Bestandsaufnahme sechs Jahre nach der Einführung

Jura: die jüngste Schweizer AOC

Text: Anick Goumaz, Fotos: Olivier Noaillon, Anick Goumaz

Wie geht es dem Weinbau im Kanton Jura sechs Jahre nach der Einführung der AOC Jura? Im Herzen dieses kleinen, 18 Hektar grossen Weinbaugebiets diskutiert man über die globale Erwärmung, resistente Rebsorten und den Weintourismus. Grosse Herausforderungen, die mit einem Lächeln angegangen werden, während man die Weine geniesst, die mehr Interesse verdienen, als sie bisher weckten…

Sie bleibt aufgrund der Seltenheit ihrer Weine sehr diskret, und doch war sie das letzte Puzzleteil auf der Landkarte der schweizerischen kontrollierten Herkunftsbezeichnungen: Die 2016 eingeführte AOC Jura verleiht einem jungen Weinbaugebiet, in dem die ersten Rebstöcke vor weniger als 40 Jahren gepflanzt wurden, zusätzliche Glaubwürdigkeit. In diesem heissen Jahr richten sich die Blicke auf die kühleren Weinregionen. Paradoxerweise hat der Jura Mühe, sein Potenzial zu zeigen. Obwohl der Kanton als regenreich gilt, überschreitet er selten 700 bis 900 Millimeter pro Jahr (zum Vergleich: Waadt 1200 Millimeter und Tessin 1600 Millimeter pro Jahr). Die Betroffenen fassen die Klimasituation besser zusammen als die Zahlen.

«Um hier Winzer zu sein, muss man einiges verkraften können», gesteht Hervé Schaffter, der im jurassischen Landwirtschaftsamt für den Weinbau zuständig und selbst Winzer ist. «Wir befinden uns in einer nördlichen Region, die Klimarisiken besonders ausgesetzt ist. Der Frost im Frühling stellt eines unserer grossen Probleme dar, ebenso wie die immer wiederkehrenden Gewitter mit Hagel. Wir haben Jahre mit hohem Ertrag und andere mit vielen Sorgen. Aber es ist klar, dass es auch etwas trockener wird. Unser kalkhaltiger Boden eignet sich allerdings gut für den Weinbau. Es gibt immer weniger einschränkende Einflüsse.»

Gelobtes Land der resistenten Rebsorten

Trotz einer bescheidenen Fläche von 18 Hektar weist die AOC Jura bereits eine bemerkenswerte Vielfalt auf. Sie reicht von geradlinigen, fast technologischen Weinen bis hin zu den schwer einzuordnenden Kreationen von Martin Buser. Auf seinem kleinen Weingut von 1,3 Hektar produziert der Präsident des jurassischen Winzerverbands Assemblagen aus resistenten Rebsorten (Piwis) ohne weitere Zusätze. Diese Weine sind so untypisch wie ihr Erzeuger und werden regelmässig beim Organic Wine Award International in Frasdorf bei München ausgezeichnet. Etwa in diesem Jahr mit der beeindruckenden Top-Gold-Medaille, für die 99 von 100 Punkten erreicht wurden. Vor allem die resistenten Rebsorten, von denen die meisten vor Ort von Valentin Blattner gezüchtet wurden, kennzeichnen diese junge AOC.

Die jurassische Produktion ist eine Zusammenfassung des Spektrums, das man in der Schweiz findet: Naturweine von Martin Buser und Aurèle Morf (die der AOC Jura beitreten können, wenn Moutier zum Kanton Jura wechselt), regionale Kreationen von einigen Selbstkelterern wie Laurent Kohler und der Familie Blattner sowie traditionellere Weine von Winzern wie Dennert in Vermes und Fleury im Clos des Cantons, zählt Hervé Schaffter auf.

Der Clos des Cantons will bekannt werden

Zusammen mit Blattner und Buser gehört der Clos des Cantons zu den drei Pionieren, die hier bereits in den 80er und 90er Jahren Reben anpflanzten. Auf Anregung des Landwirtschaftsamts des Kantons Jura führte die landwirtschaftliche Genossenschaft Centre Ajoie eine Suche nach geeigneten Standorten durch. Ihre Wahl fiel auf die Gemeinde Buix. Damals war Didier Fleury Bauer und wurde nun ans Steuer gesetzt. Seine neuen Chefs übernahmen die Kosten für die Ausbildung in Changins für den Neuling im Weinbau. Das Gelände in Buix, ehemaliges Weideland, erforderte umfangreiche Bodenvorbereitungsarbeiten. Es wurden Pinot Noir, Garanoir und Riesling-Sylvaner angepflanzt. Kein Chasselas.

