Klartext von Miguel Zamorano
Odyssee im Weinberg
Text: Miguel Zamorano
Die Geschichte und leider auch die Gegenwart zeigen, dass der Mensch alle Phantasien umsetzt, die sich in seinem Kopf zusammenbrauen. Künstliche Intelligenz steht am Anfang einer Entwicklung, die auf die Weinwelt übertragen noch unüberschaubar ist. Wollen wir überhaupt von Robotern produzierten Wein?
Während des Studiums wurde ich Zeuge einer für damalige Verhältnisse kuriosen Szene. Eine Kommilitonin hielt ein Referat, zur Veranschaulichung ihrer Idee holte sie ein Bild von Albrecht Dürer hervor. Das hatte sie aus dem Internet heruntergeladen und ausgedruckt. Der anwesende Professor, eine Koryphäe seines Faches, reagierte irritiert und verwundert zugleich. «Das Bild haben Sie also aus diesem Internet genommen?», fragte er, während er das Blatt mit verächtlicher Geste zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. «Ist das etwa eine Maschine, mit der Sie nicht mehr nachdenken müssen?» Es blieb en gros das Feedback auf das gesamte Referat.
All das fand in den Tiefen der Nullerjahre statt, Mobiltelefone mit Smartphone-Funktionen gab es zwar schon, aber noch kein Twitter und irgendwelche Online-Übersetzungsdienste oder Chatbots auch nicht. Die Sorge eines mit den neuen Technologien ungewandten Dozenten erschien uns damals lächerlich. Hatte der gute Mann etwa zu viel «2001: Odyssee im Weltraum» gesehen? Heute macht sich keiner mehr lustig über solche Fragen. Die künstliche Intelligenz (KI), die wir nun mit Programmen wie ChatGPT serviert bekommen, dürfte erst recht Schrecken bei vielen Dozenten an Universitäten und Forschungseinrichtungen verbreiten. Praktisch jeder kann sich mit ein, zwei Klicks viel Arbeit ersparen und in Sekundenschnelle ganze Aufsätze und Texte zu vielen Themen erstellen. Kurioserweise arbeiten nun die gleichen KI-Forscher an Lösungen, um solche Textstücke als KI-Produkte identifizieren zu können. Kurz: Der Mensch erschafft das Gift und das Gegengift. Berechenbar ist der Mensch eigentlich nur darin, dass er sich kaum ändert.
Wir wissen nicht, ob KI in der Weinwelt dereinst möglich sein wird. Wir finden aber in der Gegenwart Spuren, die ein solches Szenario denkbar machen. Etwa bei der Arbeit im Weinberg. Vor 30 Jahren musste der Winzer ins Haus gehen und den Telefonhörer in die Hand nehmen, um beim Weinbedarf anzurufen. Vor knapp fünf Jahren hatte möglicherweise nicht mal die Hälfte der Önologen ein Smartphone. Und heute steuert ein gewiefter Winzer seinen Weinberg in Echtzeit. Das gezielte Management einzelner Partien, Reihen oder gar Pflanzen ist ohne weiteres mit Hilfe der Informatik möglich. Sensoren im Boden und Drohnen überwachen laufend die Aktivität von Pflanze und Boden, das Ausbringen von Dünger und Hilfsmitteln kann somit punktgenau gesteuert und dort angewendet, wo es gebraucht wird, und dort vermieden, wo es unnötig ist. Lokale Wetterstationen messen die Feuchtigkeit der Umgebung, sie ermitteln den Pilzdruck und können so dem Winzer Handlungsoptionen eröffnen. Ein Winzer sagte mir dazu: «Diese Tools verwende ich als Unterstützung. Ein Mehr an Infos bietet mir ein Mehr an Sicherheit, was besonders im arbeitsintensiven Herbst willkommen ist.»
Daten sammeln, Daten sammeln, Daten sammeln
Im Grunde ist künstliche Intelligenz nichts weiter als die Verarbeitung von enormen Datenmengen, die wiederkehrende Muster erschliesst und einer Maschine auf dieser Grundlage ermöglicht, Entscheidungen zu treffen. So gesehen sitzen die Analyselabore dieser Weinwelt auf einem Datenschatz. Hat eine Maschine einmal die Gesamtheit aller analytischen Daten verarbeitet, dann wird sie irgendwann nicht nur den richtigen Zeitpunkt der Lese voraussagen, sondern auch Angaben dazu machen, wie Zucker-, Alkohol- und Säurewerte miteinander abgestimmt werden müssen, damit ein trinkbarer Wein entsteht. Solche Datenprojekte werden bereits durchgeführt. In Australien nimmt die Universität Adelaide fünf Millionen australische Dollar für die Entwicklung einer entsprechenden Datenplattform in die Hand.
Wird es nun eines Tages eine Maschine geben, die losgelöst von menschlicher Arbeit Wein erzeugt? Dazu müsste diese Maschine erstmal dem Menschen die komplette Arbeit im Rebberg abnehmen. Doch auch das gibt es schon. Zumindest in Ansätzen. Etwa bei der Selektion der Trauben: Optische Maschinen sortieren über Laufbänder alle Trauben aus, die nicht einem bestimmten Profil entsprechen. Für mehrere tausend Euro stellen sich einige Winzer aus Bordeaux diese Maschinen in den Keller. Wie man so hört, scheint das die Bordeaux-Liebhaber nicht zu überzeugen. Die Weine schmeckten einfach zu sauber.