Profipanel Edelsüsse Spezialitäten
Golden
Text: Ursula Geiger, Foto: Linda Polari
Wertvolles war hier im Glas. Leuchtendes Gold und heller Bernstein. Die opulente Aromenfülle spiegelte die Vielfalt der österreichischen Süssweinkultur. Beeren- und Trockenbeerenauslesen, Ruster Ausbruch und Eiswein zauberten ein Lächeln auf die Gesichter der Degustatoren. Ob Dörrobstnoten, Backgewürze oder glasklarer Duft von frischen Marillen. Für jede süsse Vorliebe war hier etwas dabei.
Die Süsswein-Vielfalt in diesem Panel war gross. Alles war vertreten: vom Weinviertel bis zum Seewinkel am Neusiedler See im Burgenland, von der Beerenauslese bis zum Eiswein, von reinsortigen Weinen bis zu raffiniert kombinierten Cuvées. Diese Vielfalt begeisterte die Verkoster, leise Kritik wurde lediglich wegen der Säuregehalte der Weine laut. Da hat sich mancher ein bisschen mehr knackige Frische beim Süsse-Säure-Spiel gewünscht. Doch das Fazit ist eindeutig: Die edelsüssen Spezialitäten aus Österreich hätten es eigentlich verdient, als das flüssige Gold der Weinwelt geschätzt zu werden, doch leider sind Süssweine wenig populär, was daran liegen mag, dass sich immer weniger Geniesser auf das vielfältige, opulente Aromenspiel einlassen. Oder nicht wissen, zu welchen Gelegenheiten oder zu welchen Speisen die Elixiere aus der kleinen Flasche passen. «Die Zeit ist niemals falsch, um grossartige, edelsüsse Weine zu trinken», wird der Illmitzer Süssweinspezialist Gerhard Kracher im Buch «Edelsüsse Weine» von August F. Winkler zitiert. Der 2018 verstorbene Autor war ein grosser Süsswein-Liebhaber, der gerne Geschmortes mit gereiftem Süssen kombinierte, das Ölig-Geschmeidige dem Tanninbetont-Kräftigen vorzog. Zur Faszination Süsswein gehört nicht nur die Aromenfülle und die süsse Opulenz am Gaumen, auch das Technische und die Historie dieser Spezialitäten sind für das Verständnis wichtig.
Welchen Stellenwert diese Weine bereits früher hatten, zeigt folgendes Beispiel: Das Städtchen Rust am Neusiedler See erkaufte sich seinen Aufstieg vom Marktflecken zur königlichen Freistadt im Jahr 1681 mit 60 000 Gulden und der gesamten Ernte des «Ruster Ausbruchs». 500 Eimer oder 28 000 Liter gingen an Kaiser Leopold I., der mit dem flüssigen Gold auch Diplomatie betrieb und Kostproben davon an die Fürstenhöfe Europas schicken liess. In der österreichischen Süsswein-Kultur hat der Ruster Ausbruch einen Sonderstatus. Der Wein muss die gesetzlichen Ansprüche für eine Trockenbeerenauslese erfüllen und die Trauben müssen aus Ruster Rebgärten stammen. Der Begriff Ausbruch darf auch nur gemeinsam mit der geografischen Bezeichnung verwendet werden. Der Neusiedler See, dieses riesige, flache Binnengewässer im Burgenland, schafft die klimatischen Voraussetzungen für edelsüsse Spezialitäten: Der See gibt im Herbst in der Nacht Wärme und Luftfeuchtigkeit ab. Die Feuchtigkeit der so entstandenen Morgennebel legt sich auf die Trauben, die Sonne und der Wind aus Nordwest trocknen die Beeren wieder. Ideale Bedingungen für das langsame Wachstum von Botrytis cinerea, dem Edelfäule-Pilz, der die Beerenhaut perforiert und so das «Austrocknen» der Beeren und die Konzentration von Zucker und Säure verursacht. Das Mostgewicht von 30 KMW entspricht rund 146 Oechsle-Grad oder nahezu 400 Gramm Zucker pro Liter. Würden die Hefen allen Zucker zu Alkohol vergären, hätte der Wein satte 20 Vol.-Prozent Alkohol. Doch die Mikroorganismen schaffen das nicht, eine zu hohe Zuckerkonzentration hemmt ihre Aktivität. Sie vermehren sich langsamer und stellen irgendwann ihren Stoffwechsel wegen der Überdosis Zucker ein. Der Wein hat weniger Alkohol, dafür aber sehr viel Restsüsse. Auch der Anteil an Glycerin, ein Nebenprodukt der Gärung, das den Wein geschmeidig und ölig macht, ist rund doppelt so hoch wie bei trockenen Weissweinen.
