Was verbirgt sich hinter den pilzwiderstandsfähigen Rebsorte und deren Winzern?
Piwi auf dem Vormarsch?
Text: Nicole Harreisser; Fotos: z.V.g., Jürg Willimann, Rebschule V&M Freytag, Neustadt an der Weinstrasse
Immer wieder stolpert man bei Verkostungen, in Weinkarten oder auch in VINUM über die Begriffe Piwi und Piwi-Rebsorten. Doch was verbirgt sich dahinter? Was sind diese pilzwiderstandsfähigen Rebsorten, die sogenannten Piwis? Wir stellen einige dieser Rebsorten und Winzer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vor, die mit diesen innovativen Trauben arbeiten.
«Jedes Jahr werden neue pilzresistente Traubensorten auf den Markt gebracht.»
Die Reaktionen beim Stichwort «Piwi» sind vielfältig und nicht immer nett, manch Weinliebhaber winkt sofort ab mit der Haltung «Diese Weine braucht es nicht, die sind dünn, sauer und schmecken nicht», bei anderen tritt ein Funkeln in die Augen, und ganz ehrfürchtig berichten sie von Neuentdeckungen, die sie bei Verkostungen oder auf Empfehlung eines ambitionierten Sommeliers gemacht haben. Ist Piwi ein neues Phänomen oder ein Trend wie Natur- oder Orangeweine? Was verbirgt sich hinter dieser Abkürzung?
Piwis sind pilzwiderstandsfähige Rebsorten und gar nicht so neu, wie man vermuten mag. Die Geschichte dieser teils als neu bezeichneten Rebsorten begann bereits im 19. Jahrhundert. Die beiden Pilzkrankheiten Echter und Falscher Mehltau waren damals in Europa nicht bekannt. Die ersten Emigranten nahmen auch Reben mit in die Neue Welt, wo sie sich allerdings nicht gegen die herrschenden Krankheiten behaupten konnten. Die heimischen amerikanischen Wildreben konnten sich gegen die Pilzkrankheiten und auch gegen die Reblaus wehren. Da Wildreben im Gegensatz zu den europäischen Reben kleinere Beeren hatten und geschmacklich nicht überzeugen konnten, begann man mit ersten Kreuzungen, um beide Vorteile zu vereinen. Aber auch über den Atlantik Richtung Europa wanderten Rebstöcke, und als die Reisezeit immer kürzer wurde, wurden Schaderreger wie Echter und Falscher Mehltau sowie die Reblaus mit den Pflanzen eingeschleppt. Eine schwarze Zeit begann im europäischen Weinbau, in der riesige Rebflächen vernichtet wurden.
Das Interesse an Rebsorten, die gegen die Pilzkrankheiten gefeit waren, nahm stetig zu, und diese Sorten fanden weite Verbreitung. Manche sind heute noch im Ertrag wie Léon Millot, Maréchal Foch, Seyval Blanc oder Muscat Bleu. Man kehrte erst wieder zu den traditionellen Rebsorten zurück, als Kupfer und Schwefel als Pilzbekämpfungsmittel entdeckt wurden, chemischer Pflanzenschutz zum Einsatz kam und dem weiteren grossen Schädling, der Reblaus, durch Aufpfropfen auf amerikanische Rebunterlagen Einhalt geboten werden konnte. Über die Jahre wurden die pilzwiderstandsfähigen Sorten aus dem Rebspiegel verdrängt und gelangten erst wieder in den 80er Jahren ins Bewusstsein der Winzer, als die Themen Schonung der Umwelt, Nachhaltigkeit und reduzierter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in den Fokus rückten.
Renaissance der Neuzüchtungen
Nicht nur einige Steine mussten aus den Rebbergen der neu angelegten Versuchsanbaufelder geräumt werden, auch viele bürokratische Hürden und Stolpersteine lagen auf dem Weg bis zur erneuten Zulassung und Neuentwicklung der Piwis, denn es galt, den vorherrschenden Rebsortenzwang zu überwinden. Und nicht jede Piwi-Sorte kann die Resistenz über die Jahre halten, und auch die klimatischen Bedingungen stellen die Trauben vor neue Herausforderungen. Bis eine Züchtung wirklich anbautauglich ist, vergehen mitunter 15 Jahre, und unzählige Kreuzungen können im gewerblichen Anbau nicht überzeugen.
