Interview mit Silvio Denz, Weingutsbesitzer und Lifestyle-Unternehmer
Savoir-faire! Savoir-vivre!
Interview: Thomas Vaterlaus, Fotos: Gian Marco Castelberg, Adriana Tripa
Er ist Besitzer oder Mitbesitzer von sechs Weingütern in Bordeaux und der Toskana, aber auch von The Glenturret, der ältesten noch aktiven Single-Malt-Destillerie in Schottland. Er ist Patron der Kristallmanufaktur Lalique, kreiert Parfums, sammelt Kunst, Wein und Kristallflakons, führt Hotels und Sterne-Lokale. Und bleibt trotz der Komplexität seines Imperiums immer smart und cool: VINUM sprach mit dem 64-jährigen Silvio Denz über sein Leben als ganzheitlicher europäischer Genuss-Unternehmer.
Als Weingeniesser und Châteaubesitzer in Bordeaux sind Sie inzwischen einschlägig bekannt, doch seit einem Jahr brennen Sie nun auch Single-Malt-Whisky in Schottland. Wie kam es dazu?
Wie bei vielen meiner Engagements war es eine Gelegenheit, die sich aus anderen Aktivitäten heraus ergeben hat. Seit 2003 liefern wir mit unserer Kristallmanufaktur Lalique exklusive Karaffen für die rarsten Malts von Macallan, das sind Unikate aus Whisky und Glaskunst, die bis zu 600 000 Dollar pro Flasche kosten können. Wegen des Erfolgs von Macallan musste die Edrington Group, die Muttergesellschaft von Macallan, zu der eben auch The Glenturret gehört, stetig erweitert und umstrukturiert werden. Darum passte diese kleine Brennerei nicht mehr ins Konzept und stand zum Verkauf. Es gab über 80 Bewerber. Wir kamen zum Zug, obwohl unsere Offerte deutlich tiefer lag als jene aus Asien.
Ihren Connections sei Dank?
Nein, das glaube ich nicht. Die Edrington Group ist gemeinnützig ausgerichtet, und wir konnten ein nachhaltiges Konzept vorstellen, von dem nicht nur die Brennerei, sondern auch die Region und letztlich auch die schottische Single-Malt-Kultur profitieren können.
Sie tätigen Akquisitionen immer mit Blick auf Synergien. Wie schafft man mit The Glenturret so eine Win-win-Situation, in der letztlich alle profitieren?
The Glenturret empfängt schon heute 70 000 Besucher jährlich. Wir wiederum haben mit der Villa René Lalique im Elsass und Château Lafaurie-Peyraguey in Sauternes intensive Erfahrungen mit Sterne-Küche und der Edel-Hotellerie gemacht. Darum werden wir nun auch in den Highlands ein Lalique-Restaurant eröffnen und das Angebot für Besucher ausweiten. Klar, dass wir unsere Single Malts in Lalique-Flaschen abfüllen. Zudem arbeiten wir an einem neuen Single Malt, der das Finishing in den Süssweinfässern unseres 2016er Sauternes durchläuft und den wir dann «en primeur» fassweise verkaufen. Es ist meist nicht die eine grosse Synergie, sondern es sind verschiedene grössere und kleinere Synergien, die ineinandergreifen müssen wie bei einem Uhrwerk, damit ein Projekt zum Tragen kommt.
Sie haben lange in London gelebt, sind jetzt in Schottland aktiv, doch der Schwerpunkt Ihrer Aktivitäten liegt nach wie vor in Frankreich. Was steht Ihnen denn nun näher, der britische oder der französische Lifestyle?
Ich neige zu «Savoir-faire» und «Savoir-vivre à la Française».
Sie sagen, vieles in Ihrem Leben war Schicksal, aber einiges auch vorbestimmt, beispielsweise die Liebe zu Wein…
Ja, mein Vater war ein grosser Bordeaux-Liebhaber. Schon früh hat er meinen Bruder und mich am Sonntagstisch in diese Welt eingeführt. Das war faszinierend und hat uns geprägt. Darum begann ich im Alter von 26 Jahren systematisch Bordeaux zu kaufen und gründete einen Weinhandel in Zürich.
