Riesling: die Benchmark für deutschen Wein
Deutschlands neue Riesling-Stars
Text: Harald Scholl, Foto: Andreas Durst
Es lässt sich trefflich über die Frage streiten, welchen Stellenwert Riesling im deutschen Rebsortenkanon hatte, welchen er aktuell hat und welchen er in Zukunft haben wird. Für Letzteres wird die kommende Generation der Rieslingwinzerinnen und -winzer verantwortlich sein, deren Weine sollte man sich deshalb genau anschauen und beizeiten ins Glas nehmen. Denn Riesling bleibt eines mit Sicherheit: die Benchmark für deutschen Wein.
Die schlechte Nachricht gleich vorab: Enttäuschen müssen wir all jene Leserinnen und Leser, die hofften, in diesem Beitrag auf gänzlich unbekannte Rohdiamanten zu stossen. Diese finden sich in unserer regelmässig erscheinenden Liste der besten Jungwinzerinnen und -winzer, hier soll es um die Personen gehen, die den deutschen Riesling prägen werden. Und eine solche Fähigkeit lässt sich schwerlich innerhalb kurzer Zeit erlernen, da braucht man ein paar Jahrgänge, um sich auszuprobieren. Deshalb sind unsere jungen Riesling-Stars in der Szene durchaus schon bekannt und ihre besten sowie stilbildenden Weine dementsprechend knapp verfügbar.
Aber um Schnäppchen soll es gar nicht gehen. Es soll in erster Linie gezeigt werden, welche Winzerinnen und Winzer das Gesicht des Rieslings in den nächsten Jahren prägen werden. Unsere glorreichen Neun werden mit allergrösster Sicherheit dazugehören. Sie prägen schon heute den Diskurs um die deutsche Leitrebsorte, die Frage nach Stilen und Arbeitsweisen, nach Ausbau und Nachhaltigkeit und die Frage, ob grosser Riesling nun trocken, feinherb oder fruchtsüss sein sollte. Wobei die letztgültige Antwort darauf nur sein kann: sowohl als auch. Aber diskursiver Spass beiseite: Riesling hat eine jahrhundertealte und stets wechselvolle Geschichte. Wie kaum eine andere Sorte hat sie sich dabei immer wieder neu erfunden, war ihrer Zeit in einigen Epochen voraus, in anderen hinkte sie der geschmacklichen Entwicklung und den Leidenschaften der Weintrinker hinterher. Sie war aber jederzeit eng verbunden mit den Menschen, die sie prägten.
Nun macht sich eine neue Generation von Winzerinnen und Winzern daran, das gängige Bild des Rieslings zu verändern. In ihrer jeweiligen Region – und darüber hinaus. Vor allem im Ausland, wo viele der vorgestellten Güter bekannter und gefragter sind als in ihrer Heimat selbst. Aber auch das war beim Riesling schon immer so.
Das Erbe der Grossmütter und -väter
Natürlich ist das eine beliebte Floskel, jede Winzerin und jeder Winzer wird auf Nachfrage ihre beziehungsweise seine Vorfahren als Inspiration angeben, sich auf das Erbe der Familie berufen. Aber das sind zum Gutteil Lippenbekenntnisse. Ein berühmtes Zitat sagt: «Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Schüren der Flamme.» Vor allem, wenn diese Flamme heiss wie die Sonne brennt und es dem Riesling mit Wassermangel und Sonnenbrand ziemlich schwer macht, die Tradition der Eleganz und Frische zu bewahren.
Dennoch sind Feuer und Flamme für den Riesling in all seinen Stilarten bei den neun Rieslingstars zu finden, sie brennen für das, was sie tun, und für das, was ihre Region ihnen an einmaligen Voraussetzungen bietet. Das ist der vielleicht sichtbarste rote Faden in dieser Auswahl. Egal, ob Betriebsnachfolger oder Neueinsteiger, alle neun beziehen sich in ihren Arbeitsweisen immer wieder auf die Methoden der Grossväter, deutlich weniger auf die der Väter. Das Streben nach Rationalisierung, das den deutschen Wein in den 70er und 80er Jahren geprägt hat, ist für sie kein Thema. Individualität, Eigenständigkeit, Langlebigkeit sind die Werte, nach denen sie suchen. Dass damit in fast allen Fällen harte körperliche Arbeit in der Steillage einhergeht, schreckt sie daher nicht.
