Die Kunst der langen Reife

Entwicklung und Wandel der Prädikate

Text und Fotos: Miguel Zamorano

Das wichtigste spanische Anbaugebiet hat sich lange durchden Dreiklang von Crianza, Reserva und Gran Reserva ausgezeichnet. Weit über die Grenzen hinaus waren diese Labels bekannt und begehrt. Sie hatten jedoch den Nachteil, dass sich nicht alle Erzeuger darunter wiederfanden. Das hat sich nun geändert. Mittlerweile dürfen die Produzenten ihre Weine unter zusätzlichen Labels vermarkten. Ein sanfte Entwicklung zu mehr Vielfalt ist damit eingetreten – ein Überblick über die wichtigsten Prädikate.

Zum Einstieg eine durchgekaute Floskel: Totgesagte leben länger. Das trifft auf die klassischen Prädikate der Rioja besonders zu – Crianza, Reserva oder Gran Reserva. Oft werden sie als altmodisch abgetan, von der Kritik und auch von einzelnen Produzenten, die laufend die Avantgarde im riojanischen Wingert herbeischreiben oder auf die Flasche ziehen. Wohlgemerkt, auch auf unseren Seiten haben wir die Wende ausgerufen. Und bei Feierabend dennoch eine Crianza geköpft und unsere Seele daran gewärmt. Selbstredend fehlt an den hohen Feiertagen die Reserva und in den grossen Momenten auch die Gran Reserva nicht. Was anderes kann man eingefleischten Rioja-Fans auch nicht ins Glas schenken.

Löst man sich von dieser Folklore und richtet den Blick auf die Tatsachen, wird man feststellen: Spaniens grösstem Anbaugebiet ist ein tiefgreifender Wandel gelungen, der die Entstehung neuer Kategorien als Ziel hatte und den Erzeugern neue Möglichkeiten eröffnet hat. So sind seit 2017 die Viñedos Singulares hinzugekommen, die nach bestimmten Kriterien nun erstmals in der Geschichte der Rioja die Einzellage auf dem Etikett ausweisen dürfen. Rioja hat sich damit von dem ursprünglichen Prädikatsmerkmal, das Reife in Barrique und Flasche ins Zen­trum rückt, losgelöst und somit eine zusätzliche, eine «burgundische» Entwicklung zugelassen. Man kann den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses nicht genug würdigen. Andere Regionen, etwa Cava, sind daran zerbrochen.

«Die Rioja erlebt die Folgen einer entfesselten Vielfalt, und das macht die Weine so spannend.»

Dass es in der Rioja nicht dazu gekommen ist, liegt auch daran, dass die bestehenden Kategorien berücksichtigt wurden. Denn die neuen Kategorien können auch als Reserva, Crianza oder Gran Reserva ausgebaut werden. Der Prozess sucht also vielmehr eine Symbiose des Neuen mit dem Alten und keine reine Substituierung. Erkundigt man sich indes bei einzelnen Winzern über ihre Bereitschaft, die neuen Kategorien anzuwenden, trifft man nicht überall auf positive Rückmeldung. Die Neugier auf neue Formate ist klar durch die Bewegung auf den Märkten bedingt. Das ist nicht nur die Sicht der grossen Kellereien, die gerade die alten Prädikate wie unverrückbare Bausteine ihres Sortiments behandeln. Auch mittlere und kleinere Produzenten haben viele Fans, die das Verschwinden der klassischen Prädikate vermutlich nicht komisch fänden.

Eine neue Vielfalt ist entstanden

Dagegen gibt es auch Winzer, die seit eh und je mit obligatorischer Reife in 225-Liter-Barriques nicht viel anfangen konnten. Für diese Produzenten hält die Region das Prädikat Genérico zur Verfügung. Ursprünglich war die Kategorie für alle Weine vorgesehen, die jung auf die Flasche gezogen wurden. Sie hiess daher auch Joven. Mittlerweile ist sie das Sammelbecken für all jene Cuvées, die in gebrauchten Fässern ausgebaut wurden, im Betonei reiften oder in 500-Liter-Fudern. Oder aber es zu einer Crianza nicht geschafft haben. So oder so: Die Rioja erlebt die Folgen einer entfesselten Vielfalt, die sie zu einem der spannendsten Gebiete auf der Iberischen Halbinsel macht.

