Klartext von Harald Scholl

#solidAHRität

Text: Harald Scholl

Es ist nach wie vor kaum in Worte zu fassen, was am 14. Juli an der Ahr passierte. Der Begriff «Jahrhunderthochwasser» wirkt immer noch wie ein Euphemismus angesichts der apokalyptischen Verwüstungen. Andererseits ist aber auch das Mass an solidarischer Hilfe unter den Winzern und Weinfreunden kaum zu beschreiben.

Ein Bild hat sich besonders eingeprägt. Lukas Sermann, über den in Heft 5|2021 als Zukunftswinzer des deutschen Rieslings geschrieben wurde, zeigte mit einem Video auf Facebook, wie die entfesselten Wassermassen seine Betriebsgebäude einfach mit sich rissen. Sein Gesichtsausdruck, die völlige Verzweiflung und Hilflosigkeit im Anblick der braunen Fluten, hat sich ins Gedächtnis eingebrannt. Er war nicht allein getroffen, fast alle Weinbaubetriebe in Altenahr, Ahrweiler und Bad Neuenahr wurden mehr oder weniger zerstört. Winzerfamilien mussten von den Dächern ihrer Häuser gerettet werden, einige galten tagelang als vermisst, weil sie wegen der zusammengebrochenen Infrastrukturen weder telefonisch, noch sonst wie zu erreichen waren. Die Hilflosigkeit der Winzerinnen und Winzer, aber auch der anderen Menschen in den betroffenen Gebieten an der Ahr, zeigte eindringlich die menschliche Machtlosigkeit angesichts einer wie entfesselt wirkenden Natur. Auch wenn das Ausmass an der Ahr ungleich höher und verheerender war – ein ruhiges Jahr wird es auch in anderen Weinbauregionen nicht. Auch anderswo in Europa schlägt das Wetter zu. In der Schweiz, im Kanton Wallis, wütet im Moment der Falsche Mehltau. Der Schimmelpilz befällt Blätter, Blüten und Trauben und kann zu einem kompletten Ernteausfall führen. Mehrere Rebbäuerinnen und Rebbauern rechnen mit einem Ernteausfall von bis zu 80 Prozent. Am Tag vor der Katastrophe an der Ahr vernichtete eine Hagelwolke am Taggenberg im Kanton Zürich die diesjährige Ernte und damit die Arbeit eines ganzen Jahres. Ob die Selbstheilungskräfte der Reben ausreichen, um in den nächsten Jahren wieder Trauben zu ernten, steht in den Sternen. Und im Burgund? Bis zu 90 Prozent Ausfälle durch die Frostnächte im April, der französische Landwirtschaftsminister Julien Denormandie sprach von einem «landwirtschaftlichen Katastrophenfall».

An der Ahr lief innerhalb weniger Tage eine beeindruckende Anzahl von privaten und verbandsorganisierten Hilfsprogrammen an. Unter dem Hashtag #solidAHRität wurde auf Initiative von Dirk Würtz – Chef des rheinhessischen Weinguts St. Antony und eine unserer 25 Weinpersönlichkeiten des Jahres – eine Aktion ins Leben gerufen, bei der Weinfreunde einen gemischten Sechserkarton gespendeter Weine für 65 Euro kaufen konnten. Die Weine kamen von Winzerkollegen und auch Weinhändlern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Südtirol. Innerhalb von zehn Tagen konnten über 28000 Flaschen eingesammelt werden, die Summe fliesst zu hundert Prozent an die Winzer an der Ahr. Eine kleine Weingruppe hat innerhalb von 48 Stunden über 6000 Euro eingesammelt, um eine Neun-Liter-Flasche Herbert Zillinger Radikal zu ersteigern, auch hier geht das Geld direkt an die betroffenen Winzer. Das Weingut Othegraven leitet den Erlös aller (!) Bestellungen, die im August gemacht werden, direkt weiter an die gemeinsame Spendenaktion des VDP #deradlerhilft. Wieviele Winzer sich auf den Weg gemacht haben, um selbst mit Hand anzulegen an der Ahr, um Gebäude wieder herzurichten, um Weinberge zu pflegen – denn auch die Geräte sind vielfach mit den Wassermassen weggespült worden –, lässt sich kaum noch aufzählen. Alle Initiativen zeigen vor allem eins: Ihr seid nicht allein. Dieses Gefühl ist für die Betroffenen mindestens so wichtig wie die Hilfe selbst.

Unausweichliche Diskussionen über Ursachen des Klimawandels

Und doch wäre dieser Klartext über die Katastrophe und die Solidarität an der Ahr nicht vollständig, wenn nicht der Blick auch darüber hinaus gehen würde. Unausweichlich ist die Diskussion darüber, wie in Zukunft auf solche extremen Wettersituationen reagiert werden kann und noch wichtiger: wie sie zu verhindern sein werden. Wenn die Trauer über die Verluste von Menschen und Gütern abgeklungen ist, die Freude über die Solidarität im Alltag versiegt, werden wir alle gemeinsam darüber sprechen müssen. Denn um diese Fragen werden wir nicht herumkommen. Wie verhindern wir Wetterextreme, wie bereiten wir uns auf Starkregen, Spätfrost und Intensivhagel vor? Wir alle können uns schon heute darauf einstellen, dass es auch hier nicht ohne Solidarität gehen wird. Vielleicht ist die Hilfe für die Opfer der aktuellen Katastrophen eine gute Übung. So wie wir uns alle vereint gegen die aktuellen Schäden stemmen, müssen wir auch die Ursachen des Klimawandels gemeinsam bekämpfen. Hoffentlich ist uns das allen bewusst.