«Wir waren schon immer eher auf den Basler Markt ausgerichtet», erklärt Olivier Fleury, der das Weingut von seinem Vater übernommen hat. «Unsere Weine werden nicht hier, sondern in diesem Nachbarkanton vinifiziert.» In den mehr als 30 Jahren seines Bestehens ist das Weingut auf sieben Hektar und sechs Rebsorten angewachsen, darunter der Pinot Gris, der Bestseller von Olivier Fleury. Man findet ihn als reinsortigen Wein, in einem nach dem traditionellen Verfahren hergestellten Schaumwein sowie als Assemblage mit Riesling-Sylvaner, die wunderbar aromatisch und zugleich frisch daherkommt.

Der Name Clos des Cantons stammt von der Lage der Parzellen in Buix, sorgt aber für Verwirrung bei den Kunden, die glauben, eine kantonale Cuvée zu trinken. «In den 90er Jahren wurde die Genossenschaft Centre Ajoie von Fenaco aufgekauft, die eher auf eine hohe Produktion abzielte.» Daher verlor die Agrargenossenschaft nach und nach das Interesse an den Weinbergen im Jura, die für ihren Geschmack zu klein waren. «Die Gruppe strebte nach finanzieller Rentabilität auf Kosten der Qualität. Es wurde nicht mehr wirklich auf meinen Papa gehört. Das hat wirklich Schaden angerichtet. Die Öffentlichkeit hat dieses Image im Gedächtnis bewahrt.» Bis die Genossenschaft (Fenaco) beschloss, diese Tätigkeit einzustellen. «Meinem Papa blieb keine andere Wahl, als das Weingut im Jahr 2007 zu kaufen. Daraufhin änderten wir viele Dinge, darunter auch die Kelterung. Die Früchte dieser Bemühungen zeigen sich allmählich. Doch der Name und das Etikett blieben. Wir denken auch in dieser Hinsicht über Ideen nach, um die Fehler der Vergangenheit wirklich auszuradieren.»

Seine Liebhaber finden

Nicolas Joss, Direktor von Swiss Wine Promotion, bestätigt, dass «die Jurassier Vertrauen in ihre Weine gewinnen müssen». Im Jahr 2022 fragte der «Quotidien Jurassien» seine Leserschaft, ob sie bereit wären, mehr Weine aus der Region zu trinken. Das Ergebnis: fast 40 Prozent Ja-Stimmen. Hervé Schaffter freut sich über das gute Ergebnis, aber die Winzer sehen vor allem viel Raum für Verbesserungen. Gastwirte in Delsberg bestätigen, dass nur Touristen, mehrheitlich Schweizer, Weine aus der Region bestellen. Als Antwort werden ihnen Neuenburger Weine serviert. Man muss schon bis ins vielbesuchte Sainte-Ursanne vorstossen, um mehr lokale Bezüge auf der Karte zu finden. Wie in allen kleinen Regionen, die nicht exportieren, kommt dem Weintourismus daher eine grosse Bedeutung zu. «Die Jurassier haben einen Sinn für Gastfreundschaft!», schwärmt Hervé Schaffter. Die regionalen Akteure hoffen, dass sich dieser Zweig mittelfristig weiterentwickeln wird, ebenso wie die Weinberge selbst, die auf junge Winzer warten. «Für uns stellt der Weinbau eine Möglichkeit zur Diversifizierung dar.»


Die Entstehung einer AOC

Mit der Einführung der AOC Jura findet sich das gesamte Schweizer Weinbaugebiet unter kontrollierten Herkunftsbezeichnungen wieder. Was sind ihre Ziele? Wer trägt die Verantwortung? Wird sich die Landschaft der Schweizer AOC weiter verändern?

Die 2016 entstandene kontrollierte Herkunftsbezeichnung Jura ist die jüngste AOC auf der Liste der nunmehr 62 Schweizer Appellationen. Die kon­trollierte Herkunftsbezeichnung ist ein Begriff, der für die Kunden manchmal abstrakt ist. Sie soll einen geografischen Namen schützen, Betrug und Täusch-ung verhindern. Sie ist also ein Werkzeug für die Verbraucher, aber auch für die Weingüter, denen sie adäquate Produktionsbedingungen vorschreibt. Aber was sind die Schritte zur Schaffung einer Schweizer AOC? «Der Bund legt die Grundanforderungen für die AOC fest. Aber die Kantone bestimmen ihre eigenen Kriterien und bleiben verantwortlich für deren Einhaltung», erklärt Pierre Schauenberg, Leiter Fachbereich Pflanzliche Produkte des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW), dem die Weinbaugebiete unterstehen. Ein Vorschlag zur Anbindung der Weinappellationen an das Schutzsystem der IGP/g.g.A. und AOP/g.U. für andere Spezialitäten des Terroirs ging 2018 in die Konsultation. Diese Funktionsweise würde die Verantwortung für die Verwaltung der AOC von den Kantonen auf die Traubenerzeuger und Selbstkelterer übertragen. Das Projekt wurde aufgrund der mangelnden Unterstützung durch den Berufsstand nicht in die Botschaft zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2022 aufgenommen.