Die fast schon kindliche Freude an alten Rebstöcken, an der täglichen Arbeit im Weinberg ist eine Gemeinsamkeit aller neun Vorgestellten. Mit ihrem Feuer und dieser regionalen Verwurzelung, die den Blick über den Tellerrand ausdrücklich beinhaltet, werden sie das Gesicht des Rieslings in den nächsten Jahren mit Sicherheit prägen.
Julian Ludes, Thörnich (Mosel)
Zeit ist das Wichtigste
Die Geschichte von Julian Ludes beginnt mit Onkel Hermann. Er hat den auf strammer, kristalliner Säure basierenden Stil des Hauses begründet. Damit hat er sich nicht zu allen Zeiten beliebt gemacht, vor allem seine Kompromisslosigkeit wurde von den Nachbarn gerne als Sturheit interpretiert. Aber was soll man auch sagen über einen Winzer, der seine Weine nie ent- oder aufsäuert, ausschliesslich eigene Hefen ihr Werk tun lässt und der seit fast 20 Jahren alle Flaschen mit Schraubverschluss versieht? Dass er mit dieser Haltung seiner Zeit weit voraus war und gleichermassen den Grundstein für den heutigen Erfolg gelegt hat, belegen die in den Kellern ruhenden Weine aus den letzten 30 Jahren. Sie sind exakt so, wie es die aktuellen Weine seines Neffen Julian sind. Auch beim Blick in die Weinberge drängt sich der Eindruck bewahrter Tradition auf.
3,5 Hektar bewirtschaftet Julian in der Thörnicher Ritsch, 8500 Rebstöcke pro Hektar, und das zum grossen Teil auch noch in arbeitsaufwändiger Einzelpfahlerziehung. Im Schnitt sind die Reben 70 bis 75 Jahre alt und trotz der Wasserproblematik in der Ritsch bei bester Gesundheit. Dieser Teil des Anbaugebiets bekommt wenig Wasser, zusätzlich kann das wenige nur schlecht gehalten werden. Deshalb sind die Weine verwirrend schlank, von mineralischer Kühle und haben immer ein bis zwei Gramm mehr Säure. Aber genau darin sieht Julian die Zukunft, denn die überall sinkenden Säurewerte dürften das grosse Thema für den Riesling werden. Deshalb glaubt er an seinen Stil und die Weine aus der Ritsch. Voller Überzeugung gibt er 25 Jahre Garantie auf seine Weine. Der Mann denkt an die Zukunft!
Hermann Ludes
2019 Thörnicher Ritsch
«Gackes unten»
Riesling Kabinett feinherb
Die Parzelle Auf der Gackes teilt sich in einen tiefgründigen Teil oberhalb des Felsens und den steinigeren Teil unterhalb auf. Rauchige Schieferwürze trifft auf Limette. Wenig Frucht, pure Eleganz und Finesse, getragen von vitalster Säure. Bleibt minutenlang am Gaumen haften, ohne Spur von Schwere.
12,50 Euro | www.gutsweine.com
Christopher Loewen, Leiwen (Mosel)
Alles auf Anfang
Das weniger am Ende deutlich mehr bringen kann, davon ist Christopher Loewen überzeugt. Diverse Auslandsaufenthalte haben ihm gezeigt, dass es an der Mosel eine weltweit einmalige Kulturlandschaft gibt, die quasi im Alleingang grosse Weine entstehen lässt. Er schwört auf «Low intervention winemaking». Die alten Weinberge regulieren sich nahezu selbst, es gibt keine grüne Lese, es gibt keine Pumpen, keine Maischestandzeit, keine zugesetzten Hefen, keine Enzyme, keinen Abstich, und es wird vor der Füllung nur einmal filtriert. Also Weinmachen als unterlassene Hilfeleistung? So einfach ist es dann doch nicht. Um möglichst viel Stilistik aus dem Weinberg, aus dem Boden zu holen, ist Christopher jeden Tag in den Reben unterwegs. Er hat während der Ausbildung viel mit Biodynamie gearbeitet, dennoch würde er eher die Grossväter fragen, mit dem Mondkalender haben die schliesslich auch schon gearbeitet. Leider wurde in den letzten hundert Jahren vor allem an Rationalisierung gedacht, nicht an die Erfahrung der Alten und an das, was die Natur sagt.
