Tipps vom Food Pairing bis zur Serviertemperatur

Leitfaden zum VDN-Genuss

Bei ihrer Suche nach der Erschaffung von Edelmetall und anderen Zauberformeln haben Alchimisten die Destillation entdeckt und so tatsächlich zur Schaffung von Gold beigetragen, wenn auch in flüssiger Form. Ihnen verdanken wir die einzigartigen Elixiere, die wir mit Mass und Verstand geniessen, vor allem aber mit Nase und Bauch. Hier ein kleiner Leitfaden zum Umgang mit VDN, der vor allem dazu ermuntern soll, alte Regeln auf den Kompost zu werfen und neue Experimente zu wagen.

Natürlich süsse Weine aus dem Roussillon schmecken jeder und jedem. Schon ein Fingerhut voll bringt etwas Mittelmeersonne in den grauen Alltag, einfach so genossen, als Apéro, Digestif oder, warum nicht, zum Mahl. Sie kosten nicht einmal die Welt, auch nicht im hohen Alter, halten eine Ewigkeit, selbst bei angebrochener Flasche, egal, wo man sie gerade liegen, stehen oder sitzen lässt, im Schrank oder auf der Fensterbank. So vielfältig wie ihre Typologie ist ihre Verwendung. Sie mögen - auf die eine oder andere Art - eigentlich fast jede Art von Wein ersetzen, von Schaumwein und trockenem Weisswein mal abgesehen.

Sie mögen Regeln? Dann befolgen Sie vorab und vor allem folgende: Halten Sie immer mindestens eine Flasche Rivesaltes, Maury oder Banyuls in Griffnähe. Sie müssen nicht einmal Platz im Kühlschrank dafür opfern. Jedes Regal, jede Küchenecke ist gut genug. Wird er im Sommer mal zu warm, kühlt man ihn einfach rasch im Tiefkühler oder mit Rapid-Ice etwas herunter. Richtig eisgekühlt muss eigentlich nur Muscat aufgetragen werden. Er schmeckt am besten bei sechs bis acht Grad. Weissen Banyuls kann man etwas wärmer servieren, bei circa acht bis zwölf Grad. Alle anderen VDN aus dem Roussillon schmecken am besten bei einer Temperatur von 12 bis 16 Grad. Doch noch einmal: Das sind Faustregeln, die nicht allzu viel Kopfzerbrechen bereiten sollten. So genau braucht man das wirklich nicht nehmen. Gut ist, was gut mundet. Nur zu warm auftragen sollte man VDN nicht. Alkohol und Süsse treten dann zu sehr in den Vordergrund. Doch das gilt für alle Weine. Ideal ist natürlich, einen Weinschrank zu besitzen, bei dem man Temperaturen separat regeln kann. Das erleichtert die Sache - aber Voraussetzung ist das nicht.

Kalbsbries mit Saisongemüse zu Rivesaltes Ambré, Leberterrine mit Birne zu Banyuls, Zitronenzabaione zu Muscat de Rivesaltes: Küchenchef Yannick Tual im kleinen, aber feinen Restaurant «Le Grain de Folie» in Perpignan weiss genau, wie man VDN gekonnt bekocht. 

VDN halten ewig. Doch das sie müssen nicht. Weine, die lange im Fass erzogen wurden, reifen in der Flasche extrem langsam weiter. Schliesslich haben VDN-Mütter, -Väter, -Onkel und -Tanten besonders liebevoll dafür gesorgt, dass ihre Kinder und Anvertrauten (von wenigen Ausnahmen abgesehen) erst nach Erreichen ihrer vollen Trinkreife aus der Kellererziehung entlassen werden. Sollen sie dennoch Jahrzehnte weiter ruhen, weil man einen Weinschatz für die Nachwelt anlegen will, muss man sie um des Korken willens unbedingt liegend aufbewahren. Einzig fruchtige Grenat-Weine schmecken wie Muscat jung genossen am besten, auch wenn selbst diese beiden Weinarten Jahre lagern können. Das gilt noch mehr für weisse VDN. Längere Flaschenreife verdienen in erster Linie die Rimage genannten, früh abgefüllten Jahrgangsweine. Doch auch diese kann man jung entkorken.

Das geeignete Glas

VDN kann man aus jedem tulpenförmigen Kelch geniessen. Weil man sie in kleinen Zügen nippt und nicht gleich gläserweise in die Kehle kippt (VDN sind Weine des Masses), sollte dieses nicht zu gross ausfallen. Ideal ist ein Glas, wie man es für Sherry verwendet, oder ein Weissweinglas. Entscheidend ist nur die Tulpenform, die das Bouquet zur Geltung bringt.
Traditionell werden VDN vor dem Mahl getrunken oder als Dessertwein. Das mag hinkommen, doch ist es eigentlich schade. Ich geniesse einen Maury oder Rivesaltes dann, wenn ich ausnahmsweise mal keine Lust habe, eine Flasche zu entkorken und mehr als ein Glas zu leeren. Egal, was gerade auf den Tisch kommt. Nur zum Apéro nie (weil ich grundsätzlich kaum je Apéro trinke). Statt zum Dessert Süsse mit Süsse zu bekämpfen (das ist mir dann doch zu bunt), wähle ich einen besonders alten, duftenden, eleganten Rancio oder einen eleganten, duftenden Muskateller lieber zu Käse oder - als eine Art Spirituosenersatz - auch mal zu Kaffee. Noch einmal: Wichtiger als jede Art von Theorie und Regel ist, seinen Geschmackshorizont zu bereichern. Warum nicht einen Muscat de Rivesaltes zu frischem Spargel reichen? VDN eignen sich für Experimente! Mit asiatischer, nordafrikanischer, mexikanischer, spanischer Küche. Zu gewagten süsssauren Kreationen mit Früchten und Gemüsen. Zu Salzgebäck jeder Art. Nur zu Fisch und Meeresfrüchten wirken sie etwas füllig und dominant, doch ich denke, dass es selbst da Interessantes zu entdecken gibt.

Und die klassischen Kombinationen? Nur, wenn mir nichts Besseres einfällt. Natürlich mundet ein jugendlicher, nach Kirschen duftender Maury Grenat oder Banyuls (aber auch alle Rivesaltes-Arten ausser Muscat) gut zu schwarzer Schokolade. Natürlich schmeckt Muscat gut zu Melone mit Rohschinken. Natürlich begleitet ein Banyuls Rimage alle Blauschimmelkäse, kann man de Rivesaltes zu Leberpastete wählen, munden alle VDN gut zu Wurstwaren, Schinken, Trockenfleisch.
Und natürlich ist auch gegen die hohe Kunst der Kuppelei und Mariage nichts einzuwenden. Einer, der genau weiss, wie man VDN aus dem Roussillon bekocht, ist Küchenchef Yannick Tual im kleinen, aber feinen Restaurant «Le Grain de Folie» in Perpignan. Seine Tipps: Leberpastete mit Birne als Vorspeise, Kalbsbries mit Saisongemüse als Hauptspeise (herrlich!) und ein gewagtes, aber gelungenes Dessert mit einer konfierten, mit Zitronenzabaione gefüllten Zitrone auf Meringue. Bon appetit! 

vinum+

Weiterlesen?

Dieser Artikel ist exklusiv für
unsere Abonnenten.

Ich bin bereits VINUM-
Abonnent/in

Ich möchte von exklusiven Vorteilen profitieren