Doch zuerst bestimmten Düfte Ihr Leben. Als Sie im Jahr 2000 im Alter von 44 Jahren die Parfumeriekette Alrodo mit ihren 800 Angestellten verkauften, hätten Sie auch für den Rest Ihres Lebens auf einer Yacht rumschippern und Bordeaux trinken können.
Dolcefarniente ist zwischendurch mal okay, sonst aber nicht so mein Ding. Nach dem Alrodo-Verkauf wusste ich noch nicht im Detail, wo der Weg hinführen würde, aber es hat sich tatsächlich so entwickelt, dass ich heute wieder 800 Angestellte habe, 700 bei Lalique inklusive der Hospitality-Projekte und hundert in den Weingütern.
Gleichzeitig mit Alrodo haben Sie damals auch die Classic Air verkauft…
Ich habe Ende der 70er Jahre in den USA die Fliegerei für mich entdeckt, und die Douglas DC-3 ist für Piloten natürlich die Legende schlechthin. Wir hatten bei der Classic Air zwei restaurierte DC-3 und sind damit auch oft und gerne nach Bordeaux oder in die Champagne geflogen. Aber ich wusste im Jahr 2000, dass meine kommenden Projekte mehr mit meiner Person verbunden sein würden und dass ein Unglück, dass man im Airline-Geschäft leider nicht vollständig ausschliessen kann, meinen Ruf dauerhaft beschädigen würde.
Wein anbauen ist diesbezüglich etwas weniger risikobehaftet...
Selber Wein zu produzieren, am liebsten in Bordeaux, war immer mein Wunsch. Anfang der 80er Jahre habe ich Stephan Graf von Neipperg in Arosa kennengelernt. Er gab mir regelmässig Tipps, wenn in Bordeaux etwas Interessantes zum Verkauf stand. Zwischen 2001 und 2004 haben wir dann diese Bemühungen intensiviert und ungefähr zwei Dutzend Châteaux besucht, bis wir schliesslich auf Château Faugères am Rande von Saint-Émilion stiessen.
Lässt sich im Eldorado Bordeaux mit Wein überhaupt noch Geld verdienen, oder wird man dort zwangsläufig zum Millionen ausschüttenden Mäzen?
Als Neuankömmling in Bordeaux ist es sicher schwierig, einen Betrieb zu installieren, der sich rechnet. Es braucht spezifische Voraussetzungen dafür. Château Faugères und Château Péby Faugères verfügen über ausgezeichnete Qualitätsfaktoren, die vor dem Kauf im Jahr 2005 nicht ausgeschöpft waren. Es gelang uns, das Gut im Jahr 2012 neu als Grand Cru Classé zu klassifizieren. Zum Vergleich: Vor der Klassifizierung zahlte ich pro Hektar einen Preis von rund 300 000 Euro, jetzt müsste ich weit über eine Million Euro dafür auslegen. Bei so einem Hektarpreis hätte ich das Gut nicht mal anschauen müssen…
Welche besonderen Faktoren veranlassten Sie zum Kauf von Lafaurie-Peyraguey in Sauternes?
Sauternes kämpft mit Strukturproblemen, aber für Investments sind gerade solche Gebiete oft interessant. Zudem ist Lafaurie-Peyraguey ein Bijou mit reicher Historie, das glücklicherweise schon vom Vorbesitzer so saniert und renoviert worden ist, dass es mit verhältnismässig geringem Aufwand in ein multifunktionales Weingut transformiert werden konnte, mit Relais & Châteaux-Hotel und Sterne-Restaurant. Und weil Lalique inzwischen auch Möbel und Interieurs herstellt, konnten wir Hotel und Restaurant durchgehend in eigener Regie ausstatten. Somit ist das Anwesen heute auch ein Lalique-Showcase, von dem sich vor allem asiatische Investoren inspirieren lassen. Gleichzeitig bringt das Gut etwas vom dringend benötigten frischen Wind nach Sauternes.
« Es ist ein grosses Glück, dass ich mich überall wo ich engagiert bin, ausgesprochen wohl fühle. Bordeaux, Schottland, Paris, Zürich, die Toskana, das Elsass, das sind alles fantastische Orte, landschaftlich, kulturell, aber auch emotional. »
Sie haben Lalique in den letzten Jahren gezielt von einer Kristallmanufaktur hin zu einem Lifestyle-Brand entwickelt. Für Furore gesorgt haben vor allem Ihre «Art in Collaboration»-Projekte mit Künstlern wie Damien Hirst, Anish Kapoor, Zaha Hadid oder Elton John. Wie knüpfen Sie Kontakte zu solchen Weltstars?
