Kulinarik
Alles ausser G’schisti-G’schasti!
Text: Harald Scholl, Fotos: z.V.g.
Ein flapsiger Spruch lautet: «Wenn du keine Chance hast, nutze sie!» Das könnte der Leitsatz der Weinviertler Küche sein. Denn für modische Trends hatten sie im Norden Österreichs nie wirklich etwas übrig, dafür aber für echte, bodenständige Speisen mit den Produkten der Region. Was heute in den Metropolen ein gefeierter Küchentrend ist, war im Weinviertel nie «out».
«Pock – Pock – Pock…» tönt es aus der Küche, ein Klang, der unzweideutig signalisiert: Hier wird Fleisch geklopft. Ein Klang, der automatisch zeigt, dass hier nicht ein Produkt der tiefkühlenden Lebensmittelindustrie in der Pfanne landen wird, sondern das Ergebnis klassischen Kochhandwerks. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein Schnitzel oder wie in diesem Fall um ein Cordon bleu handelt.
Es ist so oder so ein Klang, den man unmittelbar mit dem Weinviertel verbindet. Hier mag vielleicht die Zeit in der Küche ein wenig stehen geblieben sein, sie ist in Zeiten der Rückbesinnung auf traditionelle Küche, auf echte und bodenständige Produkte aber überaus zeitgemäss. Man muss manchmal eben nur ein wenig warten, um voll im Trend zu sein.
Übrigens: Die beschriebene akustische Szene hat sich genau so zugetragen, im «Retzerlandhof» klopft der Chef Harald Graf seine Schnitzel tatsächlich noch von Hand, was bis in den Gastraum deutlich zu hören ist. Auch der andernorts zum «TK-Krüppel» degenerierte Klassiker Cordon bleu wird bei ihm für jeden Gast frisch zubereitet, gefüllt mit bestem Beinschinken und würzigem Bergkäse eine kulinarische Erinnerung an die Kindheit. Dass die dem Cordon bleu folgende Cremeschnitte zum Dessert auch hausgemacht wird, ist selbstverständlich.
Die hohe Kunst des Einfachen
Und Ruhe ist ein gutes Stichwort, wenn man das Weinviertel kulinarisch zu entdecken versucht. Trotz der Nähe zur Millionenstadt Wien ist der ländlich-verschlafene Charakter allgegenwärtig, man muss schon genau hinschauen und hinhören, um die kulinarischen Schätze der Region zu entdecken. Für Aufsehen und Aufmerksamkeit hat Harald Pollak im «Retzbacherhof» in Unterretzbach gesorgt. Aus Wien kam der Gastronom mit seiner Frau Sonja in die Region, nicht einmal eine Ausbildung zum Koch konnte er damals vorweisen. Aber er stammt aus der Gegend, kennt die Leute und ihr Naturell. Das vor allem eines nicht duldet: «G’schisti-G’schasti».
Was sich nicht wörtlich übersetzen lässt, aber sich mit den Begriffen «Gedöns», «Aufhebens» oder «Kinkerlitzchen» recht treffend umschreiben lässt. Weshalb auf seinen Tellern glasklare Regionalküche zu finden ist. Auf den Punkt gekocht, ohne modernistische Anwandlungen. Wenn es nicht so profan klingen würde, die perfekte Wohlfühlküche. Wer Pollaks Butterbrot mit Schnittlauch als Gruss aus der Küche probiert hat, weiss, wovon die Rede ist. Duftig leichtes Sauerteigbrot, durch angewärmte Kieselsteine auf Temperatur gehalten, luftig cremige Butter darauf, gekrönt von würzig-grünem Schnittlauch.
Da tauchen beim ersten Bissen schon Kindheitserinnerungen auf, das Gefühl, mit nackten Füssen im Bach zu plantschen, den Duft von gemähtem Gras in der Nase. Und spätestens wenn Harald Pollak statt des derzeit allgegenwärtigen halbflüssigen Schokokuchens seinen Vanillepudding serviert oder seinen karamellisierten Semmelschmarrn mit Birnenkompott, kapiert jeder gentrifizierte Grossstädter innerhalb von Sekunden, was Landküche bedeutet. Und welch wohltuende Wirkung sie für Geist und Seele hat. Da ist es kein Wunder, dass es an den Wochenenden immer mehr Wiener in den «Retzbacherhof» zieht, ebenso wie es nicht wundert, dass es im Sommer im Schanigarten voll werden kann.
Der Gast lebt nicht vom Brot allein…
Das ist zum Glück kein wirkliches Problem, denn nicht nur bei den gastronomischen Anlaufpunkten, sondern auch auf den Weingütern des Weinviertels lässt sich wunderbar speisen. Das hat Tradition, die landwirtschaftlichen Betriebe im Weinviertel waren mit bestimmten Ausnahmen nie monostrukturiert. Getreide, Kartoffeln, Gemüse, Viehwirtschaft und Wein – das findet sich bis heute auf sehr vielen Betrieben gleichberechtigt nebeneinander.
Auf dem Bioweingut Faber-Köchl etwa laufen hinter der Kelterhalle immer noch die Schweine auf einer grossen Wiese herum. Mutter Maria und Tochter Anna kümmern sich gemeinsam um den Weingarten und die erwähnten Schweine der Rasse Mangalitza. Beim Heurigen im Juli und August gibt es Schopf oder Bauch, Speck, Blunzen oder Leberwurst von diesen Schweinen. Natürlich ganz ohne «G’schisti-G’schasti». Denn dafür haben sie im Weinviertel einfach keinen Sinn.
Kleines-Weinviertel-Glossar
Schanigarten
Schattiger Aussenbereich eines Restaurants, am ehesten mit dem Biergarten zu vergleichen.
Mangalitza
Alte Schweinerasse mit etwas höherem Fettanteil. Intensiv nussiges Aroma. (Brettl-)Jause.
Doppler
Auch «Ösi-Magnum». Zweiliterflasche Wein, war früher im Weinviertel die häufigste Flaschenform im Weinhandel. Heute in Wirtshäusern nur noch selten anzutreffen.
Kölla
(= Keller); Bezeichnung für die Räume, wo die Gärung und die Lagerung des Weines stattfanden. Den Kellern kann ein Presshaus vorgelagert sein.
Achterl
Das klassische Glas Wein, Menge 0,125 Liter.
Weinhauer
Ist ein Winzer. Der Name leitet sich vom «Hauen» oder «Hacken», der früher häufigsten Arbeit im Weingarten, ab.