Ritter der Reben

Sir John Hegarty im Interview

Text: Eva-Maria Dülligen, Fotos: Anthony Rose

Gegen den Rat von Marktforschern liess er den längst vergessenen AudiSlogan «Vorsprung durch Technik» wieder aufleben. Mit seiner ikonischen Werbekampagne für «Levi’s 501» holte er das Textil-Unternehmen aus der Beinah-Versenkung. Und die Cuvée seines Weinguts nennt der zum Ritter Geschlagene unbescheiden «Black Knight». Wir trafen Sir John Hegarty mitten in Londons Kultviertel Soho.

Sir John, Londons Viertel Soho haftet ja immer noch der Geruch des Rotlicht-Milieus an. Warum haben Sie «The Garage», ein Unternehmen, das Start-ups fördert, ausgerechnet hier etabliert?

Also zunächst befinden wir uns hier in einem Gebäude, das 1780 erbaut wurde und als Weinhandel diente. Weil ich selbst Weinproduzent bin, gibt mir das ein gutes Gefühl. Dann ist Soho für mich in erster Linie ein Mode- und Medienviertel – ein Bezirk mit sprengstoffartigem  Kreativitätspotenzial. Dieser Bezirk verströmt eine unglaublich positive Energie.

Soweit man der Presse entnehmen kann, liegt Ihnen das Widerspenstige, Unangepasste im Blut. Sind das in Ihren Augen Eigenschaften, die unbedingt zum Erfolg führen?

Wenn Sie damit meinen, dass man an einer Idee festhält, von der man rational und emotional überzeugt ist, hat sie Erfolgsaussichten. Ich stamme aus Nordirland, dessen Bevölkerung man zu Recht eine gewisse Sturheit nachsagt. Aber nur gegen den Strom zu schwimmen allein reicht nicht. Enthusiasmus ist für mich die zweitwichtigste Eigenschaft nach dem Talent.

Wie viel Enthusiasmus haben Sie denn mitgebracht, als Sie die 15 Hektar grosse Domäne Hegarty Chamans im südfranzösischen Minervois ins Leben riefen?

Enthusiasmus im Übermass. Wein symbolisiert das «Unvergängliche». Im Gegensatz zur Werbung, die immer nur eine Momentaufnahme sein kann, den Zeitgeist aufgreift. Aber, jeder, der über Jahrzehnte gealterte, barriquegereifte Bourgogne oder Bordeaux genossen hat,
weiss, dass Trends hinter dem Klassischen zurückstehen.

Und wie schaut es mit dem Talent aus?

Ich bin kein Önologe oder Weinakademiker. Meine Wein-Erfahrung fusst auf geleerten Flaschen der gesamten Weinwelt. Als Werbemanager besitze ich aber die Gabe des Delegierens. Ein Mitglied des Weingut-Teams im Minervois ist die Önologin Jessica Servet. Ihr Gaumen ist quasi aus Gold. Auch wenn ich mir jetzt Feinde mache: Frauen haben eine feinere Sensorik, eine ausgeprägtere Sensibilität beim Schmecken und Riechen.

«Die Zeiten, als Franzosen nur Weine von Franzosen tranken, sind passé.»

Halten Sie sich bei der Arbeit im Keller und Weinberg vollkommen raus?

Im Gegenteil. Meine Frau Philippa und ich bringen uns vom Rebschnitt bis zur Assemblage mit ein. Aber dabei lassen wir uns von Weinbau-Experten wie Marco Simonit anleiten. Marco berät unter anderem Angelo Gaja, Louis Roederer und Château d’Yqem beim Rebschnitt. Ihn für die Reberziehung an der Seite zu haben, ist, als hätte man Gwyneth Paltrow zur persönlichen Ernährungsberaterin.

Es dürfte für Sie als Werbe-Beauftragter von Marken wie Audi, Levi’s, Google und Johnny Walker sicher ein Leichtes sein, mich davon zu überzeugen, die Weine von Hegarty Chamans zu kaufen…

Ein guter Freund hat mich mal gefragt, welche Art Wein ich machen will. Das ist aber nicht meine Entscheidung, sondern die des Bodens, auf dem er wächst. Sowas vielleicht?

