Bordeaux-Papst spricht!

Interview mit René Gabriel

Fotos: z.V.g.

Sie befassen sich seit Jahrzehnten intensiv mit Bordeaux. Ist Ihnen die Region noch nie verleidet? Weshalb fasziniert Sie Bordeaux heute noch genauso wie vor 30 Jahren?

Es wäre schade, wenn mir die Region verleidet wäre, ich habe immer noch schöne Reserven von reifen BordeauxWeinen im Keller. Die Faszination liegt im mir gefallenden Geschmack dieser wunderbaren Provenienzen.

Wie viel oder besser wie wenig muss man heute ausgeben, um einen nach Ihrer Ansicht wirklich guten Bordeaux zu bekommen?

Es gibt grossartige Cabernet-lastige Bordeaux für knapp oder leicht über 20 Franken. D’Escurac, Rollan de By, du Retout, Charmail. In Saint-Émilion zahlt man nur minimal mehr für die gleiche Leistung – eher etwas für Liebhaber von Merlot-Blends.

Welche Bordeaux-Subregion sollte man bezüglich Innovation besonders im Auge behalten?

Lalande-de-Pomerol und die SaintÉmilion-Satelliten, auch Fronsac und Canon-Fronsac liefern viele Top-Values am rechten Ufer. Im Médoc sind es Crus Bourgeois aus diversen Appellationen. Im Graves-Gebiet wird man nur fündig, wenn man sich Mühe gibt und seinen Lieblingswein durch Degustation entdeckt.

Bordeaux sind heute früher trinkreif als einst. Welche Jahrgänge machen gegenwärtig viel Spass und welche brauchen mehr Zeit als andere?

Zeit brauchen die Jahrgänge 2010, 2015, 2018, 2020 und jünger. Bei den anderen sind es die kleinen Jahrgänge, die jetzt gastronomischen Spass liefern. Ein Beispiel ist der Jahrgang 2012. In zwei, drei Jahren wird der unterschätzte 2014er viel Freude für wenig Budget bereiten. Nicht unnahbar sind die Jahrgänge 2016 und 2019. Wobei der letztere eigentlich ein Modell «Immerschön» darstellt.

Wie beurteilen Sie die Auswirkungen der Klimaerwärmung in Bordeaux?

Momentan ist die Sachlage noch positiv. Die Winzer reagieren mit anderen, später reifenden Klonen bei der Neupflanzung. Und bei der Laubarbeit mit «Schattenmanagement». Die Klimaerwärmung hat vor allem bei den weniger beachteten Weingütern mit weniger gutem Terroir zu besseren Qualitäten geführt.

Welches Foodpairing mit Bordeaux-Weinen bereitet Ihnen immer wieder viel Genuss?

Ich fange gerne mit dem Dessert an; für mich bleibt unverständlich, dass die genialen Sauternes immer noch negiert werden. Jetzt hätte ich grad Lust auf einen Aprikosenkuchen mit süssem Bordeaux. Bei Weissen mag ich lieber die günstigen. Einen EntreDeux-Mers etwa. Mit einer Zehnernote ist man in der Regel schon dabei. Bei den Rotweinen geht es in Richtung Gastro-Universum. Hier sind keine Grenzen gesetzt – weder bei Kombination noch Preis. Kürzlich genoss ich einen Latour zu einer Pizza. Bei Spitzengastronomen verzichte ich oft auf überteuerte Grands Crus und bestelle mir eine der CruBourgeois-Alternativen. In der Mitte dieses Preisgefüges: Pape-Clément oder Lynch-Bages. Die gehen immer!

In welches Restaurant oder Hotel in Bordeaux kehren Sie immer wieder gerne zurück?

Dank vieler Einladungen von Winzern bin ich selten in Hotels oder Restaurants. Wenn ich Zeit habe, dann muss es das «Lion D’Or» in Arcins (Margaux/Médoc) sein. Wenn ich an den Kalbskopf (Tête de Veau) oder das Milchlamm aus Pauillac denke, läuft mir spontan das Wasser im Mund zusammen.