Ich kontaktiere sie persönlich. Das hat immer geklappt. Nur ein einziger Künstler hat sich bis jetzt nie gemeldet. Gegenwärtig arbeiten wir übrigens mit dem Raum-Licht-Künstler James Turrell aus Arizona. Mit ihm war die Zusammenarbeit so fruchtbar, dass wir nicht nur ein Art-Objekt kreieren, sondern auch ein Parfum-Flakon mit besonderen Licht-Effekten.
Es heisst, Sie seien als Patron ein absoluter Kontrollfreak, zudem sehr fordernd und ungeduldig, manchmal auch aufbrausend…
Das mit dem Kontrollfreak stimmt, ansonsten denke ich, dass die sogenannte Altersmilde auch mich verändert hat. Wenn früher etwas schlecht gelaufen ist, habe ich schon mal auf den Tisch gehauen. Heute schlafe ich lieber mal eine Nacht darüber.
Sie führen ein sehr komplexes Firmengebilde. Wie weit können Sie sich mit Detailfragen beschäftigen? Wenn es beispielsweise darum geht, ob im neuen Lalique-Restaurant in Schottland ein Holz- oder Teppichboden reinkommt, interessiert Sie sowas?
Absolut! Solche Dinge laufen auch über meinen Tisch. Materialien, Farben, aber auch die Positionierung eines neuen Bartresens, bei solchen Entscheidungen rede ich mit. Auch die Schaufenster-Dekorationen für Lalique möchte ich immer zuerst als Entwurf sehen. Ich stehe nicht gerne vor einem unserer Schaufenster und rege mich auf, weil ich die Deko für zu kitschig halte.
Wie müssen wir uns Ihren Alltag vorstellen, fix verplant und immer unterwegs?
Ich versuche keine Termine mehr über zehn Tage hinaus zu vereinbaren. So verläuft mein Leben viel dynamischer, flexibler und spannender. Übrigens auch effizienter, weil ich meistens intuitiv spüre, wo meine Anwesenheit gerade am nötigsten ist. Ich sehe heute meine einzelnen Unternehmen als Schubladen. Ich fahre also beispielsweise ins Elsass, öffne die Schublade Lalique und beschäftige mich für ein paar Tage ausschliesslich damit. Danach schliesse ich diese Schublade wieder, reise vielleicht nach Bordeaux und öffne dort die Schublade Faugères. Wenn irgendwo der Wurm drin ist, schliesse ich die Schublade wieder, ohne etwas zu verändern, und lasse sie ein wenig in Ruhe. Klar ist aber auch, wenn etwas entschieden worden ist, bin ich zwei Wochen später wieder da, um zu schauen, wie es um die Umsetzung steht.
Welche Schublade haben Sie denn zuletzt geöffnet?
Ich hatte in Spanien mit Clos d’Agon lange Zeit ein Projekt mit mehreren Partnern, was die Entscheidungsfindung stets schwierig machte. Es fällt mir heute schwerer als früher, tagelang über Detailfragen zu diskutieren. Darum habe ich mich entschlossen, diese Schublade endgültig zu schliessen und meine Anteile zu verkaufen.
Manche Leute bleiben, wenn sie älter werden, auch lieber einfach mal zu Hause...
Es ist ein grosses Glück, dass ich mich überall, wo ich engagiert bin, sehr wohl fühle. Bordeaux, Schottland, Paris, Zürich, die Toskana, das Elsass, das sind alles fantastische Orte, landschaftlich, kulturell, emotional. Und ich schätze die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite.
Parfum und Wein haben eine grosse Gemeinsamkeit: den Duft. Haben Sie eigentlich den Roman «Das Parfum» von Patrik Süskind gelesen?
Ja, auch den Film habe ich mir angeschaut. Eine spannende Story. Der Protagonist verfügt zwar über eine ausserordentliche Gabe, was das Riechen und das Kreieren von Düften anbelangt, ist aber letztlich einfach nur ein abgedrehter Serienkiller. Das ist dann doch sehr weit entfernt von meiner Parfum-Welt.
