Gelobtes Land für Geniesser
Pomerol
Sie ist die kleinste der grossen Bordeaux-Anbauzonen und in gewisser Hinsicht auch die ländlichste. Dennoch besitzen Weine aus Pomerol Legendenstatus. Geniesser schätzen die besondere Fruchtigkeit, die Geschmeidigkeit und Eleganz der Pomerol und nennen die Ecke das «Burgund von Bordeaux».
In Pomerol ist alles ganz anders. Pomerol? Der Weinliebhaber, der sich zum ersten Mal in diese Ecke verliert, wird sich vermutlich mit Recht fragen, wo das denn eigentlich stattfinde. Pomerol mag als legendäre, weltbekannte Weinbaugemeine Furore machen, doch nach einem Dorf, das diese Bezeichnung verdient, sucht der Besucher erst einmal vergeblich. Der «Dorfkern» beschränkt sich praktisch auf Rathaus, Schule, Mehrzweckhalle, Postamt, Winzervereinigung – und natürlich die von weit her sichtbare Kirche. Darum herum gruppieren sich verstreut Weiler beziehungsweise Kellereien, die meist auch nur aus zwei, drei Gebäuden bestehen. Das zweite «Dorf» der Appellation, Catusseau, immerhin mit Tabakladen sowie erstklassigem und doch preiswertem Restaurant und ein paar stattlichen Häusern, wirkt da schon fast wie eine Grossstadt. Es grenzt an ein Wunder, dass Pomerol nicht von Nachbarn wie Saint-Émilion und besonders Libourne einverleibt wurde. Doch Sinn für Unabhängigkeit und Recht auf einen eigenen Weg scheinen hier besonders gut verankert. Das gilt auch für den Weinbau. Der mag sogar einen hübschen Teil zu dieser Philosophie beigetragen haben, die sich in so mancher Beziehung äussert.
Offizielle Klassifizierung? Gibt es hier nicht. Kein einziges Cru Classé oder Grand Cru weit und breit. Scheint man hier einfach nicht nötig zu haben und vermeidet so Streit und Neid, Missgunst und teure Anwaltshonorare.
Weinberge (mit Betonung auf dem zweiten Wortteil), sucht man hier vergeblich. Auch auf den zweiten Blick scheint alles flach. Pomerol liegt zu einem guten Teil auf einem Hochplateau ohne echtes Relief, rund 30 bis 40 Meter über Meer und etwa 10 bis 20 Meter über dem Niveau der Flüsse Isle und Dordogne. Höhenunterschiede lassen sich gerade mal am Rand des Plateaus ausmachen.
Pompöse Herrensitze wie im Médoc? Auch davon kann hier nicht die Rede sein, weniger noch als im benachbarten Saint-Émilion. Sogar die zwei, drei «echten» Weinschlösser wirken im Vergleich geradezu bescheiden. Die meisten heutigen «Châteaux» gleichen eleganten Villen, vornehmen Landsitzen oder schmucken Chartreusen. Selbst das bekannteste Gut von Pomerol besitzt erst seit einigen Jahren ein Gebäude, das als Schloss durchgehen könnte. Lange bestand es nur aus einem – und auch nur spartanisch eingerichtetem – kleinen Keller. Der Grund liegt in der Geschichte: Die meisten Güter waren Pachtbetriebe, die nur selten grösser als zehn Hektar waren. Viele bauten Getreide an, bevor sie auf Weinbau umsattelten.
