Wein & Karriere: Wein Heimat Württemberg 2/2023

Ein Riesenstück vom Glück

Text: Eva Maria Dülligen, Fotos: Werner Kuhnle, z.V.g.

Junge Menschen im Weinbau sind gut drauf. Sie haben allen Grund dazu. Ob im Wengert, im Reifekeller oder bei Degustationen: Umgeben sind sie immer von einem faszinierenden Produkt. Und wer einen Weinberg besitzt, erntet am Ende sogar die eigenen Früchte seiner süßen Arbeit.

Tobias Beckbissinger

Der Steillagenmensch, Weinbautechniker, 34

Wenn man Tobias Beckbissinger fragt, ob er früher irgendetwas anderes hat werden wollen als Winzer, steht Unverständnis in seinen grünen Augen. Er komme aus einer Winzerfamilie und in die Steilhänge hier am Neckar – dabei zeigt er empor zu den Muschelkalkfelsen – sei er schon immer vernarrt gewesen. Dort hat der Weinbautechniker seine Anlagen mit Lemberger, Riesling, Chardonnay, Cabernet Franc und Merlot. Als aktives Genossenschaftsmitglied liefert er sein Traubengut bereits in dritter Generation an die Felsengartenkellerei Besigheim. Wir landen in der Vinothek derselben Genossenschaft und schon prickelt eine Cuvée aus den Champagnersorten im Verkostungsglas. «Diesen Schaumwein haben wir ‹Neunundvierzig Grad› genannt. Weil sich die Felsengartenkellerei auf demselben Breitengrad befindet wie Ay – unsere Partnerstadt in der Champagne.» Feine Perlen transportieren Aromen von Aprikosen und ofenfrischem Weißbrot über den Gaumen. Er mache viel Premium, wirft Tobias ein, während er stolz den nächsten Wein, einen johannisbeerduftigen Trollinger mit körperreicher Tanninstruktur einschenkt. «Dazu würde ich selbst gemachte Spätzle mit frischen Tomaten aus meinem Garten empfehlen. Oder schwäbische Lasagne, also: Maultaschen.» Entschieden hat sich Tobias für die Arbeit im Wengert, obgleich er neben Weinbau auch Önologie in Weinsberg studierte. «Nur im Keller» wäre nichts für ihn. Er liebt es, die Steillagenmauern zu pflegen, da wo die «Echse durch die Mauerritze flitze». Dem Aufsichtsratsmitglied der Felsengartenkellerei mit dem Gecko als Markenzeichen glaubt man sofort, wenn er beim Schwenken des granatroten Gewächses im Glas sagt: «Ich brenne für Wein.»


VITA

Die Steillagen im mittleren Neckartal bedeuten für Tobias Beckbissinger zuhause zu sein. Artenvielfalt und Trockenmauern, alte Rebstöcke und einzigartiges Mikroklima faszinieren ihn seit jeher. Bevor der 34-Jährige seinen eigenen Weinbaubetrieb aus der Taufe hob, absolvierte er eine dreijährige Winzerausbildung auf Weingütern in Kleinbottwar und Hohenhaslach. Zwei anschließen-de Gesellenjahre sowie zwei weitere Jahre an der Technikerschule in Weinsberg rundeten sein Profil ab. Tobias ist Aufsichtsratsmitglied der Felsengartenkellerei und war lange in der Leitungsteamgruppe der Felsengarten-Jungwinzer: den Geckos.

felsengartenkellerei.de

Tabea Klein

Atemlos durch den Tag, Industriekauffrau, 28

«Ich bin eher lieblich und süß», antwortet Tabea Klein auf die Frage nach ihren Weinpräferenzen. Deshalb mag sie die Weine der «Only»-Serie. Diese haben für die 28-Jährige viel frische Frucht. Das gilt für jeden Wein vom Secco bis zur roten Cuvée. Auch ihre eigenen Trauben befinden sich neben denen anderer Genossenschaftsmitglieder in der Range. Gerichtet ist die Weinlinie unmissverständlich an die jüngere Klientel: «Das Label darf für die jungen Konsumenten nicht steif nach Winzergenossenschaft ausschauen.» Tabea baut auf einem halben Hektar Lemberger und Trollinger an und liefert – wie ihr Vater, der 15 Hektar sein Eigen nennt – das Traubengut im Nebenerwerb an den Weinkonvent Dürrenzimmern. Als gelernte Industriekauffrau verbringt sie den Tag im Büro. Abends und am Wochenende pflegt sie ihren Weinberg. Und genau dieser Mix aus Kopf- und Handarbeit gibt der jungen Frau mit den geröteten Wangen innere Balance: «Ich gehe gern in den Wengert. Zum Abschalten.» Je länger man ihr zuhört, umso deutlicher tritt ihre Weinpassion zutage. Im Kern geht es ihr darum, die Weinqualität einer 1937 gegründeten Genossenschaft rüberzubringen, die sich 2015 in «Weinkonvent» umtaufte. Das war die Stunde null für einen Traditionsbetrieb, der heute 328 aktive Mitglieder zählt und schwerpunktmäßig rote Rebsorten über seine 130 Hektar verteilt. Auf ihren eigenen 0,5 Hektar fiebert Tabea jedes Jahr der Lese entgegen. «Da hat man drei Wochen Urlaub vom Büro und verbringt diese mit der Lese im Wengert», lacht sie. Zur Belohnung wird nach der Knochenarbeit mit dem Team über einem Rebholzfeuer gegrillt. Würstchen und Steak am Wengert. «Als Nachtisch gibt’s gegrilltes Brot. Da streichen wir dann selbstgemachte Marmelade drauf.»