Ursprünglich war das Weingut ein bäuerlicher Betrieb, Wein wurde nur im Nebenerwerb erzeugt. Seit sechs Jahren arbeitet Christopher mit seinem Vater auf dem Gut, Ende des Jahres wird dieser offiziell in den Ruhestand gehen. Aber die Philosophie und vor allem der unbedingte Glauben an die Steillage werden die gleichen bleiben. Im steilsten Teil der Thörnicher Ritsch, Im Schneidersberg, wurde ein Weinberg rekultiviert, die Rebstöcke stammen aus der wurzelechten Paradeparzelle 1896. Erste Ergebnisse sind da, Christopher möchte das irgendwann separat vermarkten. Ein wenig Arbeit hat er dann doch noch vor sich.
Weingut Carl Loewen
2019 Riesling Thörnich Ritsch trocken GG
Der blaue Schiefer der Ritsch prägt diesen Wein in der Nase. Auf der Zunge zarte Noten von Mandarine und Grapefruit, gestützt von typischer Schiefermineralität, fast schon salzig. Nie fordernd, in sich ruhend, alles ist im (Trink-)Fluss. Ein Charmeur mit Tiefgang und brillanter Zukunft.
25 Euro | www.weinwerk.de
Lukas Sermann, Altenahr (Ahr)
Seltenes Vergnügen
«Welchen Teil von Spätburgunder hast du nicht verstanden?» Diese Frage ist Lukas Sermann tatsächlich gestellt worden. Wenig überraschend, wenn man im Ahrtal lebt. Es ist Spätburgunder-Land, als Riesling-Winzer fällt man da auf. Aber sein Betrieb liegt in der kalten Ecke der Ahr, hier war es lange Zeit einfach zu ungemütlich für Rotwein. Am Spätburgunder probiert er sich daher immer noch aus, beim Riesling ist er eingegroovt, wie er selbst sagt. Dieses ungewöhnliche Setting hat er sich nicht ausgesucht, seit 1936 gibt es das Weingut. Uropa Theo hat es gegründet, Lukas ist die vierte Generation. In den acht Hektar Weinbergen steht vor allem Riesling, viel Steillage, Einzelpfahlerziehung, sogar wurzelechte Stöcke sind darunter. Die landeten früher im Ahr Riesling mild, heute sind es Lagenrieslinge, die Lukas wegen der grossen Nachfrage zuteilen muss.
80 Prozent seiner Weine werden direkt ab Hof verkauft, was an der Ahr nicht ungewöhnlich ist, denn die Städte Bonn und Köln liegen nicht weit entfernt. Das ist Segen und Fluch zugleich, die Ahr hat ein Darstellungsproblem, glaubt er. Weintourismus ist gut und schön, Lukas hat ein echtes Faible für die gutseigene Gastronomie. Aber die Ahr kann so viel mehr, vor allem qualitativ sieht er noch Luft nach oben. Das Potenzial der alten Weinberge schlummert noch im Verborgenen, Lukas sucht gezielt alte Anlagen, um sie zu rekultivieren. Sechs GG Lagen hat er inzwischen «gesammelt», seit zwei Jahren besitzt er Rebstöcke im Walporzheimer Kräuterberg. Er wird den Betrieb nur vergrössern, wenn er alte Anlagen findet. Auch wenn das bedeutet, alte Trockenmauern reparieren zu müssen.