Der Konsument sieht sich einer Vielzahl von Weinen mit teils sehr wissenschaftlich anmutenden Namen gegenüber, denn zu Beginn erhalten die neuen Sorten meist nur ein Kürzel des Züchters und einer verwandten Rebsorte sowie eine Nummer, beispielsweise CAL 1-28. Die Kreuzungen und Züchtungen sind aus Kreuzungen der Vitis vinifera und anderen Vitis entstanden. Gezielte Züchtungen und Selektionen treiben die innovativen Sorten nach vorn. Gentechnische Methoden sind hierbei ausgeschlossen. Viele der Winzer, die Piwi-Rebsorten teilweise oder ausschliesslich anbauen, haben ein Biolabel, aber auch Winzer ohne Bio-Zertifizierung haben begonnen, mit Piwis zu arbeiten, um eine langfristige Lösung zur Reduzierung des Pflanzenschutzes anzustreben.
Die Verbreitung der Piwis ist noch gering, aber sie wächst kontinuierlich auf kleinem Niveau. Die reduzierten Durchgänge beim Pflanzenschutz und dass synthetische Pflanzenschutzmittel nicht mehr eingesetzt werden, wirkt sich insgesamt positiv auf die Rebflächen aus. Für die Winzer hat die Arbeit mit den neuen Sorten auch gesundheitliche Vorteile. Hautreizungen, Asthma oder schlimmere Erkrankungen, die unter anderem durch den Kontakt mit synthetischen Pflanzenschutzmitteln beim Spritzen konventioneller Sorten auftreten können, kommen beim Anbau von Piwis nicht vor. Der Boden beginnt wieder zu leben, Insekten und andere Nützlinge siedeln sich wieder an und geben dem Boden und damit auch den Reben Kraft und Lebendigkeit.
In der Vermarktung besetzen die Piwis noch eine kleine Nische, allerdings gewinnen sie auf noch kleinem Niveau an Boden und mehr und mehr Kosumenten sind den innovativen Sorten gegenüber aufgeschlossen. Denn wer neugierig ist und den eigenständigen Rebsorten eine Gelegenheit zur Entfaltung im Glas gibt, wird überrascht werden. Denn in Zeiten von Klimawandel und der Hinwendung zu Nachhaltigkeit und mehr Achtsamkeit verdienen diejenigen Winzer Zuspruch, die Neues wagen, neue Wege gehen und sich durch Rückschläge nicht von ihrem Weg abbringen lassen. Was mussten trockene Weine dazumal einstecken, als der mehrheitliche Geschmack noch auf pampige Süsse ausgerichtet war?
Die PIWI-Winzer
Roland Lenz
Weingut Lenz, Islisberg TG
Rebfläche 17,5 Hektar, davon 40% pilzwiderstandsfähige Rebsorten
Roland Lenz konnte bereits zweimal beim Schweizer Bioweinpreis den Sieg für sich verbuchen. Sein Weingut ist das erste energieautonome Weingut der Schweiz und sogar weltweit! Zusammen mit Rebenzüchter Valentin Blatter, im jurassischen Soyhières, legte er 2018 einen Muttergarten zum Versuchsanbau neuer, noch namenloser Rebzüchtungen an, um deren Qualitätspotenzial auszutesten. Es erforderte allerdings rund 15 Jahre Arbeit, bis sich aus den vielen Versuchen eine neue Piwi-Sorte durchsetzte. Etwa 40 verschiedene Weine werden ausschliesslich in Bio-Produktion auf die Flasche gebracht.
www.weingut-lenz.ch
Fredi Strasser
Strasser Weingut Stammerberg, Oberstammheim
Rebfläche Rund acht Hektar, 100% pilzwiderstandsfähige Rebsorten
Der Schweizer Agronom und Biopionier Fredi Strasser, der vor kurzem seine Erfahrungen mit Piwis in einem Buch veröffentlicht hat, war eine der treibenden Kräfte bei der erneuten Zulassung und Weiterentwicklung von Piwis. Eine seiner Visionen war bereits zu Studienzeiten, einen naturnahen Weinbau mit robusten, pilzwiderstandsfähigen Rebsorten zu betreiben. Der Anfang war nicht leicht, aber nach vielen Jahren des intensiven Auf- und Ausbaus haben er und seine Frau Maria Coray heute mehr als zehn biodynamisch produzierte Piwi-Weine (Demeter-zertifiziert) im eigenen Weingut, die einfach begeistern.
