Wenn’s um mehr als Geschmack geht

Weine mit Gewissen und Verantwortung

Text: Matthias F. Mangold, Fotos: z.V.g

Wein steht mitten in der Gesellschaft. Und doch wird selten darauf geachtet, wie er entstanden ist, welche Motivation dahintersteckt oder wer ihn – ausser den bekannten Köpfen – gemacht hat. Welche gesellschaftliche oder soziale Relevanz hat er? Wir haben uns drei ganz unterschiedliche Ansätze näher angeschaut.

 

Weinbau der Lebenshilfe, Bad Dürkheim

Lebenshilfe auch im Weinbau

Es geht eigentlich ganz normal zu beim Weinbau der Lebenshilfe am Ortsrand von Bad Dürkheim. Im Keller ist es laut, es wird gerade ein Wein abgestochen, Schläuche liegen herum. Kellermeisterin Yvonne Libelli gibt einem Mitarbeiter Anweisungen. Und trotzdem ist es eben doch ganz anders hier. Vielleicht ist es der moderatere Ton, vielleicht eine gewisse spürbare Rücksichtnahme. Denn der überwiegende Teil der Mitarbeiter besteht aus Menschen mit Behinderung, geistig wie körperlich. Sie sind jung und alt, ein Viertel darunter sind Frauen. Eine Truppe zwischen 35 und 40 Menschen, die von derzeit sieben nicht-behinderten Weinbaufachleuten betreut und angeleitet werden. Und nein, es sind nicht bloss «niedere» Dienste, die von ihnen geleistet werden, ganz im Gegenteil. «Die Jungs und Mädels sind quasi bei allen Arbeiten mit dabei», sagt Geschäftsführer Sven Mayer, der den Gesamtkomplex der Lebenshilfe mit 730 Betreuungsplätzen und 400 Mitarbeitern verantwortet. «Das ist keine Beschäftigungstherapie und wird auch nicht so wahrgenommen von den Behinderten. Sie sind eingespannt beim Fässerputzen, beim Filtrieren, Cuvéetieren, beim Abfüllen und bei der Ausstattung der Flaschen.» Und natürlich draussen beim Schneiden oder Binden, beim Pflanzenschutz und bei der Lese. Stolz ist der entscheidende Faktor, so Mayer, die Identifikation mit dem Schaffen und den Ergebnissen sei enorm. Auf die Frage, ob es möglich sei, Fotos der Mitarbeiter zu veröffentlichen, lacht er und meint, hier wäre es genau andersherum als in vergleichbaren Fällen: «Wenn ein Bericht über uns erscheint, kommen Mitarbeiter und fragen: ‹Und warum bin ICH nicht auf einem Foto?›»

Bad Dürkheim ist die Einzige der mehreren Hundert Lebenshilfen in Deutschland mit Weinbau. Entstanden ist sie 1965 als Verein «für das geistig behinderte Kind» – die meisten erwachsenen Behinderten waren im Dritten Reich der Euthanasie zum Opfer gefallen. 1988 übernahm man in Altleinigen den Kleinsägmühler Hof, einen landwirtschaftlichen Demeter-Betrieb. Kurz danach und mit dem Ansporn «Ihr könnt doch sicher auch Wein!?» begann man, brach liegende Terrassen unterhalb der Wachtenburg in Handarbeit zu rekultivieren. Einen halben Hektar, heute sind es 23 Bioland-zertifizierte Hektar, doch diese «Schlossberg»-Parzelle war die Keimzelle.

«Wir können die zu Betreuenden je nach Schwere oder Grad der Behinderung einsetzen», sagt Gabriel Huber, seit Januar Betriebsleiter. «Der Grundgedanke ist, zumindest einige von ihnen fit zu machen für den ersten Arbeitsmarkt, also die ‹normalen› Weingüter», ergänzt Mayer. Im sogenannten «Berufsbildungsbereich» sind ein Teil der Mitarbeiter für zwei Jahre dabei und erhalten dann ein Zertifikat, mit dem sie sich bewerben können. Manche wollen tatsächlich gehen, andere bleiben lieber hier, in ihrer gewohnten Umgebung.