Weingut Sermann
2019 Altenahrer Eck Riesling
Alte Reben trocken
Paradejahr für Ahr-Riesling! Pflanzjahr 1939, entsprechend karg-mineralisch ist der Wein. In der Nase deutlich Zitronenzeste, intensive Frische. Die unbändige Zitrusnote verschwindet am Gaumen, zart cremig, hohe innere Dichte, ausgeglichen. Im Finale wieder Zitrone, Frische und Vitalität überall.
14,40 Euro | www.sermann.de
Jonas Seckinger, Niederkirchen (Pfalz)
Daheim sind die Reben grüner
Schon mit 17 wusste Jonas Seckinger ganz genau, was er mal werden will: Winzer. Punkt. Nichts anderes. Da er auf einem Weingut gross geworden ist, kein ganz illusorisches Ansinnen. Aber einfach war es trotzdem nicht. Die Eltern haben die Trauben nämlich an die Nachbarbetriebe verkauft, ausgebaut wurde nicht wirklich im Hause Seckinger. Das änderte sich 2012, als Jonas und seine Brüder Lukas und Philipp ihren ersten eigenen Jahrgang kelterten. Aus heutiger Sicht eine kluge Entscheidung, die Weine der Brüder sind in Insiderkreisen hochbegehrt, viele müssen zugeteilt werden. Das überrascht umso mehr, als Jonas kein weltläufiger Jungweinmacher ist.
Er ist Pfälzer durch und durch, seine besten Freunde wohnen nebenan und sind auch Winzer, seine Ausbildung hat er zum grossen Teil auf dem Weingut Odinstal absolviert. Daher kommt die grosse Affinität zum biodynamischen Weinbau, auch wenn der eigene Betrieb nicht zertifiziert ist. Die Traubenmenge wird über den Boden reguliert, die Begrünung zwischen den Rebzeilen bleibt lange stehen, es wird nicht entblättert, der Schatten ist wichtig für die Trauben. Im Keller dann Ganztraubenpressung für zehn bis zwölf Stunden, spontane Gärung, volle Fässer, leichte Oxidation. Das ist vom Gedanken ähnlich gemacht wie bei Weinen aus dem Jura oder Burgund. Oder wie beim Opa. Der hat damals ähnlich gearbeitet, ohne Analytik, aber mit viel Gefühl für den Wein. Und da der alte Herr noch mit 92 Jahren im Reiterpfad mitgearbeitet hat, wird auf ihn gehört. Dieser Typ Wein ist bei der amtlichen Prüfung bis vor kurzem immer durchs Raster gefallen, aber da scheinen sich Dinge zu ändern. Sogar in der Pfalz.
Weingut Seckinger
2019 Petershöhle Riesling trocken
Die Lage wurde vom Vater rekultiviert, alte Terrassen mitten im Wald. Selektive Handlese, Maischestandzeit. Duftet nach Blüten, Kräutern, eher fein als kraftvoll. Lebendige Säure, karge Aromatik, vom Schiefer-Eisen-Boden geprägte Würze. Für Einsteiger irritierend, da ohne Frucht. Braucht Zeit in der Karaffe.
35 Euro | www.weinkombinat.com
Alexander Loersch, Leiwen (Mosel)
Hauptsache Steillage
Wie viele Winzer, hat auch Alex Loersch etwas anderes gelernt, er ist ausgebildeter Schreiner. Mit Wein wollte er ursprünglich nichts zu tun haben, aber irgendwann hat ihn die Liebe zu diesem doch eingeholt. Der Vater war schon recht erfolgreich, vor allem dessen edelsüsse Weine waren gefragt. Nicht weiter verwunderlich also, dass Alex über die feinherben und fruchtsüssen Rieslinge seinen Aufstieg begann. Auch wenn alle Weine ihm gleich lieb sind, die Königsklasse ist und bleibt für ihn die Trockenbeerenauslese. Da ist er eben ein klassisch geprägter Moselaner. Es spielt ihm in die Hände, dass in den letzten zwei Jahren die lieblichen Weine wieder stärker aufkommen, nicht zuletzt wegen der geringeren Alkoholgrade. Das zeigt sich sowohl in der Gastronomie wie im Ab-Hof-Verkauf. Der Gutswein feinherb verkauft sich besser als der Gutswein trocken. Das liegt vielleicht daran, dass Alex immer für feinherbe Weine gekämpft hat, kein Kunde kam vom Hof, ohne diese zu probieren.
