Wein vom Bodensee

Trinken, kochen, essen: Kräuter, Spargel, Höri-Bülle…

Text: Ursula Heinzelmann, Foto: GettyImages / Claudia Totir, GettyImages / Conny Pokorny / Mariha-kitchen, StockFood / Eising Studio – Food Photo & Video / Are Media 

Im richtigen Augenblick, am frühen Morgen oder späten Nachmittag, von ein wenig Nebel umhüllt, wirkt der Bodensee wie ein verwunschener Garten, ein Seelenort. Auch die Weine, die an den Ufern des drittgrössten Sees Mitteleuropas wachsen, sind selten laute «Hier»-Schreier, häufig scheinen sie förmlich zu schweben.

Einst war der Bodensee das Zentrum Europas. Die Pfahlbauten in Unteruhldingen zeigen, dass es bereits vor über 10 000 Jahren Menschen an seinen Ufern gefiel. Hierher kamen Kulturen aus allen Himmelsrichtungen, hier lebten Kelten, Römer, Alemannen, Karolinger, Welfen, Staufer, hinterliessen ihre Spuren in den römischen Militärstationen Bregenz und Eschenz, dem alemannischen Herzogssitz Überlingen und der karolingischen Königspfalz Bodman, den benediktinischen Abteien St. Gallen und Reichenau, den Bettelordenhäusern Lindau und Schaffhausen. Das grosse Konzil zu Konstanz 1414 bis 1418, bei dem sich die Wortführer der gesamten lateinischen Christenheit versammelten, war der Höhepunkt dieser Vergangenheit.

«Wir gehören heute am See dank ausreichend Niederschlag und Föhn zur Avantgarde und loten neue Grenzen und Stile nicht nur für die Piwis aus.»

Teresa Deufel vom gleichnamigen Weingut in Lindau-Schachen, Bayerischer Bodensee

Zu der unbedingt Wein gehörte, der am See zurück bis ins achte Jahrhundert belegt ist. Es wird gesagt, Karl der Dicke habe 881 in Bodman den Königsweingarten mit Reben aus dem Burgund anlegen lassen. Im Mittelalter, als rund ums Wasser wahre Rebenmeere wogten und der Wein vor allem den Klöstern als Lebensmittel und Handelsware diente, wurden Spitäler zum Unterhalt mit Weinbergen ausgestattet, und jeder Insasse bekam bis zu drei Liter Wein täglich zugeteilt. Noch bis 1800 waren etwa auf der Insel Reichenau um die 200 Hektar mit Reben bepflanzt. Heute sind es dort noch etwa 17 Hektar und rund um den See insgesamt nicht einmal 900, nach anderen Schätzungen sogar weniger als 700. Nach all dem Treiben im Mittelalter fiel der Bodensee in eine Art Dornröschenschlaf – was auch an seinem nationalgeografischen Grenzgängerstatus liegen mag. Denn ob nun aus Wien, Bern oder Berlin gesehen, liegt er immer weitab und am Rande, seine Ufer verteilt auf drei Staaten und unzählige Regionen, der Wein eine Randerscheinung.

Doch das ändert sich gerade – oder eigentlich bereits seit genau hundert Jahren. Damals stand es um den Weinbau am See ausgesprochen schlecht, der alte Spruch vom Eskimowinzer geht auf den dünnen, sauren Elbling dieser Zeit zurück. Bis im April 1925 ein junger Winzer aus Immenstaad mit einem Fischer aus Hagnau eine gewagte nächtliche Rudertour ins schweizerische Ermatingen unternahm, weil er die Vision eines neuen Weintyps hatte. Allen Zollschranken und hochherrschaftlichen Einwänden zum Trotz gelang es den beiden, 400 Setzlinge Müller-Thurgau ans deutsche Ufer zu schmuggeln. Und die frühreifende, vom Schweizer Professor Hermann Müller gezielt für die hochgelegenen Weinberge seiner Thurgauer Heimat gezüchtete Sorte brachte tatsächlich den Durchbruch! Im Rückblick waren die neuen, glasklaren, beschwingten und nahezu zarten Weine damals nur der Anfang, die wahren flüssigen Früchte dieses Neuanfangs, die werden jetzt geerntet. Überzeugen Sie sich selbst.

Rebsortengeschichte

Von Müller-Thurgau bis Piwis

Vor hundert Jahren brachte der Müller-Thurgau den entscheidenden Aufschwung. Ab den späten 1990er Jahren wurden durch den Klimawandel immer mehr gute Burgunder möglich. Heute hat selbst der Riesling hier den einstigen Ausnahmestatus verloren. Inzwischen setzen die Winzer, besonders am feuchteren östlichen Ende des Sees, zunehmend auf Piwi-Sorten, von Souvignier Gris über Solaris und Muscaris bis hin zu Johanniter und Sauvignac.



Klassische Mariage: Bodensee-Felchen

Felchen, eine Maränenart, stehen nach wie vor auf so gut wie jeder Speisekarte am See. Sie harmonieren einfach perfekt mit den leichtfüssigen Weissweinen.

Beim Fisch handelt es sich heute häufig um Importware, da das immer sauberere Wasser sowie Kormorane und Reiher die lokalen Bestände stark dezimiert haben und sie inzwischen gefährdet sind. Solche Veränderungen gab es allerdings in der Vergangenheit schon öfter, und es besteht Hoffnung, dass Fangverbote für Erholung sorgen, so wie Piwi-Sorten wie der Souvignier Gris den klimatischen Veränderungen beim Wein Rechnung tragen.

Dazu passt: Souvignier Gris vom Bodensee

Solo oder als Cuvée mit anderen Sorten bringt er einen schönen Schmelz mit, der das feine Aroma des Fischs trägt. Ausserdem besitzt er eine feine, lebendige Fruchtigkeit, die wie ein Spritzer Zitrone Akzente setzt.

Neue Mariage: Grünes Spargel-Curry

Spargelanbau hat am Badischen Bodensee eine lange Tradition. Grünes Curry im thailändischen Stil in Kokosmilch kombiniert die süsslich-nussigen Aromen der weissen Stangen mit Schärfe und Duft.

Zitronengras, grüner Chili, Knoblauch, Koriander, Ingwer und Kaffirlimettenblätter bilden ein ganz eigenes Geschmacksbild. Grauburgunder vom See fährt hier zu voller Grösse auf, ist sowohl leicht als auch kräftig genug, um ebenbürtig wahrgenommen zu werden.

Dazu passt: Grauburgunder vom Bodensee

Er wirkt leichtfüssig genug, um mit den Aromen zu tanzen, und verfügt doch über ausreichend Kraft, um sich von Chili und Kokos nicht in die blosse erfrischende Begleiterrolle drängen zu lassen.

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