Steirische Kulinarik und Gastfreundschaft
Reisen & Genuss
Text: Eva Maria Dülligen, Fotos: KarinBergmann.at, Heinz Tesarek, Weingut Harkamp, Peter Straub, Sabine Jackson, Ellen-Pichler, www.derferder.at, Rudi Ferder, z.V.g.
Charismatische Genusshandwerker und waschechte Liebe zur eigenen Region prägen den kulinarischen Fussabdruck der Steiermark. Weltoffen und gleichzeitig heimatverbunden geben Speiseöl-Produzenten, Spitzenköche und Spirituosen-Brenner Einblicke in ihre kleinen Feinkost-Universen. Damit sich der Gast zwischen Genuss und steirischer Naturkulisse erholen kann, dürfen natürlich auch originelle Unterkünfte nicht fehlen.
Ölmühle Hartlieb
«Friara hots imma steirischn Sterz zum Frühstück gebn», erinnert sich Thomas Hartlieb und schiebt dialektfrei hinterher, dass es die gekochte Polenta immer noch gebe, aber jetzt freilich mit seinem Kürbiskernöl. Den dickflüssigen, tiefgrünen Saft, der profane Speisen zu einer Offenbarung macht, presst Hartlieb heuer seit 20 Jahren aus den jährlich über 200 Tonnen zermahlenen Kürbiskernen. Feine Zungen erfassen die ausgeprägte Nussigkeit, die von der doppelten Trocknung der Kürbiskerne herrührt. «Wir», und damit spricht der Ölmüller für die meisten Manufakturen der Südsteiermark, «sind dem Codex Alimentarius verpflichtet.» Die g. g. A, also die geschützte geografische Angabe auf dem Label seiner dunklen Kernölflaschen, garantiert traditionelle Herstellung, steirische Herkunft und Verwendung des Ölkürbisses. Dessen Kerne sind schalenlos und lagern in ihrer Haut sehr viel Chlorophyll ein, was den intensiven Geschmack des Öls erklärt. Aber auch, warum man das Lieblingskleid in die Tonne werfen kann, wenn man sich damit bekleckert. Vom Erdäpfel-Soufflé bis zur Forelle Müllerin veredeln Haubenköche ihre Speisen mit Hartliebs Kernöl: «Manche holen sich die Presskuchen ab, um Brot daraus zu backen», streicht der Öl-Pionier heraus. Insgesamt 26 verschiedene Ölsorten führt er in dem hundert Jahre alten Familienbetrieb, darunter Exoten wie Marillenkernöl oder Hanföl und Bestseller wie sein Haselnuss- und sein Walnussöl. Nicht nur Laufkunden sind willkommen, auch Genusstouristen, die das Ölmuseum im Obergeschoss der alten Mühle in Heimschuh erkunden wollen.
Zotter
Das einzige, womit Josef Zotter mich nicht hinter dem oststeirischen Hügelland hervorzulocken vermochte, war sein Piwi-Wein Muscaris. Weitaus ausgewogener gebärden sich seine Pralinés, seine handgeschöpften Schokoladen und vor allem sein «Essbarer Tiergarten». «Kürzlich haben wir zwei Wagyu-Rinder dazubekommen», sagt der Chocolatier und gelernte Koch. «Was haben Sie mit denen vor?», frage ich. «Essen.» Der Bigotterie, in ein Schweinesteak zu beissen und dabei über Massentierhaltung zu philosophieren, begegnet der 60-Jährige mit Konfrontation. «Schaut dem Essen in die Augen.» Mitten in Zotters 92 Hektar Bio-Landgut sitzt der Gast in der «Öko-Essbar», umgeben von Blondvieh, Alpakas, schwäbisch-hällischen Landschweinen und Ziegen, während er sich einen Burger vom Weiderind mit Paradeiser und hausgemachtem Ketchup samt Zweigelt gönnt. «Das ist kein Streichelzoo, aber die Leut können’s das Vieh anfassen, um zu erfassen, was sie später aufm Teller hom», sagt der Grazer, der Mitte der 1990er Jahre begann, die österreichische Schokoladen-Welt mit Füllaromen wie Fetinakäse oder Bockbierbrand auf den Kopf zu stellen. Seitdem hat er 1360 verschiedene Kakaobasierte Kreationen entwickelt und empfängt jährlich etwa um die 250 000 Besucher in seinem «Schoko-Laden-Theater» zwischen Vulkanhügeln, unweit der mittelalterlichen Riegersburg.