Klingt irgendwie nach: «Perfektion Audi. Das sind fünf Millionen Testkilometer bis zur Serienreife.»

Dann konkretisiere ich die Testkilometer meiner Weine. Ich stand von Anfang an hinter organischen Methoden. Seit 2010 ist mein Betrieb Demeter und Ecocert zertifiziert, arbeitet also im Keller mit Spontanvergärung und leichter Filtration nach den Mondphasen. Im Weinberg herrscht artenreiche Begrünung mit Heilpflanzen wie Fenchel oder wildem Thymian, die ihre ätherischen Öle an die Reben weitergeben. Olivenbäume, Lavendelfelder und Bienenstöcke um die Rebanlagen sorgen für zusätzliche Diversität im Terroir, natürliche Kompostierung kommt von unseren Schafen. All das macht unsere Weine Jahr für Jahr authentischer und langlebiger.

Ihr serienreifstes Pferd im Stall ist der «Black Knight», eine Cuvée aus Syrah, Grenache und Carignan. Nun wurden Sie 2007 von Queen Elizabeth II. wegen Ihrer Verdienste um die Werbe- und Kreativindustrie in UK zum Ritter geschlagen. Ist der «Schwarze Ritter» eine Hommage an Sie selbst?

(Lacht) Dieser Ritterschlag gilt einzig der Assemblage, die nur in sehr guten Jahren abgefüllt wird. Der Name assoziiert zum einen die lange, spannende Geschichte der Ritter im Languedoc-Roussillon und das «Black» steht zum anderen für die tiefdunklen, auf dem Höhepunkt ihrer physiologischen Reife geernteten Reben.

Dass Sie die Cuvée nicht «Le Chevalier Noir» genannt haben, liegt nicht zufällig daran, dass die Hauptabnehmer weniger Franzosen als Engländer sind?

Wir sind gut aufgestellt auf dem französischen Markt. Die Zeiten, als Franzosen ausschliesslich Weine von Franzosen tranken, sind passé. Sie kaufen meinen Wein, weil er elegant ist und eine saubere Preis-Leistungs-Balance hat. Am meisten freue ich mich über Laufkunden, die sogar aus Carcassonne und Lagrasse kommen. Philippa und ich haben uns vom ersten Moment in der Gemeinde Trausse zu Hause gefühlt, und wir sind dort gern gesehen. Das Zwischenmenschliche spielt eine sehr grosse Rolle beim Geschäft mit Südfranzosen.

«‹Kauft diesen Kasten Bier und ihr rettet den Regenwald!› ist Lazy Marketing für mich.»

Parallel zu Ihrem Weingut haben Sie eine Firma in diesem Londoner Gebäude. Was treibt Sie nach fünf Jahrzehnten an der Spitze der globalen Kreativ-Branche an, weiter auf diesem Feld zu arbeiten, anstatt sich dauerhaft ins südfranzösische Paradies zu verabschieden?

«The Garage Soho» lanciert Start-ups. Die Unternehmen werden aufgrund ihres Potenzials, die Welt zu verändern, ausgewählt. Wir dienen
als Frühphaseninvestor und Markenbauer für Start-ups mit dem Schwerpunkt technologiegestützte Verbrauchermarken, stellen ihnen Büroflächen und ein Startkapital zur Verfügung und geben professionelle Businessberatung. Kurz: Ich fühle mich dem kreativen Nachwuchs verpflichtet.

Sind Sie d’accord mit dem herrschenden Trend, Werbung mit Political Correctness einzufärben?