Ratings & Notizen aller Weine

Der älteste Jubilar im Weinbau-Team hatte unlängst die 20 Jahre voll. Und wie ist es mit dem Genuss von Wein durch die Behinderten selbst? «Grösstenteils dürfen sie selbst entscheiden, ob sie Wein trinken wollen oder nicht. Manchen ist es auch möglich, ihren Geschmack zu beschreiben – und auch damit leisten sie ihren Input.»

 

fair’n green

Topcrus mit sozialer Verantwortung

Der Deutsche neigt ja dazu, sich in Vereinen oder Verbänden zusammenzuschliessen. Es spricht auch rein gar nichts dagegen, wenn es sich weinmässig um eine Vereinigung wie respekt-BIODYN oder fair’n green handelt. Neben dem, was viele andere Verbände sich auf die Fahne geschrieben haben (Biodiversität, Umweltschutz, naturnaher Anbau), ist ein Ansatz bei fair’n green das soziale Miteinander, und das nach innen wie nach aussen. Deren Vorstandsvorsitzender Keith Ulrich erklärt das so: «Die eine Seite ist weingutsintern und berücksichtigt alle Bereiche der Mitarbeiter. Werden sie angemessen entlohnt? Bekommen sie ordentliche Verträge – auch in deren eigener Sprache? Was ist mit Fort- und Weiterbildung?» Ulrich spricht von einem Entwicklungssystem statt von einem Abhaken auf Checklisten. Der verantwortungsvolle und respektvolle Umgang miteinander sei essenziell für den Aufbau langfristiger Arbeitsbeziehungen.

Der Südpfälzer Winzer Peter Siener hat das im letzten Jahr selbst erlebt. Er ist seit 2018 bei fair’n green und musste einem überraschten polnischen Mitarbeiter erst einmal erklären, welche Vorteile eine Festanstellung gegenüber einer Geringverdienervariante mit Bonus hat: «Er hat gestaunt, dass es nun für die gleiche Arbeit sogar Sozialversicherungs- sowie Altersansprüche gibt und dass wir ihm bei Bedarf Fortbildungen finanzieren – jetzt ist er noch motivierter als zuvor!» Siener selbst, der sich schon immer mit Bio-Anbau beschäftigt hat, ohne eine Zertifizierung anzugehen, überzeugte letztlich das Gesamtpaket von fair’n green, auch in der Beratung. «Unsere Gesamtenergiebilanz hat sich verbessert, man erlernt durch die Kontrolle von aussen auch mehr Kontrolle für sich selbst.» Über ein Punktesystem wird man beispielsweise in Bereichen wie Wasserverbrauch oder Pflanzenschutz eingestuft und gegebenenfalls unterstützt. Als weiteren positiven Aspekt sieht Peter Siener auch den Druck durch die Kollegen – in seiner Wirkung nicht zu unterschätzen.

Sogar im Ausland werde inzwischen viel nach diesem Label gefragt, gerade in Skandinavien sei es extrem wichtig. 

Gegründet wurde fair’n green 2013 von Keith Ulrich mit seinen ehemaligen Studienkollegen Reinhard Löwenstein und Clemens Busch. «Die beiden waren praktisch die Ideengeber», so Ulrich, «und sie bestanden von Beginn an darauf, das Thema Nachhaltigkeit eben nicht nur am Aussenbetrieb festzumachen. Damit kommt jetzt die andere Seite ins Spiel, nämlich das gesamtgesellschaftliche Engagement.» Die Weingüter sehen sich alle verwurzelt in ihrem regionalen Umfeld. Gefördert werden sollen daher das Sich-Einbringen in der Gemeinde, die Unterstützung von Hilfsorganisationen, Lernpatenschaften oder Mehrgenerationenhäusern. Beim Weingut Stodden hilft man der örtlichen Tafel, das Weingut Braunewell fühlt sich der Stiftung Tapfere Kinder e.V. in Mainz nahe.

