Kastilien und Léon

Am schönen Arsch der Welt

Text: Thomas Vaterlaus

  • Nur wenige Kilometer von den Rebbergen in Bierzo entfernt haben die Römer mächtige Galerien in den Lehm geschlagen, um hier Gold abzubauen.
  • Bordeaux-Freaks lieben die mächtigen Tempranillos aus Ribera del Duero und Toro.
  • Burgund-Liebhaber jedoch schätzen die subtilen Crus aus Mencia, Rufete, Juan García oder Bruñal schon etwas mehr!
  • Vergangenheit trifft Zukunft: Die Einsiedelei Virgen del Castillo bei Fariza im Naturpark Arribes del Duero…
  • …liegt nur wenige Kilometer vom futuristischen Verkostungsraum der Hacienda Unamuno Fermoselle. Das Weingut beherbergt auch ein Hotel.

Rituale von Tempelrittern, Goldminen aus der Römerzeit, einsame Winzerdörfer: Am westlichen Rand der kastilischen Hochebene, nahe der Grenze zu Portugal, offenbart uns Spanien seine letzten Weingeheimnisse. Der allmächtige Tempranillo verliert hier seine Macht. Aus Sorten wie Mencia, Rufete oder Juan Garcia entstehen temperamentvoll-fruchtbetonte Weine.

Ist es wirklich so geschehen? Fast am Ende seines langen Weges nach Santiago de Compostela bekommt der Pilger eines Abends in Ponferrada, dem Hauptort des Weinbaugebietes Bierzo, eine geheimnisvolle Mitteilung. Er soll sich nach Sonnenuntergang im Castillo, der mittelalterlichen Festung, die hoch über der Stadt thront, einfinden. Dort wird er Zeuge eines Initiationsrituals der Tempelritter. Bei lodernden Fackeln und dem Duft von Weihrauch und Minze wird in einem Schutzkreis ekstatisch getanzt und schliesslich ein Anwärter vom Hohepriester feierlich in den Orden aufgenommen. Zum Schluss der Zeremonie, schon im Morgengrauen, schlagen sich die Ritter mit ihren Schwertern lautstark auf ihre Metallschilde… Stattgefunden haben soll die Episode nicht im Mittelalter, sondern im Sommer 1986, wenn man dem Tagebuch, das Paulo Coelho über seine Pilgerreise verfasst hat, denn glaubt…

Nun, wer oben auf der Burg steht, kann sich durchaus vorstellen, dass das Erbe der Templerorden hier bis heute nachhallt. Und auf jeden Fall ist das Gebiet El Bierzo im nordwestlichsten Zipfel von Kastilien-León ein magischer Platz. Hunderttausende von Pilgern sind in den letzten 1000 Jahren auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela durch diesen idyllisch-beschaulichen, grünen Talkessel mit seinen Rebbergen gezogen. Und schon vor ihnen waren die Römer da. In Las Médulas (heute ein UNSESCO-Welterbe) betrieben sie die grösste Goldmine ihres gewaltigen Reiches. Sie gruben unzählige Tunnel und Schächte in den weichen roten Lehm, leiteten dann durch diese Stollen gewaltige Wassermassen. So brachten sie den Berg teilweise zum Einsturz, um dadurch leichter an das Gold zu kommen. Mit dieser antiken Hightech-Methode schufen sie eine bizarre Berglandschaft mit gewaltigen, kathedralenartigen Öffnungen im Berg.

Doch im Boden gibt es hier nicht nur kostbares Gold. Das Terroir in den westlichsten Zipfeln von Kastilien und León, wo sich neben der inzwischen schon bekannten DO Bierzo auch zwei noch weitgehend unbekannten Anbaugebiete, nämlich die DO Arribes und die DO Sierra de Salamanca, befinden, ist ein höchst komplexes Puzzle. Von Tal zu Tal und Dorf zu Dorf wechseln die Bodentypen. Die Reben wurzeln in Sand, Schiefer, Quarz, Granit oder kiesigem Schwemmland und der schnell wechselnde Untergrund gibt den Weinen ihren individuellen Charakter. Vor allem aber endet hier die Macht des Tempranillos. Der Tempranillo ist die rote Paradesorte in der kastilischen Hochebene, prägt er doch die weltweit bekannten Crus aus Ribera del Duero und Toro.

Zweifelsfrei bringt die Sorte dort einige der eindrucksvollsten Gewächse der iberischen Halbinsel hervor. Allerdings steht der Tempranillo auch für einen oft etwas einheitlich anmutenden Weintyp. Reife Aromen von dunklen Wald- und Brombeeren, gepaart mit Eichenholzwürze, präsentes Tannin bei einer moderaten Säure – viele Weine sind nach diesem Muster gestrickt. Der Erfolg im Markt ist die beste Legitimation für diesen Typus, dem besonders die Bordeaux-Liebhaber viel abgewinnen können. Die Burgund-Aficionados aber vermissen bei diesen Weinen oft etwas Lebendigkeit und Subtilität. Doch zum Glück ist im weiten Kastilien in den letzten Jahren eine beeindruckende Weinvielfalt entstanden. Wer nach eleganten Gewächsen sucht, wird dabei vor allem in den kleinen Appellationen im Westen von Kastilien und Léon fündig. Dort pflegen die Winzer alteingesessene Sorten wie Mencia in Bierzo, Rufete in der Sierra Salamanca und Juan Garcia in Arribes und keltern daraus höchst eigenständige Weine mit animierender Frische, klarer Frucht und viel Temperament. 

