Sie reifen über den Klippen der blauen Adria, aber auch im kargen Terroir des Hinterlands. Noch nie zuvor haben die Winzer im kroatischen Dalmatien aus ihrem einzigartigen Terroir ein solches Spektrum von Topweinen in die Flaschen gezaubert wie heute. Die Bandbreite reicht von mineralisch animierenden Weissweinen aus Sorten wie Pošip oder Grk über saftig beschwingte Rotweine aus beispielsweise Babić oder Trnjak bis zu Kraftpaketen aus Plavac Mali und Tribidrag.
Tausend Grillen zirpen im kargen Buschland um die Wette. Die Bora frischt auf und bringt das Blattwerk der Reben, die in den Steilhängen hoch über dem königsblauen Meer thronen, zum Rauschen. Die Windmassen lassen sich über die Klippen des Küstengebirges fallen und brausen im Sauseschritt hinaus aufs Meer und über dalmatinische Weininseln wie Hvar, Brač oder Korčula hinweg. Wo die Elemente so stark und allgegenwärtig sind, müssen die Rebstöcke von Natur aus vital sein, um zu überleben. Synthetischen Pflanzenschutz benötigen sie dafür kaum. Biologischer Anbau ist fast schon Standard, selbst bei jenen Gütern, die (noch) nicht entsprechend zertifiziert sind. Dalmatien gleicht noch immer einer Urlandschaft des Weins. Doch jetzt, wo die Winzer ihr intuitives Wissen über ihre Reben und ihr Terroir, welches sie über Generationen hinweg erworben und verfeinert haben, mit modernem Knowhow verknüpfen, kommen mit jedem Jahrgang mehr Spitzenweine von internationalem Format auf den Markt
Wirklich grosse Rebberge offenbaren sich dem Betrachter ohne viele Erklärungen, intuitiv, beim blossen Anblick. Nicht wenige, denen sich nach kurviger Fahrt durchs karge Buschland der Halbinsel Pelješac, rund 80 Kilometer nordwestlich von Dubrovnik gelegen, plötzlich die Aussicht auf so legendäre Weinbergslagen wie Dingač oder Postup eröffnet, bleiben für einen Moment sprachlos oder wischen sich gar diskret eine Träne der Rührung weg. Tausende von mächtigen, alten Weinstöcken bevölkern hier ein Amphitheater aus Erde und Stein. Doch die Reben, die vom Steilhang aufs Meer hinunterzublicken scheinen, als ob hier demnächst eine Aufführung beginnen würde, sind keine Zuschauer. Es sind die Hauptakteure, genauso wie das Wasser, die Sonne und der Wind. Es ist ein stilles, aber tiefgründiges Stück, das hier gespielt wird. Ab und zu dringt jenes helle, metallene Klopfen und Scharren zu uns, das entsteht, wenn die Bauern mit ihrer Hacke den Boden bearbeiten. In Lagen wie Dingač und Postup, aber auch auf der Südseite der Insel Hvar zwischen den Dörfern Zavala und Sveta Nedjelja (zu Deutsch: «heiliger Sonntag»), wo die Buschreben nicht weniger spektakulär über dem Meer thronen, befinden wir uns im Hoheitsgebiet des Plavac Mali. Die wilde Edelrebe bringt hier eine Reihe von monumentalen Rotweinen mit 15 und mehr Volumenprozent Alkohol hervor. Es sind hochkonzentrierte Crus, dunkelbeerig, floral und würzig, bei denen im Gaumen eine geballte Ladung an reifem Gerbstoff und die präsente Säure trotzdem eine temperamentvolle, animierende Balance bilden. Doch die Sorte zeigt heute auch andere Facetten. Ja, die Plavac-Mali-Welt in Süddalmatien ist in den letzten Jahren immer vielschichtiger geworden. Dank einer tendenziell früheren Ernte und einer angepassten Vinifikation entstehen zunehmend auch Gewächse, denen es trotz ihrer Fülle nicht an Frische und Balance mangelt. So offenbaren etwa Plavac- Selektionen aus den höchsten Parzellen von der Südküste der Insel Hvar, die bis 600 Meter über Meer reichen, eine verblüffend feine Frucht und Finesse. Auch Neuanpflanzungen an der Küste, beispielsweise in der Region von Komarna, bringen sehr ausgewogene Weine hervor. Ja, immer mehr Winzer beherrschen jenes Feintuning, das es braucht, um den Sumoringer Plavac Mali zum Tanzen zu bringen. Seit Rebforscher von der University of California in Zusammenarbeit mit kroatischen und italienischen Fachleuten herausgefunden haben, dass Plavac Mali mit Zinfandel und Primitivo verwandt und die Sorte Tribidrag (auch Crljenak Kaštelanski genannt) sogar mit den beiden Sorten identisch ist, hat diese Sortenfamilie in der Weinszene viel Aufmerksamkeit erhalten. Doch Dalmatien hat noch viel mehr zu bieten.
