Klartext von Claudia Stern
Gigantonomie made in China
Text: Claudia Stern
Viel von dem, was man während einer Weinreise durch China erfährt, wirkt surreal wie die Kopien französischer Wein-Châteaux. Glaubwürdig sind die offiziellen Informationen selten. Wir malen uns die Welt, wie sie uns gefällt, scheint das Motto zu lauten. Irritierte Europäer schwanken zwischen Faszination und viel Skepsis.
Wir suchen in der Genusswelt nach authentischer Herkunft und Ehrlichkeit. Eine Fachreise nach China kann diesbezüglich aufschlussreich und zugleich erschreckend sein. Selbstverständlich reisen Weininteressierte dort in keiner Art und Weise so frei und selbstbestimmt wie in Italien oder Frankreich. Viel eher wird man gelenkt. Überhaupt hatte man auf der gesamten Reise ein Auge auf uns geworfen. Damit wir uns mit den richtigen Themen beschäftigten. Der Verdacht von gut unterrichteten Quellen, dass Offenwein aus Spanien, sobald er einmal in einen Stahltank in China gepumpt worden ist, quasi chinesisch wird, also lebensmitteltechnisch als «Product of China» deklariert wird, ist definitiv kein Thema, zu dem sich offizielle Stellen gerne äussern. Trotzdem: Der Import von Fassware boomt!
Wir fragten ständig nach verlässlichen Zahlen und Fakten. Die Antworten waren eher schmal. Sicher ist: Es gibt elf klassifizierte Anbaugebiete. Die berühmtesten Regionen sind Ningxia (vier Unterregionen) und Shandong an der Küste. Dort gibt es kaum Frostprobleme. Die Kopien der berühmten Châteaux in Bordeaux sind allgegenwärtig. Eine kleine Entdeckung war das Pula Valley. Die Hebei-Region im Norden von Beijing, Yunnan und die riesige Region Xinjiang sind noch nicht wirklich entdeckt. Cabernet Sauvignon ist in China der King. Aber auch der Cabernet Gernischt (Carménère) und Marselan, die gerne als autochthone chinesische Rebsorten Chinas bezeichnet und oft mit Merlot assembliert werden, findet man überall. Nach jüngsten Zahlen werden in China auf 870'000 Hektar (Quelle: OIV) Trauben angebaut. Damit hat das Reich der Mitte sogar Frankreich überholt. Nur Spanien verfügt mit 900'000 Hektar über noch mehr Rebfläche. Um diese eindrucksvolle Zahl zu erreichen wird alles dazugezählt: Tafeltrauben, Rosinen etc. Hauptsache die Zahl ist imposant. Insider schätzen die Anbaufläche für den reinen Weinbau auf ca. 150'000 Hektar. In den letzten Jahren ist China auch zum drittgrössten Weinkonsummarkt der Welt geworden. In den Metropolen zeigt sich der wohlhabende Chinese gerne mit berühmten Labels aus Europa. Die «Young Crowd» trinkt gerne Tignanello und lässt die leeren Flaschen demonstrativ auf dem Tisch stehen.
Sobald ein Weingut grösser und einflussreicher wird, schaltet sich der Staat ein. Xige in Ningxia ist ein wunderbares Beispiel dafür, was man staatskonform schnell erreichen kann. Innerhalb von zwei Jahren wurde ein Designweingut vom Feinsten aus dem Boden gestampft und mit weiteren 1'000 Hektar Rebfläche ergänzt. Jean-Jacques Dubourdieu und Luke O’Cuinneagian (früher Screaming Eagle und Château Angélus) wurden als Flying Winemaker engagiert. Ein echter Schock waren allerdings die 23 (!) Kohlekraftwerke auf einer Fahrt von vielleicht zwei bis drei Stunden. Spätestens da beginnt man zu begreifen, vor was für Herausforderungen der Weinbau in China noch steht und wie weit der Weg zur Nachhaltigkeit noch ist. Staunend steht man dann in Beijing am Flughafen und liest von der Propagierung der Bio-Zukunft Chinas!
Ewiger Kampf mit dem Frost
Ein spezifisch chinesisches Phänomen, das international selten thematisiert wird, ist auch der Dauerfrost, etwa in den Topanbaugebieten von Ningxia. Während drei bis vier Monaten verharrt hier das Thermometer deutlich unter zehn Grad minus. Die Reben können nur überleben, wenn sie im Herbst umgelegt und mit einem halben Meter Erde bedeckt werden. Das strapaziert die Reben und beeinträchtigt ihre Lebensdauer. In China von alten Reben zu sprechen ist denn auch fast schon ein Witz. Ich stellte mir jedenfalls die Frage, ob es nicht für alle besser wäre, auch weiterhin argentinischen Rotwein für 20 Cents pro Liter einzukaufen, um ihn dann als «made in China» zu vermarkten. Doch es ist das erklärte Ziel der chinesischen Weinwirtschaft, vom Rest der Welt unabhängiger zu sein.
Sicher, es gibt auch positive Tendenzen. Etwa das Bekenntnis, künftig mehr Identität zu zeigen. Es gibt Vorzeige-Winzerinnen wie Wang Fang (Crazy Fung) und Emma Gao, die ihr Weingut sogar biodynamisch bewirtschaftet. Und ich bin gespannt auf die Naturweine vom Weingut Aroma Manor in Xinjiang. Unsere Reisebetreuer sind daran, einen chinesischen Biowein-Wettbewerb zu lancieren. Ganbei! Und ja: Ich hoffe, auch nach diesem Klartext noch nach China reisen zu dürfen...