Ein Mechanismus, den Gerhard Kracher mit seinem Siegersüssen «Nouvelle Vague» Nr. 12 dermassen ausreizt, dass es das aus Welschriesling (45 Prozent), Chardonnay (30 Prozent) und Scheurebe gekelterte Elixier nur auf 4,5 Vol.-Prozent Alkohol schafft. Eine kritische Masse, denn erst ab 5 Vol.-Prozent Alkohol greift die Definition «Wein», weshalb auf dem Rückenetikett «Teilweise gegorener Traubenmost aus Österreich» steht. Lediglich die Tokaji Eszencia ist von diesem EU-Gesetz ausgenommen. Jedes Jahr produziert Gerhard Kracher 15 verschiedene Süssweine. Das Wetter und der Botrytis-Pilz geben dabei den Takt an. Seit 1995 wird jeder Süsswein-Jahrgang nach einem bestimmten System benannt: je höher die Dichte, desto höher die Nummer. Steht «Nouvelle Vague» auf dem Etikett, sind die Moste in der Barrique ausgebaut. Zu was geniesst man ein solches Elixier? Die Antwort ist simpel: Anstatt sich mit Blauschimmelkäse oder Nachspeisen den Gaumen zu verbiegen, trinkt man einen grossartigen Süsswein als Dessert. Nichts lenkt ab, nichts stört die Kontemplation beim nächsten Schluck. Das Attribut «süss» erhalten in Österreich Weine erst, wenn sie einen Restzuckergehalt von 45 Gramm/Liter und mehr aufweisen. Doch die Werte liegen bei edelsüssen Spezialitäten oft um ein Vielfaches höher. Nicht in allen Weinregionen des Donaustaats begünstigt das Klima die regelmässige Produktion von Trockenbeerenauslesen. Wenn nicht feuchte und sonnige Bedingungen herrschen, gibt es noch die Variante trocken und kalt. Die Rede ist vom Eiswein. Seine Produktion ist für die Winzer mit einem hohen Risiko verbunden, denn lässt der erste starke Nachtfrost im Winter auf sich warten, und ist es nur feucht und regnerisch, verderben die Trauben am Stock oder die Vögel holen sie. Im Idealfall werden in den frühen Morgenstunden – dann ist es am kältesten – und bei Mindesttemperaturen von minus sieben Grad die Trauben mit klammen Fingern und Flutlicht vom Stock geklaubt. Die Lese bei Minustemperaturen ist das eine. Damit das Wasser in den Beeren gefroren bleibt, muss auch bei Frost gepresst werden. Nicht selten steht darum die Kelter auf dem Hof und trennt das Eis vom Konzentrat aus Zucker und Säure. Klassischer Eiswein zeigt keine Botrytis-Noten. Die Frucht ist oft präziser, der Wein hat weniger Dörrobstnoten und Würze, dafür aber eine animierende Säure am Gaumen.
Es verkosteten (stehend, v.l.n.r.):
Beat Caduff, Koch und Gastgeber «Caduff’s Wine Loft», Zürich, Ivan Barbic MW, Weinhändler und Autor, Zürich, Nicole Vaculik, Sommelière, Harald Scholl, stellvertretender Chefredakteur VINUM Deutschland, München, Ursula Geiger, Redaktion VINUM, Zürich.
Ausserdem verkosteten (sitzend, v.l.n.r.):
Stephan Bucher, Weinhändler «Haus Österreich», Luzern, Sigi Hiss, Weinautor & VINUM-Verkoster, Bad Krotzingen.