Kochen und Essen zu Weinen aus Kanadas Osten

Trinken, kochen, essen: Hummer, Beeren, Ahornsirup… und so viel mehr!

Text: Ursula Heinzelmann / Fotos: gettyimages / UliU

Ontario, Québec, Nova Scotia: Das sind die Niagarafälle und jede Menge Wildnis, aber auch ausgesprochen kosmopolitische Grossstädte wie Toronto und Montréal, das sind kalte Winter und heisse Sommer, Eishockey und Segeltörns – und Wein. 

Den vergessen die meisten, wenn es um den Osten Kanadas geht. Dabei liesse sich die neuere Geschichte mit eben diesem beginnen: Als die Nordmänner in ihrem Drang nach Westen auf den Spuren des Kabeljaus von Island über Grönland an Kanadas Küste landeten, nannten sie diesen Ort in ihren Erzählungen Vinland. Ob dies nun tatsächlich wildwachsendem Wein oder eher Johannisbeeren oder aber einer etymologischen Verwechslung geschuldet ist – weil «vin» im Altnordischen auch Weide bedeutet – und ob den an Grönlands öde Weite gewohnten Wikingern das alles überhaupt vertraut war, bleibt nach wie vor offen; ganz abgesehen davon, dass Wissenschaftler dieses Vinland heute wahlweise von der Küste bei Boston bis hinauf nach Labrador verorten.

Doch wer weiss... Besser belegt sind die Reisen des französischen Seefahrers Jacques Cartier, der 1535 auf einer der heutigen Stadt Québec vorgelagerten Insel im St-Lorenz-Strom auf wilde Weinreben stiess und den Ort daher Île de Bacchus nannte. Obgleich sie natürlich längst einen Namen hatte, denn für die Ureinwohner war sie einfach «ah endoe», die Insel. Gut 70 Jahre später gründete Cartiers Landsmann Samuel de Champlain dann offiziell Neufrankreich und Québec, um den Reichtum an Fisch und Pelzen fürs europäische Mutterland zu sichern. Er pflanzte europäische Reben – um im neufranzö- sischen Winter deren Erfrieren zu konstatieren.

Wie jede neu entstehende Weinregion waren wir mit dem Unbekannten konfrontiert und haben erst in den letzten 40 Jahren erkannt, was hier am besten wächst.»

Ed Madronich

Chief Wine Taster & Proprietor, Flat Rock Cellars, Ontario, Kanada

Ohne den Wissenstransfer der lokalen Ureinwohner wäre es all den europäischen Kolonialisten, nach den Franzosen vor allem Engländern und Iren, zweifellos ebenso ergangen. Trotz aller Feindseligkeiten lernten diese allmählich von ihnen, wie sich hier mit der Natur auskommen liess. In Sachen Wein gestaltete sich das alllerdings lange Zeit als äusserst schwierig, und die weni- gen und oftmals sauren Trauben wurden vor allem zu aufgespriteten, süssen Getränken verarbeitet; daran änderte sich weder durch einen rebenpflanzenden deutschen Korporal Anfang des 19. Jahrhunderts viel, noch durch das erste offizielle kanadische Weingut 1866 auf einer Insel im Lake Erie. Ab 1900 tat dann die Prohibition ein Übriges; bis heute sind ihre Folgen in Form strenger staatlicher Reglementierung von Weinproduktion und -vertrieb zu spüren. Und trotzdem: In den letzten 40 Jahren hat Kanada gewaltig aufgeholt, heute gehört Wein – guter Wein, kanadischer Wein – in Toronto, Montréal und Halifax zum Alltag. Vinland!

Geschichte zur (Wein-)Region: Wintermassnahmen

Der Klimawandel führt auch im Osten Kanadas zu extremerem Wetter und tendenziell weniger Kälte im Winter; Eiswein könnte den Status der Selbstverständlichkeit selbst hier verlieren. Trotzdem bleiben die niedrigen Temperaturen eine Herausforderung. Daher werden viele Reben während der Wintermonate umgelegt und zum Schutz mit Erde bedeckt. Das macht sie aber auch anfällig für Fäulnis und Krankheiten, ausserdem belastet es den Boden. Viele Winzer arbeiten daher heute eher mit Vliesstoffen zum Abdecken.



Klassische Mariage: Fish Cakes mit schar­fem Mayonnaise­-Dip

Fischfrikadellen aus gekochtem Kabeljau, Schellfisch, Seelachs, Heilbutt oder Flunder sind sehr beliebt; Kartoffel sorgt für Bin- dung, mit Chili abgeschmeckte Mayonnaise bringt den Kick.

Sehr vergnügt tanzt damit ein Tidal Bay, Nova Scotia’s halbtrockener Prestige-Weisswein, der nach der gezeitenmächtigen Bay of Fundy benannt ist und mindestens zur Hälfte aus Acadie Blanc, Seyval Blanc, Vidal oder Geisenheim 318 besteht. Überraschend gut harmonieren aber auch die weichen Tannine eines kirsch- und beerenduftigen roten Gamay Noir aus Niagara-on-the-Lake in Ontario. Theoretisch ziemlich verrückt, praktisch aber sehr gut passt schliesslich ein klassischer Vidal Icewine aus Québec.

Weisser Tidal Bay tanzt vergnügt mit dem Fisch

Gamay Noir bringt weiche rote Fruchtaromen ins Spiel

Vidal Blanc Icewine dockt mit Aprikosensüsse und Säure an die scharfe Mayonnaise an

Neue Mariage Raclette

Kanadischer Wein zu Raclette? Warum nicht? Erstens gibt es eine ganze Reihe guter Käseproduzenten in Québec, Ontario und auch Nova Scotia, und zweitens passen ganz viele der Weine dazu grossartig.

Ganz unkompliziert ergänzt Pinot Gris aus Prince Edward County mit feinen Melonen- und Zitrusnoten die Grillaromen des Käses. Deutlich aussergewöhnlicher ist hingegen ein Orange-Wein aus Vidal Blanc, also ein maischevergorener Weisswein, eine in Ontario seit 2017 gesetzlich definierte Weinkategorie; zur duftigen Pfirsichfrucht kommt hier herbe Kräuterwürzigkeit. Noch mutiger: einer der lebhaften Schaumweine, die besonders das Terroir von Nova Scotia so gut zum Ausdruck bringen – und sich über Gürkchen zum geschmolzenen Käse freuen.

Pinot Gris unterstreicht melonenfruchtig die Grillaromen des Käses

Orange-Wein aus Vidal Blanc fügt dem Käse Pfirsichfrucht und herbe Kräuterwürzigkeit hinzu

Schaumwein lässt den Käse leichter wirken und freut sich über Gürkchen

 

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