Niederlande & Belgien: Frau Antjes Weine

Weinbau in Süd-Limburg

Text: Carsten Henn, Fotos: Armin Faber

Es gibt eine exotische Weinregion, die liegt direkt um die Ecke: Süd-Limburg ist das Zentrum des Weinbaus in Belgien und den Niederlanden, sogar repräsentative Weinschlösser gibt es dort. Die Gegend hat wenig Regen, viele Sonnenstunden - und einige grossartige Winzer. Vor allem Pinots gelingen ihnen prächtig, dank Löss- und Mergelböden. Gehört ihnen wegen des Klimawandels vielleicht die Zukunft? 

Versteckte Domein

  • Domein de Wijngaardsberg (Niederlande)
  • Jules Nijst

Vor mir auf dem besseren Feldweg: drei Rennradfahrer. Irgendwo muht eine Kuh, ein Hahn kräht, und zwischen den Feldern taucht plötzlich ein Weinberg auf, vor Grün strotzend, penibel gepflegt. Aber immer noch kein Hinweisschild, dass ich mich der Domein de Wijngaardsberg nähere, einem der besten Weingüter in Süd-Limburg, der Herzregion des Weinbaus in den Niederlanden und Belgien. Direkt hinter der deutschen Grenze, nur wenige Kilometer von Aachen liegt sie, und die Geschichte des Weinbaus geht hier mehrere Jahrhunderte zurück. Aber selbst hier liegen die Güter und Weinberge vereinzelt und weit voneinander entfernt. Rund 250 Hektar werden in den Niederlanden bewirtschaftet, knapp 400 sind es in Belgien – das ist fünfmal so viel wie vor zehn Jahren. Die Durchschnittsgrösse der Güter liegt bei gerade einmal 1,5 Hektar. Jules Nijst sitzt auf seinem Traktor, Ab-Hof Verkauf ist nur samstags zwischen 10 und 13 Uhr – zu anderen Zeiten bekommt man die Weine beim Metzger vor Ort. Klingt alles nach Hobby, aber der Mosel-Fan bringt Beeindruckendes auf die Flasche. Gelernt hat er Maschinenbau und Betriebswirtschaft, war bei Nokia für Handy-Displays zuständig. «Jetzt mache ich mein eigenes Ding.» Nijst, ein sympathischer, bescheidener Mann, führt mich in zwei kleine ausgebaute Räume in einem Bauernhof – sie sind das Weingut. De Wijngaardsberg ist ein Einmannbetrieb, manchmal hilft Nijsts Frau, manchmal helfen Studenten. «Paul Schumacher aus dem Ahrtal ist unser Laborant, Körtgen aus dem Ahrtal versektet, und die nördliche Höhe ist vergleichbar mit dem Ahrtal. Vom Klima her liegen wir hier supergünstig. Ein Chardonnay mit elf Prozent ist bei uns reifer als in der Champagne. Zwei Wochen mehr Reife hat er im Schnitt.» Das werde ich auch bei anderen Winzern zu hören bekommen, die übrigens alle perfekt Deutsch sprechen: Der niederländische Teil der Region ist eng mit dem deutschen Rotweingebiet verknüpft. Nijst mag den leichten, knackigen, nördlichen Stil. «Ich entsäuere auch nicht, die Werte liegen zwischen 5,5 und 9 bei meiner Auslese.» Und Chaptalisierung? «Nur in den Anfangsjahren. Mit viel Alkohol wird die Verdunstung von Aromen verhindert.»

Domein de Wijngaardsberg (Niederlande)
Pinot Noir 2016

15 Punkte | 2020 bis 2026

Guter Rotwein ist auch heute noch eine Seltenheit in Belgien und den Niederlanden. Dieser charmante, nach Süsskirschen duftende Burgunder mit feinem Holzeinsatz, den es für 19,95 Euro ab Hof gibt, zeigt, dass es geht - auch wenn selbst Einheimische das nicht wissen. Das Holz ist nur als feine Würze spürbar, auch beim Rotwein setzt Nijst auf Frische und Transparenz.

www.dewijngaardsberg.nl 

Weltweit erste grenzüberschreitende D.O.

