Thomas Vaterlaus über Sinn und Unsinn der Deklarationspflicht

Abgelaufen macht er mehr Spass

Text: Thomas Vaterlaus

«Schatzi, ich habe heute sechs Flaschen Château Latour weggekippt, das Mindesthaltbarkeitsdatum war überschritten…» Was heute wie ein Witz klingt, könnte irgendwann Realität werden. Wein soll in Bezug auf die Deklarationspflicht mehr und mehr den übrigen Lebensmitteln gleichgestellt werden. Juckt uns das wirklich?

Einige «Bösewichte» in der europäischen Verwaltung wollen dem Wein seine einzigartige Aura entziehen. Sie wollen ihn schikanieren und degradieren, nämlich vom einzigartigen Genuss-Elixier zum normalen Nahrungsmittel, und folglich einordnen zwischen Essiggurken, Sojamilch und Fertigravioli. Und damit das funktioniert, braucht der Wein das, was all diese Produkte schon längst haben: ein Mindesthaltbarkeitsdatum! Aber noch sind wir nicht ganz so weit. Vorerst geben sich die selbstlosen Kämpfer für eine rigorose Verbraucheraufklärung mit weniger zufrieden, etwa mit den seit kurzem notwendigen Angaben zu Nährwerten wie Brennwert in Kilokalorien sowie Kohlenhydraten, unter spezieller Deklaration des Zuckerwertes. Wobei: Dass der Zuckergehalt neu auf dem Rücketikett stehen muss, ist durchaus zu begrüssen. Vielleicht merken dann einige Weintrinker, dass das, was sie als so angenehm rund und charmant empfinden, in Tat und Wahrheit nur ein bisschen süss ist.

Viele Menschen verwechseln leider das Mindesthaltbarkeitsdatum mit dem Verfallsdatum, was gigantische Mengen von Food Waste verursacht. Denn nicht nur das Joghurt wird weggeschmissen, sobald das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, auch der Risotto-Reis muss weg, obwohl er theoretisch noch locker hundert und mehr Jahre halten würde. Und bei Salz und Zucker, die kein entsprechendes Datum aufgedruckt haben müssen, schreiben nicht wenige Konsumenten das Kaufdatum eigenhändig auf die Packung und schmeissen sie samt Inhalt ebenfalls weg, wenn sie nach fünf Jahren immer noch im Schrank liegt. Dabei ist beispielsweise unser Alpensalz vor 200 Millionen Jahren entstanden, als das Urmeer verdunstete. Und es wird wahrscheinlich auch dann noch gut schmecken, wenn die Welt untergeht, egal ob dieser Fall morgen eintritt oder erst in 100 Millionen Jahren. Der Wein macht es zugegebenermassen nicht ganz so lange wie Salz, Zucker oder Reis. Besonders nicht all die modernen, auf 08/15-Geschmack getrimmten Massenweine. Aber auch die Naturweine nicht. Nehmen wir an, wir finden zuhinterst im Wohnzimmerschrank einen Primitivo mit 20 Gramm Restzucker oder einen ungeschwefelten Naturwein mit Brettanomyces und Kohlensäure, der da schon schätzungsweise seit 20 Jahren bei Zimmertemperatur vor sich hindümpelt. Und weil auf den Flaschen weder Mindesthaltbarkeits- noch Verfallsdatum aufgeführt ist, gönnen wir uns diese gut abgehangenen Essenzen. Sind wir da vor gefährlichen Detonationen in unserem Darmtrakt sicher? Oder sollten wir uns doch lieber vor dem ersten Schluck die Notfallnummer auf einen Zettel notieren? Ein Mindesthaltbarkeitsdatum könnte in solchen Fällen durchaus nützliche Hinweise geben. Und es könnte auch dem immer noch verbreiteten Irrglauben entgegenwirken, wonach jeder Wein generell besser wird, wenn man ihn zur Seite legt.

Eine Majestätsbeleidigung

Also wäre es doch ganz gut, so ein Mindesthaltbarkeitsdatum auf Weinflaschen, oder? Doch die Liebhaber von grossen, vor allem von grossen reifen Weinen sehen es als Majestätsbeleidigung. Ja, mehr noch, es ist für sie der Anfang vom Ende unserer Weinkultur. Schon der Gedanke daran, dass auf dem Rücketikett einer Flasche Château Latour oder eines Romanée-Conti des Jahrgangs 2030 zu lesen wäre: «Mindestens haltbar bis 30.06.2045» treibt ihnen Schweissperlen der Wut auf ihre gerötete Stirn. Trinken würden sie diese Gewächse aber natürlich trotzdem. Zu klären wäre dann noch die Frage, ob die Raritäten-Weinhändler und die Auktionshäuser in ferner Zukunft überhaupt noch Wein-Raritäten verkaufen dürfen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum womöglich schon um Jahrzehnte überschritten ist. Vielleicht müssen die Käufer dann jeweils ein Dokument unterschreiben, worin sie bestätigen, dass sie den erworbenen Wein auf eigenes gesundheitliches Risiko, inklusive Todesfall, konsumieren. Andererseits liesse sich das Thema, mit etwas Kreativität, vielleicht sogar zu Geld machen. Somit kündige ich schon mal an, dass ich spätestens ab 2035 coole After-Work-Events organisieren werde, an denen Berberechos (Herzmuscheln) aus Edelkonserven zu mineralischen Alvarinho-Crus von Anselmo Mendes serviert werden, selbstverständlich beides aus Beständen, die das Mindesthaltbarkeitsdatum längst überschritten haben... Cheers!

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