«Im Keller agiert der Chef»
Interview mit Anders Frederik Steen & Anne Bruun Blauert
Interview: André Dominé, Fotos: Loïc Legros
Die Ardèche und insbesondere das Dorf Valvignères sind eine Hochburg des Naturweins. Dort fanden die Dänen Anders Frederik Steen und seine Lebensgefährtin Anne Bruun Blauert herzliche Aufnahme. Was das Paar von den Kollegen unterscheidet, ist Anders’ Entwicklung als Chef und Sommelier. Er nimmt Trauben als Zutaten für seine Weinvisionen. Auf der Terrasse ihres Hauses in Südfrankreich sprachen wir mit ihnen über ihren Werdegang und den revolutionären Ansatz im Keller.
Anne und Anders, Ihre Weine finden sich inzwischen in den besten Restaurants der Welt. Wie werden sie in der Schweiz und in Deutschland aufgenommen?
Anders: In Deutschland und der Schweiz sind die Kunden sehr bewandert. Gleichzeitig spüre ich Neugier. Ich habe das Gefühl, wenn sie unsere oder andere Naturweine probieren, ist ihr Bezugspunkt immer der klassische Ausdruck von Weinen. Es ist sehr interessant, mit dieser Art von Menschen zu diskutieren, denn sie haben ein sehr profundes Wissen, und deshalb können sie tatsächlich herausforderndere Weine umso besser schätzen.
Es ist noch immer ungewöhnlich für Dänen, Winzer zu werden. Aber ursprünglich war das gar nicht Ihr Wunsch, Anders. Sie wollten Chefkoch werden. Was hat den Anstoss dazu gegeben?
Ich war noch in der Schule. Da muss man einige Wochen Praktikum machen, um herauszufinden, was man werden will. Es war die Zeit mit diesen vielen jungen Köchen im Fernsehen, und jeder junge Mann damals träumte davon, Chefkoch zu werden. So ging auch ich in diese Richtung. Ich arbeitete anschliessend mehrere Jahre lang neben meiner Schulzeit in Restaurants. Als es dann Zeit wurde, eine echte Ausbildung anzuschliessen, fühlte ich, dass das Restaurant eher mein Platz war als die Universität. Ich habe meine Ausbildung in einem sehr klassischen Ein-Sterne-Restaurant in Kopenhagen absolviert.
Üblicherweise versuchen dann ambitionierte Jungköche, Erfahrungen bei berühmten Spitzenköchen in anderen Ländern zu suchen, damals besonders gern bei Ferran Adrià. Was wählten Sie als Inspiration? Und wie sind Sie ins «Noma», das viermal zum besten Restaurant der Welt gewählt wurde, gekommen?
Ich beschloss, eine zusätzliche Ausbildung als Kellner und Sommelier zu machen, weil ich ein besserer Koch werden wollte. Schnell fand ich heraus, dass es weniger interessant war, Kellner als Sommelier zu sein. Ich hatte die Chance, den Job als Assistent des Sommeliers im «Noma» zu übernehmen. Ich arbeitete unter einem sehr kompetenten Sommelier im «Noma»: Pontus Eloffsen. Seine Passion für Wein, für biologische und biodynamische und – was wir damals so nicht nannten – Naturweine hatte grossen Einfluss auf mich. Er arbeitete dennoch auch mit dem ganzen klassischen Stoff: Bordeaux, Barolo, Champagner.«Zuerst musst du alles Klassische kennen, dann kann ich dir die natürlicheren Weine nahebringen», sagte er.
Sie lebten in Kopenhagen. Wie gelang es Ihnen, Ihre ersten Weine zu machen?
Nach «Noma» eröffneten wir mit Freunden zwei eigene Restaurants und begannen ausserdem, Weine zu importieren. Wir reisten viel, um Weinmacher in Frankreich, Italien und Spanien zu besuchen. Da sagte ein Weinmacher nicht weit von hier zu mir: «Du solltest deine eigenen Weine machen, denn du weisst mehr als viele der Weinmacher hier.» «Aber ich habe keine Trauben», erwiderte ich. «Sprich mit Gérald und Jocelyn Oustric von Domaine du Mazel, die werden dir mit Trauben aushelfen.» So war es. 2013 begannen wir hier in der Ardèche, Wein zu machen, und obendrein im Elsass. Als Händler. Wir kauften Trauben, aber machten die Vinifikation. Das brachte Spass. An einem Punkt wurde mir klar, dass wir die Weine nicht besser machen konnten, weil wir nicht hier, sondern weiter in Kopenhagen lebten. Schliesslich beschlossen Anne und ich mit der ganzen Familie hierherzuziehen.
Anne, waren Sie schon bei Anders’ Unternehmungen in Kopenhagen dabei? Wann wurden Sie einbezogen?