«On the road» zum Ende der Welt

Dass sich die Mencia-Weine aus Bierzo in den letzten Jahren international gut in Szene setzen konnten, hat vor allem zwei Gründe. Erstens liegen die Rebberge direkt am Pilgerweg nach Santiago, der eine spektakuläre Renaissance erlebt. Zweitens haben die Weine dank Pionieren wie Álvarao und Ricardo Palacios (Descendientes de J. Palacios), aber auch Projekten wie Dominio de Tares, Losada oder Pittacum stetig an Qualität zugelegt. Vom Weinschaffen weiter im Süden, nahe der Grenze zu Portugal, ist dagegen noch wenig bekannt.

Kein Wunder: Die DO Arribes wurde erst 2007 gegründet, die DO Sierra de Salamanca gar erst im Jahr 2010. Die Fahrt in diese abgelegenen Gebiete ist ein echtes Abenteuer. Der beste Ausgangspunkt für den Wein-Roadtrip ist das altehrwürdige Salamanca, dass jeden Abend dank der Präsenz von mindestens 40 000 Studenten zur pulsierenden Partystadt wird. Doch schon wenige Kilometer westlich der Stadt, in Richtung Portugal, wird es ruhig. Die in weiten Teilen Spaniens allgegenwärtigen Zivilisationssünden in Form von Gewerbebauten und Neubauquartieren, treffend «Urbanizaciones» genannt, bleiben zurück. Im kargen, aber erstaunlich grünen Land weiden Kühe, Pata-Negra-Schweinchen, und sogar Kampfstiere. Je näher die Grenze zu Portugal rückt, umso einsamer wird das grüne Hügelland mit seinen trutzigen Dörfern, die sich auf Hügelkuppen aus dem waldigen Umland erheben. Es gibt im westlichen Europa wohl kaum einen verlasseneren Ort als dieses idyllische «Niemandsland». Jahrzehntelang sind die Menschen ausgewandert, vorzugsweise nach Deutschland oder in die Schweiz. Der Dornröschenschlaf hatte aber auch sein Gutes. Die alten Rebparzellen, bestockt mit heimischen Sorten, sind noch da. Niemand hat diesen Schatz angetastet.

Der Retter des Rufete

Der qualitativen Vorreiter der neuen DO Sierra de Salamanca, der 47-jährige Fernando Maillo, residiert im Wald, inmitten von moosbewachsenen Felsen. Ein mächtiger Granitblock, an den Hinkelstein von Obelix erinnernd, stützt das Vordach seiner Bodega Viñas del Cambrico. Kaum haben wir Platz genommen, erzählt er von der vermutlichen Verwandtschaft zwischen Rufete und Pinot Noir. Und vom intakten Dorfgeist in Villanueva del Condo, wo selbst engste Strässchen noch keine Einbahn-Markierungen brauchen, weil kaum Verkehr herrscht. Im Jahr 2000 hat der heute 47-jährige Winzer sein Projekt gestartet und seither 130 Rebparzellen von 130 verschiedenen Besitzern erworben. Alle seine Rebberge liegen sanft eingebettet in einer vielfältigen Vegetation aus Korkeichen, Erdbeer- und Olivenbäumen, Heidekraut, Zistrosen, Ginster und vielem anderen. Vor allem aber hat Fernando Maillo die alteingesessene Sorte Rufete gerettet. Er hat 40 verschiedene, sehr alte Klone der Sorte aufgespürt und in einem Versuchsrebberg vermehrt. Gleichzeitig sind seine Weine immer eleganter, geradliniger und frischer geworden. Eine früherer Ernte und eine reduzierte Extraktion sind der Schlüssel zu seinen heute ganz und gar burgundisch anmutenden Crus, die ihr von Granit geprägtes Terroir bestmöglich zum Ausdruck bringen.

Zum nächsten Weinwunder an der kastilischen Westgrenze geht es 100 Kilometer auf kleinen Landsträsschen in nördlicher Richtung. Die Weinberge der DO Arribes folgen dem Fluss Duero wie eine Perlenkette und sind Teil des Naturparkes Arribes del Duero. Der hier schon stolze Strom, der immer wieder spektakuläre Schleifen schlägt und tiefe Schluchten in den Felsformationen aus Granit, Gneis und Schiefer gegraben hat, bildet in diesem Abschnitt die Grenze zur Portugal. Der Weinbau in Arribes erinnert in vielerlei Hinsicht an die Bedingungen im benachbarten, portugiesischen Douro Superiore.