Ratings & Notizen aller Weine

Und das sind nur zwei von vielen Beispielen. Ausser in Deutschland gibt es fair’n green noch in Italien, Frankreich, Österreich und der Schweiz. Mit der Cantina Kaltern ist jetzt sogar die erste Genossenschaft mit an Bord.

 

Weingut Bürgerspital zum Heiligen Geist

Nebenerwerb mit 120 Hektar

Mit Robert Haller durch die Keller des Würzburger Bürgerspitals zu flanieren, hat schon etwas. Jahrhundertealte Geschichte wabert einem hier entgegen. In die Böden mancher Doppelstückfässer sind, bestimmten Anlässen und Jubiläen geschuldet, kunstvolle Schnitzereien eingearbeitet, die die lange und ruhmreiche Tradition dokumentieren. Hier wurde 1726 der erste Bocksbeutel in Franken genutzt. Hinter Panzerglas lagert die älteste noch gefüllte Weinflasche der Welt – aus dem Jahr 1560. Wow!

Die Stiftung Bürgerspital ist 2019 satte 703 Jahre alt – und sie ist in der Region total präsent, sagt Haller: «Wir sind der zweitgrösste Immobilienbesitzer Würzburgs, woraus wir auch unsere Haupterlöse erzielen.» Damit werden sechs Alterswohn- und Pflegeheime, ein geriatrisches Zentrum und ein mobiler Pflegedienst unterhalten. Das Weingut sei daher «einer der grössten Nebenerwerbswinzer Deutschlands», so Robert Haller, und das Grinsen auf seinem Gesicht ist mehr als breit. 120 Hektar werden bewirtschaftet, Zukauf gibt es keinen. Warum auch? Es gibt einen super Fundus an Weinbergen, darunter 80 Prozent Steillagen, grosse Stücke davon im Alleinbesitz, etwa in der Stein-Harfe. «Natürlich sind wir im Weingut ein Wirtschaftsbetrieb und stehen im Markt, doch die 703 Jahre alte soziale Idee ist heute noch gültig. Ich habe vor einiger Zeit ein Leitbild zusammengefasst und auf eine DIN-A4-Seite gedruckt, die ich überall im Betrieb ausgehängt habe. Das trägt dazu bei, dass unsere Mitarbeiter mit einem etwas anderen Elan an die Sache herangehen. Sie identifizieren sich damit, verspüren Stolz, Teil einer wirklich guten Sache zu sein.» Man merkt dem gebürtigen Schwaben an, dass es auch für ihn nicht einfach nur ein Arbeitsplatz wie jeder andere ist. Auch für Haller ist das Leitbild keine Phrasensammlung, sondern eine Verpflichtung, als Vorreiter in der Region zu agieren. Gegenseitige Wertschätzung im Team, Nachhaltigkeit und Fairness nach aussen («Wir zielen auf eine dienstleistungsorientierte, langfristige und partnerschaftliche Beziehung zu unseren Kunden») sowie umwelt- und ressourcenschonende, nachhaltige Wirtschaftsweise im Einklang mit der Natur sind Teil davon. Es mag klingen wie aus einem Werbeprospekt, wird in Würzburg aber gelebt. Dazu gehört, in weniger ertragreichen Jahren bevorzugt die älteren, treuen Kunden zu bedienen und den Grossabnehmern im gleichen Atemzug Kontingente zu streichen. Viele ehemalige oder aktive Mitarbeiter suchen (und finden) für ihre Angehörigen Platz in einem Heim und haben schon von daher einen ganz anderen Bezug zu ihrer Tätigkeit. Das benachbarte Juliusspital hat einen ähnlichen Ansatz, ist noch grösser, was den Weinbau angeht, und in der Stiftung inzwischen auf eine Klinik für Herz-Kreislauf-Erkrankungen spezialisiert. Rivalität gibt es keine, stattdessen das gemeinsame Ziehen am gleichen Strang.

In den mehr als zehn Jahren unter Robert Haller hat sich das Weingut des Bürgerspitals wirtschaftlich wie qualitativ äusserst gut positioniert. Einer der Gründe: keine Kompromisse. Zum Beispiel werden bei der Lese die besten Trauben schon draussen im Weinberg am Tisch selektioniert.

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