Erst als es darum ging, hierherzuziehen. Für mich war es völlig neu, ich musste alles lernen. Ich arbeitete im Gefängnis und im Krankenhaus als Sozialarbeiterin. Für mich war dies eine grosse Veränderung im Lebensstil. Ich wollte etwas anderes versuchen, und ich wollte in einem anderen Land leben. Als wir beschlossen, hierherzuziehen, war dies auch eine Entscheidung dafür, dass wir beide einbezogen sein würden. Es ging darum, hier ein
neues Leben aufzubauen und die Weine zur Basis für das Leben, das wir führen wollten, zu schaffen und zugleich etwas zu machen, was man mag.
Anders, Sie sind vom Kochen zum Weinmachen gekommen, haben aber Ihre Philosophie als Chefkoch keineswegs aufgegeben. Wie sehen Sie heute als Weinmacher das Zusammenspiel zwischen Küche und Wein?
Die neue Generation von Köchen, die so kocht, wie wir Wein machen – biologisch mit lokalen Zutaten, mit mehr Kenntnissen über Gemüse, Fisch oder was auch immer –, kocht weniger. Die Geschmacksnoten sind roher und präziser. Wenn man Wine-&-Food-Pairings machen will, und dabei ein Gericht hat, das so präzise in Struktur und Geschmack ist, dann braucht man einen Wein, der in gewisser Weise das gleiche bieten kann. Weine, die natürlich gemacht sind, haben oft einen sehr eindeutigen Geschmack von der Rebsorte, dem Jahrgang, dem Weinmacher. Dann ist es, als würde man eine Sache von der einen, die andere von der anderen Ecke aus werfen. Wenn sie sich treffen, ist es, als würde man zwei Puzzleteile zusammenstecken. Zusammen erreichen sie ein ganz anderes Niveau!
Für Sie ist jedes Jahr anders, weil es da anderes Wetter und andere Einflüsse gibt, so dass die Trauben einen anderen Ausdruck erhalten. Jedes Jahr gibt es also völlig andere Weine. Versuchen Sie nie, einen Wein zum zweiten Mal zu machen?
Jedes Jahr den gleichen Wein zu machen, wäre für mich langweilig. Aber es wäre auch nicht korrekt gegenüber den Leuten. Der Wein hätte denselben Namen, aber er wäre 2016, 2017, 2018, 2019 jedes Mal anders und so verschieden. Ich ziehe es vor, sie mit anderen Namen zu benennen und sie anders zu machen. Dann kann ich den Aromen folgen, die ich im Wein liebe. Die Ardèche ist dafür perfekt, denn wir haben 15 verschiedene Rebsorten! Wenn ich etwas nicht selbst anbaue, kann ich ein bisschen von einem Freund erhalten. Ich kann kaufen, mixen, machen, was ich will. Ich habe den Status eines Händlers beibehalten. Wir haben zwei Firmen. Wir machen Trauben, verkaufen sie an unsere Handelsfirma und machen dort den Wein. Anders wäre man nicht frei.
Als Sie 2017 nach Valvignères zogen, konnten Sie Land mit vier Hektar Weinbergen pachten. Das muss eine grosse Umstellung gewesen sein.
Anne: Es macht einen grossen Unterschied, dass wir den gesamten Prozess durchführen können. Wir übernahmen die Weinberge in schlechtem Zustand. Für uns war dies keine üble Sache. Es war wie mit diesem Haus, das eine Ruine war, als wir es kauften. Dann beginnt man von Grund auf, aber man hat Gelegenheit, es so zu machen, wie man es will. Die Weinberge sind jetzt biologisch, was sie vorher nicht waren. Das war eine grosse Chance!
«Wir nehmen uns die Freiheit, in jedem Jahr dem Geschmack zu folgen, den wir mögen, und uns nie zu wiederholen.»
Anders: Wir hatten eine Menge Diskussionen darüber, wie wir die Weinberge bearbeiten oder nicht bearbeiten wollten. Anne las viel über Permakultur.
Wir entdeckten, dass, wenn man sehr wenig oder gar nichts macht, es oft besser ist, als wenn man sehr viel macht. Wir haben experimentiert, indem wir die Böden über 18 Monate nicht bearbeiteten, und wir fanden heraus, dass die Feuchtigkeit des Bodens höher, das Leben im Boden sehr viel reicher geworden war, und es gab mehr von allem, was wuchs.
Anne: Wir wussten nicht, ob es das Richtige war. Im Moment funktioniert es recht gut. Wir haben keine Krankheiten. Alles sieht gut aus. Selbst letztes Jahr, als es keinen Regen gab.
Sie lesen in einem grossen Team gemeinsam mit Naturwinzerkollegen, aber vinifizieren dann allein. Worauf kommt es Ihnen dabei im Wesentlichen an?