Aktuell produziert das Weingut 70'000 bis 80'000 Flaschen pro Jahr, die Rebfläche ist mit acht Hektar ziemlich konstant. Moseltypisch mit vielen steilen Schieferterrassen. Im Prinzip ist Alex mit der Betriebsgrösse zufrieden, aber wenn da ein Nachbarweinberg mit alten Rebstöcken zu kaufen oder pachten ist, greift er zu. Stolz ist Alex auf die Einzelpfahlerziehung in den Devon-Terrassen, die Rebstöcke sind zwischen 60 und 110 Jahre alt, zum Teil sogar noch wurzelecht. Das ist im Wein deutlich zu schmecken, eine mal kräftigere, mal dezentere mineralische Würze zieht sich durch das gesamte Sortiment. Und sorgt gerade bei den trockenen Rieslingen für vibrierende Spannung am Gaumen.
Weingut Loersch
2019 Devon Terrassen
Trittenheimer Apotheke Riesling trocken GG
Spontan im Edelstahltank vergoren, über ein Jahr auf der Feinhefe. Duftet sanft gelbfruchtig, viel Zitronenzeste. Auf der Zunge vital, Kraft und Eleganz halten sich die Waage, am Gaumen mit Schmelz und Nachdruck. Kann noch reifen – schmeckt (leider) schon jetzt.
18,50 Euro | www.weingut-loersch.de
Carolin Weiler, Lorch (Rheingau)
Seltenes Vergnügen
Weinbau ist auch Landwirtschaft, entsprechend konventionell sind bisweilen die Lebensentwürfe. Im Hause Weiler galt es als ausgemacht, dass die Jungs den Betrieb übernehmen und die Tochter Carolin einen sozialen Beruf ergreift. Heute sind die Brüder ausgebildete Winzer ohne rechte Lust auf den elterlichen Betrieb, die hat dafür aber Carolin, die zusammen mit ihrem Vater den Laden schmeisst und nebenher das Studium an der Weinuni in Geisenheim absolviert. So kann es gehen im wahren Leben. Carolin hat sich voller Leidenschaft für den Wein entschieden, manchmal träumt sie sogar davon und steht auch sonntags auf, um Wein zu verkaufen. Immerhin 80 Prozent ihrer Weine werden noch ab Hof verkauft.
Nur einen Mitarbeiter gönnt sie sich für das vier Hektar Weingut, ansonsten ist es ein Tochter-Vater-Betrieb. Denn sie will vor allem selbst im Weinberg stehen, das pure Gestein der Lagen spüren und möglichst unverfälscht ins Glas bringen. Weine, die Lagerpotenzial haben, und jene von kargen Lagen wie der Lorcher Krone, können das besonders gut. Die Schiefer- und Quarzit-Böden sorgen für mineralische Spannung, die Südwest-Ausrichtung sorgt für gesunde Säurewerte. Einen Riesling mit nur sechs Gramm Säure würde Carolin nicht ausbauen, sie will Schliff und Kühle. Die Weine an der Spitze werden heute schon spontan vergoren und kommen dann ins grosse Holz. Nur die einfacheren Weine wie der Rosé bleiben im Stahl. Stellt sich die Frage nach den nächsten Zielen: erstmal das Studium abschliessen und baldmöglichst einen neuen Weinberg anpflanzen, vielleicht sogar mit Silvaner. Denn der Opa hat auch schon Silvaner gemocht. Und wer weiss, was die ehrgeizige Enkelin daraus machen wird.
Weingut Weiler
2019 Lorcher Krone Riesling
Spätlese trocken -S-
Das beste Beispiel für Carolins Stil: würzige Feuersteinnote in der Nase, dennoch fein und von Eleganz. Das setzt sich am Gaumen fort, feine cremige Noten, unterlegt von mineralischer Würze und vibrierender Säure. Zeigt, was im Rheingau möglich ist, sollte vielleicht noch ein wenig reifen.
