Mehr Mut zum eigenen Geschmack

Einen Gang runterschalten

Text: Harald Scholl

Der Weintrinker ist preissensibel wie nie zuvor. Winzer und Händler klagen gleichermassen über stagnierende, wenn nicht rückläufige Umsätze, was nicht nur an der Kaufzurückhaltung liegt. Warum sich die Kunden nicht in eigenen Landen umschauen, um fürs Geld mehr Trinkspass zu bekommen, bleibt ein Rätsel.

Beim Rundgang über die VieVinum in Wien Ende Mai fiel es einmal mehr ins Auge: Qualitativ hochwertige, im deutschsprachigen Raum produzierte Weine, also solche aus Österreich, Deutschland und Süd­tirol, laufen preislich noch immer der internationalen Konkurrenz hinterher. Dass die grössten Grünen Veltliner oder Rieslinge in der Wertschätzung der Weinkritiker mit den Weinen aus dem Burgund, Bordeaux, der US-Westcoast, dem Piemont oder der Toskana mithalten können, ist unstrittig. Absolut unstrittig. Aber die sich im Preis widerspiegelnde Wertschätzung der Weintrinker haben sie nicht, bei weitem nicht. Für die höchstbewerteten trockenen Rieslinge oder Grünen Veltliner mehr als 100 Euro zu verlangen, wird zumindest hierzulande entweder als Preistreiberei oder Unverschämtheit tituliert. Für einen Grand Cru aus dem Bordelais, der in sechsstelliger Flaschenzahl, mit Maschinen, Hightech und allerlei (zugelassenen) Mitteln hergestellt wird, wird dagegen, ohne mit der Wimper zu zucken, das Scheckbuch gezückt, und es werden mehrere hundert Euro oder Franken pro Flasche auf den Tisch gelegt. Im Bordelais stehen hinter den grossen Châteaus zum grossen Teil Investoren und/oder Grosskonzerne. Deren Interesse ist verständlicherweise ein gänzlich anderes als das vom handwerklich arbeitenden Familienbetrieb im Kamptal. Und ja, der Vergleich hinkt, denn ein kräftiger Roter ist etwas anderes als ein eleganter Weisser. Aber es geht nicht um Geschmack oder persönliche Vorlieben. Es geht um Wertschätzung. Und diese Wertschätzung ist allzu oft abhängig von Marketingbudgets, von der Wirkung in der Öffentlichkeit, von der Anerkennung der Weinkritik. Wenn ein Winzer aus der Steillage an Mosel oder Wachau, dessen Weine einen ungleich höheren Arbeitseinsatz erfordern, Gleiches verlangen würde wie die Kollegen im Bordelais, wäre ihm der tippende Finger an der Stirn sicher. Gewiss, es gibt sie auch hier, die berühmten Ausnahmen von der Regel, Betriebe aus Deutschland oder Österreich, die Traumpreise erzielen für ihre Weine. Aber sie lassen sich sehr bequem an einer Hand abzählen. Im aktuellen Heft in der Rubrik «Editors Choice» findet sich dagegen eines der unzähligen Beispiele dafür, was für unglaubliche Qualitäten, jung oder gereift, in Österreich für vergleichsweise kleines Geld zu finden sind. Dass sich im Export die Menge der ausgeführten Weine made in Austria über die Jahre mehr oder weniger konstant hält, der Wert der Ausfuhren aber signifikant gestiegen ist, ändert am Grundproblem nichts. Denn rechnet man die inflationsbedingten Effekte heraus, bleibt von dieser Steigerung wenig übrig. Wein aus Österreich ist im internationalen Kontext günstig. Wenn nicht sogar billig.

Mehr Mut zum eigenen Geschmack

Womit wir beim Weintrinker angekommen wären. Denn am Ende entscheidet er – oder sie – darüber, was im Keller und darauffolgend im Glas landet. Und da fragt man sich, warum viele Weine geradezu irrwitzige Aufmerksamkeit bekommen, Kultstatus und schier unglaubliche Wertschätzung geniessen. Das kann nicht an der objektiven Weinqualität liegen, das ist völlig ausgeschlossen. Höchstens an der subjektiven. Es ist schlicht undenkbar, dass ein Côte-Rôtie so viel besser oder seltener ist als etwa ein Blaufränkisch Ried Saybritz vom burgenländischen Weingut Wachter-Wiesler, um einfach mal zwei vergleichbare Weinstile in Relation zu setzen. Wenn man die Trinkfreude, die Frische im Saybritz bemisst und nicht einmal auf das kleine bisschen Brettanomyces verzichten muss, das Weinenthusiasten so schätzen, fragt man sich, warum das nicht gefragter ist. Bloss weil die Rebsorte Blaufränkisch heisst, darf sie offenbar international nicht auf derselben Ebene wie Syrah mitspielen. Jedenfalls nicht preislich. In den Bewertungen von VINUM sind sie schon länger vergleichbar. Also nochmal: Warum wird nicht mehr auf die Weine aus Österreich und Deutschland geachtet, warum sind diese nicht gesuchte «Bluechips» oder erzielen astronomische Preise auf dem Sekundärmarkt? Eine rationale Erklärung erschliesst sich nicht. Es kann an der erzeugten Menge liegen, die eine wirkliche Marktdurchdringung verhindert, weil zu niedrig. Es kann am biederen Marketing liegen, das gerade den deutschen Wein international wenig leuchten lässt. Viele Gründe, viele Annahmen, keine Antwort. Aber eine Schlussfolgerung: Wer in welcher Preisklasse auch immer einen den Preis werten Wein trinken möchte, kommt an Österreich und Deutschland nicht vorbei.

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