährlich 500 Flaschen pro Jahrgang in den Keller gelegt und nach siebenjähriger Kellerlagerung in den Verkauf gegeben. Gefüllt natürlich mit der Anlage, die auch seine drei Kollegen benutzen. Sie sind eben nicht nur gast- sondern auch kollegenfreundlich, die Thurgauer.
Reisetipps
Restaurant am Weinberg
Schnellberg 2
CH-8561 Ottoberg
Tel. +41 (0)71 622 56 22
www.imweinberg.ch
Nirgends geniesst man näher an den Weinbergen. Der traditionsreiche Gasthof grenzt an Schloss Bachtobel und das Weingut Michael Broger und bildet mit diesen gewissermassen ein magisches Dreieck am Ottenberg. Klassische Küche, gemütliche Gaststube, gediegene Terrasse.
Restaurant Gambrinus
Marktstrasse 2
CH-8570 Weinfelden
Tel. +41 (0)71 622 11 40
www.gambrinus-weinfelden.ch
Gambrinus, ein flandrischer König, soll Schutzpatron der Bierbrauer gewesen sein. Doch die Gäste kommen nicht wegen des Biers, sondern wegen der vorzüglichen italienischen Küche. Der ideale Platz, um zu testen, ob die weissen und roten Crus vom Ottenberg auch zu Seeteufel-Ravioli oder Filetto Rossini munden.
Taverne zum Schäfli
Oberdorfstrasse 8
CH-8556 Wigoltingen
Tel. +41 (0)52 763 11 72
www.schaefli-wigoltingen.ch
Nur zehn Kilometer vom Ottenberg liegt das beste Restaurant (18 «Gault & Millau»-Punkte und zwei Michelin-Sterne) im Kanton Thurgau. Der junge Patron Christian Kucher verwöhnt die Gäste mit moderner, präziser französischer Klassik. Auf der Weinkarte thronen die Pinot-Crus vom Ottenberg neben Domaine Leroy und Méo-Camuzet.
Gasthaus zum Trauben
Rathausstrasse 1
CH-8570 Weinfelden
Tel. +41 (0)71 622 44 44
www.trauben-weinfelden.ch
Mit dem Rathaus auf der anderen Strassenseite bildet dieser stattliche Gasthof, in dem 1798 der freie Kanton Thurgau ausgerufen wurde, das Zentrum dieses lebendigen Landstädtchens. Das Haus mit den 14 Zimmern wurde kürzlich stilvoll renoviert. Klassische Küche mit regionalen Produkten.
Weintipps
Schlossgut Bachtobel
Pinot N°3 2020
18.5 Punkte | 2025 bis 2035
Rauch, Kirsche, Saft, Schokolade, Gewürznelke. Superbes Tanninnetz, wie reissfeste Seide.
Riesling 2013
17 Punkte | 2023 bis 2028
Sauberes Petrol, präsent, aber nicht dominant, Zitrus, ganz wenig Gelbfrucht, straff, saftig, unerhört präzise.
Michael Broger Weinbau
Blauburgunder Alte Rebe 2019
18.5 Punkte | 2025 bis 2038
Enorme Saftigkeit, Kirschsaft, Weichsel, feingewobene Tannine, geschmeidig, Eleganz, Stil, unglaublicher Trinkfluss.
Blauburgunder Weinfelden 2019
17.5 Punkte | 2023 bis 2028
Unfiltriert, Pfeffer, rohes Fleisch, Kakaopulver, Sauerkirschsaft, animierend, sinnlich, weiche Säure und sanfte Gerbstoffe.
Weingut Burkhart
Pinot Noir Schloss Weinfelden non filtré 2019
17.5 Punkte | 2025 bis 2035
Rauchig, Schwarzkirsche, Lakritz. Kraftvoll, angedeutete Fülle, eleganter Säurezug, Druck und Finesse.
Müller-Thurgau 2022
16.5 Punkte | 2023 bis 2028
Aprikose, weisse Blüten, Zitrusfrucht. Zeigt sich straff, Grapefruit, Mandarine, salzig-würzig am Zungenrand.
Weingut Wolfer
Pinot Noir Classic 2021
17 Punkte | 2023 bis 2032
Erdbeere, Granatapfel, Rauch. Charmant und leichtfüssig, feingewobene Gerbstoffe, frische Säure, saftig.
Pinot Noir Grand Vin 2020
18.5 Punkte | 2024 bis 2036
Rauch, Sauerkirsche, Himbeere. Dicht und legant, komplex, mit Noten von Blutorange. Hochfeines Tannin, langes Finale.