Gesetzesgrundlage mit sechs Punkten

Derzeit müssen die Akteure der Bran-che Hand in Hand mit den kantonalen Behörden arbeiten, um eine kontrollierte Herkunftsbezeichnung zu schaffen und zu verwalten. «Wenn sich die Branchenakteure und die kantonalen Behörden zu diesem Zwecke vereinen, besteht der nächste Schritt darin, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen.» Diese umfasst sechs Punkte: das geografische Gebiet, die Anbaumethoden, den natürlichen Mindestzuckergehalt, den Höchstertrag, die Weinbereitung und die zugelassenen Rebsorten.

Bei diesem letzten Punkt unterscheidet sich der Jura stark, da er viele neue Rebsorten aufnimmt. Alle stehen auf der Liste der Internationalen Organisation für Rebe und Wein, aber einige sind noch nicht im Schweizer Inventar enthalten. «Die Frage ist, ob sich diese Rebsorten bewährt haben, um eine Eignung für das Terroir und eine kantonale Typizität zu beanspruchen. Ist es der Sinn und Zweck einer AOC, Innovationen bei den Rebsorten zu fördern? Bei diesem Thema bin ich zurückhaltender», gesteht Pierre Schauenberg.

Französischer oder Schweizer Jura?

Auch das Thema Name wurde diskutiert. «Kluge Kantone beziehen das BLW in ihre Bemühungen um eine AOC ein. Dies ist der Fall beim Kanton Jura, mit dem wir sehr gute Kontakte pflegen. Wir haben uns insbesondere mit der grenzüberschreitenden Frage hinsichtlich der Europäischen Union befasst. Unsere Gesprächspartner möchten vor allem sicherstellen, dass die Produkte klar als Schweizer Weine erkennbar sind. Damit konnte das Verfahren zur Ausweitung des Schutzes der AOC Jura in der EU eingeleitet werden.» Welche Änderungen sind auf unserer AOC- Karte noch zu erwarten? «Wir verfolgen nicht alle laufenden Debatten in den Kantonen, allerdings wissen wir, dass verschiedene Fragen diskutiert werden. Es ist vorteilhaft, wachsam zu bleiben, denn die AOC muss ihre Bedeutung in Bezug auf Handel und Differenzierung behalten.» Sollte die nachhaltige Entwicklung in die AOC integriert werden? «Dies ist eine echte Debatte! Unsere Aufgabe ist es, auf diese Bereiche hinzuweisen und die Schaffung eines Mehrwerts zu fördern.»


Interview mit dem Rebenzüchter Valentin Blattner: Der Papa des Cabernet Jura

Als einer der ersten Winzer im Jura widmet sich Valentin Blattner nun seiner Tätigkeit als Züchter von Piwi-Sorten. Er hat bereits über eine Million Traubenkerne und unzählige Sorten hervorgebracht, darunter Cabernet Jura und Sauvignac.

Sehen Sie sich in erster Linie als Winzer oder als Rebenzüchter?

Ich war zuerst Winzer. Nach meiner Ausbildung begann ich dann, für mich selbst resistente Rebsorten zu züchten. Schnell kamen Anfragen aus der Schweiz und der ganzen Welt. Jetzt bin ich nicht mehr für das Weingut zuständig. Dank meiner Auslandsprojekte konnte meine Tochter Olivia die Weinberge übernehmen. Zusammen mit anderen Wissenschaftlern kreuzen und selektieren wir Rebsorten in den USA, Kanada, Neuseeland, Thailand... Aber unsere interessantesten Aufträge kommen aus Frankreich, Deutschland und vor allem Spanien.

Warum haben Sie als einer der ersten Winzer Ihr Weingut im Kanton Jura angesiedelt, der lange Zeit schwierige Bedingungen für den Weinanbau hatte?

Der Jura ist gut für die Selektion, weil man dort im Grunde alle Krankheiten findet! Und ich habe hier die Freiheit, zu tun, was ich will.

Aber die klimatischen Bedingungen ent­wickeln sich in eine Richtung, die für den Weinbau im Jura günstig ist, oder?