Das ominöse, viel zitierte Terroir? Selbst das ist erst einmal für eine Überraschung gut. Wer im Winter durch die Reben des legendären Château Pétrus stampft, riskiert zwar nicht gerade sein Leben, wohl aber sein Schuhwerk, das schon mal im klebrigen Lehm-Sandgemisch stecken bleibt. Pétrus verdankt seinen Status als einer der gesuchtesten und kostbarsten Weine der Welt einem ganz besonderen Bodentyp: einem Einschluss von «blauem Lehm» (siehe Karte Seite 30/31). Zahlreiche Weingüter in der ganzen Welt möchten mit Pétrus wetteifern und berufen sich darauf, ein vergleichbares Terroir zu besitzen. Doch für die Appellation ist es alles andere als repräsentativ. Erstklassig ist das Terroir von Pomerol dennoch. Doch das gilt nicht nur für den kleinen Teil reiner Lehmböden, sondern auch für die diversen Terrassen aus Kies, vermischt mit Sand und wenig Lehm. Historisch gesehen wurden zwar in Bordeaux zuerst die stärker lehmhaltigen Böden genutzt, besonders, wenn sie auf Kalk fussten, oder gar die fruchtbareren Schwemmlandböden. Doch als ab dem 17. Jahrhundert Weine von den Kieskuppen des linken Ufers Furore machten, begann man sich auch in Pomerol für die kieshaltigen Böden zu interessieren. Für Getreide waren sie ohnehin zu karg und damit letztlich wenig rentabel. Der Name des bekannten Weingutes Trotanoy illustriert das sehr gut: Er soll auf den Ausdruck «Trop Ennui» zurückgehen, was in etwa mit «zu viel Mühsal» zu übersetzen wäre. Trotanoy besitzt tatsächlich besonders kieshaltige Böden. Das Umsatteln auf den Anbau von «Grand Vin» dauerte allerdings in Pomerol etwas länger als in den anderen bekannten Anbaugebieten.
Raketenhafter Aufstieg
Pomerol, ein Spätzünder? Mag sein, doch mit dem Tempo einer Mondrakete. Denn für viele Geniesser führt Pomerol heute das Feld der grossen Bordeaux an, mindestens eine Nasenlänge vor allen anderen. Der Aufstieg begann – nach einem Vorspiel im 18. Jahrhundert – tatsächlich erst kurz vor der Reblauskrise und kam damit faktisch erst im 20. Jahrhundert so richtig ins Rollen. Es gibt mehrere Thesen, die diesen späten Start erklären.
Pomerol liegt am rechten Ufer der Dordogne, der Garonne oder der Gironde und war lange Zeit schlecht zu erreichen. Der Bordelaiser Händler, der nicht nur für die weltweite Verteilung der Weine zuständig war, sondern auch für deren Ausbau und Abfüllung, musste folglich zwei breite Flüsse überqueren, wollte er in Pomerol Wein probieren, und auf Hin- wie Rückweg jeweils dreimal die Fähre bemühen. Die ersten zwei Brücken wurden erst in den 1820er Jahren gebaut. Ausserdem war – von Ausnahmen abgesehen – die Durchschnittsfläche der meisten Güter hier sehr bescheiden (und ist es auch heute noch). Einer weltweiten Verteilung war das nicht eben förderlich. Dazu kommt die relativ flache Lage. Auf den Böden aus Kies, fast immer vermischt mit etwas Lehm und oft bedeckt von Sand, stagnierte besonders im Winter das Wasser, was die Rebe nicht eben schätzt. Es brauchte aufwendige Drainage-Arbeiten, um diesen Nachteil auszugleichen, und zu denen kam es konsequent erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und last but not least: Die Sorte Merlot, heute der Star des rechten Ufers, wurde zwar bereits Ende des 18. Jahrhunderts als Qualitätsrebe erwähnt, doch erst nach der Reblausplage dominierte sie den Sortenspiegel und ersetzte nach und nach Varietäten wie Noir de Pressac (Malbec), oder Bouchet (Cabernet Franc). Rebforscher vermuten, dass dies der neuen Praktik des Pfropfens auf amerikanische Unterlagsreben zu verdanken war, die den Merlot pflegeleichter machte und verbesserte, nicht aber den Malbec.
Johanniter, Templer oder Malteser?
Der Blick zurück ist in Pomerol gar nicht so einfach, weil es an einschlägigen Dokumenten mangelt. Doch das macht die Sache doppelt spannend. Es mag durchaus sein, dass bereits die guten alten Römer hier Wein anbauten. Wo taten sie das nicht! Dazu braucht man nicht einmal eine etwas gewagte Beweiskette anzutreten, die darauf beruht, der Name Pomerol (auch etwa Pomerols oder Pomeyrols geschrieben) wurzle im lateinischen Poma, was nicht nur Apfel bedeutet, sondern Kernobst generell und damit auch Traube. Zur Hochzeit des Römischen Reichs war Aquitanien eine blühende Kolonie. Und Libourne (das römische Condate), am Zusammenfluss der gut beschiffbaren Isle und Dordogne gelegen, war bereits ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt zwischen Atlantik und Hinterland (heute Dordogne, Charante, Poitou, Zentralmassiv). In der näheren und weiteren Umgebung gab es zahlreiche römische Landgüter, die als klassische Selbstversorger garantiert immer auch etwas Wein anbauten.