  • Wijngaard Raarberg (Niederlande)
  • Ralph Huydts

Nijsts Weine wachsen in einer D.O. die hier B.O.B. heisst (Beschermde Oorsprongsbenaming): Mergelland. Nur im Süden der Niederlande gibt es Löss und darunter Mergel mit hohem Kalkanteil. Eine andere B.O.B. namens Maasvallei Limburg ist seit 2015 die erste grenzüberschreitende der Welt, denn auch Belgien ist Teil davon. Der Weinbau hat seit 2000 so richtig Fahrt aufgenommen und zieht Glücksritter an, wie Ralph Huydts von Wijngaard Raarberg. Das Schaumweingut liegt mitten in Maastricht, nur wenige Meter von der berühmten St.-Servatius-Brücke entfernt. Schaumwein ist ein kleiner Trend, in Belgien noch mehr, wo der Konsum an Prickelndem seit jeher gross ist. «Ich komme aus dem Bereich Marketing und Sales bei KonicaMinolta - das war nicht so sexy», sagt Huydts lachend. «Damals hatte ich ein Château, jetzt habe ich einen Wohnwagen!» An diesem Witz ist etwas Wahres dran, denn Huydts, ein Mann mit viel Elan, musste viel Lehrgeld zahlen. «Ich hab sehr viel falsch gemacht. Ich war die erste Generation. Hab mir alles selbst beigebracht», erzählt er, als wir in seinem Weinberg stehen. «Von hier aus kann man bis nach Belgien gucken, wir liegen hier 90 Meter über dem Meeresspiegel. Aber wir haben hier keine richtigen Weinberge, wir haben Drempels.» Drei enorm animierende Sekte erzeugt er zurzeit, bald kommt einer dazu, bei dem der Stillwein in der Barrique lag. Er arbeitet biologisch - allerdings nicht zertifiziert. «Es gibt nur einen Biobetrieb in den Niederlanden, und der hat in drei Jahren nur eine richtige Ernte.»

Wijngaard Raarberg (Niederlande)
Blanc de Blancs 2017

16 Punkte | 2020 bis 2022

Mit 25 Euro zurzeit der teuerste Wein des Gutes. Mit 84 Grad Öchsle geholt, 24 Monate auf der Flasche gereift, dank Zero Dosage herrlich knackig, mit schönem Mousseux und Noten von Birne, Limette und frisch gebackener Brioche, im Finale sogar eine salzige Note. «Raar» bedeutet «verrückt», das ist dieser Wein nur hinsichtlich seiner Qualität.

www.wijngaardraarberg.nl 

Vorbild Elsass - vor 20 Jahren

  • Apostelhoeve (Niederlande)
  • Mathieu Hulst

Von richtigen Ernten gab es im Apostelhoeve schon viele, und wer ein richtiges Weingut in Limburg sehen will, kommt an diesem Bau, oben auf einem der Drempel genannten Hügel gelegen, umgeben von Weinbergen, nicht vorbei. Ein angenehmer Wind weht hier und trocknet die Trauben. Apostelhoeve ist mit 14 Hektar eines der grössten, vermutlich das berühmteste und mit Sicherheit eines der besten Weingüter des Landes – und eines, das aufgrund seiner Historie die limburgische Weinlandschaft geprägt hat. 1970 war es, als hierhin, nach langer Zeit ohne Weinbau, die Reben zurückkehrten: auf den Louwberg im Jekertal. Da man das Elsass als Vorbild nahm, wurden Müller-Thurgau, Auxerrois, Riesling und Pinot Gris gepflanzt, in diesem Jahr kam Viognier dazu. Die Reben sind im Schnitt 20 Jahre alt und damit alte Reben für das wiederentdeckte Weinland, das vor allem auf Weiss- und Schaumwein setzt. Die exotisch duftende Apostel Cuvée XII ist mit 50 000 Flaschen jährlich der meistverkaufte Wein des Landes. Aber es ist der kristallklare Riesling des Gutes, der einen richtig staunen lässt. Aufgrund der hohen Lohnkosten sind die Weine Süd-Limburgs im höheren Preissegment, unter 12 Euro ist kaum etwas zu bekommen. «Hoi», sagte Mathieu Hulst zur Begrüssung, ein grosser, breitschultriger Mann, jovial und gut gelaunt. Er ist der Herr über all das, und einer der Fixsterne des niederländischen Weinbaus. Sein Sohn machte ein Praktikum beim Weingut Peter Kriechel an der Ahr, jetzt will er Pinot Noir anbauen. Stolz führt Hulst mich durch das prachtvolle Gut, das jährlich rund 14 000 Touristen anlockt. «Überall deutsche Technik, damit Sie sich wie zu Hause fühlen!» Im ebenerdigen Keller ist fast alles Edelstahl. Leicht, frisch, fruchtig, kühl vergoren, sollen die Weine sein. Aber beim Riesling-Schaumwein will Hulst mehr Fülle. «Wir gehen von 9 auf 24 Monate Hefelager, denn aktuell ist er mir zu leicht.» Was sagt einer der Vordenker des niederländischen Weinbaus zur Zukunft? «Wir haben begrenzte EU-Pflanzrechte, aber die nutzen wir nie aus. Wir werden nie ein grosses Weinland werden, wir haben einfach keinen Platz.»