www.stammerberg.ch
Ansgar Galler
Weingut Galler, Kirchheim an der Weinstrasse
Rebfläche Elf Hektar, davon 52% Piwi-Sorten
In der sonnigen Pfalz gehen Ansgar Galler und seine Frau Katja ihren ganz eigenen Weg in Sachen Piwi. Für sie gibt die Natur den Takt vor. Seit 2012 pflanzen sie auf ihren Rebflächen ausschliesslich Piwi-Sorten, um den Pflanzenschutz zu minimieren und ressourcenschonend zu arbeiten. Eine Basis für lebendige Weine mit Charakter für jetzt und auch für die Zukunft, für die nächste Generation. Im Jahr 2017 wurde der Betrieb nach Bioland-Richtlinien zertifiziert. Zwischen den Reben ist Leben und auf Sitzstangen rasten Greifvögel. Ganz besonders sind die Namen der Weine, die den jeweiligen Charakter widerspiegeln und nach der Genealogie der Leininger Grafen benannt sind. Die Reifung der Weine erfolgt im wiedererweckten Gewölbekeller, in dem die besten Weine im Holz ihrer Vollendung entgegenschlummern.
www.weingut-galler.de
Anja Stritzinger
Weinbau Familie Stritzinger, Klingenberg am Main
Rebfläche Knapp zwei Hektar in Steillagen/Terrassen, davon 28% Piwi-Sorten
Das Weingut von Anja Stritzinger, das direkt am fränkischen Rotwein-Wanderweg liegt, zählt noch zu den jüngeren mit seinen 40Jahren Firmengeschichte, allerdings ist die Familie dem Weinbau schon lange verbunden, sei es als Weinküfer oder als Nebenerwerbsbetrieb. Bereits seit 1990 ist das Haus Bioland-zertifiziert. Anja übernahm das Weingut von ihren Eltern im Jahr 2001. Die Sandstein-Terrassen, die entlang des Mains liegen, können ausschliesslich in Handarbeit bewirtschaftet werden und erfordern grossen körperlichen Einsatz der jungen Winzerin. Das spezielle Klima und ihre Leidenschaft lassen hervorragende Weiss- und Rotweine im Einklang mit der Natur entstehen. Auch bewirtschaftet sie einen Museumsweinberg, in dem 20 alte Rebsorten im Mischsatz stehen, und keltert daraus eine einzigartige Cuvée, den «Alten Satz».
www.weinbau-stritzinger.de
Alfred und Manuel Ploder
Weingut Ploder Rosenberg, St. Peter am Ottersbach
Rebfläche 12,5 Hektar, Anteil der pilzwiderstandsfähigen Rebsorten wächst kontinuierlich
Ganz und gar nicht alltäglich sind die Weine der Familie Ploder im ganzheitlich geführten Weingut Ploder-Rosenberg. Die feinen Klassiker betören mit Anmut und Charme, die Linea-Linie steigert den Tiefgang, und die archaischen Naturals begeistern in bernsteinfarbener Poesie. Alfred und Manuel begleiten ihre Weine mehr, als dass sie sie machen, und geben ihnen viel Zeit und Entfaltungsmöglichkeiten. Seit vielen Jahren schon werden die Weingärten nach biologischen Richtlinien geführt, seit 2015 legt man biodynamischen Weinbau zugrunde und ist nach Demeter zertifiziert. Die Weingärten sind vielschichtig, lebendig, und genau diese Lebendigkeit findet sich in allen Weinen, die wahre Kunstwerke sind, wieder. Sie ruhen in sich und bringen eine grosse Harmonie ins Glas. Einmalige Naturweine aus der Steiermark aus europäischen und immer mehr Piwi-Rebsorten.
www.ploder-rosenberg.at
Walter Frauwallner
Weingut Frauwallner, Straden
Rebfläche 20 Hektar, davon knapp ein Hektar mit pilzwiderstandsfähigen Rebsorten
Mit 21 Jahren übernahm Walter das Weingut seiner Eltern und baute es von einem landwirtschaftlichen Gemischtbetrieb zu einem der besten Weingüter der Steiermark aus. Heute bewirtschaftet er rund 20 Hektar. Besonders die Arbeit im Weingarten begeistert ihn, und so liegt der Gedanke nahe, dort den natürlichen Kreislauf zu fördern und gleichzeitig etwas für die Zukunft zu tun. Auf einem kleinen Teil der Weingärten pflanzte er etwas Muscari und Souvignier Gris, die eine hohe Resistenz gegen die Niederschläge in der Steiermark und die daraus resultierenden Krankheiten zeigen. Auch in der Vermarktung im familiengeführten Heurigen überzeugen die Weine: Kleine Mengen wurden schnell verkauft. Eine Rolle spielt auch die grössere Gelassenheit der Besucher, die sich hier für die Verkostung mehr Zeit nehmen.
www.frauwallner.com