Dem Fels abgerungen
Denn was für den Plavac Mali gilt, nämlich dass die stilistische Vielfalt kontinuierlich grösser wird, gilt für die gesamte dalmatinische Weinszene. Dalmatien ist eine Schatztruhe, prall gefüllt mit autochthonen Sorten, die nun mehr und mehr Spitzenweine hervorbringen. So erlebt etwa die rote Sorte Babić, die traditionell vor allem in der Umgebung der Küstenstadt Šibenik angebaut wird, eine Renaissance. So wie es beim Plavac Mali vor allem Lagen wie Dingač und Postup sind, die zum Ruhm der Sorte beigetragen haben, so ist es beim Babić das ebenso eindrückliche Terroir von Bucavac, gewissermassen ein Denkmal eines heroischen Weinbaus. Die Bauern haben hier ein karges bisschen Erdauflage dem puren Fels gestohlen. Die äusserst genügsamen Babić- Reben wurzeln in quadratischen Miniparzellen, mit Trockenmauern aus jenen Steinen umfasst, die sie der Erde abgerungen haben. Mit seinem verführerischen Duft nach Maraschino- Kirschen und Zwetschgen sowie der geschmeidigen Lebendigkeit im Gaumen steht Babić für eine völlig andere Stilistik als Plavac Mali oder Tribidrag (Crljenak Kaštelanski). Und das Spektrum an feinfruchtigeren Rotweinen dürfte dank anderer wiederentdeckter Sorten wie beispielsweise Plavina weiter zunehmen. Plavina, bei der die Sorte Tribidrag als ein Elternteil identfiziert werden konnte, ist wie alle alteingesessenen dalmatinischen Sorten durch eine spontane Kreuzung entstanden. Auch im dalmatinischen Hinterland, in der Region Imotski, avanciert gerade die Sorte Trnjak zu einem Garanten für beschwingte Rotweine.
Weisse Wunder
Das idyllisch an einer Bucht zwischen dem Festland und der Halbinsel Pelješac gelegene Dörfchen Mali Ston ist ein idealer Platz, um die neue Weinvielfalt kennenzulernen. Es gibt hier eine Kirche, einen kleinen Hafen, eine Burg und einen Salzspeicher. Nicht zu vergessen sind die Restaurants, welche die berühmteste Delikatesse von Mali Ston servieren: die schmackhaften Austern, die im sauberen Wasser der Bucht gezüchtet werden. Nicht weit von hier reifen dalmatinische Top-Crus, die in Bezug auf ihre Stilistik nicht gegensätzlicher sein könnten. Bis zur Lage Dingač, wo der Plavac Mali eine Reihe von geradezu monumental vollmundigen Weinen hervorbringt, sind es nur gerade 40 Kilometer. Und bis zur langgezogenen Insel Korčula, wo auf rund 500 Hektar einige der knackigsten Weissweine im ganzen Mittelmeerraum reifen, sind es auch nur 70 Kilometer, doch wegen der Überfahrt mit der Fähre dauert die Reise dorthin etwas länger. Das idyllische Hafenstädtchen Korčula ist in die Geschichte eingegangen, weil sich hier das Geburtshaus des Händlers und Entdeckers Marco Polo befindet. Im nur sechs Kilometer entfernten Badeort Lumbarda bauen rund ein Dutzend Winzer auf puren Sandböden mit Sicht aufs Meer die rare Sorte Grk an.Sie ist ein Garant für faszinierend knackig-florale Weissweine, die hervorragend zu den Austern von Mali Ston munden. Und im Innern der Insel, im Haupttal gibt es gleich noch ein zweites Weissweinwunder zu entdecken: Aus der Sorte Pošip entstehen hier saftig-vielschichtige Weine. Mit ihrer reifen Mineralik, oft ergänzt durch eine Spur von Kräutern, Rauch und nassem Stein, erinnern sie manchmal an die weissen Crus aus Châteauneuf- du-Pape, zeigen aber dann im Gaumen überraschend viel Frische und Biss. Da ist es kein Wunder, dass Grk und Pošip heute auch in anderen Subregionen Dalmatiens angebaut werden. Ein weiterer weisser Aufsteiger ist die Sorte Maraština, die bei präzisem An- und Ausbau ebenfalls Weine mit fast schon burgundisch anmutender Finesse in die Flaschen zaubert. Wie gut die dalmatinischen Winzer heute auch «das weisse Handwerk» beherrschen, zeigt sich auch in der Vinifikation, wo die Weine mit akkuratem Holzausbau und zunehmend auch mit Maischenstandzeiten veredelt werden. Angesichts der Dynamik in der dalmatinischen Winzerszene ist es sicher, dass mit den kommenden Jahrgängen weitere Topweine auf den Markt kommen. Es lohnt sich, diese spektakulär schöne Weinregion am Mittelmeer auch künftig im Auge zu behalten.