VITA

Obwohl die 28-jährige Industriekauffrau schon mal vier Monate in Neuseeland verbracht hat, kann sie sich nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben als im Zabergäu. In Dürrenzimmern ist sie im elterlichen Milchviehbetrieb mit fünf Geschwistern aufgewachsen, und hier hat sie ihren halben Hektar mit Lemberger und Trollinger. Als Gegengewicht zur Arbeit im Wengert arbeitet Tabea Klein im Büro eines Dichtungstechnikbetriebs. Zusätzlich zu ihrer kaufmännischen Ausbildung hat sie bei der IHK den Bachelor Professional zur Wirtschaftsfachwirtin abgelegt. Wenn sie zwischen Weinberg und Rechnungswesen Zeit findet, genießt sie After-Work-Partys und entwirft Glückwunschkarten.

weinkonvent-duerrenzimmern.de

Julia Höllmüller

Zeitgeist-Winzerin, Weinbetriebswirtin, 34

«Ich probiere alles, was mir über den Weg läuft. Ganz egal, ob im Ausland oder bei Winzerkollegen.» Das ist wohl auch der Grund, warum Julia Höllmüller sich nicht auf eine Rebsorte festlegt. Während ihrer Südafrika-Reise degustierte sie sich durch Chardonnay und Cabernet Sauvignon. «Es ist faszinierend, wie unterschiedlich die Weine schmecken können, die dort auf einem einzigen Weinberg wachsen.» So besuchte sie nach dem Abi Weingüter und Kooperativen in Franschhoek, Constantia und Paarl, um ihren württembergischen Weinhorizont zu erweitern. Über dem ging für Julia die Sonne bereits in der Jugend auf: Im elterlichen Wengert lernte sie, Laubwände hochzuziehen, Rebstöcke zurückzuschneiden und den richtigen Lesezeitpunkt zu eruieren. Weinbautradition reicht bei den Höllmüllers zurück bis zu Julias Uropa, der Gründungsmitglied der Lauffener Weingärtner eG war. Die 34-jährige Winzerin bringt sich im Aufsichtsrat der Genossenschaft ein, ist Mitglied der Jungwinzer-Genossenschaft «Vinitiative» und organisiert Weinfeste wie «Weinsüden»-Pop-ups: «Bei chilliger Musik gibt’s am Weinwagen mitten in den Lauffener Weinbergen hochwertige Tropfen. Vom Liegestuhl aus blickt man mit einem Glas Jungwinzer-Wein in der Hand runter auf den glitzernden Neckar.» Die junge Generation liegt Julia am Herzen. Mit der Erfahrung der Älteren im Rücken haut die Lauffener «Vinitiative» neue Ideen raus. Innovative Flaschengestaltung, Qualitätssteigerung, Piwis und Social-Media-Präsenz verpassen der Genossenschaft einen immer neuen Anstrich. «Wir könnten natürlich auch einfach nur Trauben produzieren und abliefern. Aber Stehenbleiben kommt für uns nicht infrage.»


VITA

Den Bachelor of Arts in Weinbetriebswirtschaft absolvierte Julia Höllmüller 2012 an der Hochschule Heilbronn. Mit dem erworbenen Knowhow arbeitet sie seither im Weinbaubetrieb ihrer Eltern mit. Julias Engagement reicht weit über das Traubenabliefern – sie besitzt eigene Rebflächen – hinaus: «Ich weiß, wie wichtig es ist, sich weiterzuentwickeln, immer am Zahn der Zeit zu bleiben.» Deshalb bedeutet der Jungwinzer-Zusammenschluss «Vinitiative» für die 34-Jährige eine immaterielle Investition in die Zukunft. «Der Pool an Modernisierungswillen, unverbrauchter Kreativität und der Nähe zur jungen Klientel ist ein Garant für das Fortbe-stehen der Lauffener Weingärtner.»

lauffener-wein.de