Tradition und Terroir prägen die südlich von Wien gelegene Thermenregion. Bereits in römischer Zeit wurde hier Wein kultiviert, bis heute locken die Heurigen rund um Gumpoldskirchen. Jetzt setzt die Heimat von Rotgipfler und Zierfandler als jüngstem Zugang der DAC-Familie Akzente in Sachen Herkunftsbezeichnung.
Wer in diesem Sommer in der Thermenregion auf Weinentdeckungsreise geht, wird auf vielen Flaschen des Jahrgangs 2023 das Kürzel «DAC» finden. Und viele werden sich fragen, was es damit auf sich hat. Schauen wir dazu ein bisschen in die Vergangenheit: Die längste Zeit beurteilte man in Österreich die Güte eines Weins nach seinem Mostgewicht. Anders als in Deutschland mass man allerdings nicht Oechsle, sondern erhob die Werte mit der Klosterneuburger Mostwaage (KMW). In beiden Fällen haben wir es mit einem Prädikatssystem zu tun, auch als «germanisches System» bekannt. Der Gegenpol dazu ist das die Weine nach ihrer Herkunft klassifizierende «romanische System». Wir kennen es aus Frankreich, auch das italienische DOC-System geht in diese Richtung. Über die letzten Jahrzehnte hinweg setzte sich dieses herkunftsbasierte Qualitätsbewusstsein europaweit mehr und mehr durch, was im Jahr 2009 auch in der neuen EU-Weinmarktordnung ihren Niederschlag fand. Diese machte im Grunde einen Knoten an die im weinbaulichen Alltag bereits seit längerem erarbeiteten Herkunftsbezeichnungen.
DAC – Herkunft sticht Prädikat
In Österreich setzt man seit Anfang der 2000er Jahre nach und nach das Herkunftsprinzip mit dem Status «Districtus Austriae Controllatus», kurz «DAC», um. Das Kürzel bezeichnet gebietstypische österreichische Qualitätsweine. Den Auftakt machte im Jahr 2003 das Weinviertel, erstmals wurden hier die Herkunftspyramide des DAC-Systems und damit die dreistufige Unterscheidung in Gebiets-, Orts- und Riedenweine etabliert. Seitdem hat sich viel getan in den österreichischen Weingärten und «DAC» wurde zum Inbegriff einer bemerkenswerten Qualitätsoffensive. Auch wenn zu Beginn die kritischen Stimmen laut waren, lässt sich heute sagen: die hierarchische Neustrukturierung der Gebiete setzte viel in Gang und war Motor eines bemerkenswerten Wandels. Genau 20 Jahre nach dem Weinviertel wurde mit dem Jahrgang 2023 auch in der Thermenregion die DAC-Herkunftsbezeichnung eingeführt. Für Chris Yorke, Geschäftsführer der Österreich Wein Marketing (ÖWM) findet damit eine österreichische Erfolgsgeschichte ihr Happyend: «Das DAC-System erlaubt jedem Gebiet, seine herkunftstypischen Weinstile gesetzlich zu schützen. Das ist in der Weinwelt enorm wichtig, denn: Rebsorten sind austauschbar, Herkünfte nicht!» Die Thermenregion DAC schliesst die DAC-Familienplanung ab: Mit ihr ist nach 20 Jahren das DAC-System vollständig und umfasst jetzt 18 DAC-Gebiete.
Wein und Mineralwasser
Die Thermenregion ist eines der acht sog. spezifischen Weinbaugebiete Niederösterreichs und bei aller Tradition ist die Bezeichnung als solche überraschend jung. Erst im Jahr 1985 wurden die Gebiete Bad Vöslau und Gumpoldskirchen offiziell zur Thermenregion vereint. Bei der Namensgebung orientierte man sich an den zahlreichen hier zwischen Wien und Baden sprudelnden Mineral- und Heilwasserquellen. Aber nicht nur gekurt wird hier gerne, seit Generationen ist hier Wiens weinselige Ausflugsmeile zu finden, seit über 150 Jahren erschlossen durch die Wiener Südbahn. Mittendrin: das legendäre und nicht nur von Hans Moser und seiner Reblaus viel besungene Gumpoldskirchen. Der Ort ist auch Heimat des bekannten gleichnamigen Weins, einer Cuvée aus den autochthonen Sorten Rotgipfler und Zierfandler, einem Star der Heurigenlokale vor Ort und auch in Wien eine feste Grösse. Dass es aber in der Thermenregion viel mehr als zugängliche Schankweine gibt, führt die jetzt eingeführte DAC-Klassifikation deutlich vor Augen.
