Interview mit Peter Gago - Chief Winemaker bei Penfolds
Vom Mathematiklehrer zum Weinmacher
Text: Harald Scholl, Fotos: Michael Holz
Vom Mathematiklehrer zum Weinmacher ist kein ganz üblicher Weg. Peter Gago, Chief Winemaker bei Penfolds, ist erst der vierte (!) Mann in dieser Position und steht damit in direkter Nachfolge zum legendären Max Schubert, dem Erfinder des Grange. Diese Kontinuität ist das Marken-zeichen der Weindynastie «from Down Under». Wie man sie dennoch lebendig hält, hat Peter Gago in mehr als 30 Jahren bewiesen.
Peter Gago, die Weinwelt ist nicht wirklich bekannt dafür, eine Szene voller Karrierewechsel zu sein. Es gibt nicht viele Menschen, die vor ihrer Weinprofession etwas anderes gemacht haben. Sie sind studierter Mathematiker, haben als Lehrer gearbeitet und sind wohl der Einzige, den wir kennen, der danach Winzer geworden ist. Wie kam es zu dieser bedeutenden Veränderung in Ihrer Karriere?
Eigentlich war es eine ganz natürliche Entwicklung, von einem Hobby zu einem eher grundsätzlichen Interesse, von einer Sammlung zu einem Teilzeitkurs in Weinherstellung, von einem Wohnsitzwechsel zu einer tertiären Qualifikation. Und dann habe ich mich eines Tages umgeblickt und gedacht: «Warte mal, ich bin jetzt ein gelernter Winzer! Wie ist denn das passiert?» Es war so natürlich, es war irgendwie unheimlich normal. Wir nennen es «The Grip of a Grape», wenn die Trauben und ihre stimulierende Wirkung einen gepackt haben und merkwürdige Dinge tun lassen. Und je mehr man sich auf diesen «Grip» einlässt, desto mehr will man über das Warum wissen. Nebenbei hatte ich auch grosses Glück. Meine Ehefrau, die aus Victoria stammt, war staatlich geprüfte Krankenschwester, ging zur Universität und studierte Neuropsychologie und landete letztlich als Regierungsministerin und Parlamentarierin in der Politik. Irgendwann sagte sie: «So, jetzt bist du an der Reihe.» Ich dachte: «Ich mag wirklich, was ich tue, ich liebe es zu unterrichten, und ich könnte morgen wieder darauf zurückkommen, schliesslich ich bin kein desillusionierter Lehrer.» Aber sie hatte es nun mal gesagt und ich dachte: «Na ja, warum nicht?» Was für ein Glück aus heutiger Sicht, etwas anderes machen zu können. Denn meiner Frau war nicht bewusst, dass es bedeutete, das Haus zu verkaufen, und sie war sich nicht bewusst darüber, dass es bedeutete, in einen anderen Bundesstaat zu übersiedeln. Aber eines führte zum anderen, und hier bin ich, mehr als 30 Jahre später immer noch bei Penfolds. Manchmal muss ich mich selber kneifen, um es zu glauben. Wir haben heute Mittag einen Penfolds Grange 1990 probiert, und ich kann Ihnen aus dem Stand sagen, welches Hemd ich bei der Ernte getragen habe. Dieses Ding namens Leben, es ist einfach so schnell. Du blinzelst und denkst: «Wow, wie konnte all das passieren?» Aber es ist dankenswerter Weise passiert. Und es gab nicht einen Moment des Bedauerns. Nicht einen.
Wenn Sie auf Ihre Arbeit bei Penfolds zurückblicken, welche Weine, welche Ereignisse, oder welche Jahrgänge sind Ihnen besonders im Gedächtnis?
Als ich bei Penfolds anfing, war ich in den ersten vier Jahren in der Sektherstellung. Hier arbeitete ich mit einem Gentleman zusammen, den ich für Australiens grössten Sektmacher halte, Ed Carr. Als Penfolds 1993 die Sektproduktion nach Victoria verlegte, verliess Ed das Unternehmen. Mir boten sie einen anderen Job an, und so landete ich bei den Rotweinen. Aber zu Ihrer Frage: Ich erinnere mich an einige schöne Schaumweine, die wir gemacht haben. Aber 1990 war ich zufällig im Verkostungsraum, als all diese schönen, jugendlichen Weine des Jahrgangs zusammenkamen. Ich habe bei jedem zweiten Wein meine Hand gehoben und meine Begeisterung ausgedrückt, aber mir wurde gesagt, ich sei in der Schaumweinabteilung, nicht in der Rotweinabteilung. Und was haben wir gerade eben im anderen Raum probiert? Einen 1990er Grange! Er wurde Wein des Jahres, hat fast überall hundert Punkte abgeräumt, gilt als einer der besten je produzierten Grange. Und ich kenne ihn als Jungwein. Oder der legendäre, beinahe mythische Bin 60A Cabernet Sauvignon Shiraz 1962, wir haben ihn ja gerade als 60-jährigen Wein probiert. Ich habe ihn 1989 zum ersten Mal getrunken, da war er auch schon 27 Jahre alt. Und dieser Wein bekommt immer noch hundert Punkte, wenn man denn eine Flasche davon bekommt. Nicht zu fassen, unglaublich! Also, ich erinnere mich an diesen Wein, obwohl ich damit eigentlich nichts zu tun hatte. Meine Geschichte ist voller solcher Weine.