Die Dinge haben sich sehr verändert, das ist wahr. Als ich vor 30 Jahren die Rebsorte 32-7 (Sauvignon Soyhières oder Ravel Blanc, Anm. d. Red.) kreierte, war sie geradezu ideal für unser Terroir. Jetzt ist sie oft überreif. 

Wie wird eine neue resistente Rebsorte gezüchtet?

Es muss sichergestellt werden, dass es mehrere Gene gibt, die gegen Falschen Mehltau, Echten Mehltau, aber auch gegen andere Krankheiten wie Schwarzfäule resistent sind. Wenn ein Gen eingeführt wird, das gegen Echten Mehltau resistent ist, müssen auch die negativen Gene entfernt werden. Man kann keine resistenten Rebsorten schaffen, indem man gute Gene hinzufügt, ohne sich für die schlechten zu interessieren. Auf einem Versuchsfeld machen wir über 200 verschiedene Kreuzungen, weil man die richtigen Partner finden muss. Von 1000 Versuchspflanzen wird die Hälfte eine gute Resistenz gegen Echten Mehltau zeigen, aber wir müssen diese Zahl noch halbieren, um die schlechten Gene auszusortieren. Wir haben also noch 250 Pflanzen übrig, an denen wir das gleiche Verfahren für den Falschen Mehltau wiederholen. Aber nicht alle diese Rebstöcke produzieren Trauben! Blüten, die nicht zwittrig sind, also nur die weiblichen und nicht die männlichen Teile haben, bilden keine Früchte. Wir sortieren diese jungen Pflanzen also auch aus. Da ich selbst Winzer bin, ist der Rest für mich recht einfach. Ich gebe die jungen Pflanzen an meine Freunde weiter, und sie sagen mir, was funktioniert und was nicht.

Wie gehen Sie vor, um die Rebsorten immer resistenter zu machen?

Wir arbeiten nicht auf ein Ergebnis hin, sondern wir beschäftigen uns mit einem fortbestehenden Problem. Es gibt immer neue Probleme, man muss sie erkennen und Lösungen finden. Einige Pilze beginnen, eine «Resistenz gegen die Resistenzen zu entwickeln». Es ist wie mit COVID-19, die Natur ist nicht dumm, vor allem nicht bei Pilzen, vor allem nicht bei Falschem Mehltau! Man muss sich mit ihnen weiterentwickeln.

Wie lange dauert es, eine neue Rebsorte zu züchten?

Man könnte alle fünf Jahre eine neue Rebsorte entwickeln. Der Winzer führt dann noch drei bis vier Jahre lang Versuche durch, damit wir die neue Züchtung validieren können. Danach stehen alle Formalitäten an, welche am meisten Zeit in Anspruch nehmen. Ich darf eine Rebe nicht verkaufen, wenn sie nicht im europäischen Verzeichnis der Internationalen Organisation für Rebe und Wein aufgeführt ist. Das dauert weitere fünf Jahre und kostet 60 000 Franken pro Rebsorte, verteilt auf 20 Jahre. Für die Schweiz sind noch fünf Jahre Verwaltungsaufwand mit den Kantonen nötig, damit die Rebsorten in den AOC anerkannt werden.

Sind diese behördlichen Schritte kompliziert?

Die Verfahren, bevor wir eine Rebsorte auf den Markt bringen können, sind dermassen kompliziert, dass der Pilz Zeit hat, sich anzupassen. Es müsste viel schneller gehen. Wir sollten uns von den Äpfeln inspirieren lassen. Der Verbraucher hat die Wahl zwischen gelben, roten und grünen und fertig! Alles andere ist unwichtig.

Sie schliessen sich also denjenigen an, die der Meinung sind, dass man die Reb- sorte nicht einmal mehr auf den Flaschen angeben sollte?

Ja, wenn der Stil klar und leicht zu erkennen ist. Mir persönlich gibt es einen guten Hinweis, wenn mir jemand sagt, dass ein Wein den Stil eines Rieslings aufweist. So erwarte ich Säure und ein Aroma mit einem leichten Petrolton.

Können neue Rebsorten in einem Annus horribilis wie 2021 wirklich bestehen?

Ja, wenn man alle bekannten resistenten Gene miteinander kombiniert. Aber in solchen Jahren rate ich trotzdem dazu, mindestens einmal im Jahr nach der Blüte zu spritzen. Der Winzer in Deutschland, der Sauvignac anpflanzt, muss automatisch zweimal behandeln, um eine Mutation des Pilzes zu verhindern. Wenn er das nicht tut und die Pflanze ihre Resistenz verliert, ist es vorbei! Der Winzer kann einfach Natron verwenden. Es ist ein natürliches Element, das alles reinigt. Als ob die Pflanze einen «Reset» machen würde.

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