Ein Anbaugebiet erfindet sich neu
Mit der Klassifizierung «Thermenregion DAC» richtet sich das traditionsreiche Anbaugebiet neu aus. Und nicht nur das, mit einer eigenen Marke positioniert man sich weit über die Grenzen der Region hinaus als «world famous wine». Das neue Lilienlogo steht für die grosse Weinbautradition der Region. Es erinnert an die burgundischen Zisterziensermönche, die hier Mitte des 12. Jahrhunderts die römische Weinbautradition wiederbelebten und die Einzigartigkeit des hiesigen Terroirs entdeckten. Ein Terroir, das mehr mit Burgund zu tun hat, als man auf den ersten Blick denken möchte: Man teilt sich nicht nur den gleichen Breitengrad, auch die Vielfalt und Kleinteiligkeit der Bodenstrukturen ist in etwa vergleichbar. Die Böden zwischen niederösterreichischem Alpenrand im Norden und dem Wiener Becken im Süden sind eher karg und geprägt von fossilen Kalkablagerungen, Sand, Schotter und Konglomeraten, auch kiesdurchsetzte Lehmböden gibt es. Flussschotter und die Ablagerungen des hier vor Millionen von Jahren sich erstreckenden Urmeeres bieten ideale Bedingungen für das Rebwachstum, ebenso wie die wasserdurchlässigen Böden. Dazu kommt ein gemässigt kontinentales Klima mit heissen Sommern, trockenen Herbsten und viel Wind, der Pilzdruck und Ungezieferbefall im Zaum hält. Einen fundamentalen Unterschied aber gibt es gegenüber dem Burgund: Im französischen Anbaugebiet klassifizierte man seit jeher auf der Grundlage des Terroirs und Herkunft. Und genau hier holt die Thermenregion DAC jetzt auf.
Unter die Lupe genommen
Gute 1850 Hektar umfasst die Weinbaufläche der Thermenregion. Weisse Rebsorten haben einen Anteil von 57 Prozent, sie gelingen besonders im Norden der Region gut. Allen voran setzen hier weisse Burgundersorten Akzente. Auch die autochthonen Sorten Zierfandler und Rotgipfler sind hier heimisch. Anders sieht es im Süden aus: Hier regiert der Rotwein, allen voran Zweigelt, mit 14 Prozent mengenmässig die rote Leitrebe der Region. Wie sich aber in der Diskussion um die DAC-tauglichen Rebsorten zeigte, haben, was die Gebietstypizität angeht, Lokalmatador St. Laurent (Anteil 6,9 Prozent) und Pinot Noir (Anteil 6 Prozent) die Nase vorn. Ob weiss oder rot, eines gilt immer: Je enger die Herkunft eines Weins gefasst ist, desto höher klettert er auf der dreistufigen Hierarchie-Leiter des DAC-Systems, desto höher ist auch der Anspruch an die Qualität. Grundsätzliches «DAC-Eintrittsticket»: Nur ein Qualitätswein darf die drei Buchstaben auf dem Etikett tragen. Darüber hinaus legen die DAC-Statuten Kriterien für Hektarerträge, Mindestalkoholwerte, die Rebsorten und auch Stilistiken fest. Auf der anderen Seite hat auch der Weingeniesser mit dem neuen dreistufigen System eine gute Orientierung an der Hand. Gut zu wissen ist auch, dass ein Thermenregion DAC immer rot oder weiss ist. Roséwein aus der Gegend hingegen wird, da das DAC-System für die Thermenregion keinen Rosé klassifiziert, als «Wein aus Österreich» oder unter der generischen Gebietsbezeichnung «Niederösterreich» angeboten.
