Die Informationen auf Weinflaschen schwanken zwischen verworren, überflüssig und sinnvoll. Zum Wohle des Verbrauchers finden sich Angaben zum Hersteller, zum Abfüller, zur Rebsorte, zum Alkoholgrad, zu Prüfnummern, verpflichtende und freiwillige Informationen. Und die Informationswut scheint keine Ende zu kennen.
Stellen Sie sich vor, sie begegnen Nicolò Incisa della Rocchetta, dem Mann hinter dem legendären italienischen Rotwein Sassicaia, einem Monument der Weinkultur. Und Sie fragen diesen ehrenwerten Herren allen Ernstes, wenn auch vielleicht nicht als Erstes, nach den Analysewerten seiner Weine. Nach dem Restzucker, der Säure, vielleicht dem pH-Wert. Undenkbar, oder? Aber genau das passiert den renommiertesten deutschen Winzern immer wieder. Sie werden auf jeder Präsentation, beim Verkauf im Weingut, beim Winzerabend im Restaurant ohne grössere Umschweife nach genau diesen Analysewerten gefragt. Gerade so, als ob das über den Geschmack ihrer Weine entscheiden würde. Dass der Alkoholgehalt bei der Kaufentscheidung für einen Wein eine ganz wesentliche Rolle spielt, dürfte jeder Weinhändler bestätigen. Beim Griff ins Regal wird in aller Regel erst einmal auf das Rückenetikett geblickt, um die Alkoholgradation zu überprüfen. Das mag einerseits verständlich sein, denn wer trinkt schon Wein, um möglichst schnell den Zustand der Trunkenheit zu erreichen? Aber was sagt diese Angabe über den Geschmack des Weines aus? Oder darüber, ob er dazu geeignet ist, die angedachten Schweinemedaillons in Senfsahnesauce trefflich zu begleiten? Eher nichts. Und noch fragwürdiger ist die schon erwähnte Frage nach dem Restzucker oder dem Säurewert. Als ob diese Informationen einen schlüssigen Beleg dafür geben könnten, ob der Wein dem potenziellen Käufer denn schmeckten könnte. Und gänzlich daneben gerät es, wenn diese Frage beim Kauf eines Primitivo oder eines Bordeaux Premier Grand Cru Classé gestellt wird. Der bedauernswerte Weinhändler dürfte erst ins Grübeln und sodann ins Schwitzen geraten, denn in den allermeisten Fällen sind diese Werte bei französischen oder italienischen Produzenten auch auf Nachfrage bei den Weingütern nicht zu erhalten. Aber Hilfe naht: Der vor allem sehr deutsche Wunsch nach umfassender Information – was auch immer der Verbraucher daraus für Schlüsse ziehen mag – wird relativ bald und umfassend befriedigt. Ab dem 8. Dezember 2023 müssen sämtliche in der Europäischen Union verkauften Weine, Schaumweine, Obstweine und aromatisierten Weine – die nach diesem Datum hergestellt werden – gemäss der Verordnung (EU) 2021/2117 auf den Flaschenetiketten Angaben zu den Inhaltsstoffen, Allergenen, Energie- und Nährwerten enthalten. Zusätzlich zu den ohnehin schon auszuweisenden Informationen. Diese neue Transparenz ist für viele Winzer überhaupt kein Problem, ganz im Gegenteil. Denn auch «gemachte» Weine werden künftig einfacher zu erkennen sein. Aber gerade die Trinker von qualitativ höherwertigen Weinen wünschen sich eigentlich etwas ganz anderes: Informationen über den Geschmack (!) und die Möglichkeiten der Speisebegleitung.
Echte Information wäre wichtig
Nur dem stehen viele Probleme im Weg. Bei all den künftig verpflichtenden Angaben wird es langsam richtig eng auf den Etiketten. Wenn Nährwerttabellen, Alkohol und Inhaltsstoffe aufgeführt werden, dazu noch Rebsorten, Weinlagen und Herstellerinformationen wird es irgendwann ausklappbare Etiketten geben müssen, um all die Informationen an den Kunden zu bringen. So in der Art wie bei den kleinen Flaschen mit Fleckenreiniger, wo ein regelrechtes Büchlein die Informationen bereithält. Mal den Spass beiseite, mit einem QR-Code würde sich das Problem vielleicht lösen lassen. Aber das würde voraussetzen, dass jeder Weinkunde ein Smartphone besitzt, um die Informationen hinter diesem Code auch lesen zu können. Oder der Weinhändler ein Lesegerät, um zu helfen. Wir Weintrinker gehen also informativen Zeiten entgegen. Denn die Kennzeichnungslust der EU-Bürokraten wird mit diesem Schritt nicht befriedigt sein.
Analog zu den Zigarettenverpackungen wird bereits darüber nachgedacht, den Weinfreund mit Schockbildern über die verheerenden Folgen seines Weinkonsums aufzuklären. Missgebildete Embryonen, faulende Körperteile, verrottete Zähne. So was in der Art. Nur immer fröhlich auf die Etiketten mit alle den wichtigen Informationen, um den Verbraucher zu schützen. Dass sich mit etwas mehr Ernährungskunde und etwas weniger Infinitesimalrechnung in den Schulen ein ähnlicher Effekt erreichen liesse, behalten wir mal für uns. Und studieren die Etiketten auf Weinflaschen, bis uns schwindlig wird.
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