Ich nenne das, was Sie da anreissen, Lazy Marketing, das sich phantasielos an Black Lives Matter, Fridays for Future etc. anbiedert: eine Politisierung der Werbung, die keine Substanz hat und deshalb nicht ehrlich rüberkommt. «Kauft diesen Kasten Bier und ihr rettet den Regenwald!» «Kauft dieses Shampoo und der Rassismus hat ein Ende!» Ich als Konsument möchte wissen, ob das wirklich Bio-Orangen in meiner Marmelade sind. Ein Spot lässt sich durchaus mit emotionalen Bildern aufladen, aber bitte das Produkt betreffend.

Von der internationalen Presse werden Sie als der Mann bezeichnet, der «Meilensteine in der Werbegeschichte schuf». Einen dieser Meilensteine legten Sie für Audi…

Als ich vor 40 Jahren eine alte Audi-Werkshalle in Ingolstadt besuchte – meine Londoner Agentur BBH hatte einen Werbeauftrag von Audi – fand ich dieses vergilbte Plakat mit der Aufschrift «Vorsprung durch Technik». Obwohl ich nicht sofort verstand, was das bedeutet, spürte ich das Elektrisierende, das von dem Satz ausging. Marktforscher rieten mir davon ab, den Slogan in UK zu relaunchen: Deutsch wäre negativ konnotiert wegen der Weltkriege und so weiter. Ich war derart überzeugt von der Bildkraft dieser Worte, dass ich die Audi-Chefs für meine Kampagne gewann.

Ähnliche Erfolge erzielten Sie Mitte der 80er Jahre mit den «Levi’s 501»-Werbefilmen, in denen unter anderem Brad Pitt die Marken-Jeans erotisch inszeniert. Legen Sie die Messlatte für den Erfolg Ihrer Weine auch so hoch?

Nein. Die Domäne ist perfekt gewählt, eben weil die Region nicht solche Erwartungen weckt, wie es ein Weingut im Burgund oder in Bordeaux täte. Im Minervois ist es ein bisschen wie in Soho, du fühlst dich frei, kannst viel ausprobieren. Es weht ein Hauch von Wildwest – die Appellation ist geküsst vom milden Mittelmeerklima, von Winden wie Tramontane oder Cers, die die Reben trocknen, und von erstklassigen Böden, in meinem Fall Kalkstein, Lehm und einigen Flächen mit Schieferanteilen. In 50 Jahren hat die Region vielleicht eine Reputation wie Bordeaux. Davon werde ich dann wohl kaum mehr profitieren.

Stichwort «Ausprobieren»: Welche Innovationen gibt es in Ihrer Domäne?

Eine ist die Hochfrequenz-Reinigung der Holzfässer. Wir haben Barriques von der burgundischen Küferei Seguin Moreau und leicht getoastete Eichenfässer vom niederösterreichischen Fassbinder Stockinger. Damit die Fässer ihren reifen, unverfälschten Eichengeschmack behalten, setzen wir diese Ultraschalltechnik ein, die ohne Chemikalien desinfiziert. So werden Syrah, Mourvèdre, Carignan und Grenache Noir noch authentischer widergespiegelt.

Vorhin deuteten Sie noch eine kleine Sensation bei Hegarty Chamans an, die ebenfalls im Reifekeller stattfindet.

Wir haben seit kurzem ein Beton-Ei für unseren Grenache Blanc. Er wird kontinuierlich gerührt in dem Ei, und es findet eine komplett andere Oxidation statt. Ich war aufgeregt wie ein Kind, als ich das erste Ergebnis im Glas hatte. Reine Frucht, spannungsgeladen. Nach hinten raus flambierte Limone. Jessica erklärte mir, das Beton-Ei hätte den Goldenen Schnitt, also das perfekte Verhältnis von Oberfläche zu Durchmesser. Jedenfalls liefert die Gärung in diesen Gebinden das volle Kontrastprogramm zur Eichenfass-Reifung.

Wenn Sie ein Äquivalent zu «Vorsprung durch Technik» auf dem Gebiet der Weinwerbung finden müssten, wie würde es lauten?

Das kann ich Ihnen erst sagen, wenn ich ein altes vergilbtes Plakat im historischen Kellergewölbe von Château Pétrus gefunden habe.

Danke für dieses Gespräch, Sir John.

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