Solide Basis: Gebietsweine
Das solide Fundament der Thermenregion DAC bilden die Gebietsweine. Zehn Rebsorten sind hier erlaubt: Rotgipfler, Zierfandler, Weissburgunder, Grauburgunder, Chardonnay, Neuburger, Pinot Noir, St. Laurent, Blauer Portugieser und Zweigelt. Sie dürfen reinsortig, als Cuvée oder auch gemischter Satz bereitet werden, müssen trocken ausgebaut sein – bei einem Mindestalkoholgehalt von 12 Vol.-%. Eine von Holzausbau geprägte Stilistik ist in der unterersten Stufe der DAC-Hierarchie nicht erwünscht. Vielmehr finden sich in diesem Segment zugängliche vielseitige Weine, die mit gutem Trunk, viel Frische und sortentypischer Frucht punkten. Sie sind ebenso Alltagsweine wie echte Allrounder und einfach unschlagbar, was ihr Preis-Genuss-Verhältnis betrifft.
Sag mir, wo du herkommst: die Ortsweine
Die Ortsweine der Thermenregion DAC spiegeln die Charakteristika fest umrissener Ortschaften wider. Zugelassen sind insgesamt 14 Ortsbezeichnungen, darunter die grossen historischen Weinorte der Region Gumpoldskirchen, Bad Vöslau, Baden und zum Beispiel Wiener Neustadt. Erlaubt sind hier gegenüber dem Gebietswein nur noch die acht Sorten Rotgipfler, Zierfandler, Weissburgunder, Grauburgunder, Chardonnay, Pinot Noir, St. Laurent und Zweigelt – (alle reinsortig oder als Cuvée). Die trockenen Weine müssen mindestens 12,5 Vol.-%. aufweisen, die Besonderheit: Auch restsüsse Weine der Prädikatstufen Auslese, Beerenauslese und Trockenbeerenauslese dürfen, wenn die anderen Parameter passen, als Thermenregion Ortswein DAC vermarket werden. Die Ortsweine sind in der Regel kraftvoller als die Gebietsweine, haben auch mehr Reifepotenzial. Sie sind differenzierter in ihrer Aromatik und begleiten auch anspruchsvollere Speisen mit dem ihnen eigenen Charme und Ausdruck. Und das, ohne dabei ein allzu grosses Loch in Budget zu reissen!
Lage, Lage, Lage: die Riedenweine
«Ried» nennt man in Österreich die Weinlagen, und «Riedenweine» aus den besten Lagen der Region bilden die Spitze der DAC-Herkunftspyramide. Hier wird, salopp gesagt, die Luft dünn. Und die Qualität zieht noch mal ganz gewaltig an: Auf diesem Top-Niveau entstehen Weine, die erst nach einer gewissen Lagerzeit überhaupt gekostet werden sollten, man sagt frühesten im dritten Jahr nach der Lese. Aber das ist dann erst der Anfang: Diese Weine haben (je nach jahrgangsspezifischen Analysewerten) ein Potenzial von 15 und mehr Jahren. Noch sechs Sorten spielen hier mit: Neben den internationalen Sorten Chardonnay, Pinot Noir und Weissburgunder sorgen die regionalen Stars Rotgipfler, Zierfandler und St. Laurent in dieser Oberliga für Authentizität. Konzentrierte Aromatik garantiert die in dieser Stufe vorgeschrieben Ertragsbegrenzung auf max. 6000 kg/ha bzw. max. 4500 l/ha. Der Restzuckergehalt darf bei maximal 4 g/l liegen, Anreicherung ist untersagt. Ausgewiesen sind 37 Einzelrieden, die in der Thermenregion, wie auch in allen anderen DAC-Gebieten, gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Eine Klassifizierung der Rieden (vergleichbar der Unterscheidung von Erster und Grosser Lage) ist aktuell österreichweit in Arbeit, wird aber erst in paar Jahren in der Praxis umgesetzt werden.
Wer jetzt Lust bekommen hat, sich in die Welt der Riedenweine einzuschmecken, für den haben wir einen unbedingten Tipp! Am besten gleich mehrere Flaschen eines Weins einlagern und dann regelmässig kosten, um zu verfolgen, wie sich diese Geschmacksriesen nach und nach entfalten.