Schiefer gibt es hier wie dort, und auch die Sortenvielfalt ist ähnlich gross. Nur die Weine schmecken völlig anders. Während auf der portugiesischen Seite mehrheitlich hochkonzentrierte Powerweine reifen, zeigen sich die Arribes Crus eher zartfruchtig und frisch. Zu den Protagonisten dieser DO gehört unter anderem Charlotte Allen. Weil sie jahrelang ein Auto mit französischen Kennzeichen fuhr, nennt man sie im 1500-Einwohner-Städtchen Fermoselle schlicht und einfach «La Francesa», dabei ist sie Engländerin. Auf der Suche nach einem bezahlbaren Weingut entdeckte sie 2007 dieses von Abwanderung bedrohte Randgebiet in Kastilien und zog mit ihrem Sohn ans Ende der Welt. Alte Bauern beobachteten ihr Schaffen zuerst misstrauisch, dann wohlwollend und überliessen der heute 47-jährigen Winzerin ihre kleinen Parzellen. Heute bewirtschaftet sie sieben Hektar Reben auf biodynamische Weise und vinifiziert ihre Weine in einem 500-jährigen Naturkeller mit einem Minimun an Interventionen. In ihrem temperamentvollen, nach Waldbeeren und Kräutern duftenden Pirita Tinto Crianza vereinen sich zehn lokale Sorten. Dieser animierende Wein ist ein perfekter Begleiter zur deftigen Landküche. Zelebriert wird diese alljährlich mit der «Feria de Botijeros», dem Schlachtfest im pittoresken Landstädtchen Ciudad Rodrigo. Zu den Deftigkeiten vom Schwein mundet ein Gläschen Rufete, Bruñal oder Juan Garcia ganz vorzüglich. So vorzüglich, dass niemand hier den Tempranillo vermisst…


DO Bierzo

In einem idyllischen Talkessel an der Grenze zwischen Kastilien und Galicien gelegen. Über 70 Kellereien verarbeiten hier heute Trauben von insgesamt 3000 Hektar, angelegt zwischen 400 bis 1000 Meter über Meer. Die Rebbergsböden an den Bergtälern bestehen aus Sedimentgestein, Schiefer und Granit, in der Talebene herrscht Schwemmland vor. Das eher feuchte Klima wird bereits stark vom nahen Atlantik geprägt. Hauptsorten sind Mencia (rot) und Godello (weiss).

Topbetriebe
Descendientes de J. Palacios, Dominio de Tares www.dominiodetares.com, Estefanía www.tilenus.com, Losada www.losadavinosdefinca.com, Pittacum www.pittacum.com, Castro Ventosa www.castroventosa.com, Peique www.bodegaspeique.com

Übernachten 
Hotel Las Doñas del Portazgo in Villafranca del Bierzo www.elportazgo.com, Parador de Villafranco del Bierzo www.parador.es


 

DO Sierra Salamanca

Rund eine Autostunde südwestlich von Salamanca gelegen bewirtschaften in dieser erst 2010 gegründeten DO heute sechs Kellereien eine Rebfläche von rund 140 Hektar. Die Rebberge (meist kleine Parzellen) befinden sich zwischen 700 und 900 Meter über Meer, mehrheitlich auf Terrassen über dem Fluss Alagón. Die Reben wurzeln in sandigen Böden aus zersetztem Granit in einem von reichhaltiger Vegetation geprägten Ökosystem. Das ausgewogene Klima wird schon mehrheitlich vom Mittelmeer geprägt. Hauptsorte ist die alteingesessene Tinta Rufete.

Topbetriebe
Viñas del Cámbrico www.cambrico.com, Compañia de Vinos La Zorra www.vinoslazorra.es

Übernachten 
Hotel Rural Casa Margo in Sequeros www.ruralcasamargo.com, Hotel Termal Abadia de Los Templarios in La Alberca www.abadiadelostemplarios.com


 

DO Arribes

Das Weinbaugebiet westlich von Zamora bildet einen rund 80 Kilometer langen Streifen entlang des Flusses Duero, der hier die Grenze zwischen Spanien und Portugal bildet. 15 Kellereien bewirtschaften eine Rebfläche von 360 Hektar. Es dominieren Sandböden mit Kies, aber auch Granit und Schiefer. Das Klima ist mehrheitlich mediterran geprägt. Die wichtigsten Sorten sind Malvasia, Verdejo und Albillo (weiss) sowie Juan García, Bruñal und Rufete (rot).

Topbetriebe
Almaroja – Charlotte Allen www.almaroja.com, Bodega Arribes del Duero www.bodegasarribesdelduero.com, Bodegas Viña Romana www.vinaromana.com, Bodegas La Setera www.lasetera.com, Bodegas Ocellum Duii www.bodegasocellumdurii.es

Übernachten
Posada Real El Brasilero in Saucelle www.casabrasilero.com, Quinta de la Concepion in Hinojosa de Duero www.quintadelaconcepcion.com, Hacienda Unamuno Hotel in Fermoselle www.galahotels.com


 

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