Die ersten schriftlichen Zeugnisse für Weinbau in Pomerol stammen aus dem Mittelalter, meist in Form von Verkaufs- oder Schenkungsurkunden. Pomerol gehörte damals zur «Grafschaft» (Seigneurie) von Barbanne und Condat, die wie ganz Aquitanien im Besitz der englischen Krone war. Diese wiederum vermachte sie diversen Herren zur Nutzniessung. Im 12. Jahrhundert liess der Johanniterorden sich in der Gegend nieder und errichtete – dank Schenkungen des ortsansässigen Adels – in Pomerol eine Pilgerherberge.
Der Orden der «Hospitaliers de Saint-Jean de Jérusalem» wurde 1099 gegründet. Er sollte nicht nur die heiligen Stätten im Orient hüten, sondern auch für den Schutz, die Unterkunft und Verpflegung der Pilger sorgen. Nachdem sie Jerusalem verlassen mussten, liessen die Johanniter sich ferner in Zypern nieder und eine Zeit lang auf Rhodos (und wurden darum auch Chevaliers de Rhodes genannt). Schliesslich gelangten sie nach Malta und wurden so zum Malteserorden. Nach Auflösung des Ordens der Templer (1312) erhielten die Malteser ferner dessen Besitzungen zugesprochen, was oft zu Verwechslungen führt.
Erstklassiges Terroir? Ja – aber in der Mehrzahl. Die geologische Struktur von Pomerol ist vielfältig und darum besonders spannend.
Doch uns interessiert vor allem die Rolle, die sie in Frankreich im Allgemeinen und in Pomerol im Speziellen spielten. Sie zeichneten sich erst einmal dadurch aus, dass sie entlang der diversen nach Santiago de Compostela führenden Pilgerrouten Gästehäuser unterhielten, in denen Jakobspilger Unterkunft, Pflege und Verpflegung fanden. Eine solche Pilgerherberge wurde auch in Pomerol errichtet. Wir wissen zwar nicht mit letzter Sicherheit, wo diese ihren Standort hatte, doch für ihre Existenz gibt es klare schriftliche Zeugnisse: Das erste stammt aus dem Jahr 1289. Verwaltet wurden diese Herbergen von so genannten Commanderies (Kommandanturen). Der «Commandeur» hatte den Rang eines Herren inne, das heisst, er konnte Abgaben und Pachten einziehen und war für die Gerichtsbarkeit und damit den Einzug der Bussen zuständig. Das war auch in Pomerol der Fall und garantierte dem Ort und seinen Bürgern eine gewisse Unabhängigkeit. Indirekt – und manchmal ganz direkt, wie wir gleich sehen werden – förderten sie damit auch den Weinbau.
Die «Hospitaliers» blieben bis zur Französischen Revolution Herren von Pomerol. Ende des 14. Jahrhunderts trat der «Kommandant» allerdings die Polizeigewalt und Gerichtsbarkeit an das Stadtparlament von Libourne ab. Das mag erstaunen, war es doch mit dem Verlust eines wichtigen Teils seines Einkommens verbunden. Ersetzt wurde es durch Abgaben, die der Weinbau generierte. Denn die Gemeinde erhielt als Gegenleistung das Recht, ihre Weine künftig ohne Steuerlast in die Stadt Libourne einführen und dort verkaufen zu können. Dieses Privileg war bis anhin allein den Bürgern der Stadt vorbehalten gewesen, die Reben in Pomerol besassen. Neben dem Malteserorden profitierten von dieser Entwicklung auch Pächter und Bauern. Ganz nebenbei illustriert sie auch, dass Pomerol Ende des 14. Jahrhunderts bereits mehr Wein produzierte, als der lokale Konsum aufnahm, und sich nach neuen Absatzquellen umsehen musste. «Hospitaliers» aus Fleisch und Blut wachen heute wieder über Pomerol und seine Weine und sorgen dafür, dass die Werte der Gastfreundschaft hoch gehalten werden: Es handelt sich um die Mitglieder der Weinbruderschaft «Les Hospitaliers de Pomerol».