Gölles Edelbrände & Essige
Ein kurzer Spaziergang von Zotters Genusswelt führt zu Alois Gölles, der fast jedem Koch und sicher jedem Edelobstbrand-liebhaber ein Begriff ist. Sein legendärer Apfel-Balsamessig krönt Vogerlsalat, Lachsforelle oder Rote-Bete-Carpaccio mit milder Säure und gezügelter Fruchtsüsse. Gölles Vogelbeer, Quitte oder Saubirne entführt in die Vergangenheit, als man vor dem Menü an der Bar ein Glas Schampus bekam und zum Abschluss einen Obstbrand. «Von 2000 bis 2008 war das Goldene Zeitalter für Brände», bemerkt der Obstplantagen-Besitzer. «Wir stagnieren auf hohem Niveau. Rum ist momentan ein grosses Thema.» Für Gölles braucht ein Brand Milde, muss Struktur und Charakter haben. Um sich einen Eindruck von Destillierkunst und Essig-Handwerk des 61-jährigen Steirers zu machen, tauchen wir zur Jause in seinem Genusshotel «Riegersburg» ab. In die Hügellandschaft des steirischen Vulkanlandes hineingeschoben, liegen die Bauten nach Süden, sodass man beim T-Bone aus Dry Aged Beef auf die mittelalterliche Riegersburg blickt. Die begleitenden Erdapfelsticks finden ihre Überhöhung in ein paar Spritzern Apfel-Balsam-Essig des Meisters, der uns zum Schoko-Dessert noch seinen feinherben Kriecherlschnaps spendiert.
Restaurant Lurgbauer
Als Aussenstation diente das elterliche Lokal in den 1980ern für vorüber-ziehende Wanderer auf dem Pilgerweg von Wien zur Basilika in Maria Zell. Dann gab es für jeden ein Fleisch-Paket. Denn damals wie heute liegt der Küchenfokus im «Lurgbauer» auf dem Rind. So hält Maximilian Leodolter mitten in den Wäldern der Hochsteiermark Aberdeen-Angus-Ochsen, die mal als geschmorter Tafelspitz, mal als T-Bone-Steak auf dem Porzellan der elegant ausstaffierten Gaststube landen. Sein aktueller Favorit beim fünfgängigen Kreativmenü ist der hauchdünn auf der Herdplatte ausgerollte Feuerfleck aus Roggenteig. Auf dem steirischen Crêpe thront butterweiches, zerpflücktes Rindfleisch, das vier Stunden auf dem Holzkohlegrill gegart wird. Dazu serviert der 40-jährige Koch aus 150 ausschliesslich österreichischen Positionen einen Vulkanland Steiermark DAC Grauburgunder vom Weingut Krispel. Zum Verweilen lädt das Gästehaus aus Fundamenten des 12. Jahrhunderts. Zwölf Personen finden Platz in den Romantik-Zimmern mit eigener Sauna.
Harkamp
«Die Böden hier sind denen in der Champagne ähnlich», sagt Hannes Harkamp, «obwohl wir tausend Kilometer weit weg sind.» Sein 20 Hektar Weingut im Sulmtal-Sausal, Teil des südöstlichen Alpenvorlandes, ist das einzige in der Steiermark mit dem Schwerpunkt Sekt. Entscheidend war für Harkamp das Kaufangebot einer riesigen Kalksteinhöhle, die seine traditionell vergorenen Schaumweine mit einer Temperatur von stabilen zehn Grad Celsius und einer 90-prozentigen, natürlichen Luftfeuchtigkeit optimal reifen lässt. Vor über 60 Millionen Jahren hat sich hier Kalkstein aus dem urzeitlichen Meer abgelagert, der schon den antiken Römern zum Bau ihrer Fundamente im heutigen Sausal diente. Harkamp dient er seit elf Jahren als Aromensäule für seine biodynamisch angebauten Pinot Noir, Weissburgunder und Chardonnay. «Wir wollen aus unseren Bruts auch das Österreichische sprechen lassen», sagt der steirische Winzer, «deshalb produzieren wir auch Schaumweine aus Weissburgunder mit Zweigelt oder aus Muskateller.» Noch prickelt der Brut Rosé aus hundert Prozent Pinot Noir auf den Papillen, feinperlig und cremig, mit spitzer Waldbeerfrucht. Hier vermählt sich die Finesse der klassischen Champagnersorte mit südsteirischem Terroir. Ebenso delikat ist sein Zero Dosage, nach Brioche und Kalkstein duftend.
Der Wilde Eder
«Ich brauche keine Aus-zeichnungen», so der Besitzer des Drei-Hauben-Restaurants. «Das zieht oft Leute an, die sich nur an Noten orientieren, aber wenig Gaumensensorik besitzen.» Stefan Eder kocht vor allem gesund – ohne die Gäste das spüren zu lassen – und undogmatisch. Regionale Produkte dominieren seine Küchenlinie, die einen Hauch Asien in Form von Ingwer oder südamerikanischer Paprika erlaubt. So verfeinert der gelernte Koch und Ernährungstrainer sein Leibgericht aus Kindertagen – die Breiwurst – mit Apfel-Wasabi. Auf ein in Butterschmalz gebratenes Wienerschnitzel muss der Gast in tausend Meter Höhe am letzten Zipfel der Alpen hier auch nicht verzichten. In die saftig-grüne Idylle pflanzt der Oststeirer heuer einen Wintergarten, dessen Fensterpanorama weit ins Alpenland blicken lässt. Als passendes Kulinarik-Konzept plant Eder den «Zeitraum», historisch-saisonale Speisen von der Antike über klassisch französische Rezepte bis zu Science-Fiction-Menüs, die Adrian Ferrans Molekular-Rezepte böhmisch-österreichisch konterkarieren. Zur Seite steht dem 39-Jährigen dabei Gattin Evelyn, zweifache Patisserie-Weltmeisterin, bekannt aus dem ZDF-Format «Deutschlands beste Bäcker» mit Johann Lafer. Eine uralte Hütte, die ehemals zur Getreidelagerung diente, hat Eder in ein Chalet mit 25 romantischen Zimmern verwandelt.