14 Euro | www.weingalerie-tafel.de
Gabriel Scheuermann, Niederkirchen (Pfalz)
Echte Bodenarbeit
Die letzten drei Tage hat Gabriel Kompost im Weinberg ausgebracht, selbst gemachter natürlich. So, wie es sich für einen zertifizierten Demeterbetrieb gehört. Verschiedene Begrünungen werden alljährlich eingesät, Biodiversität ist ein zentrales Anliegen. Der Weinberg ist die Visitenkarte des Weinguts, davon ist er überzeugt, aber zu akkurat darf es auch nicht sein. Man muss ihm auch ein gewisses Mass an Individualität zugestehen. Bis 2009 war das Weingut ein typischer Pfälzer Genossenschaftsbetrieb, Gabriel und sein Bruder Simon wollten aber mehr. Zum Glück zog die ganze Familie mit, Simon und sein Vater verantworten heute den Aussenbetrieb, die Mama führt das Büro, Gabriel ist für Keller und Vertrieb zuständig.
Von den 32 Hektar des Weinguts werden im Moment nur 13 selbst abgefüllt, der Rest geht an andere Betriebe. Das Ziel: irgendwann die ganze Fläche unter eigenem Etikett abzufüllen. Kein ganz leichtes Unterfangen, so wie im Hause Scheuermann Wein gemacht wird. Neben der intensiven Arbeit im Weinberg ist auch im Keller viel Handarbeit gefragt. Bis auf den Literriesling wird alles von Hand gelesen, dann folgt zu hundert Prozent Ganztraubenpressung, um die Frische zu erhalten. Vier bis zehn Stunden wird gepresst, um eine feinere Phenolik als mit Maischestandzeit zu bekommen, dann spontan vergoren, es gibt keine Schönung, keine Enzyme, nur Grobfiltration und langes Hefelager. Das lässt sich nur mit perfektem Lesegut umsetzen, auch weil man mit dem absoluten Minimum an Schwefel auskommen will. Die einfacheren Weine liegen ein halbes Jahr auf der Hefe, die Spitzen wie der 2019er Riesling Reiterpfad auch mal anderthalb Jahre. Nachhaltiger Erfolg ist eben kein schneller Erfolg.
Weingut Scheuermann
2018 Riesling Reiterpfad trocken
In der Nase wenig sortentypisch, Orangenschale, Walnuss, Ingwer, zart oxidativ. Im Mund mit viel Saft und Trinkfluss, zeigt prägende Phenolik am Zahnfleisch. Salzzitrone, Apfelschale, kraftvolle Säure. Ein Maul voll, druckvoll und lang, absolut eigenständig. Braucht viel Luft.
28 Euro | www.rohstoff-wein.de
Johannes Weber, Konz-Niedermennig (Saar)
Wenn Bauchgefühl alles ist
Das Anbaugebiet heisst offiziell Mosel, dennoch sind die Weine vom Hofgut Falkenstein eindeutig Saarweine. Sie sind kühler, schlanker, rassiger als die Exemplare vom grossen Fluss, davon ist Johannes Weber felsenfest überzeugt. Diesen Stil durchzuziehen, ist in Zeiten des Klimawandels gar nicht so leicht, das Rezept, um es doch hinzubringen, klingt geradezu abenteuerlich: Die Webers versuchen es mit gezieltem Nichtstun. Im Weinberg haben sie relativ locker gepflanzt, nur drei bis 4000 Stöcke pro Hektar, Bodenbearbeitung gibt es höchstens zweimal im Jahr, nur einen Laubschnitt und keine Entblätterung. Na ja, und der Rest ist dann einfach Bauchgefühl. Muss ein gutes Gefühl sein, die Weinberge sind grüner als bei den Nachbarn. Im Keller wird auch nicht experimentiert. Es wird nicht angereichert, nicht aufgesäuert, Maischestandzeit, Enzyme oder ein Betonei – will Johannes alles nicht. Jeder Eingriff verfälscht ihm den Wein zu sehr. Er ist nur der Transmitter dessen, was am Rebstock passiert, so die Selbsteinschätzung.