Pomerol im Brennpunkt der Konflikte
Ein Malteser Ritter als Schutzpatron, ein zwar sehr karges Terroir, das aber bereits ausgezeichnete Weine produzierte, ein Absatzmarkt mit Anschluss an den Atlantik – das Glück der Ortsansässigen schien gemacht. Doch das hiess, die Rechnung ohne den Wirt zu machen. 1337 begann der Hundertjährige Krieg zwischen der britischen und der französischen Krone. Pomerol lag im Grenzgebiet und litt besonders gegen Ende des Konflikts unter den Scharmützeln zwischen den englischen Besatzern und den Truppen des französischen Königs. Castillon, wo 1453 die entscheidende Schlacht geschlagen wurde, die Frankreich für sich entschied, liegt nicht weit von Pomerol entfernt. Nach Kriegsende lagen die einst blühenden Rebgärten brach. Als Teil des «befreiten» Aquitaniens gehörte Pomerol ausserdem noch zu den Verlierern.
Kaum war der Hundertjährige Krieg überstanden, kam es zu Religionskonflikten zwischen Protestanten und Katholiken. Erneut lag Pomerol im Brennpunkt der Auseinandersetzungen, die fast 200 Jahre dauern sollten. Konfliktzone war Pomerol auch zur Zeit der bürgerkriegsähnlichen «Fronde» Mitte des 17. Jahrhunderts. Das erklärt, warum es – nach der kurzen Blütezeit im 14. Jahrhundert – erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wieder zu einer Renaissance des Weinbaus in Pomerol kam.
«Im ländlichen Libournais sieht man nur jede Art von Unbill, die Früchte der Arbeit und die Einkommen gestohlen, Häuser dem Erdboden gleich gemacht, Mühlen in Ruinen, Reben ausgerissen, Tiere im Schlachthaus, um Soldaten zu ernähren», beschrieb ein Lokalhistoriker die Epoche. Da galt es erst einmal, wieder genügend Getreide zu ernten, um die hungrigen Münder zu ernähren. Immerhin: Mitte des 18. Jahrhunderts ging es rasant aufwärts mit dem Weinbau in Pomerol, manchmal regelrecht in Siebenmeilenschritten. Am Vorabend der Französischen Revolution dienten umgerechnet bereits über 400 Hektar dem Weinbau, die übrigen Kulturen (Getreide) waren auf weniger als 100 Hektar geschrumpft. Pomerol produzierte damals rund 300 «Tonneaux» Wein, was rund 350 000 unserer heutigen Flaschen entspricht. Die Erträge lagen bei weniger als zehn Hektoliter pro Hektar! Das ist mehr als bescheiden, selbst für die damalige Epoche, und illustriert einmal mehr die Kargheit der Böden. Pomerol war rar und teuer und verkaufte sich gut.
Pomerol, transparent und delikat
Wie mundete ein Pomerol in der damaligen Zeit? Dokumente belegen, dass die Weinberge von Pomerol noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht nur mit roten, sondern auch mit weissen Sorten bepflanzt waren. Ein Besitzer notierte gar, dass er für seine Cuvée drei Viertel rote mit einem Viertel weisser Sorten vermische. Daraus geht hervor, dass die Sorten getrennt geerntet und vielleicht sogar ausgebaut, jedoch später verschnitten wurden. Der ideale Anteil weisser Sorten soll gemäss einer anderen Quelle rund ein Sechstel betragen haben. In seiner «Geschichte von Pomerol» zitiert J. A. Garde den Lokalhistoriker Souffrain, der 1806 den Winzern von Saint-Émilion vorwarf, zu wenig weisse Sorten zu verwenden, «auf Kosten von (transparenter) Farbe und Delikatesse». In Pomerol schien man dies besser zu verstehen. Derselbe Souffrain: «Néac und Pomerol (sind) zwei Gemeinden, deren Böden etwas höher liegen als die übrige Ebene. (Hier) wo man den Kies oft mit blossem Auge sehen kann, fallen die Weine oft recht delikat aus, in erster Linie die aus Pomerol. Die Handvoll der besten Weine kommt denen aus Saint-Émilion gleich.» Er sagt uns auch, welcher von diesen der Beste ist: «Das erste Gewächs von Pomerol ist das von Certan im Besitze der Damen Demay.»