Erkennen Sie Parfums, wenn jemand auf der Strasse an Ihnen vorbeigeht?
Klassiker wie Chanel Nº 5 auf jeden Fall. Aber es gibt heute jährlich 300 neue Düfte, da ist es schwer, den Überblick zu behalten.
Aber Sie glauben an die Kraft der sinnlichen Wahrnehmung. In einem Interview war mal zu lesen, dass das Lied «Massachusetts» bei Ihnen stets eine Ferienerinnerung wachruft…
Ja, diesen Song der Bee Gees verbinde ich mit einer Reise im Jahr 1978 mit meiner damaligen Freundin an die Côte d’Azur. Wenn ich das Lied höre, fallen mir immer wieder neue Details von damals ein, die ich längst vergessen glaubte. Mit Gerüchen ist es ganz ähnlich. Wenn es irgendwo auf der Welt nach Milchreis riecht, denke ich an den Milchreis meiner Mutter, den sie immer mit Zimt verfeinert hat. Leider funktionieren aber diese Assoziationen auch in negativer Hinsicht. Ein Duft oder ein Lied kann auch schmerzliche Ereignisse aus dem Unterbewusstsein hervorholen, Dinge, die man verdrängt hatte.
Und mit Wein?
Mit Wein funktioniert es auch. Wenn ich an einem 89er Haut-Brion oder einem 47er Cheval Blanc schnuppere, weiss ich sofort wieder, wo zuvor und mit wem ich diese Weine früher schon mal geniessen durfte.
Dann sind Sie bezüglich der Wahrnehmung von Weinen genau so sensibel wie bei Parfums?
Was Bordeaux anbelangt, denke ich, schon. Ich habe früher jährlich an aussergewöhnlichen Weinproben auf dem Arlberg teilgenommen, an denen wir jeweils 50 Crus verkosteten. Zuerst wurde anhand der Aromatik bestimmt, ob die Weine an der «Rive Gauche» oder der «Rive Droite» gewachsen sind, danach machten wir uns daran, die einzelnen Châteaux zu bestimmen. Auch heute führen wir auf Château Faugères, aber auch auf Château Lafaurie-Peraguey in Sauternes regelmässig vertikale oder horizontale Blindverkostungen durch.
Sie bestimmen also die Stilistik Ihrer Weine und nicht Ihr berühmter Berater Michel Rolland?
Die Wiedererkennung und die Stilistik meiner Bordeaux-Weine sind mir sehr wichtig. Darum arbeite ich sehr eng mit Michel Rolland zusammen. Er kennt Faugères seit 28 Jahren, er hat auch die Parzellen für den Péby Faugères bestimmt. Vor allem bei den Frühjahrsverkostungen, bei denen wir die Assemblagen zusammenstellen, bin ich immer mit dabei.
Zusammen mit dem in Spanien ansässigen Weinmacher Peter Sisseck führen Sie in Bordeaux auch das historische Weingut Château Rocheyron. Sisseck ist ein Anhänger der Philosophien von Rudolf Steiner und des biodynamischen Anbaus. Hat er Sie auch schon bekehrt?
Peter kennt sich in dieser Materie besser aus als ich. Aber gerade in Bordeaux ist es wichtig, dass der Weinbau vermehrt ökologisch betrieben wird. Péby Faugères produziert bereits kontrolliert biologisch. Lafaurie-Peyraguey befindet sich in der letzten Phase der Umstellung und auch mit Faugères streben wir die Zertifizierung an. Zudem bearbeiten wir die ältesten Parzellen unserer Güter wieder in traditioneller Manier mit Pferd und Pflug.
Wann werden wir den ersten Naturwein von Silvio Denz im Glas haben?
Das werden Sie nicht erleben. Diese Art des Weinmachens überlasse ich gerne anderen.
Sie werden dieses Jahr 64 Jahre alt. Was werden Sie in zehn Jahren machen?
Je älter ich werde, desto mehr fokussiere ich mich auf das Jetzt. Konsolidierung und Perfektionierung sind für mich heute wichtiger als Akquisition. Vieles wird auch von den Zukunftsplänen meines Sohnes abhängen. Generell bin ich pragmatisch. Weil ich längst mehr Wein im Keller habe, als ich trinken kann, findet man heute etliche meiner gereiften Gewächse auf den Weinkarten meiner Restaurants.