Auch deshalb gibt es auf Falkenstein keine Geräte ausser der Presse, dem Stapler und ein paar Schläuchen. Dafür über 30 Holzfässer, die auf individuelle Weise den Weg in den Keller gefunden haben. Zum grössten Teil gebraucht, sind sie nummeriert und haben zusätzlich einen Namen, der auch auf dem Etikett zu finden ist. Das diente anfangs zur Orientierung für die Weinmacher, ist mittlerweile aber zum Kult unter den Fans des Weinguts geworden. Und davon gibt es nicht wenige, vor allem in den USA und Skandinavien. Dorthin gehen 50 Prozent der Produktion, der mitunter polarisierende Stil der Falkenstein-Weine hat dort ein treue Fangemeinde. Wer in Deutschland an die raren Flaschen kommen will, muss schnell sein.
Hofgut Falkenstein
2019 Niedermenniger Herrenberg
Riesling Spätlese feinherb «Palm»
Wie alle Weber-Weine ein Ausbund an Eleganz und Transparenz. Die kühlen Lagen in 250 Meter Höhe sorgen für rassige und reife Säure. Rosa Pampelmuse, reif, saftig. Dabei von flirrender Finesse, schwebt über der Zunge. Völlig schwerelos und doch mit minutenlangem Nachhall.
18 Euro | www.hofgutfalkenstein.com
Trinks-Trinks, Geisenheim (Rheingau)
Doppelt hält besser
Von langer Hand geplant war das eigene Weingut nicht, Johanna Döring und Matthias Friedel stammen beide aus keiner Wein-Dynastie, es gibt kein Weingut in den Familien. Sie kamen über das Interesse an der Biologie an die Hochschule in Geisenheim und so zum Wein. Während des Studiums fanden die beiden nicht nur einander, sondern auch noch ein halbverfallenes Weingut im Ort. Ein Glücksfall, nach der Promotion, zwei Kindern und neben der Arbeit an der Hochschule noch die Zeit zu finden, das verschüttete Kleinod mit seinem alten Rebbestand wiederzubeleben. Dabei halfen ganz sicher die gewonnenen Erkenntnisse aus dem biologischen Weinbau – ihrem wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkt –, die im eigenen Betrieb ganz praktisch umgesetzt werden. Vor allem die Belebung der alten Rebflächen stand dabei im Mittelpunkt, sie bilden heute das Rückgrat der Weine von Johanna und Matthias.
Ihr jüngster Weinberg wurde 1991 gepflanzt, der älteste in der Steingrub bereits 1967. Vinologische Schätze, so alte ungenutzte Rebanlagen finden sich im Rheingau eher selten. Aus dieser Lage kommt auch ihr wichtigster Wein, ein echter «Old school»-Riesling, wie er im Rheingau immer schwerer zu finden ist. Vor allem können sie den Weinen Zeit lassen. Sie liegen ungewöhnlich lange auf der Hefe, schon der Basiswein wird erst neun Monate nach der Ernte abgefüllt, die Topweine erst direkt vor der nächsten Ernte. Trinks-Trinks ist ein reines Rieslingweingut, Riesling ist die flexibelste Rebsorte, man kann alles aus ihr machen. Ob süss, trocken, mit Maische, im Holz oder Edelstahl – sie versuchen sich an allen Möglichkeiten der Rebsorte und machen auch vor einer Beerenauslese nicht Halt. Schade nur, dass die Mengen eher überschaubar sind.
Weingut Trinks-Trinks!
2018 Geisenheimer Mönchspfad
Riesling trocken Alte Reben Steingrub
So waren Rheingau-Rieslinge wohl ehedem: in sich ruhend, von klarer Brillanz, fast schon erhaben, nicht aufdringlich. Vielschichtige Tiefe, am Gaumen mit feinem Schmelz, dabei nicht breit, eben gelassen. Beginnt sich gerade zu öffnen, kann definitiv weiter reifen. Ein Glücksfall.
11,90 Euro | www.trinks-trinks.de