Angepflanzt wurden gemäss eines anderen Dokuments die roten Sorten «Verdot, Noir de Pressac, Bouchet, Petit Cabernet, Coulon und Petit Coulon» und die weissen Sorten «Sauvignon, Rochelin, Malvoisie, Muscat und Folle Blanche». Beim Noir de Pressac handelte es sich um Malbec und beim Bouchet um Cabernet Franc. Mit Verdot war wohl unser Petit Verdot gemeint und mit Petit Cabernet wohl Cabernet Sauvignon. Der «Merlau» oder Merlot fehlte in dieser Zusammenstellung noch. Und das, obschon er in einer Auflistung der 34 roten Traubensorten des Libournais als exzellent und ertragreich beschrieben wird, die 1784 für den Stadthalter von Bordeaux erstellt wurde.
Offenbar lohnte sich der Weinbau. Denn immer mehr durch Handel zu Vermögen gekommene Bürger aus dem nahen Libourne investierten in Weingüter in Pomerol. Auch einige Mitglieder alten Adels, die ebenfalls fast alle Stadtrechte in Libourne besassen, taten das. Die Eigentümer liessen ihre Güter von Handlangern oder Pächtern bestellen und lebten – wenn überhaupt – nur während der Ernte auf ihren Landsitzen. Mitte des 18. Jahrhunderts gab es 16 Pächter in Pomerol, die Güter in einer Grösse zwischen 7 und 12 Hektar verwalteten, sowie 17 unabhängige Winzer, aber nur eine einzige Adelsfamilie, die wenigstens zeitweise ihren Landsitz bewohnte: die Beauregards. Doch bereits deren Nachkommen, die de Chandos’, lebten Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr vor Ort.
Viele Weingüter, wie wir sie heute kennen, entstanden zwischen 1750 und 1800. Die erfolgreiche Maklerfamilie Giraud etwa betrieb Weinbau auf ihrem Gut «Trop Ennuie», das sie fortan Trotanoy nannten. Auf Certan erzielten die Weine der Demay bereits stolze Preise, was ihnen erlaubte, ein echtes Schloss zu erbauen – das erste (und praktisch einzige) in Pomerol und daher später ganz folgerichtig Vieux Château Certan genannt. 1754 liess die «eiserne Dame» Catherine Conseillan, die in Libourne erfolgreich mit Metall handelte, auf ihrem stolze 23 Hektar fassenden Landsitz Belair la Pipaude eine Ernteresidenz errichten. Auch dieses Gut erhielt einen neuen Namen und wurde fortan La Conseillante genannt. 1793 erwarb ein reicher Bürger aus Saint-Émilion für einen stolzen Preis Beauregard mit rund sechs Hektar Reben und liess (nach einem kurzen Intermezzo hinter Gittern während der Französischen Revolution) das heutige, besonders schmucke Schlösschen errichten. Auch andere bekannte Güter wie Nénin, Petit Village, l’Évangile, Gazin oder Pétrus, um nur einige zu nennen, nahmen in dieser Epoche Form an.
Im 19. Jahrhundert ging es weiter bergauf mit den Weinen aus Pomerol. Sie wurden – gemeinsam mit denen von Saint-Émilion - über den Hafen von Libourne vor allem in den Norden Frankreichs und nach Belgien verschifft. 1819 bestellte ein Händler in Lille ein paar Tonneaux Weisswein aus Pomerol und zwei Barriques alten Weins (Jahrgang 1815) von «Onkel Giraud auf Trotanoy». Dreissig Jahre später wurde Pomerol als das «Médoc des Libournais» gepriesen, dessen Weine von vergleichbarer Finesse seien wie die Spitzen-Crus des linken Ufers. Vieux Château Certan dominierte weiter die Hierarchie, doch die Konkurrenz (nicht zuletzt die bereits zitierten Güter) folgte dem Spitzenreiter hart auf den Fersen.