Apostelhoeve (Niederlande)
Riesling 2019

15.5 Punkte | 2020 bis 2024

Bei einer Blindprobe würden viele wohl auf einen fränkischen Silvaner tippen. Reife Limone und Omas Apfelkuchen prägen das Bouquet, am Gaumen kommt die Säure spät, aber dann rasant. 7,3 g Säure, 8 g Restzucker sind die Werte, 15 bis 20 000 Flaschen gibt es jährlich. Das süsse Pendant, ein Late Harvest mit 100 g Restzucker, zu 40 Prozent im neuen Holz ausgebaut, duftet verführerisch nach Nektarine.

www.apostelhoeve.nl 

Ein belgischer Schweiz-Kanadier

  • Wijnkasteel De Genoels-Elderen (Belgien)
  • Stefan Kékkö

Das Pendant kurz hinter der Grenze in Belgien heisst Wijnkasteel Genoels-Elderen und ist wirklich ein Schloss. In der Auffahrt kommt man an 150 Jahre alten wilden Kastanienbäumen vorbei, und in einem kleinen Teich paddeln zwei schwarze Schwäne. Begrüsst werde ich von einem Mann mit schwer identifizierbarem Akzent. Stefan Kékkö ist SchweizKanadier – mit ungarischen Wurzeln. Ist der niederländische Teil Limburgs nach Deutschland orientiert, blickt man hier nach Frankreich, ins Burgund und in die Champagne. «Belgien ist ein burgundisches Land. Wir essen und trinken gern. Belgien kauft acht Prozent der gesamten Champagner-Produktion – offiziell. Eigentlich ist es noch viel mehr, denn viele fahren hin, weil dann die zwei Euro Zoll pro Flasche wegfallen», erklärt der drahtige Winzer, der früher Kunsthändler für alte Meister war. Mit 24 Hektar ist er nun Herr über das grösste Weingut des Landes und erzeugt Gewächse, die zu den echten Kunstwerken der belgischen Weinwelt gehören. Wie sein «De Parel» (Die Perle), den mit 108 Euro teuersten Schaumwein des Landes, oder den grandiosen De Chardonnay. Die Weinregion heisst Haspengouw und auch hier herrschen Pinots. «Pilzwiderstandsfähige Rebsorten (Piwis) sind der falsche Weg. Wir möchten am Ende einen guten Wein haben, und wenn wir von diesem Ziel ausgehen, müssen wir Pinots anpflanzen. Die machen viel Arbeit, sind anfällig, aber wenn es funktioniert, hat man einen Toptropfen. Piwi-Winzer denken von der anderen Seite her, von der Arbeit im Weinberg, und die ist einfacher.» Auch Stephans Credo ist: Schaumwein-Produktion in kühlen Jahren, Stillwein in warmen. Dogmatismus ist der Weinszene fremd.

Wijnkasteel De Genoels-Elderen (Belgien)
«De Parel» Extra Brut 2008

16.5 Punkte | 2020 bis 2024

Der mit 108 Euro teuerste belgische Schaumwein ist eine Wucht - allerdings in Sachen Komplexität, nicht in Sachen Alkohol, der bei 12 Vol.-% liegt. Zuerst reifte der Grundwein fünf Jahre im Holz, das verleiht ihm nussige Akzente, am Gaumen ist er gleichermassen feincremig wie erfrischend. Es wurden nur 1000 Flaschen erzeugt, ein Nachfolger des 2008ers ist noch nicht auf dem Markt