Den Grange haben Sie schon erwähnt. Wie wichtig ist es für Sie als Winzer, an einer solchen lebenden Legende zu arbeiten? Es gibt nicht viele derart legendäre Weine auf der Welt, vielleicht Hill of Grace von Henschke, Romanée-Conti, Cheval Blanc oder Château Latour, um einige zu nennen. Ist es etwas Besonderes für Sie, Teil des Grange zu sein, an dieser Legende mitzuarbeiten?
Ich bin es ja nicht allein, es gibt ein Sicherheitsnetz, das Weinherstellungsteam von Penfolds. Eines der grossartigen Dinge bei Penfolds ist diese schöne Kultur, in der sich die Mitarbeiter entweder durch einen Hochschulabschluss oder durch harte Arbeit qualifiziert haben, um in die Weinherstellung zu gelangen. Das heisst, sie alle schauen nicht auf die Uhr, diese Arbeit ist wirklich eine Art zu leben. Es ist eher eine kulturelle Sache als nur ein Job. Und diese Art von Arbeitsethos ist echt, etwa bei Andrew Baldwin (Anm.: Penfolds Red Winemaker), der schon länger dabei ist als ich, oder bei Kym Schroeter (Anm.: Penfolds White Winemaker), der auch schon länger dabei ist als ich. Um ein markantes Beispiel zu nennen: Kyms Vater hat die Schule abgeschlossen, ist zu Penfolds gegangen und von dort in Rente. Genauso sein Onkel Kevin. Und jetzt haben wir Kym. Ach ja, sein älterer Bruder Mick verliess uns 1993, um zu unseren Jungs in die Peak Winery in Kalifornien zu gehen, die auch zu Penfolds gehört, aber er kam nie zurück. Heutzutage, wenn wir uns im Ausland engagieren, bestehen wir darauf, dass die Leute wieder zurückkommen. Es gibt etwas an diesem Ding namens Penfolds, das mehr ist als nur ein Unternehmen, es ist eine emotionale Angelegenheit, es ist für uns das einzig Wahre. So etwas lässt sich nicht erfinden.
Wie hat sich die Weinherstellung in den letzten 30 Jahren in Australien verändert? Werden heute andere Weine hergestellt, oder sind es immer noch die gleichen wie am Ende der 80er Jahre, als Sie eingestiegen sind?
Schauen Sie sich Penfolds an, wir haben viele Linien, die wir nahezu unverändert fortsetzen. Wir haben stilistische Vorlagen, und wir optimieren sie, wir verfeinern sie, wir ändern sie aber nicht. Nehmen sie den Grange, der jetzt 70 Jahre alt ist, Jahr für Jahr hat er eine festgelegte Stilvorlage. Ich werde immer wieder gefragt: «Peter, was tust du, um den Grange zu ändern?» Und meine Antwort darauf, die viele Journalisten nicht zufrieden stellt, sind zwei Worte: «Absolut nichts.» Ein Ziel ist natürlich, bessere Bewertungen als für den 53er oder 52er oder den legendären 55er zu bekommen, dafür ändere ich die Vorlage, aber doch nicht, indem ich mein Ego voranstelle und meinen Kopf durchsetzen will. Wir sind Hüter bestimmter Weinstile, nach dem Motto: Wenn es nicht kaputt ist, muss es nicht repariert werden. Die Verfeinerungen, die Verbesserungen, das eine Prozent mehr, das hört jedoch nie auf. Als die Fachleute sich das Sortiment 2018 ansahen, konnten sie nicht glauben, wie verführerisch und doch zugänglich diese Weine waren. Früher war es eher so, dass man einen Grange in den ersten 20 Jahren nicht anfassen konnte. Jetzt ist vom ersten Tag an der Reiz da, ist die Trinkanimation da. Du glaubst, du könntest ihn heute Abend trinken, und dabei lässt sich der Wein ebenso gut in einem halben Jahrhundert oder, wie den 62er, auch erst in 60 Jahren trinken. Uns geht es um periphere Veredelung, die sowohl im Weingut wie auch in den Weinbergen steckt. Da hat sich in den letzten 30 Jahren sehr viel verändert. Bodenmanagement, Wassermanagement, Laubwandmanagement, regenerative Landwirtschaft, all das passiert in den Weinbergen. Das Ausgangsmaterial für unsere Weine angesichts des sich verändernden Klimas wo immer möglich zu verbessern, das ist ein wesentlicher Punkt unserer aktuellen Arbeit.
«Ich schleiche immer noch um Weinkisten herum wie ein erwischter Schuljunge.»