Der Ausbruch der Reblausplage schien den Aufstieg von Pomerol sogar noch zu fördern, wenigstens in der ersten Zeit, denn die Kies-Sandböden behagten dem Schädling nicht besonders. Auf La Conseillante gelang es, den alten Rebbestand durch gezielte (aber auch aufwendige und kostspielige) Behandlung von Schwefelkohlenstoff, den man in Wurzelnähe in den Boden spritzte, zu erhalten. Offenbar lohnte sich die Investition. Doch spätestens, als sich herausstellte, dass auf resistente amerikanische Unterlagsreben gepfropfte Edelreiser nicht nur gute Weine ergaben, sondern auch höhere Erträge garantierten, wurden auch Pomerols Weinberge neu bestockt und dabei der Sorte Merlot der Vorzug gegeben. Merlot machte die Weine geschmeidiger, so geschmeidig und samten, dass man fortan auf Zugabe weisser Sorten verzichtete, was überhaupt dem Trend der Epoche entsprach. Das 20. Jahrhundert gehörte den farbkräftigen, vollmundigen grossen Weinen. Leichtgewichte hatten ausgedient.
Gerade auf den Lehmböden von Pétrus, dem neuen Star der Appellation, ergab die künftige Königssorte besonders eindrucksvolle Weine. Doch vorerst machten diese vor allem lokal Furore. Es brauchte einen Propheten mit Weitsicht und Tatkraft, der diesen besonderen Wein weltbekannt machte, der nicht mit einer langen Geschichte prunken konnte, sondern nur mit einem besonderen Terroir – und seinem Duft und Geschmack. Die Rolle des Propheten spielte mit grossem Einsatz der Corrèzer Weinhändler Jean-Pierre Moueix, der in den 1920er Jahren nach Libourne kam, um hier sein Glück zu machen. Wie andere Vertreter aus dem Hinterland, die Libourne zum Standort wählten und sich tatkräftig für die Anerkennung der Weine des rechten Ufers einsetzten, begann er buchstäblich mit nichts und endete mit einem angesehenen Handelshaus, das einen wichtigen Anteil am Erfolg des heutigen Pomerol hat. Pétrus wurde zur Lokomotive, von der die ganze Appellation profitierte – und bis heute profitiert.
Einiges zum jüngsten Erfolg der Appellation mag auch der amerikanische «Weinpapst» Robert Parker beigetragen haben, dem die Merlot-lastigen Weine des rechten Ufers und ganz besonders die aus Pomerol, die schon in ihrer Jungend ausgezeichnet munden, besonders behagten. Das mag kurzzeitig zu einem Stilwandel der Appellationen geführt haben. Längerfristig ermöglichte es abr vor allem nötige Investitionen in Keller und Reben, die in Pomerol mit seinen relativ kleinen Einheiten, die bis heute oft von Familien gehalten werden, nicht selbstverständlich waren. Trotz einer Reihe klimatisch relativ komplizierter Jahre produziert Pomerol heute exzellente Weine, die nicht nur hinsichtlich ihrer technischen Qualität hochstehend sind, sondern auch stilmässig zugelegt haben. Das gilt auch und sogar ganz besonders für die Weine der vielen «kleineren», weniger bekannten Güter. Die Tatsache, dass im Zuge der Klimaerwärmung auch die am Rand des Plateaus gelegenen Lagen regelmässige Ausreife erlauben, mag dazu beigetragen haben. Doch der wirkliche Grund ist in der tadellosen Arbeit zu suchen, den die heutigen Verantwortlichen leisten. Sie setzen die Barrique mit Fingerspitzengefühl ein, geben der Fruchtigkeit eine Chance und suchen nicht Masse, sondern Harmonie und Frische und sogar eine gewisse Mineralität. Auch hier setzt sich die Erkenntnis durch, dass naturnaher Anbau (der oft mit der Bodenbearbeitung beginnt) ein guter Ausgangspunkt für Weine mit mehr Fruchtigkeit und Knackigkeit ist. Pomerol ist daher nicht eine Appellation für Snobs mit dickem Portemonnaie, sondern eine interessante Ecke, die eine stolze Anzahl erschwinglicher, hochstehender Weine von nahezu burgundischer Vielfalt anbietet, unter denen jeder echte Weinfreund etwas für seinen Gaumen findet.