Wein & Kultur: Wein Heimat Württemberg 1/2023
Zeitkapsel des Verfalls
Text: Ute Noll, Fotos: Benjamin Seyfang
Verwunschene Orte und verlassene Gebäude sind Benjamin Seyfangs Begier. Morbide und exotisch wirkende Bilder bringt der Fotograf von seinen Streifzügen mit zurück. So lässt er uns teilhaben an seinen Zeitreisen in schwer zugängliche Welten. Auch die Region Heilbronn hat er dafür im Blick.
Benjamin Seyfangs Fotografien wirken wie Bühnenbilder oder Filmsets. Aber es gibt sie wirklich. Sie zeigen Arbeitsstätten, Wohnhäuser, Autos, konserviert im Zustand längst vergangener Zeiten, oft gezeichnet von Spuren des Zerfalls, und auf dem Weg, womöglich endgültig zu verschwinden. Seine Lost Places, also verlorenen Orte, findet er in der Nähe seines Wohnortes in Metzingen auf der Schwäbischen Alb. Oder in der Weinregion Heilbronn. Hier schlummert ein ausrangierter Zug im Gleisbett. Merkwürdig ist das Rad, das neben dem zerschlissenen Zweiersitz platziert ist. Ob es eine Bremse ist? Das diffuse Licht, das durch die Fenster scheint, leuchtet den Innenraum detailreich aus und fügt die Farben zu einem harmonischen Bild. Der Zug wirkt weniger wie ein Fahrzeug, sondern eher wie ein Zimmer als Inspiration für einen Roman. Und das Auto mit den Spinnennetzen und dem pflanzenverwachsenen Innenraum steht vergessen auf dem Hinterhof eines Autohändlers bei Heilbronn, es könnte der Tatort für einen Kriminalfall sein. Den Tipp für das Haus mit dem altertümlichen Schlafzimmer und dem Kreuz Jesus Christus bekam Seyfang von einer Heilbronner Fotografin. Bevor der Abenteurer jedoch mit Kamera, Stativ und Licht loszieht, recherchiert er in Zeitungsarchiven, auf Social Media und Google Maps nach geeigneten Objekten, auch Geotracking setzt er dafür ein. Nicht immer erfüllen sich seine Erwartungen an einen Ort, manchmal verbirgt sich unter einem vermeintlich zerfallenen Dach doch noch ein intaktes Gebäude, eine Niete, wie er es nennt.
Doch oft ist er erfolgreich bei seiner Suche, fotografierte bereits an über 1000 Orten in 19 Ländern, auch Australien und Armenien waren darunter. Besonders ausgefallene Motive entdeckte Seyfang in einer belgischen Schule für Tierärzte, gruselige Tierpräparate von Hunde- und Katzenköpfen fand er dort. Wenn er an gefährlichen Orten wie im Bergwerk oder Bunker fotografiert, informiert er Bekannte über seine Aufenthaltsorte, damit sie rechtzeitig Hilfe holen könnten, falls er sich nicht zurückmeldet. Einem kleinen Fotografenkreis gibt Seyfang auch seine Wegbeschreibungen weiter. Er profitiere ja auch durch die Preisgabe von Orten durch andere. Angst vor fotografischer Konkurrenz hat Seyfang keine, denn jeder habe seinen eigenen Blickwinkel, sagt er. Auf dem Gelände verhält er sich unauffällig und rücksichtsvoll. Wenn aber ein Fenster geöffnet oder eingeschlagen ist, hangelt er sich auch mal ins zweite Stockwerk hoch, um ins Haus zu gelangen, doch immer hinterlässt er alles so, wie er es vorgefunden hat, verwischt auch seine Spuren. Denn Plünderer und Randalierer will er nicht anlocken. Manchmal begegnete Seyfang bei seinen Abenteuertouren den Besitzern. Die meisten freuten sich, dass ihr Objekt so noch einmal gewürdigt und im Bild festgehalten wird. Nur einmal musste er die Bilder eines Lost-Place-Besitzers unverzüglich löschen.
Obwohl Seyfang faszinierende Bilder verlorener Orte geschaffen hat, so gibt es doch Lost Places, die sich per se nicht gut fotografieren lassen. Dann ist der Weg zum Objekt, und das Objekt selbst, das Ziel. Doch wenn es Sinn ergibt und die Entfernung es erlaubt, kehrt Seyfang mehrmals an einen Fundort zurück. «Für ein gelungenes Ergebnis ist entscheidend, den Ort im richtigen Licht, zur passenden Jahreszeit und aus verschiedenen Perspektiven zu fotografieren», erklärt er. Und ergänzt: «Es gibt für mich noch so viel zu entdecken. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit für meine Fotografie.»