Neugierig sein, probieren, riskieren
Interview mit Andrea Lonardi, MW
Foto: z.V.g.
Andrea Lonardi ist seit kurzem Italiens zweiter Master of Wine. Der COO des italienischen Weinbaubetriebes Angelini Wines & Estates hat neben dem heimischen Valpolicella (und dem dortigen Topbetrieb Bertani) vor allem die Toskana im Fokus seiner Arbeit – in Montalcino mit der Kellerei Val di Suga und in Montepulciano mit Tre Rose.
Andrea, wie viel Zeit musstest du opfern, um Master of Wine zu werden?
Den Einstiegstest habe ich 2014 absolviert, dann war ich ein Jahr weg, später kam die Pandemie, ich würde sagen, sechs, sieben Jahre insgesamt. Ich habe daneben ganz normal gearbeitet und für den Master of Wine meine Ferien und Wochenenden reserviert.
War es das wert?
Ja! Aber ich war nur einer der wenigen Bewerber, die es schliesslich geschafft haben. Wenn du jemanden fragst, der es nicht geschafft hat, sagt er: Nein.
Deine Abschlussarbeit widmet sich vor allem zwei grossen Problemen, die den gesamten Weinbausektor betreffen: Arbeitskräftemangel und Klimawandel. Du wirfst die Frage auf, wie man sich ihnen methodisch nähert...
Meine Arbeit war eng mit dem Valpolicella verbunden, aber Arbeitskräftemangel und Klimawandel sind natürlich Themen, die den gesamten Weinbau betreffen. Eine wichtige Errungenschaft meiner Ausbildung zum Master of Wine war dabei eine neue methodische Arbeitsweise, um Probleme zu analysieren oder auch Arbeitsweisen neu zu gestalten – selbst eine Degustation. Für mich war es ganz wichtig, über den Tellerrand zu blicken, mich im internationalen Kontext auszutauschen, neue Projekte zu entwickeln, neugierig zu sein, zu probieren und zu riskieren. Reben werden immer kurzlebiger, immer sensibler für Krankheiten und Schädlinge. Die «Goldgelbe Vergilbung» zum Beispiel explodiert. Also müssen wir unsere Rebberge umkrempeln, wie wir das machen, müssen wir überdenken. Ebenso beim zweiten grossen Thema, dem Arbeitskräftemangel: Arbeitskraft ist nicht mehr unbegrenzt verfügbar – in keinem Bereich. Auch da muss man methodisch an die Aufgabe herangehen: Der Produktionsablauf gehört so umgekrempelt, dass man die Mitarbeiter das ganze Jahr beschäftigen kann. Man muss Arbeitskraftspitzen austarien, kalkulieren, wie man eine Person, die im Rebberg arbeitet, bei Bedarf im Keller einsetzt und umgekehrt. Kontinuität der Arbeit ist dabei genauso wichtig wie eine fundierte Ausbildung, für die jeder Betrieb sorgen muss.
Apropos neue Projekte: In Montepulciano hast du im Auftrag des Konsortiums das Projekt geleitet, das zur Entscheidung geführt hat, die Pievi zu initiieren: Sind die zwölf Pievi – die geografischen Zusatzbezeichnungen in Montepulciano – die neuen Grand-Cru-Zonen des Vino Nobile?
Nein, wenn man meint, diese Zonen hätten ein höheres Niveau. Ich glaube auch nicht, dass es zwischen den einzelnen Zonen grosse Unterschiede gibt, die den Wein prägen. Es geht beim Projekt Pievi nicht um die Unterschiede, viel wichtiger ist es, vom Gebiet als Ganzem zu sprechen und Visionen zu entwickeln. Diese Zonen haben strengere Produktionsregeln, die auch von einer Kommission kontrolliert werden. Das heisst, dieser Filter erhöht die Qualität der gesamten Produktion – das ist das wichtige Resultat dieses Prozesses. Und daneben hat man zehn bis zwanzig Weine aus dem Gebiet, die wirklich top sind.