Crianza

Sie stellt den Einstieg in die klassischen Reifeprädikate der Rioja dar. Die Crianza (zu Deutsch: Aufzucht oder Erziehung) schreibt vor, dass die Weine mindestens 24 Monate gereift sein müssen, bevor sie für den Markt freigegeben werden. Von den 24 Monaten muss der Wein zudem mindestens 12 Monate in Barriques verbracht haben. Bei Rosé- und Weissweinen beträgt die minimale Reifezeit 24 Monate – mindestens 6 davon in der Barrique und mindestens 18 auf der Flasche im Keller. Die Crianza stellt traditionell die Visitenkarte eines Weinguts dar, ein Grossteil der Weine ist bei Einführung praktisch trinkfertig und zeigt eine gute Balance zwischen Primärfrucht und den Barriquenoten. Die Kategorie ist, in Bezug auf die Länge der Reife und im Vergleich zu anderen (auch europäischen) Regionen, oft nicht teuer. Bei der VINUM-Marktschau aus dem Jahr 2022 betrug der Durchschnittspreis in der Schweiz 19 Franken, in Deutschland 15 Euro. Es gibt allerdings auch unter dieser Preisgrenze sehr akzeptable Crianza.

Tipp: Crianza – bei heimischen Tapas die beste Weinbegleitung.

Reserva

Für Reserva-Weine wird eine Reifezeit von insgesamt 36 Monaten vorgeschrieben, davon müssen 12 Monate in 225-Liter- Fässern verbracht worden sein und 6 Monate auf der Flasche. Rosé- und Weissweine müssen 24 Monate reifen, davon 6 Monate in der Barrique.

Rote Reserva-Weine sind von Komplexität geprägt, die besten zeigen zudem Frische und ein seidiges Tannin. Das Prädikat wird, wie auch alle anderen Prädikate, auf dem vom Kontrollrat vorgeschriebenen Etikett ausgewiesen.

Tipp: Es lohnt sich, bei einer Reserva einen Dekanter zuverwenden.

Gran Reserva

Die Gran Reserva steht an der Spitze der Qualitätspyramide. Sie wird nur in grossen Jahren gekeltert, für sie werden in der Rioja mitunter die höchsten Preise aufgerufen. Vorgeschrieben sind mindestens 60 Monate Reife, davon mindestens 24 in Barrique-Fässern und 24 in der Flasche. Weiss- und Roséweine – auch so was gibt es als Gran Reserva – müssen mindestens 48 Monate reifen, mindestens 6 davon in Barriques. Komple-xität, Finesse und Reife zeichnen eine Gran Reserva aus, die Weine können zudem auch nach Jahrzehnten noch mit Frische überraschen. Das Sortiment legendärer Häuser wie Castillo de Ygay, Tondonia oder Muga wird von Gran Reservas angeführt.

Tipp: Die Auswahl des Jahrgangs ist bei der Gran Reserva ein wichtiges Kriterium: Je älter, desto kompletter und runder kann der Wein ins Glas fliessen. Das bedeutet auch, dass der geduldige Weinliebhaber die grösste Freude haben dürfte.

Vino de Zona

Wer mit dem Traubenmaterial aus einer der spezifischen Unterregionen der Rioja arbeitet (Rioja Alavesa, Rioja Alta oder Oriental) und damit eine Cuvée abfüllt, darf dies mitt-lerweile auf das Etikett schreiben. Mindestens 85 Prozent der Trauben müssen aus der besagten Region stammen, die rest-lichen 15 Prozent können aus der Nachbarregion kommen, wenn diese direkt an die auf dem Etikett ausgewiesene Region angrenzt und der jeweilige Rebberg vom Erzeuger mindestens zehn Jahre ohne Unterbrechung bearbeitet wurde. 2022 machten 141 Produzenten von dieser Kategorie Gebrauch: 103 aus der Rioja Alavesa, 37 aus der Rioja Alta. Und nur ein Produzent schreibt Rioja Oriental auf seine Weine.

Vino de Pueblo

Es ist die «Village»-Kategorie der Rioja: Seit 2017 weist diese Kategorie die Ortschaft auf dem Etikett aus, wenn mindestens 85 Prozent der Trauben aus der besagten Ortschaft stammen. Die restlichen 15 Prozent der Trauben können aus der direkten Nachbarortschaft kommen, wenn der dortige Rebberg von dem Erzeuger zehn Jahre lang ununterbrochen bearbeitet wurde. Auf dem Etikett steht dann «Vino de» mit der enstprechenden Ortschaft. Gut 144 Ortschaften können derzeit auf dem Etikett ausgewiesen werden.

Viñedo Singular

Die Kategorie hat für viel Aufsehen gesorgt. Auch 2017 eingeführt, sind die Viñedos Singulares eine neue geografische Ursprungsbezeichnung für Lagenweine. Vorgeschrieben ist bei der klar definierten Lage, dass die Reben mindestens 35 Jahre alt sein müssen. Auch hier sind zehn Jahre an durchgehender Bewirtschaftung zwingend. Der maximale Ertrag bei Rotwein liegt bei 5000 Kilogramm pro Hektar, bei Weisswein beträgt er 6922 Kilogramm pro Hektar. Die Handlese ist Voraussetzung. Jedes Jahr werden die Lagen aufs Neue geprüft, 2024 wurden 14 neue Lagen aufgenommen. Damit werden 162 Viñedos von 97 Eigentümern beackert. Das entspricht insgesamt einer Fläche von knapp 265 Hektar.