Anders: Ich möchte so wenig wie möglich eingreifen. Das ist in gewisser Weise wahr und in anderer überhaupt nicht. Wenn wir lesen, dann entscheide ich, welche Trauben wir mischen. Für mich ist das wie Kochen. Ich benutze meinen Background als Koch mehr als den des Sommeliers. Manchmal hat man Trauben, die sind gut und reif, aber es fehlt etwas. Da kann Säure oder Bitterkeit, Würze oder Salzigkeit sein. Alle diese Dinge kann man zufügen oder entfernen, indem man etwas zufügt. Zum Beispiel ist Syrah eine Sorte, die ich nicht sonderlich mag, aber ich finde sie sehr interessant als zusätzliche Würze in anderen Weinen. Sie gibt immer pfeffrige, würzige Noten, Salzigkeit und Tannine. Wir agieren ganz am Anfang viel. Vom Lesetag bis zu drei Wochen danach.
«Wenn wir lesen, dann entscheide ich, welche Trauben wir mischen. Für mich ist das wie Kochen.»
Anne, wie beeinflussen Sie die Weine?
Anders: Annes Einfluss ist in den zwei letzten Jahrgängen sehr stark gewesen. Wenn wir Weine machen, ist sich Anne sehr klar darüber, was sie mag und was sie nicht mag. Letztes Jahr, während der Abstich-Periode nach der Ernte, wenn wir pressen, sprachen wir viel darüber, die Rotweine nicht zu stark zu machen, die Tannine nicht zu übermächtig. Es war eine interessante Diskussion, weil Anne leichtere Rotweine vorzieht. Schliesslich waren die Weine, die dabei herauskamen, trotz langer Mazerationen nicht tanninreich, sondern hatten feine Bittertöne und eine andere Komplexität.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Trauben in mehreren Etappen zu pressen?
Für mich gibt es in den Weinen aus Südfrankreich oft einen Mangel an Frische. Ausserdem gab es Probleme, die Gärung vollständig zu beenden. Deshalb begannen wir länger und langsamer zu pressen, um mehr Extrakte aus der Schale zu erhalten. Denn unter der Beerenhaut gibt es viel Säure und auf den Beerenhäuten viele Hefen. Wir sahen sofort, dass dies den Weinen eine andere Komplexität gab, und
ausserdem vergoren sie viel besser. Jetzt machen wir manchmal direkt gepresste Weine zwischen zwei und vier Tagen. Anfangs halten wir die Moste getrennt, aber dann mischen wir sie. Wenn wir Mazerationen machen, nehmen wir nur einen kleinen Teil an Trauben, nur – sagen wir – 20 Prozent Trauben und 80 Prozent Most. Dann können wir die Mazerationen auf vier, fünf, sechs Wochen ausdehnen. So werden wir die Extraktion von dem, was in den Häuten ist, erhalten, aber mit der Finesse eines leichten Weins. Die Bitterkeit, die man üblicherweise von Tanninen erhält, verwandelt
sich in eine Fülle von Bittertönen, die mit etwas wie Seegras beginnen und über Zitronenzesten bis zu Salzigkeit reichen. Es gibt dann viele Variationen von Bitterkeit, weil die Tannine nicht alles andere überlagern. Diese Komplexität und Struktur kann man nur erhalten, wenn man eine lange Mazeration durchführt. Zu Beginn war es nur eine Intuition, dann aber wurde es zu einer Reflexion, und ich denke, es funktioniert.
Seit letztem Jahr haben Sie den Keller in Ihrem Haus hergerichtet und machen Ihre Weine zu Hause. Ist das eine gute Lösung? Das bedeutet aber doch auch, dass die Produktion Ihrer Weine nicht wachsen kann, oder?
Anders: Der Keller im Haus ist natürlich ein anderer Komfort. Während der Lesezeit arbeiten wir sehr viel. Aber kleine Dinge wie Traubenpressen, nach oben gehen, mit den Kindern zu Abend essen und wieder hinuntergehen und weiter pressen… bewirken, dass wir unsere Dinge in Ruhe machen können. Für uns ist es eine Kalkulation gewesen: genug zu machen, damit wir leben können, aber nicht so viel zu machen, dass wir sieben Tage die Woche arbeiten müssen und nicht in der Lage sind, irgendetwas anderes zu tun. Wir wollten klein sein und kein grosses Investment ausserhalb des Dorfes haben. Mit vier Hektar und unserem kleinen Keller können wir ein einfaches Leben führen. Wir werden nie zu Millionären, aber wir sind glücklich mit dem, was wir sind. Wir haben keinen Platz für grosse Maschinen, das vereinfacht die Dinge und macht es gleichzeitig komplizierter.
Anne: Aber alle Kollegen sagen: «So haben wir alle begonnen, mit einem kleinen Keller und kleinen Maschinen…» Wir werden sehen, ob sie recht behalten.