Sattlerhof
Saunahütte und Outdoorpool inmitten südsteirischer Weingärten bilden nicht die einzigen Glanzlichter in 550 Metern Alpenhöhe. Haubenkoch Hannes Sattler verwöhnt die Hausgäste in Wirtshaus oder Fine-Dine-Restaurant mit leichter, modern inspirierter Regional-Küche. Lämmer, Wild und Süsswasserfische werden quasi vor der Tür erlegt. Zum Bio-Saibling in Buttermilch serviert Sommelier Matthias Lammbauer einen Morillon 2018 aus der Ried Kapellen-Weingarten. Rund 50 Gewächse der hier 600 gelisteten stammen vom Bruder des Maître, dem Bio-Winzer Willi Sattler, der von vielen Weinkennern als Hohepriester des Sauvignon Blanc gefeiert wird. Nach getrüffeltem Lammleberkäse und gabelzartem Rehgulasch, das von einem pfeffrigen Zweigelt untermalt wurde, verlassen wir die Weingartenterrasse, um uns in der Panorama-Suite – einem der Traumzimmer in Sattlers Landhaus – zu erholen.
Winzerhotel Maitz
Rib-Eye und Forelle, «un-geschnöselte» Atmosphäre und Wein-auswahl mit Jahrgangstiefe fassen das Besuchs-erlebnis bei Wolfgang Maitz zusammen. Sein Küchenchef Stefan Prenninger setzt modern-steirische Akzente im weingutinternen Zwei-Hauben-Restaurant, das 1964 seinen Weg als Buschenschank antrat. «Wir verwehren bis heute niemandem das steirische Backhendl», eröffnet Winzer Maitz schmunzelnd, «aber ebenso wenig den steirischen Thunfisch». Hinter dem verbirgt sich kulinarisch übersetzt, mariniertes, angebratenes, halbroh aufgeschnittenes Filet der hauseigenen Kogelberger Freilaufschweine. Herkunftsschweine und Herkunftsweine geben sich in der noblen Gaststube die Hand. So empfiehlt Chef-Sommelier René Kolleger aus der 350 Positionen starken Weinliste einen Welschriesling Alte Reben aus der Ried Sulz, dessen Salzzitrone und jodige Anmut sich sehr präzise mit den Aromen des Filets vom Saibling mit Topfen-Ravioli vermählen.
David Gölles’ Hands on Gin
Die ersten 14 Rezepturen für seinen Hands on Gin basierten ausschliesslich auf Wacholder. David Gölles experimentierte zunächst mit variierenden Mengen von Wacholder und Alkohol, um die optimale Gin-Basis zu kreieren. Erst dann fügte der 33-jährige Destillateur unterschiedlich kombinierte Botanicals hinzu: So verwarf er Ingwer und Zimt oder ersetzte Zitronenmelisse durch Zitronengras. Hands on Gin steht laut David zum einen für die Handschlagqualität und für fünf Finger einer Hand: fünf Finger – fünf Zutaten. «Es gibt Gin-Macher, die geben hundert Botanicals hinein», sagt er, «ich will, dass man jede meiner fünf Zutaten mit Nase und Zunge einfängt», und ergänzt: «Der Koriander etwa gibt die feine würzige Note, die Orangenschale kitzelt hinten und die Ribisel sorgt für einen cremigen Abgang.» Als Cocktail empfiehlt der studierte Lebensmitteltechnologe einen Mix aus 2 cl Hands on Gin, 3 cl hauseigenem Alfred-Rosso-Wermut und 3 cl Vogelbeer-Bitter. Zwar ist David kein Fan von fassgelagertem Gin, bei seinen Rums und Whiskeys dagegen spielt er mit 40 verschiedenen Fasstypen, von der klassischen Barrique oder dem Tequila-Fass bis zu Exoten wie Mescal- oder Shochu-Fässern. Sein «Ruotker’s House of Whiskey, Gin & Rum» lädt zu persönlichen Führungen, bei denen man alles von Rohstoffen wie Zuckerrohrmelasse aus der Karibik für die Rums über stark getorfte Gerste aus Schottland für die steirischen Single Malts bis zu den Kniffen verschiedener Rum- und Whiskey-Finishings erfährt.