Vielleicht ist das der Grundgedanke hinter Penfolds und der Art und Weise, wie Sie Wein machen. Sie denken immer Jahrzehnte voraus, über die Grenzen des eigenen Nachlasses hinaus.
Ja, das ist eine Unternehmenskultur, die schon vor Max Schubert begann. Der Grange war für viele ein völlig weltfremder Weinstil, heute ist er ein Role Model für viele, es ist ein Stil, den viele Leute erkennen. Aber damals in Australien wurde er nicht gut aufgenommen. Drei Jahrgänge musste er verheimlichen, weil das damalige Familienunternehmen unter Androhung einer fristlosen Kündigung dem Stil nicht zustimmte. Und wir machen heutzutage ähnliche Dinge. Aber Sie haben Recht, wir schauen in die Zukunft, respektieren aber auch die Vergangenheit. Und das ist das Wichtigste, denke ich. Niemand weiss, was in der Zukunft passieren wird, aber wenn man jetzt in unterschiedliche Länder geht, könnte man das fast als Zukunftssicherung oder Klimavorsorge oder Risikominderung für das Unternehmen betrachten. Mit dem Yattarna, unserem Flaggschiff-Chardonnay, haben wir von 1995 an rund zehn Jahre experimentiert, bevor wir in den Süden nach Tasmanien gingen. Die ersten tasmanischen Trauben aus Yattarna gab es erst 2006, da haben wir Tasmanien und sein Klima verstanden. Das alles läuft unter dem Begriff «Evolution» und ist schwer vorherzusagen. Wenn wir eine Kristallkugel hätten, wäre das ideal. Aber unsere Muttergesellschaft ist ziemlich gut, und auch unser Vorstand ist ziemlich gut und traut sich vieles. Dennoch bleibt vieles riskant, und es braucht ein bisschen Mut, ein bisschen Risiko.
Wenn Sie auf Ihr Berufsleben schauen, muss es einige Projekte geben, bei denen Sie in den letzten 20 Jahren sozusagen den Samen in den Boden gelegt haben. Wann gibt es die nächsten Trauben beziehungsweise Weine von Peter Gago?
Wir haben als Unternehmen beständig neue Regionen entdeckt, für uns neue Rebsorten gepflanzt. Wir suchen ständig nach neuen Klonen, neuen Standorten. Insbesondere bei unseren Weissweinen hat Yattarna eine gewisse Hebelwirkung, um in der Zukunft etwas Besonderes zu produzieren. Vielleicht einen Le-Pin-Weisswein, wir würden auch gerne den australischen Montrachet finden, wo auch immer er sein mag. Australien ist ein grosses Land, und während wir uns in Kalifornien versuchen, während wir in Bordeaux bestimmte Dinge tun, gibt es auf dem australischen Kontinent immer noch ein immenses Potenzial. Da ist wirklich viel in Bewegung. Aber ehrlich gesagt, um ein Vermächtnis habe ich mich nie wirklich gekümmert. Ich bin einfach Teil einer Gruppe, die Fortschritte und ein paar interessante Dinge gemacht hat, von denen einige sogar sehr erfolgreich waren. Aber um das, was wir heute tun, in die Zukunft zu extrapolieren, muss man jeden einzelnen Tag als Neuanfang begreifen. Ich habe es ja schon gesagt, wir bei Penfolds werden unseren Stil nicht ändern, um jedem Weinliebhaber alles zu bieten. Aber wir werden immer an den Stellschrauben drehen.
Wenn Sie in Ihren privaten Weinkeller gehen und eine Flasche mit nach oben bringen, welche ist das? Was mögen Sie als Weintrinker?
Ich sammle seit gut 45 Jahren Wein, das fing an, als ich ein langhaariger Student an der Melbourne University war. Damals machte ich oft den Spruch, dass meine Freunde für Autos sparten, während ich mein ganzes Geld für Wein ausgegeben habe. Aus dieser Zeit habe ich noch viel in meinem Keller, die unterschiedlichsten Weine aus jedem Land aus unterschiedlichen Jahrgängen. Es wird in meinem Keller wahrscheinlich keinen Wein geben, der keine Geschichte erzählt. Es ist eine echte Liebe für und ein echtes Interesse an Wein. Das ist, nebenbei bemerkt, das Einzige, was Sie dazu bringen kann, lächerlich viele Stunden zu arbeiten oder was auch immer. Und sich so auf ein Glas Wein zu freuen, wie sie es vor 30 oder 40 Jahren waren. Ich lasse übrigens die Preisschilder auf den Flaschen, damit ich nicht in die Verlegenheit komme, nach Wert zu trinken. Meine Freunde sagen manchmal: «Hey, das können wir nicht jetzt trinken.» Und ich sage: «Doch, wir können. Wir trinken jetzt eine 2000-Dollar-Flasche Wein.» Aber auf der Flasche steht 8,99 Dollar, und das ist, wofür ich sie bezahlen lasse. Ich liebe es, diese Geschichte zu erzählen, weil es eine wahre Geschichte ist und ich es heute noch genauso mache.