www.wijnkasteel.com 

Al-Kaida-Sekt

  • Yves Cuvelier mit seiner Ehefrau

Belgien erlebt einen kleinen Weinboom, Teil davon ist auch die Domein Cuvelier. Yves Cuvelier wirkt wie ein smarter Geschäftsmann, doch ist er Teil einer Bauernfamilie, die auch heute noch in erster Linie Obst produziert. Der Weinbau ist «ein Hobby, das ausser Kontrolle geraten ist», wie seine charmante Ehefrau augenzwinkernd sagt. Auf 2,8 Hektar hat Cuvelier zum Beispiel Grünen Veltliner gepflanzt, die Klone stammen aus Österreich. Auch Sauvignon Blanc steht hier, der sehr grasig ausfällt und als Vorbild Sancerre hat. Nur Piwis kommen ihm nicht ins Haus: «Ich hab noch keinen guten Piwi-Wein getrunken.» Aber er ist aufgeschlossen für Neues, so wurde sein bemerkenswerter Pinot-Noir-Eiswein aus auf acht Grad gefrorenen Trauben erzeugt. Aber auch Yves musste Lehrgeld bezahlen. «Wir hatten einen Schaumwein mit zehn Bar! 50 Prozent der Flaschen sind kaputtgegangen, ein Korken schoss sogar bis über das Dach. Wir haben ihn Al-Kaida-Sekt getauft, er war natürlich zu gefährlich, um ihn zu verkaufen.»

Domein Cuvelier (Belgien)
Grüner Veltliner «BizTro» 2019

14.5 Punkte | 2020 bis 2022

Kann Grüner Veltliner von einem belgischen «Acker» funktionieren? Absolut! Enorm knackig, mit mutiger Säure, dem klassischen Pfefferl, aber auch ein bisschen Bonbon. Yves Cuvelier empfiehlt ihn zu King Crab, aber auch zu stark gewürzten Speisen. Das «Biz» im Namen aller Weine des Gutes steht für «bizarre» und zeigt die augenzwinkernde Selbstironie der passionierten Weinszene.

www.cubiz.be 

Belgischer Puligny-Montrachet

  • Clos d’Opleeuw (Belgien)
  • Peter Colemont

Immer zu wenig zum Verkaufen hat eine Legende des belgischen Weinbaus: Peter Colemont von Clos d'Opleeuw. Er unterrichtet auch an der Volkshochschule zu Weinthemen und verkauft hochpreisige französische Weine, doch es sind seine Chardonnays, die ihn bekannt gemacht haben. Die Menge ist extrem limitiert, der Weingarten ein echter ummauerter Clos, früher der Lustgarten eines Schlosses, als Colemont ihn übernahm allerdings voller Disteln. Der Clos steht inmitten einer Kuhweide, die Tiere unterbrechen kurz das Grasen, schauen uns irritiert an, entscheiden dann aber, dass wir keine Gefahr für ihren Müssiggang sind. Man merkt Colemont den Lehrer an, er erläutert viel, als wir bei seinen Reben stehen, sein Blick ist eher prüfend als warm. «Man muss mit gesundem Nachdenken arbeiten. Aber selbst wenn man ein ganzes Leben in einem Weinberg arbeitet, kennt man ihn nicht.» Jancis Robinson verglich seinen Chardonnay mit einem Puligny-Montrachet, aufgrund der Kräuter sieht er selbst auch eine Verwandtschaft zu Chablis. Penibel zupft Colemont während unseres Gesprächs Blätter ab. Gelernt hat er alles im Burgund, denn befreundet ist er mit der Familie Dugat-Py in Gevrey-Chamberin. «Dort habe ich mitgearbeitet, und sie haben mir, dem kleinen Belgier, alles gezeigt.» Die Reben sind eine Selection Massale aus dem Burgund. Colemonts Chardonnays zeigen, zu welcher Feinheit, Frische und Transparenz die Weine Süd-Limburgs fähig sind. Die Region mag niemals viel Menge produzieren, aber fraglos kann hier Grosses wachsen - man muss nur wissen, wo.

Clos d’Opleeuw (Belgien)
Chardonnay 2019 (Fassprobe)

16.5 Punkte | 2020 bis 2026

Peter Colemont erzeugt drei Weine, wobei es von seinem Pinot Noir nur die mikroskopische Menge von 100 bis 150 Flaschen gibt. Sein «normaler» Chardonnay kostet ab Hof 32,43 Euro und bietet tatsächlich burgundische Feinheit, eine begeisternde Frische, eine herrlich kühle Art und eine deutlich vom Boden geprägte Struktur. Das teils französische, teils belgische Holz ist grossartig zudem integriert.

www.clos-d-opleeuw.be 

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